Autoritätshörig und ignorant

Vom Elend der deutschen außenpolitischen Debatte

Von Matthias Küntzel

Deutschlandradio Kultur - Politisches Feuilleton vom 12. Dezember 2013

Was haben wir in den letzten Wochen nicht alles über Mindestlohn und Maut gehört! Bei diesen Themen haben Unionsparteien und SPD im Koalitionsvertrag um jedes Komma gerungen. Doch beim Thema „Außenpolitik“ blieb es auffällig still.

Dabei fanden bedeutende Veränderungen gerade hier statt. Der Koalitionsvertrag hat sich von der Tradition der außenpolitischen Zurückhaltung verabschiedet. Jetzt wird verkündet, Deutschland wolle nicht nur Europa, sondern gleich die gesamte „globale Ordnung aktiv mitgestalten.“[1] Eine Zäsur im deutschen Selbstverständnis und dennoch kein Parteienstreit.

„Dem Himmel sei Dank!“ werden einige nun sagen. Endlich ein Gebiet, auf dem die Parteien sich einig sind. Einig? In Wirklichkeit wissen auch die Mitglieder der großen Volksparteien wenig über das, was unsere außenpolitischen Vordenker treiben. In Wirklichkeit wollen sich die deutschen Diplomaten auch weiterhin nicht in die Karten schauen lassen. In Wirklichkeit basiert der Mangel an deutscher außenpolitischer Debatte auf Autoritätshörigkeit und Ignoranz.

Nehmen wir als Beispiel das Genfer Atomankommen mit dem Iran, das Deutschland erst kürzlich gemeinsam mit Teheran und den fünf Vetomächten des UN-Sicherheitsrates unterzeichnet hat.

Diese Vereinbarung ist umstritten. Außenminister Westerwelle feiert sie zwar als „Wendepunkt“ und als „Erfolg für die Welt“, weil sie den Ausbau des iranischen Atomprogramms verlangsamt.[2] Henry Kissinger aber kritisiert, dass sie Iran zu einer „de-fakto-Nuklearmacht“ erhebe3. Und der amerikanischer Senator Mark Kirk warnt sogar vor „der Möglichkeit eines künftigen Atomkrieges im Mittleren Osten.“[4]

Ein Abkommen also, das zweifellos unsere Zukunft betrifft und nicht nur Experten interessiert.

Dennoch liegt eine amtliche deutsche Übersetzung bis heute nicht vor. Es werde sie auch in Zukunft nicht geben, erklärte mir die Pressestelle des Auswärtigen Amts, da die englische Fassung für die Arbeit im Hause ausreichend sei. Bürgernähe sieht anders aus.

Doch selbst, wer perfekt genug in Englisch ist, um dieses Abkommen zu lesen, scheitert, wenn er Deutschlands Position in Genf in Erfahrung bringen will.

Paris zeigte bei diesen Verhandlungen immerhin Profil. Der französische Außenminister bezeichnete den von Washington und anderen vorgelegten Vertragsentwurf als „Deal für Dämliche“ und verlangte Änderungen, um den Weiterbau eines iranischen Plutoniumbrüters zu verhindern.

Aber welche Position nahm dazu der deutsche Außenminister ein? Distanzierte er sich von seinem französischen Kollegen? Wir wissen es nicht. Berlin schweigt. Mehr noch: Auch der Bundestag und die Medien wollen es nicht wissen. Ignoranz statt Kontrolle. Man tut, als ginge Plutonium im Besitz des islamistischen Regimes allein die Regierungsspitze etwas an.

In Washington herrscht ein anderer Stil. Hier wurde die amerikanische Verhandlungsführung von Genf nicht nur vor einen Senatsausschuss zitiert. Sondern hier kritisierten einige Senatoren im Anschluss an die Anhörung ihre Regierung öffentlich.

Zugegeben, auch in Deutschland erstatten Regierungsvertreter dem Auswärtigen Ausschuss im Bundestag Bericht. Doch kontroverse Positionen kommen hier dabei auffällig selten auf den Tisch – und schon gar nicht an die Öffentlichkeit.[5]

Man hat den Eindruck, dieser Ausschuss bewahrt den alten Untertanengeist. In den letzten vier Jahren hat er es gerade mal auf zwölf Presseerklärungen gebracht – drei pro Jahr! Doch auch darin suchte man kritische Worte zum Regierungshandeln vergebens.[6]

Bevor sich unsere Außenpolitiker in der Regierung wie in der Opposition also daran machen, „die globale Ordnung aktiv mitzugestalten“, sollten Sie, bitte schön, für mehr Transparenz und Debattenkultur sorgen. Das gilt ganz besonders im Falle einer Großen Koalition. Duckmäuser, die der Exekutive nach dem Munde reden, gibt es wahrhaftig genug. Was fehlt, ist die vernehmbare und kontroverse Debatte über die Grundlinien der deutschen Außenpolitik.

Nachlesen und Nachhören können Sie den Originalbeitrag
hier .

[1] Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 168.

[2] So der Außenminister in der Bundestagsdebatte vom 28. November 2013, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung, Berlin, 28. November 2013, S. 138.

[3] Henry A. Kissinger and George P. Shultz, What a Final Iran Deal Must Do, in: WSJ, Dec 2, 2014.

[4] So der Senator Mark Kirk in: After Kerry Briefing, Senators Slam White House Over ,Chamberlain”-Style Iran Deal & “Anti-Israel” Statements, in: The Tower, November 13, 2013.

[5] „Nicht selten seien im Auswärtigen Ausschuss die Differenzen gar nicht groß. ,Da ist der Ausschuss vielleicht etwas Besonderes. Die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten ist sicher mit am größten im Bundestag‘, so der Vorsitzende. Entscheidungen entlang der klassischen Regierungs-Oppositions-Linie kämen vor, seien aber eher die Ausnahme.“ Aus: Was macht eigentlich der Auswärtige Ausschuss? Auf http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/34434192_kw21_pa_polenz/ .

[6] Sämtliche Erklärungen finden sich auf: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a03/pressemitteilungen/index.html