Zur religiösen Dimension des 7. Oktober

Statement anlässlich einer Diskussion über islamistischen Antisemitismus, organisiert vom London Center for the Study of Contemporary Antisemitism, am King's College London am 3. November 2025

Von Matthias Küntzel

Hamburg, 11. November 2025

Was bedeutet es, wenn die Hamas ihren Krieg gegen Israel als Religionskrieg definiert? Was sagt uns die Tatsache, dass das Massaker vom 7. Oktober von wiederholten Allahu Akbar-Rufen begleitet war?

Der Koran gibt keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Eine Minderheit von Experten betont die pro-jüdischen Verse des Korans und die Tatsache, dass die jüdische Religion die Grundlagen für den Islam gelegt hat. „Ohne Judentum – kein Islam” lautet beispielsweise der Titel eines Buches des deutschen muslimischen Islamwissenschaftlers Mouhanad Khorchide.

Die Mehrheit der Experten betont hingegen den Antijudaismus des Islam. Juden wurden als den Muslimen unterlegen angesehen und mussten ihren niedrigeren Rang als Dhimmis akzeptieren. Dieser Status bedeutete für Juden in islamischen Gesellschaften einerseits permanente Diskriminierung und Demütigung. Gleichzeitig gewährte er ihnen aber auch ein gewisses Maß an Schutz, solange sie sich dieser diskriminierenden Rolle unterwarfen.

Der europäische Mythos von den Juden als heimlichen Herrschern der Welt spielte in diesem Antijudaismus keine Rolle.

Dies änderte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts und insbesondere in den letzten 100 Jahren mit dem Aufkommen des Islamismus und der engen Zusammenarbeit zwischen Islamismus und Nationalsozialismus.

Nun entwickelte sich erstmals eine antisemitische Interpretation des Islam. Die Anhänger dieser Interpretation bezogen sich und beziehen sich weiterhin insbesondere auf einen Hadith – also eine überlieferte Aussage des Propheten Mohammed, der gesagt haben soll: „Der Tag des Gerichts wird nicht kommen, bevor die Muslime gegen die Juden kämpfen (die Juden töten), wenn sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken. Dann werden Steine und Bäume sagen: Oh Muslime, oh Abdulla, hinter mir ist ein Jude, kommt und tötet ihn.“

„Kommt und tötet ihn“ – damit sind wir beim islamistischen Antisemitismus angelangt. Seine Anhänger wollen die Juden nicht zu Dhimmis degradieren, sie wollen sie töten. Sie wollen den jüdischen Staat Israel nicht einfach nur besiegen, sie wollen ihn auslöschen.

Islamistische Führer wie Hassan Nasrallah, der ehemalige Führer der schiitischen Hisbollah, sind überzeugt, dass Allah Israel nur aus einem einzigen Grund existieren lässt: damit die Muslime die Juden an einem Ort töten können, anstatt sie überall auf der Welt aufspüren und verfolgen zu müssen.

Andere prominente islamistische Führer wie Sayyid Qutb und Yusuf al-Qaradawi haben den Holocaust als eine von Allah verhängte Strafe beschrieben, die Muslime als Vorbild nehmen und wiederholen sollten. Fathi Hammad, ein Hamas-Führer, gab seinen Anhängern folgenden Befehl: „Wir müssen jeden Juden auf dem Planeten Erde angreifen und sie schlachten und töten. ... Wir werden sie zerfleischen und in Stücke reißen, so Allah will.“

Dieser Aufruf wurde am 7. Oktober im Süden Israels befolgt. Für Yahya Sinwar, den Planer und Anführer des Massakers, stand das religiöse Motiv im Mittelpunkt. Er glaubte an die Verheißungen des Paradieses im Koran. Er glaubte, dass die Ermordung von Juden eine Voraussetzung für die Erlösung der Welt und die Auferstehung der Muslime sei. Die Mörder vom 7. Oktober waren überzeugt, dass sie eine religiöse Mission erfüllten. Für sie war das islamistische Verbrechen eine Art religiöser Dienst; daher ihre enthusiastische Stimmung und ihre ständigen Rufe Allahu Akbar.

Diese Abkehr vom Dhimmi-Konzept und die Hinwendung zum Mord an Juden folgte keinem Gebot aus dem Koran. Sie hat viel mehr mit der Symbiose zu tun, die seit den 1930er Jahren die islamistische Muslimbruderschaft und den Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, mit den deutschen Nationalsozialisten verband. Die Nazis betrachteten die Juden als „Feinde der Menschheit“, als „Inkarnation des Bösen“. Mit ihrem genozidalen Antisemitismus und ihrer antijüdischen Auslegung des Korans gaben sie dem radikalen Flügel der palästinensischen Nationalbewegung eine neue Ausrichtung und verankerten Verschwörungstheorien im Stil der Nazis im islamistischen Denken und in der islamistischen Propaganda.

Dies führte zur Übernahme von genozidalen Ambitionen, die in der muslimischen Welt zuvor unbekannt waren. Darüber hinaus gelang es den Judenhassern aus Kairo und Berlin nach und nach, ihre Sache zu einer verbindlichen Glaubensfrage für gläubige Muslime zu erheben.

Es gibt drei wichtige Dokumente, die das Programm des islamistischen Antisemitismus umreißen:

Das erste Dokument ist die Broschüre „Islam und Judentum“, die 1937 in Kairo und ein Jahr später in Berlin veröffentlicht wurde. Es war das erste Mal, dass der Hadith vom Baum und vom Stein, d. h. der Aufruf zur Tötung der Juden, zitiert und in großem Umfang verbreitet wurde. „Islam und Judentum“ stellt sich das globale Judentum als eine geschlossene Gemeinschaft mit unveränderlichen Eigenschaften vor. Seine Feindseligkeit gegenüber dem Islam sei „uralte und seit der Ankunft Mohammeds in den Seelen der Juden verwurzelt“. „Die Verse aus dem Koran und den Hadithen beweisen Ihnen“, heißt es weiter, „dass die Juden die erbittertsten Feinde des Islam waren und immer noch versuchen, ihn zu zerstören.“ Hier projizierten die Islamisten ihre eigene Absicht, die Juden zu vernichten, auf die Juden selbst, indem sie die fiktive Behauptung aufstellten, die Juden wollten den Islam vernichten.

Eine solche paranoide Projektion kennzeichnet auch den zweiten Schlüsseltext des islamistischen Antisemitismus, der 13 Jahre später veröffentlicht wurde: Sayyid Qutbs Pamphlet „Unser Kampf mit den Juden“ aus dem Jahr 1950. „Der erbitterte Krieg, den die Juden gegen den Islam geführt haben“, schreibt er ebenfalls, „ist ein Krieg, der seit fast 14 Jahrhunderten keinen einzigen Moment unterbrochen wurde.“ Qutb verwandelte die lokal begrenzten Ereignisse von Medina in einen globalen und erbittert geführten Krieg, der nur mit der Vernichtung der einen oder anderen Seite enden kann. Er beschreibt den Holocaust als eine wohlverdiente Strafe für die Juden, die von Allah gewünscht wurde und auf die nun „die schlimmste Art der Bestrafung“ folgen muss.

Das dritte Schlüsseldokument des islamistischen Antisemitismus ist die Hamas-Charta von 1988. Diese Charta ist ein religiöses Manifest, das die schlimmsten Bilder von Juden aus dem Islam und dem Christentum vereint: Sie präsentiert die „Protokolle der Weisen von Zion“ neben dem Hadith vom Baum und dem Stein.

Gleichzeitig konzentriert sie sich auf Selbstaufopferung und Selbstmordattentate nach dem Motto „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“: „Der Tod für die Sache Gottes ist unser höchster Wunsch“, heißt es in der Charta. Auf diese Weise werden beide Komponenten des islamistischen Antisemitismus radikalisiert: Der europäische Antisemitismus wird durch den fanatischen Moment des radikalen Islam neu aufgeladen, während der alte Antijudaismus des Korans – ergänzt durch die Weltverschwörungstheorie – eine neue, eliminatorische Qualität erhält.

Jedes dieser drei Schlüsseldokumente ist eine Kriegserklärung an die Verbreitung liberaler Ideen in der islamischen Welt, die in der Figur des Juden personifiziert sind. Islamisten wollen den Vormarsch der Moderne in islamischen Gesellschaften um jeden Preis aufhalten.

Lassen Sie mich zum Schluss aus dem Bericht von Dr. Daniel Allington über islamistischen Antisemitismus zitieren: „Die demokratische Welt muss sich mit der Existenz mächtiger militärischer, politischer und religiöser Fraktionen abfinden, für die der Holocaust eine unvollendete Angelegenheit ist.“ Leider ist dies wahr. Von allen religiösen Fraktionen ist die islamistische die gefährlichste. Sie muss wissenschaftlich analysiert und politisch in weitaus größerem Umfang bekämpft werden, als dies bisher der Fall war.

Bild: Ein Hamas-Terrorist schießt in einen Schutzbunker auf dem Supernova-Festival, 7. Oktober 2023 · Quelle: Wikimedia · Lizenz: Public Domain