Neuestes Buch:

Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Vortrag vom 9. Oktober 2025 im Makroskop e.V., Mülheim an der Ruhr
Mülheim a.d.R., 9. Oktober 2025
Am Shabbat des 7. Oktober 2023 schufen Hamas-Terroristen und der Palästinensische Islamische Djihad im Süden Israels die Hölle auf Erden. Hier wurde den Israelis und Juden nicht einfach der Krieg erklärt, hier wurde ihre Auslöschung angekündigt. Die Verbrennung ganzer Familien bei lebendigem Leibe, die Verstümmelungen, die brutalen Vergewaltigungen und die Folterungen – all dies war kein Werk von gemeinen Mördern, die zum eigenen Vorteil oder aus Berechnung getötet haben, sondern von radikalen Judenfeinden, in deren Augen jeder Jude schuldig ist, weil er Jude ist, und die deshalb eine edle und höhere Mission verfolgen: die Welt judenrein zu machen. Unser Auftrag war nur zu töten, erklärte später einer der Täter – töten, ohne zwischen Männern, Frauen und Kindern zu unterscheiden. Jeden zu töten, den du siehst.
An diesem 7. Oktober wurden 1.200 Israeli oft qualvoll ermordet und 239 – vom Baby bis zum Greis – als Geiseln entführt. 1.200 Getötete im kleinen Israel: Das wäre auf Deutschland bezogen so, als hätte ein Terroranschlag 10.600 Opfer zur Folge gehabt.
Dieses Massaker hat, grob gesagt, drei unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die erste Gruppe von Menschen hat sich über das Blutbad uneingeschränkt gefreut und es gefeiert. Die zweite Gruppe hat es zwar nicht bejubelt, aber sie hat Israel für den Hamas-Terror verantwortlich gemacht. Die dritte Gruppe, zu der vermutlich die meisten in diesem Raum gehören, war uneingeschränkt entsetzt und suchte – wie hilflos auch immer – Solidarität mit den Angegriffenen zu üben. Schauen wir uns die erste Gruppe der stolzen Judenmörder und die zweite Gruppe der Hamas-Versteher genauer an.
Werbung für den Judenmord
Für die Hamas war der 7. Oktober, wie sie jetzt erneut bekundete, ein glanzvoller Tag des Erfolgs. Während das Massaker vor zwei Jahren noch im Gange war, verteilten die Anhänger der Hamas in Berlin bereits Süßigkeiten an Passanten, um zu demonstrieren, dass ein Massenmord an Juden ordentlich gefeiert gehört.
Jetzt, nach zwei Jahren, tauchte in Berlin ein Plakat auf, dass die Geisteshaltung der Hamas und ihrer Anhänger perfekt illustriert. Es sollte zu einer Berliner Pro-Hamas-Demonstration am 7. Oktober 2025 aufrufen, die dann aber in letzter Minute noch verboten wurde. Doch das Plakat ist in der Welt.
Im Vordergrund sehen wir sechs furchterregend aussehende Hamas-Militante in Pali-Tüchern einhüllte. Im Hintergrund sehen wir einen Paraglider – d e m Bildsymbol für das Massaker vor zwei Jahren. Dazu die Parole: Generation für Generation – Bis zur vollständigen Befreiung.
Die Dreistigkeit, mit dem hier das Massaker verherrlicht wird, verschlägt einem den Atem. „Vollständige Befreiung“ muss man mit „Vollständige Befreiung von Juden“ übersetzen, was die Auslöschung Israels impliziert. Der Aufruf zur „vollständigen“ Befreiung bedeutet gleichzeitig, dass die sadistischen Gräuel des 7. Oktober als Bestandteil eines „Befreiungskampfs“ interpretiert werden, der andauert und vervollständigt werden soll.
Die Parole „Generation für Generation“, die über all dem steht, weist in Anlehnung an die Hamas-Charta darauf hin, dass bereits in den Dreißigerjahren der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, gemeinsam mit den Nazis und der Muslimbruderschaft für eben das Ziel kämpfte, das sich die Hamas heute auf ihre Fahnen geschrieben hat. Die Parole „Generation für Generation“ spendet gleichzeitig angesichts der gegenwärtigen Schwäche der Hamas Trost: Das Ende Israels ist eine beschlossene Sache, auch wenn es noch mehrere Generationen bis dahin braucht.
Zahlreiche populär gewordene Demonstrationsparolen bekräftigen diese Haltung: Zum Beispiel die Parole Von Berlin bis nach Gaza, yallah yallah Intifada. Yallah yallah ist arabisch und bedeutet so viel wie „Come on!“, „Packen wir’s an!“. Der Begriff „Intifada“ ist ebenfalls arabisch und bedeutet Aufstand oder Rebellion und bezieht sich auf palästinensische Widerstandshandlungen und Selbstmordattentate.
So wurden anlässlich der zweiten Intifada zwischen 2000 und 2005 insgesamt 138 Selbstmordattentate in Israel durchgeführt, die über 1000 Israelis – darunter mehr als 700 Zivilisten – zerfetzten und über 7.000 weitere Israelis verletzten. Bereits damals wurden immer dann, wenn ein Bus erfolgreich in die Luft gesprengt wurde und während sich die Opfer noch in ihrem Blut wälzten, Süßigkeiten an Gaza-Kinder verteilt. Sie sollten an die „Süße“ des Massenmords gewöhnt werden und kosteten die „Süße“ dann im Oktober 2023 – zwanzig Jahre später – aus.
Intifada ist also weder ein cooler arabischer Freiheitsbegriff noch ein progressives Trendwort, wie einige der Pro-Palästina-Demonstranten vielleicht glauben. Sondern „Intifada“ steht in Verbindung mit massenweisen Terrorangriffen militanter Palästinenser auf Israelis. Der Aufruf Globalize the Intifada! ist ein Aufruf zum Terrorismus und zu Selbstmordattentaten weltweit. Deshalb müsste diese Slogans eigentlich verboten werden, was derzeit aber noch nicht der Fall ist.
Israels Schuld?
Kommen wir nun zur zweiten Gruppe, der Hamas-Versteher, die zahlenmäßig erheblich größer ist. Ihr Kennzeichen ist der Versuch, die Barbarei des 7. Oktober auf die israelische Politik zurückzuführen. Ein typischer Vertreter dieser Position ist Omer Bartov, ein amerikanischer Historiker, der bereits eine Woche nach dem Massaker in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau zu wissen glaubte, dass Israels Politik und die Unterdrückung von Millionen von Palästinensern für die Gräueltaten verantwortlich seien. Diese habe zu Gewalt, zu Wut und Rachedurst geführt. Der verabscheuungswürdige Angriff der Hamas müsse deshalb als Versuch gewertet werden, die Aufmerksamkeit auf die Notlage der Palästinenser zu lenken. Diese Deutung, die auch von westlichen Medien prominent verbreitet wird, geht an der Wirklichkeit vorbei.
Erstens verkennt sie das Vorgehen und damit auch das Motiv der Hamas: Der 7. Oktober war keine spontane Rache- und Wutaktion hilfloser Underdogs, sondern ein strategischer Schlag von hochintelligenten Planern, der jahrelang penibel vorbereitet wurde. Die Hamas-Oberen geben offen zu, dass ihr Vorgehen die „Notlage der Palästinenser“ keineswegs lindern sollte. Sie profitieren ganz im Gegenteil von den sich anschließenden Katastrophen im Gaza-Streifen, weil sie Israel umso wirksamer an den Pranger stellen und isolieren konnten.
Zweitens war das Massaker keine Antwort auf mögliche Provokationen Israels. Israels Regierungen hatten sich im Vorfeld des 7. Oktober ganz im Gegenteil, darum bemüht, die Lage im Gazastreifen zu stabilisieren und den Lebensstandard zu heben. So erlebte Gaza im Sommer 2023 einen relativen wirtschaftlichen Aufschwung. Israels Regierung begünstigte diese Entwicklung: Sie duldete über Jahre hinweg, dass Gelder aus Katar an die Hamas gelangten und gestattete, dass 18.000 Gaza-Bewohner ihr Geld in Israel verdienen. Die Hoffnung, Wohlstand würde den Judenhass der Hamas stoppen, erwies sich jedoch als eine verhängnisvolle Illusion.
Mehr noch: Gerade Israels Zugeständnisse an die Gaza-Bewohner waren der Hamas ein Dorn im Auge. Die letzten zwei Jahre haben bewiesen, was auch vorher schon galt: Die Hamas will, dass die arabische Bevölkerung in Palästina leidet, weil man dieses Leid propagandistisch gegen Israel wenden und zur Verstärkung der Djihad-Idee nutzen kann. Das war die Grundidee dieses Krieges, den die Hamas im Wissen um die zu erwartende Reaktion Israels vom Zaum gebrochen hat. Ein Frieden mit Israel, der auch den Palästinensern zugutekäme: Das ist der Alptraum der Hamas-Führung, die Israels Zerstörung will. Auch deshalb diente das Massaker erklärtermaßen dem Zweck, die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel, die Anfang Oktober 2023 weit fortgeschritten war, zu torpedieren.
Drittens stellt Bartov „Millionen von Palästinensern“ mit den Weltanschauungskriegern der Hamas auf eine Stufe und nivelliert damit die Vielfalt an Positionen, die es auch in diesem Lager gibt. Bei ihm scheinen „Palästinenser“ ausschließlich Opfer zu sein, die keine andere Wahl haben, als hilflos, mit „Wut und Rachedurst“, zu reagieren. Er ignoriert, dass die Hamas mit eigenem Programm und in eigener Verantwortung entschlossen agiert, um anstelle Israels ihren Gottesstaat zu errichten.
Viertens aber redet Bartov einer Opfer-Täter-Umkehrung das Wort. Seine Sichtweise setzt zwingend voraus, dass die eigentlichen ideologischen Motive für das Massaker – der radikale Judenhass, wie er in der Hamas-Charta zum Ausdruck kommt und die Djihad-Idee aus dem Blickfeld verschwinden.
Lassen Sie mich auf diese beiden Motive – Judenhass und Djihad – kurz eingehen. Die Hamas-Charta enthalte einen Judenhass, der so klingt, als ob er direkt von den Seiten des Stürmer abgeschrieben sei, hat Sari Nusseibeh, der langjährige Präsident der palästinensischen al-Quds-Universität in Jerusalem, zutreffend bemerkt.
So werden in dieser Charta „die Juden“ zum globalen Feind erklärt, der nicht nur sämtliche Medien kontrolliere, sondern auch beide Weltkriege angezettelt habe. Die Juden, heißt es in diesem Grundsatzdokument, standen hinter dem Ersten Weltkrieg, wo sie es schafften, den Staat des islamischen Kalifats zu beseitigen […], und sie standen hinter dem Zweiten Weltkrieg, wo sie gewaltige Profite aus ihrem Handel mit Kriegsgütern erzielten […]. Es gibt keinen Krieg, der hier und da in Gang ist, ohne dass sie ihre Finger dahinter im Spiel haben.
Wie Adolf Hitler in Mein Kampf führt auch die Hamas in ihrer Charta die Protokolle der Weisen von Zion als Beleg für jüdisches Verhalten an, um in Artikel 7 der Charta auf ihre religiöse Wurzel zurückzukommen und den Propheten Mohammed mit folgendem Satz zu zitieren: Die Zeit der Auferstehung wird nicht anbrechen, bevor nicht die Muslime die Juden bekämpfen und sie töten.
Wir haben es hier mit einem Judenhass zu tun, den die Nazis im Nahen Osten ein gutes Jahrzehnt vor der Gründung Israels zu schüren begannen – einem Hass, der das antijüdische Ressentiment aus der Zeit des Frühislam nutzt und radikalisiert und der stets eher Ursache für die Gewalt im Nahen Osten, denn eine Reaktion darauf gewesen ist. Dieser Hass richtet sich gegen alle Juden, egal wie sehr sie sich für das Einvernehmen mit Palästinensern engagieren, was bei vielen der am 7. Oktober Ermordeten der Fall gewesen ist; und er richtet sich gegen alles, was auch immer Israel tut. Man werde ein Massaker wie jenes des 7. Oktober stets aufs Neue wiederholen, erklärte die Hamas, bis Israel gänzlich vernichtet sei, egal welche Regierung in Israel an der Macht ist, egal, was diese tut.
Allerdings wurden die Morde in Israel – anders als die Morde im Holocaust – unter Allahu Akbar-Rufen durchgeführt. Damit sind wir beim zweiten Hamas-Motiv: der Jihad-Idee.
Die Hamas definiert ihren Krieg gegen Israel und die Juden als einen religiösen Krieg. Wenn Menschen unter Allahu Akbar-Rufen hingemetzelt werden, bedeutet das: Was wir gerade tun, ist kein Menschenwerk, sondern wir tun es auf Weisung Gottes. Man darf dem nicht widersprechen, sonst widerspricht man Gott. Diese religiöse Einbettung war, wie wir inzwischen wissen, bei Yahya Sinwar, dem Drahtzieher des Massakers, das entscheidende Motiv. Sie verschafft selbst einem derartig sadistischen Vorgehen Legitimität. Sie erklärt die Begeisterung der Mörder und das Triumphgeheul, das beim Judenmord erklang.
Zurück zu Omer Bartov und den anderen Hamas-Verstehern. Wer vom Antisemitismus der Hamas und ihren Djihad-Phantasien partout nichts wissen will – und das ist bei dieser Gruppe der Fall – muss sich deren Terror anders erklären. Und was liegt da näher, als Israel die Schuld daran zu geben und bei noch mehr Terror Israel noch mehr Schuld zu geben – eine fatale „Logik“, die in letzter Konsequenz auf die Schlussfolgerung hinausläuft: je brutaler der Hamas-Terror, desto ungeheuerlicher Israels Schuld.
Dieser gedankliche Kurzschluss, diese pervertierte Logik dürfte erheblich dazu beigetragen haben, dass dem beispiellosen antisemitischen Verbrechen vom 7. Oktober eine ebenso beispiellose globale Welle von Israelhass und Antisemitismus folgte. Bei dieser Denkweise kommen zwei Irrtümer zusammen: Erstens werden die Verbrechen der Hamas von ihren ideologischen Quellen abgekoppelt und dadurch entschuldigt oder rationalisiert; zweitens wird dadurch einem Klassiker des modernen Antisemitismus – der Behauptung, dass Juden selbst schuld daran seien, wenn sie verfolgt werden – Raum verschafft.
Was hat sich seit dem 7. Oktober verändert?
Wie sieht es zwei Jahre nach dem Massaker aus? Hat sich die Lage für Israel verbessert oder verschlechtert?
Blicken wir zurück: Noch vor einem Jahr, am 7. Oktober 2024, musste sich Israel an sieben Fronten gegen die vielfach angekündigten Versuche, es zu vernichten behaupten: In Gaza, in der Westbank, gegenüber der Hisbollah, gegenüber den vom Iran gesteuerten Milizen in Syrien und Irak, gegenüber den Houthi in Jemen und gegen das Regime in Teheran, das Israel im April und Oktober 2024 mit Raketen und Drohnen beschoss. Heute aber kann von einer unmittelbaren und existenziellen Gefahr für Israel keine Rede mehr sein.
Die israelischen Streitkräfte haben – jedenfalls außerhalb von Gaza – mit sensationell erfolgreichen Einsätzen Militärgeschichte geschrieben. Sie haben die Führung von Hisbollah und Hamas ausgeschaltet und die Angriffsoptionen Irans reduziert. Israels Sicherheit wurde dadurch fürs Erste erhöht.
Viele dieser Militäreinsätze fanden nicht mit der Zustimmung von Israels westlichen Verbündeten, sondern gegen deren Willen statt. Hätte Israels Regierung aber die Aufrufe von Joe Biden und Annalena Baerbock, sich zurückzuhalten, beherzigt, wären die Islamistenführer Sinwar und Nassrallah heute noch am Leben. Der Diktator Baschar al-Assad würde Syrien heute noch unterdrücken und Irans Atomwaffenprogramm wäre weiterhin einsatzbereit.
Bei aller notwendigen Kritik an Netanjahu muss man ihm dies wohl zugutehalten: Seine Dickköpfigkeit trug dazu bei, die Lage im Nahen Osten zu entspannen und die Hamas im arabischen Lager zu isolieren. In dieser Hinsicht – militärisch, diplomatisch, strategisch – ist die Bilanz also eher positiv.
Politisch hingegen hat sich Israels Stellung katastrophal verschlechtert. Niemals zuvor war das Land innenpolitisch derart gespalten und außenpolitisch derart isoliert, wie in den letzten Monaten. Die Millionenmassen, die in den letzten Wochen in den USA und Australien, in London, Paris, Madrid und in Berlin auf die Straßen gingen, demonstrierten nicht gegen die Hamas, dem Urheber des Massakers vom 7. Oktober, sondern gegen Israel, den brutal überfallenen Staat.
Und nicht nur gegen Israel: Juden überall auf der Welt, wurden und werden für Israels Regierungspolitik verantwortlich gemacht und mit einem Tsunami an Beschimpfungen, Ausgrenzungen, Boykotten und Gewaltakten konfrontiert, während gleichzeitig auch die westlichen Verbündeten von Israel abrücken – mal sehr deutlich, wie im Falle Spaniens, Frankreichs und Großbritanniens, mal eher vorsichtig, wie am Beispiel Deutschlands, das zwar erklärt, dass die Hamas entwaffnet werden muss, sich dann aber auf die Entwaffnung Israels kapriziert.
Das Zentralthema dieser wahrhaft globalen Kampagne ist die Anklage, Israel begehe in Gaza einen Genozid, betreibe also Völkermord. Dieser massiv vorgetragene Vorwurf war das, was man auf Neudeutsch einen Game-Changer nennt.
Gewiss gab es einige sehr zweifelhafte Entscheidungen des israelischen Kabinetts. Und ich bestreite auch nicht, dass Einheiten der IDF im Laufe des zweijährigen Krieges Kriegsverbrechen begangen haben können und vermutlich begangen haben, die zu ahnden sind.
Der geeignete rechtliche Rahmen dafür ist aber das humanitäre Völkerrecht. Es sieht vor, dass Schäden an unschuldigen Zivilisten im Vergleich zu dem erwarteten militärischen Vorteil nicht unverhältnismäßig sein dürfen. Der Verlust unschuldiger Menschenleben gilt so lange als mit dem internationalen Recht vereinbar, wie er das Verhältnismäßigkeitsgebot nicht verletzt. Hier geht es um eine Abwägung in jedem Einzelfall.
„Völkermord“ oder „Genozid“ ist hingegen eine vollständig andere Kategorie. Damit die Völkermordkonvention von 1948 greift, bedarf es des Vorsatzes, „eine nationale Gruppe“, also zum Beispiel die Palästinenser als solche, ganz oder teilweise zu vernichten. Dieser Vorsatz ist nicht beweisbar, weil es ihn in der Geschichte und Gegenwart Israels nie gegeben hat.
Antisemitismus ist bekanntlich das Gerücht über Juden. Werden Juden für das kritisiert, was sie tatsächlich tun, hat dies mit Antisemitismus nichts zu tun. Antisemitismus beginnt da, wo man ihnen etwas unterstellt. Dies ist bei der Genozid-Anklage der Fall. Sie basiert auf dem Gerücht, Israel wolle ein ganzes Volk ausrotten. Und sie ist besonders infam, weil Israel das Massaker vom 7. Oktober nicht betrieben, sondern erlitten hat.
Wer aber vom Genozid-Vorwurf überzeugt ist, möchte, dass das Massaker vergessen wird. Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt.
Die Lüge vom Völkermord ist das, was die Gruppe der Judenmörder und die Gruppe der Hamas-Versteher vereint. Gleichzeitig gibt es zwischen beiden Gruppen einen wichtigen Unterschied. Während die Judenmörder stolz auf ihre Morde sind, spielen die Hamas-Versteher das Massaker des 7. Oktober herunter und wollen es am liebsten vollständig vergessen machen.
Ein gutes Beispiel für die diesbezügliche Haltung der Hamas-Versteher liefert der Aufruf All Eyes on Gaza – Stoppt den Genozid, mit dem vor wenigen Tagen zur Großdemonstration in Berlin aufgerufen wurde und der die bislang größten Pro-Palästina-Demonstration in Deutschland mit 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur Folge hatte.
In diesem Aufruf heißt es zwar ohne die Spur eines Beweises, die israelische Armee würde „tagtäglich wahllos Zivilist:innen [umbringen], unter ihnen viele Kinder.“ Der eindeutige Auslöser und Verursacher des Gaza-Kriegs, das Massaker des 7. Oktober, taucht hingegen an keiner Stelle auf. Die Hamas kommt in diesem Papier einfach nicht vor. Man tut so, als würde nur eine Seite, nämlich Israel, Krieg führen.
Wer über den 7. Oktober schweigt, verfolgt, davon bin ich überzeugt, einen ideologischen Zweck. Die Organisatoren der Pro-Palästina-Massendemonstrationen ob in Berlin oder in London, Madrid und Paris wollen die Erinnerung an den 7. Oktober auslöschen, um eine Ideologie zu retten, bei der Israelis nur Täter und Palästinenser nur Opfer sein dürfen. Das funktioniert aber nur, wenn man sich die Wirklichkeit so lange zurechtbiegt, bis sie in dieses ideologische Schema passt.
Die Weglassung des 7. Oktobers ist in zweierlei Hinsicht verheerend: Erstens werden damit die Opfer des Massakers ein zweites Mal getötet, indem man auch die Erinnerung an sie auszulöschen sucht. Zweitens wird durch diese Manipulation – und das ist offensichtlich ihr Zweck –Israel dämonisiert. Man will den Eindruck erwecken, dass Israels Regierung ohne Anlass, einfach so, aus Jux und Tollerei, „wahllos Zivilisten umbringt“ und mutwillig „Massentötungen“ begeht.
Auf diese Weise wird an das Jahrhunderte alte antisemitische Bild von den Juden als „Menschenfeind“, als „Weltenübel“ und als „Inkarnation des Bösen“ angeknüpft. Im Mittelalter sollen sie es gewesen sein, die die Pest über die Menschheit brachte. Später haben die Nazis die Juden für den Ersten Weltkrieg verantwortlich gemacht. Die Hamas hat die Juden auch für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht, während die derzeitige Massenbewegung, angeführt von linksradikalen Antiimperialisten und militanten Islamisten, den Juden einen Völkermord anhängen will.
So wie früher dem einzelnen Juden, so wird heute Israel als dem Juden unter den Staaten Skrupellosigkeit, Kriegslüsternheit und somit eine natürliche Bösartigkeit unterstellt. So will man Hass und Antisemitismus schüren und man hat damit Erfolg.
Juden, die sich nicht hundertprozentig von Israel distanzieren, werden angegriffen, ausgeladen oder boykottiert. Sie werden weltweit und stellvertretend für Israel angegriffen und dies zunehmend gewalttätig, wie in Colorado und in Manchester oder in Washington DC, wo der Attentäter „Free Palestine“ rief und zwei Juden, darunter einen deutschen, erschoss, oder wie in Berlin, wo dieser Tage die drei Inhaber der antisemitismuskritischen Kneipe „Bajszel“ mit einem Steckbrief konfrontiert wurden, der ihren Tod verlangt: Wir wollen, dass diese drei für immer schweigen, heißt es hier.
Wer sich der neuen Israelhass-Bewegung anschließen will, muss die folgende Bedingung erfüllen: Er oder sie muss über das Massaker des 7. Oktober schweigen und jeden Gedanken daran ersticken. Das zeigt sich auch am Umgang mit den Geiseln, die die Hamas am 7. Oktober verschleppte und von denen mehr als zwanzig auch noch nach zwei Jahren in den Tunneln der Hamas vor sich hinvegetieren.
Warum wurden überall in der Welt Plakate mit Fotos von diesen Geiseln abgerissen oder mit Farbe beschmiert? Warum konnten viele die Wahrheit über diesen Terror der Hamas und das Leiden dieser Israelis nicht ertragen? Vorletzten Samstag beschäftigte sich die Frankfurter Allgemeine in einem Artikel über die Fan-Szene von St. Pauli mit diesem Phänomen:
Zu Handgreiflichkeiten kam es, als gelbe Schleifen auf der Gegentribüne hochgehalten wurden als Zeichen der Solidarität mit den noch lebenden Geiseln des initialen Überfalls. Danach habe es im Stadion Bedrohungen gegen die Menschen gegeben, die Anteil am Schicksal der israelischen Geiseln bekunden wollten, schrieb der FC St. Pauli: ,Dass ein Symbol wie die gelbe Schleife (welches für Menschen und nicht gegen Menschen steht), zu massiven Gewaltandrohungen führt, ist inakzeptabel.‘ (Frank Heike, Spaltung auf St. Pauli, FAZ, 27.9.2025)
Die Aggressionen gegen Bilder von Geiseln und gegen diejenigen, die an sie erinnern, sind einerseits inakzeptabel und lassen andrerseits tief blicken. Sie zeugen nicht nur von der Entschlossenheit, mit der die Erinnerung an die Geiseln ausgelöscht werden soll. Sie zeugen gleichzeitig von der Bereitschaft, sich den Spaß an der Hetze gegen Israel durch nichts verderben lassen zu wollen. Schon ein bisschen Liebe zur Wahrheit könnte diesen Spaß verderben, weshalb die Unwahrheit an ihre Stelle tritt.
Gewiss, in den letzten zwei, drei Tagen konnte man sich über mediale Ignoranz, was das Massaker des 7. Oktober anbelangt, nicht beklagen. Es wurde ausführlich, wie sich das am zweiten Jahrestag gehört, darüber berichtet. Ob diese Aufmerksamkeit anhalten wird, muss sich zeigen. Ich bin da skeptisch. Während der letzten Wochen und Monate sahen wir ein anderes Bild: Hier hatten die Schlagzeilen und die Bilder über den Gaza-Krieg die Erinnerung an das Massaker überlagert und vielfach verdrängt. Wie erlebten, wie durch simples Weglassen, wie durch aktives Ignorieren des 7. Oktober, der israelbezogene Antisemitismus geschürt wurde.
Schlussfolgerungen
Dass der mit Abstand schlimmste antijüdische Massenmord seit dem Holocaust nicht verhindert werden konnte, zeugt nicht nur von einem furchtbaren Versagen des israelischen Sicherheitsapparats, sondern von einem Versagen der westlichen Welt, ja von einem Versagen der Weltgemeinschaft insgesamt.
Denn das, was an diesem 7. Oktober geschah, war ein Massaker mit Ansage. Die Hamas hat ihre Mordabsichten nie versteckt, sie hat ganz im Gegenteil den Judenmord nur wenige Jahrzehnte nach Auschwitz zur religiösen Pflicht erklärt. „Wir müssen jeden Juden auf dem Planeten Erde angreifen“, erklärte zum Beispiel 2019 Fathi Hamad, der ehemalige Hamas-Innenminister von Gaza in einer Rede, die der Hamas- Fernsehsender Al-Aqsa übertrug. „Wir müssen sie mit Allahs Hilfe abschlachten und töten … Wir werden sie zerfleischen und in Stücke reißen, so Allah will.“ Und Yahya Sinwar, der Drahtzieher des großangelegten Angriffs vom 7. Oktober 2023 warnte bereits Ende 2022: „Wir werden mit ungezählten Raketen zu euch kommen, wir werden in einer grenzenlosen Flut von Soldaten zu euch kommen, wir werden mit Millionen unserer Leute zu euch kommen, wie die wiederkehrende Flut.“
Die Weltöffentlichkeit aber, die alljährlich des Holocaust gedenkt, wollte und will hiervon und von den Androhungen der Hamas-Charta nichts wissen. So wie sich die Welt 1933 weigerte, Hitlers Judenhass beim Wort, also ernst zu nehmen, so weigerte und weigert sich die internationale Gemeinschaft einige Jahrzehnte später, die genozidalen Ankündigungen der Hamas und ihrer Förderer in Teheran ernst zu nehmen. Man tat so, als wolle die Hamas gar nicht das, was sie fordert. So kam es, dass allein die Islamisten das Massaker des 7. Oktober vorhersahen und in ihren Predigten ersehnten; der Rest der Welt wurde überrascht.
Heute muss das Massaker des 7. Oktober und die Ideologie, die es ermöglichte, in das Zentrum unserer Debatten gerückt werden. So wie es notwendig ist, die Holocaust-Leugnung zu bekämpfen, so ist es notwendig, die Massaker-Leugnung zu bekämpfen und der Täter-Opfer-Verdrehung entgegenzutreten.
Das Massaker des 7. Oktober war keine regionale Episode, über die man schnell hinweggehen könnte, sondern es beendete einen historischen Zeitabschnitt. Zwischen 1948 und 2023 waren antijüdische Pogrome aufgrund der zeitlichen Nähe zum Holocaust verpönt. Seit dem 7. Oktober und der massenhaften Zustimmung zum Massaker in Hörsälen, auf Demonstrationen und in sozialen Netzwerken ist dieses Tabu gefallen: Der mörderische Judenhass ist zurück. Plötzlich gibt es sie wieder: die Jagd auf Juden, wie in Amsterdam (Rodan-Benzaquen 2024) und in Dagestan (Strandberg 2023) und die vorbereitende Kennzeichnung von Häusern, in denen Juden wohnen. Wir haben es mit dem Beginn eines neuen und globalen antisemitischen Kriegs zu tun, bei dem alle Jüdinnen und Juden sich angegriffen fühlen müssen, weil sie alle angegriffen werden.
So, wie der Antisemitismus aber nicht nur Juden angreift, sondern das Prinzip der offenen Gesellschaft, so verteidigt der demokratische Staat Israel mit seinem Krieg gegen die Hamas und die Houthis nicht nur sich selbst, sondern die gesamte westliche Welt, der die radikalen Islamisten – von Teheran, Moskau und Peking unterstützt – den Krieg erklärt haben. Es geht bei dieser Auseinandersetzung um das künftige Antlitz der Welt. Die Frauen und Männer in israelischer Uniform kämpfen gegen Feinde, die den liberalen Demokratien erklärtermaßen den Garaus machen wollen. Sie setzen dafür ihr Leben aufs Spiel und verdienen unsere Solidarität.