Besprechungen zu ,Deutschland, Iran und die Bombe‘

Die Presse (WIEN)

Herrschaft oder Bombe
von Stephan Grigat

Ist der Bau der Atombombe im Iran noch zu verhindern? Der Politologe Matthias Küntzel zweifelt am Einlenken der Mullahs.

Matthias Küntzel gehört zu den wenigen deutschsprachigen Autoren, die bereits seit Jahren vor den Gefahren des iranischen Atomprogramms warnen und ein scharfes Vorgehen des Westens gegen das iranische Regime fordern. In seinem neuesten Buch zeigt sich der Hamburger Politikwissenschaftler skeptisch, ob noch Zeit bleibt, den Griff der Machthaber in Teheran nach der Bombe mit nicht militärischen Mitteln zu verhindern.

Ohne jede Dramatisierung hält er fest, dass sich das Jahr 2012 im Rückblick als „Schlüsseljahr“ erweisen könnte: „Wird das einzige offen antisemitische Regime dieser Welt die Möglichkeit erhalten, sich zur Atommacht aufzuschwingen und den versteckten Krieg, den es seit 30 Jahren mit dem Ziel der Auslöschung Israels führt, in einen offenen zu transformieren?“

Nach wie vor sieht der Politologe scharfe Sanktionen als „Königsweg“ zur Verhinderung der iranischen Atomwaffenoption. Doch zu Recht verweist er darauf, dass solch ein Vorgehen vor fünf Jahren noch sehr viel bessere Chancen auf Erfolg gehabt hätte als heute. Nun muss das Mullah-Regime „rasch vor die Entscheidung gestellt werden, entweder das Atomwaffenprogramm oder ihre Herrschaft zu verlieren“.

Die Anfang Juli in Kraft getretenen neuen EU-Sanktionen, die von Ländern wie der Schweiz nur zum Teil mitgetragen werden, weisen in diese Richtung, werden aber nach Küntzels Einschätzung allein mit Sicherheit nicht dazu ausreichen, den Ajatollahs und Pasdaran die Fortsetzung ihrer Projekte zu verunmöglichen. Küntzel zeigt, wie in Europa trotz aller bisherigen Sanktionen kein wirkliches Umdenken hinsichtlich des Umgangs mit dem iranischen Regime stattgefunden hat.

Beschlüsse, wie jene gegen die iranische Zentralbank, werden durch zahlreiche Ausnahmeregelungen konterkariert, und Lobbyorganisationen können bis heute für die Fortsetzung des Iran-Business erfolgreich werben. Der Band kann überzeugend die ideologischen Spezifika des iranischen Regimes herausarbeiten: vom apokalyptischen Märtyrerkult über einen eliminatorischen Antizionismus bis zur „expansiven Dynamik, die der Ideologie des Khomeinismus eingeschrieben ist“.

Vor diesem Hintergrund argumentiert Küntzel leidenschaftlich gegen die Vorstellung, ein nuklear bewaffnetes iranisches Regime könne im Rahmen einer „Logik der Abschreckung“ eingedämmt werden.

Israel werde immer stärker in die Situation gedrängt, sich für eine militärische Eskalation wappnen zu müssen. Küntzel verschweigt an keiner Stelle die Risken, die israelische Militärschläge gegen iranische Nukleareinrichtungen mit sich bringen würden– insbesondere für den jüdischen Staat selbst.

Dementsprechend hält er entgegen der gängigen europäischen Diskussion über die iranische Bedrohung fest: Falls Israel sich genötigt sehen sollte, das iranische Atomwaffenprogramm „im Alleingang und zumindest partiell zu zerstören, wäre dies nicht deshalb eine Tragödie, weil Israel zur Selbstverteidigung griffe, sondern, weil Israel sich genötigt sähe, diesen Schritt im Alleingang zu vollziehen“.

Matthias Küntzels Arbeiten sind im englischsprachigen Raum mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet worden. Es wäre zu wünschen, dass seine stets akribisch recherchierten Texte auch in der deutschsprachigen Iran-Diskussion jene Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. ■

MATTHIAS KÜNTZEL
DEUTSCHLAND, IRAN UND DIE BOMBE
EINE ENTGEGNUNG – AUCH AUF GÜNTER GRASS. 260 S., BROSCH., €19,90 (LIT VERLAG, BERLIN)
(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 21.07.2012)