Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Über die deutsch-iranischen Beziehungen
Berlin, 3. Mai 2008
In der Iranfrage nimmt Deutschland eine Schlüsselposition ein. Berlin ist einerseits gemeinsam mit den fünf Vetomächten des Sicherheitsrats an der Entwicklung der internationalen Iranstrategie beteiligt. Es ist andrerseits der weltweit wichtigste Lieferant von Hochtechnologie für das iranische Regime. Deutschland ist das führende Lieferland für Textilmaschinen, für Druckmaschinen, für Nahrungsmittelmaschinen, für Verpackungsmaschinen, für Bergbaumaschinen, für Bau- und Baustoffmaschinen, sowie im Bereich Fördertechnik, Lufttechnik und Kunststofftechnik. In zwei Sparten des Maschinenbaus steht Italien an erster Stelle, der Rest in von deutschen Produkten dominiert.
Kürzlich hat die Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer in Teheran diesen Sonderstatus bestätigt. Im Dezember 2007 schrieb sie in ihren Mitteilungen: „Deutschland betreibt mit dem Iran mehr Geschäfte, als jedes andere europäische Land; das jährliche Handelsvolumen wird auf 5 Mrd. Euro geschätzt. Mindestens 1700 deutsche Unternehmen sind im Iran aktiv. Rund 75 Prozent aller kleinen und mittelständischen Betriebe im Iran sind mit deutscher Technologie ausgestattet.“ Ein ehemaliger Geschäftsführer dieser Handelskammer fügte hinzu: „Die Iraner sind auf deutsche Ersatzteile und Zulieferer angewiesen.“ Angewiesen bedeutet: Russische oder chinesische Lieferanten haben auf diesem Gebiet keine Chance. Angewiesen heißt: Bei einem deutschen Wirtschaftsembargo wäre die iranische Ökonomie innerhalb von drei bis vier Monaten paralysiert.
Allerdings zeichnet sich die Art und Weise, wie Deutschland diese Schlüsselposition handhabt durch eine Reihe von Widersprüchlichkeiten aus. Der erste Widerspruch betrifft die Öffentlichkeit: Auf der einen Seite ist die Iran-Politik des Auswärtigen Amts von globaler Relevanz. Auf der anderen Seite ist das Regierungshandeln gerade in diesem Punkt der öffentlichen Kontrolle so gut wie vollständig entzogen.
Nehmen wir das Beispiel von Mehdi Safari. Safari ist als stellvertretender iranischer Außenminister ein Führungskader des Regimes. Mitte April 2008 war er drei Tage in Berlin – nach iranischen Angaben auf Einladung des Auswärtigen Amts. Sämtliche deutschsprachigen Medien haben diesen Besuch verschwiegen. Anders die Medien im Iran. Ihnen zufolge soll Safari in Berlin mit folgenden Stellen verhandelt haben: Mit dem Staatssekretär des Inneren, August Henning, mit dem stellvertretenden deutschen Wirtschaftsminister, mit dem Bundestagsabgeordneten Eckhard von Klaeden, mit Wirtschaftsvertretern u.a. vom Numov-Verein, sowie mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Reinhard Silberberg, der ihn angeblich eingeladen hatte.
Weiter schreibt der iranische Regierungssender Press TV : „The two sides discussed ways to expand economic co-operation and agreed that an economic German delegation would visit Iran soon to follow up agreements already signed between Tehran and Berlin.“
Safari hat darüber hinaus politische Gespräche im Rahmen der Körber-Stiftung geführt: An diesen nahmen unter anderem die grünen Bundestagsabgeordneten Jürgen Trittin und Kerstin Müller – zwei ehemalige Mitglieder der Regierung Schröder/Fischer – sowie Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik teil.
Es geht bei derartigen Zusammenkünften nicht um Peanuts. Im Iran tickt eine Zeitbombe – es ist fünf vor zwölf. Im Herbst 2006 hatte das Regime 300 Zentrifugen installiert, im Herbst 2007 waren es 3.000 und im Herbst 2008 sollen es bereits 6.000 sein. 2009 wird das Regime atomwaffenfähig sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass die iranische Atombombe zu einem neuen Holocaust oder einem III. Weltkrieg führt, ist groß. Deshalb ist das Schweigen jener übergroßen Koalition in Regierung, Bundestag und deutscher Öffentlichkeit so bemerkenswert.
Damit komme ich zum zweiten Widerspruch der deutschen Iranpolitik, der die Sache selber betrifft. Auf der einen Seite steht die Bundeskanzlerin. Sie hat sich und ihre Regierung verpflichtet, alles zu tun, um die iranische Bombe zu verhindern. So rief sie kürzlich vor der Knesset dazu auf, den „Iran mit weiteren und schärferen Sanktionen zum Stopp seines Nuklearprogramms zu bewegen.“ Man dürfe hiervor nicht zurückschrecken, „wie unbequem es auch sein mag“, erklärte sie weiter. Denn täten wir das, dann „hätten wir weder unsere historische Verantwortung verstanden noch ein Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit entwickelt.“
Auf der anderen Seite haben wir es mit einer bedeutenden Gruppe von Politikmachern und Politikberatern zu tun, die die neuere Entwicklung des Iran nicht abstoßend finden, sondern interessant, nicht gefährlich, sondern beherrschbar, nicht verbrecherisch, sondern allenfalls etwas laut. Diese Gruppe – nennen wir sie: „Partner des Regimes“ weisen den eingangs zitierten Ansatz der Bundeskanzlerin zurück.
Frau Merkel „sollte sich nicht hinter jede Katastrophenwarnung Israels stellen“ – höhnte zum Beispiel Christoph Bertram, der ehemalige Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sanktionen brächten nichts, so Bertram, während „die immensen Vorteile einer engen und kooperativen Beziehung mit diesem Land“ erkennbar seien.[2] Hier ist mit „immensen“ Vorteilen nicht einfach nur der Gewinn aus dem Warenverkehr gemeint, sondern das Potenzial, das der Iran mit seinen riesigen Eröl – Erdgas- und Eisenerzvorkommen anzubieten hat. Für derartige strategische und geopolitische Vorteile drückt man schon mal ein Auge zu, wenn Frauen brachial unterdrückt, Schwule öffentlich gehängt, Bahais erschossen, Gewerkschafter verfolgt, Zeitungen verboten und Sünder gesteinigt werden.
Das Buch, dass Christoph Bertram in diesen Tagen veröffentlichen wird, trägt den programmatischen Titel: „Partner, nicht Gegner. Für eine andere Iran-Politik“ – und es ist die besagte Körber-Stiftung, die dieses Plädoyer veröffentlichen wird. Diese Stiftung hatte nicht nur mit Mehdi Safari konferiert, sondern sich seit Anfang 2007 systematisch führende Repräsentanten der Mullah-Diktatur ins Haus geholt. Im März 2007 war es Alaeddin Boroujerdi, der Vorsitzenden des Ausschusses für Nationale Sicherheit der Versammlung des islamischen Rats, im Juni 2007 Saeed Jalili, ein persönlicher Freund und Kampfgefährter von Ahmadinejad, der damals stellvertretender Außenminister war, im September 2007 Hassan Rohani, einem Mitglied des iranischen Schlichungsrats sowie Expertenrats, im Februar 2008 Monoucher Mohammadi, einem stellvertretenden Außenminister des Iran und im April 2008 schließlich Mahdi Safari. In dieser Referentenliste kamen Gegnerinnen oder Gegner des Regimes nicht vor. Als letzter Referent dieser Reihe stellte am 22. April 2008 Christoph Bertram sein Buch „Partner, nicht Gegner. Für eine andere Iran-Politik“ in jener vertrauten Runde der Körber-Stiftung vor.
Ein weiteres Mitglied der Gruppe der Merkelgegner und Regimepartner ist Volker Perthes, der gegenwärtige Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der zu den wichtigsten Beratern des deutschen Außenministers gehört. Man solle dem Iran, so seine Empfehlung, ganz unabhängig von dessen Forderung, Israel von der Landkarte zu wischen, „weit reichende Formen der Zusammenarbeit in Aussicht stellen“ und ihm eine „strategische Partnerschaft“ anbieten. Gleichzeitig sei die Forderung nach unilateralen Sanktionen „den USA gegenüber sehr selbstbewusst“ zurückzuweisen.[3]
Bertram und Perthes treten öffentlich für eine deutsche strategische Partnerschaft mit der weltweit einzigen antisemitischen und den Holocaust leugnenden Macht dieser Erde ein. Zu ihren Unterstützern zählen „Experten“, die viel Zeit und Energie darauf verwenden, die Praxis und Propaganda des islamistischen Regimes mit Zuckguss zu überpinseln. Einige Namen: Für Johannes Reißner, dem Iran-Experten der SWP, sind die iranischen „Rüstungsanstrengungen überwiegend defensiver Natur“. Karl-Heinz Kamp von der Konrad-Adenauer-Stiftung mochte im September 2007 in einem Aufsatz für die Zeitschrift Internationale Politik im Verhalten der iranischen Führung „keine Irrationalität oder Unberechenbarkeit“ erkennen, so als hätte es die Holocaust-Leugnung, die Wahnvorstellung vom 12. Imam und die Angriffe auf Israel nie gegeben.[4] Folgerichtig hat er in seinem Artikel mit der Überschrift: „Wenn der Iran Nuklearmacht würde…“ auf Entwarnung gesetzt. Und da auch Udo Steinbach, der Leiter des Instituts für Nahoststudien, uns versichert, dass sich zumindest Europa von der iranischen Bombe „in keiner Weise bedroht fühlen“[5] muss, könnten wir eigentlich getrost wieder nach Hause gehen.
Warum aber treten die deutschen Politikberater Christoph Bertram und Volker Perthes – im Gegensatz zu ihren übrigen Kollegen in der westlichen Welt – gerade hier und jetzt für ein deutsch-iranisches strategisches Bündnis ein? Die mutmaßliche Antwort auf diese Frage haben die Autoren des Mittler-Briefes, eines aus öffentlichen Geldern finanzierten Informationsdienstes zur Sicherheitspolitik, wie folgt formuliert. „Wer in der Lage ist, den Iran auf seine Seite zu ziehen hätte nicht nur energielogistisch ,ausgesorgt’, sondern könnte auch den USA gegenüber in anderer Weise auftreten.“ So könnte der Iran nach „Erlangung der Atombombe“ „zur Hegemonialmacht am Golf aufsteigen und wäre in der Lage, den USA in der Golf-Region auf ,ähnlicher Augenhöhe’ zu begegnen.“ [6] Deutschland und Iran versus Saudi-Arabien und die USA?
Bei derartigen Überlegungen kann von „business as usual“ kaum noch die Rede sein. Hier sind Machtprojektionen und neue Bündnisoptionen im Spiel. Wir haben also auf der einen Seite eine Kanzlerin, die Israels Verteidigung zur deutschen Sache macht und auf der anderen Seite eine außenpolitische Elite, die Israels erklärte Todfeinde umarmen will. Die Kluft zwischen diesen beiden Optionen – politisch, moralisch, strategisch, historiographisch – ist enorm.
Sie betrifft erstens die Region: Während der politische Flügel der Bundeskanzlerin im iranischen Nuklearprogramm „eine Gefahr für Frieden und Sicherheit“ sieht, die mit Druck von außen „verhindert werden (muss)“, wollen die „Regimepartner“ den atomwaffenfähigen Iran nicht zur akzeptieren, sondern zum strategischen Partner machen.
Während im einen Fall die Diktatur zugunsten der unterdrückten Teile der Bevölkerung geschwächt wird, wird im anderen Fall die Theokratie auf Kosten der iranischen Widerstandsbewegungen gestärkt.
Während das Nein zum atomwaffenfähigen Iran ein Nein der Existenzbedrohung Israels impliziert, wird mit einem Ja zur iranischen Nuklearoption Israels Existenzbedrohung in Kauf genommen.
Zweitens ist das vergangenheitspolitische Selbstverständnis der Bundesrepublik betroffen: Während Frau Merkel „unsere historische Verantwortung“ betont, die eine „besondere historische Verantwortung für die Sicherheit Israels“ einschließt, wird bei Bertram und Perthes das Wort von der „deutschen Verantwortung“ neu definiert: losgelöst vom Schatten der Geschichte, ohne Rück-Sicht und somit rücksichtslos gegenüber denen, die den Verbrechen der Nazizeit entkommen sind.
Drittens aber geht es um die außenpolitische Grundorientierung der deutschen Politik. Geht man an der Seite von Amerika und Israel gegen den Islamismus vor? Oder an der Seite des Islamismus gegen Amerika und (nolens volens) gegen Israel? Oder mal so und mal so?
Vor wenigen Tagen hatte Ronald Asmus, der zu den profiliertesten amerikanischen Beobachtern der deutschen Außenpolitik gehört, Alarm geschlagen und im Bereich der Nato einen neuen „deutschen Gaullismus“ und die Rückkehr „zu einer Politik des Gleichgewichts der Mächte und der nationalen Interessen“ beklagt. Doch auch in der Iranpolitik hatte Deutschland im September 2007 einen „Bruch in der Koalition der Westmächte“, so die Jerusalem Post, vollzogen und sich zum ersten Mal auf die Seite Russlands und Chinas gegen London, Paris und Washington gestellt.
Dies mögen bislang Episoden gewesen sein. Doch auch heute sind es wieder London, Washington und Paris, die auf unilaterale europäische Sanktionen drängen, während Deutschland blockt. Es scheint im Streit um die richtige Iranstrategie weitaus mehr auf dem Spiel zu stehen, als die Öffentlichkeit heute wahrzunehmen vermag.
Und damit bin ich wieder bei meinem Anfangspunkt, der Öffentlichkeitspolitik. Während die Auseinandersetzung zwischen Deutschland der westlichen Welt in der Weltpresse nachzulesen war, erfuhr man aus den Medien in Deutschland hierüber kaum ein Wort. Seit Deutschland an der Seite der Vetomächte des UN-Sicherheitsrats mit der Iran-Akte betraut wurde, hat jede Entscheidung des Auswärtigen Amts zum Iran globale Relevanz. Dennoch findet eine öffentlich Diskussion über die Richtung der deutschen Iranpolitik nicht statt. Obwohl klar ist, worum es hier alles geht.
Ich betrachte unsere heute beginnende Konferenz nicht allein als einen akademischen Austausch, sondern auch als politische Intervention, als Ausrufungszeichen, als Alarmsignal – als Beginn jener so überfälligen öffentlichen Diskussion. Ich möchte vorschlagen, dass die Veranstalter dieser Konferenz ein Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel vereinbaren um ihr die Sammlung der hier präsentierten Papiere zu überreichen und zu versuchen, dass der Impuls dieser Konferenz weitere Aktivitäten, zum Beispiel eine Bundestagsanhörung über die hier besprochenen Fragen nach sich zieht. Die Geschichte ist offen. Wie sie ausgehen wird, hängt auch von dem was wir tun ab.
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[1] Vortrag aus Anlass der vom Mideast Freedom Forum Berlin veranstalteten Konferenz „Business as usual? Das iranische Regime, der Heilige Krieg gegen Israel und den Westen und die deutsche Reaktion“ am 3. Mai 2008 in Berlin. (Siehe: www.mideastfreedomforum.org)
[2] „Sanktionen bringen nichts“, Interview mit Christoph Bertram, in: Spiegel 16/2008 vom 14. 4. 2008 sowie ders., For a new Iran policy, in: Bulletin Centre for European Reform, April/Mai 2008.
[3] Volker Perthes, Es gibt ein Alternative, in: Handelsblatt, 4. 12. 2007 sowie ders., Die iranische Herausforderung, in: Handelsblatt, 10. 1. 2006.
[4] Karl-Heinz Kamp, Wenn der Iran Nuklearmacht würde…, in: Internationale Politik, September 2007, Nr. 9, S. 104-113,
[5] Interview mit Udo Steinbach, in: Eurasisches Magazin Ausgabe 04/07.
[6] Kinan Jaeger und Silke Wiesneth, Energiesicherheit für Europa. Geopolitische Implikationen, in: Der Mittler-Brief. Informationsdienst zur Sicherheitspolitik, 22. Jahrgang, Nr. 3/3. Quartal 2007, S. 7.