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Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Der britische Journalist Christopher de Bellaigue hat mit ehemaligen Kindersoldaten im Iran gesprochen
Mai 2006, Jungle World
Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad war noch ein Unbekannter, als Christopher de Bellaigue im Jahr 2004 seine Reiseberichte aus dem Iran in englischer Sprache veröffentlichte. Dennoch sind seine Gesprächsprotokolle aus den Jahren 2000 bis 2003 hochaktuell, kreisen sie doch stets um ein und dasselbe Thema: den Krieg.
Die meisten seiner Interviewpartner, die er in Isfahan, Teheran oder Ghom aufsuchte, sind Veteranen des ersten Golfkrieges zwischen dem Iran und dem Irak in den Jahren von 1980 bis 1988. Dieser begann mit der Eroberung iranischer Gebiete durch den Irak. Mitte 1982 war dieser Angriff zurückgeschlagen, Saddam Hussein bot Friedensgespräche an. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Khomeinis Kriegspropaganda jedoch verselbständigt. »Außer einer Invasion (in den Irak; M.K.) gab es wenig, das die Iraner tun konnten, um den Krieg fortzusetzen«, notiert Bellaigue. Der Revolutionsführer lehnte Verhandlungen ab und ließ weiterkämpfen – jetzt jedoch mit dem Ziel, den Irak zu erobern.
In den Reiseberichten begegnen wir iranischen Kriegsopfern, deren Lungen von irakischem Giftgas verätzt wurden; die Produktionsanlagen kamen, wie die Opfer betonen, aus Deutschland. Wir haben es mit einäugigen oder beinlosen Kriegsteilnehmern zu tun und werden immer wieder mit den ehemaligen Kindersoldaten, den so genannten Bassidschi konfrontiert, die Khomeini im Alter von zwölf bis 17 Jahren zu Hunderttausenden über die Minenfelder oder in die offenen Gefechtsstellungen der Iraker laufen ließ. Dennoch scheint die Kriegsbegeisterung selbst noch 1988, als Khomeini endlich in Friedensverhandlungen einwilligte, ungebrochen gewesen zu sein: »Sadegh Zarif war an der Front, als Saddam den Waffenstillstand schließlich annahm. ›Von der irakischen Seite hörte man Freudenschreie und Schüsse in die Luft. Sie tanzten. Auf unserer Seite weinten alle.‹« Bellaigue protokolliert die Märtyrerverehrung, die seit 1980 alle Diskussionen über diesen Krieg überlagert hat. »Je entsetzlicher die Umstände des Todes eines Mannes und je sinnloser er war, um so größer war die Wandfläche an einem Wohnblock, die seinem Andenken gewidmet wurde. Wenn er im vorpubertären Alter gestorben war, um so besser.«
Heute sind mit Ahmadinejad eben jene Revolutionsgardisten, Pasdaran genannt, an der Macht, deren Ideologie durch diesen Krieg geprägt wurde und die heute die Opferung der Bassidschi-Kinder emphatischer feiern als je zuvor. Schon in einer seiner ersten Fernsehansprachen schwärmte der neue Präsident: »Gibt es Kunst, die schöner, göttlicher und ewiger wäre, als die Kunst des Märtyrertods?«
Die Gesprächspartner Bellaigues berichten uns von jener »Kunst«. So zeigte sich der 17jährige Amin nach Aussage seines Onkels bei Kriegsende »bekümmert, dass Gott ihn nicht für würdig befunden habe, Märtyrer zu sein«. Am allerletzten Kriegstag – »Gott sei es gedankt«, so sein Onkel – wurde er schließlich doch noch zerfetzt. Immer wieder erhielten die Bassidschi den Befehl, »über die offene Fläche vorzurücken und sich massakrieren zu lassen«, protokolliert Bellaigue, »die jungen Iraner standen Schlange, um zu sterben.« Der Autor fand heraus, dass der militärische Nutzen dieser Einsätze zweitrangig war: »Eine ideologisch reine Armee ist besser als eine siegreiche Armee«, versichert einer seiner Helden, der Befehlshaber der Pasdaran, Hossein Charrazi. Und dann zitiert der Autor Khomeini selbst: Der Iran dürfe Sieg und Niederlage nicht »nach organischen und materiellen Maßstäben definieren. Wir müssen unsere Ziele mit heiligen Maßstäben messen. (…) Selbst wenn die ganze Welt gegen uns aufsteht und uns vernichtet, haben wir doch gesiegt.«
Wenn wir auch vernichtet sind, haben wir dennoch gesiegt? Es ist diese apokalyptische Todesbereitschaft, die der gegenwärtigen Atompolitik des Iran ihre Brisanz verleiht. Gerade weil uns Bellaigue die Praxis des religiösen Fanatismus so unverblümt vor Augen führt, irritiert um so mehr das Verständnis, das er diesem Horror entgegenbringt.
Schon die Auswahl seiner Gesprächspartner überrascht. So findet sich unter dem Dutzend Personen keine einzige, die die Einsätze der Bassidschi grundsätzlich kritisiert, obwohl diese seinerzeit von Angehörigen der regulären Armee wie auch von »vielen Eltern aus der Mittelschicht«, wie er etwas abfällig schreibt, heftig bekämpft worden sind. Erst nach 250 Seiten taucht erstmals ein Gesprächspartner wie Akbar Gandschi auf, der sich dem Regime widersetzte und deshalb verfolgt wurde.
So wie manche europäische Linke sich von Selbstmordanschlägen der Hamas fasziniert statt angewidert zeigten und Verständnis zum Ausdruck brachten statt Abscheu, so wird bei Bellaigue die massenhafte Opferung iranischer Kinder mit Verständnis bedacht, verharmlost und manchmal geradezu verkitscht. »Der Basidschi starb mit einem Lächeln«, weiß er beispielsweise zu berichten, »weil er sich selbst davon überzeugt hatte, dass es in seinem eigenen Interesse war, auf eine bestimmte Weise und mit bestimmten Worten auf den Lippen zu sterben (…) Die Verschmelzung von Religion und Politik in ihren mageren Körpern war ein Zusammentreffen persönlicher und universeller Interessen.«
Voller Bewunderung porträtiert Bellaigue den amerikanischen Islamisten David Belfield, der in den USA einen Gegner Khomenis getötet und sich anschließend durch Flucht in den Iran der Strafverfolgung entzogen hat: »Ich spürte seine Entschlossenheit, seinen Glauben zu bewahren, ihn rein zu erhalten, während der Islam anderer verunreinigt wurde.«
Bellaigue, der 1971 in London geboren wurde, sein Studium der Islamwissenschaft im braven Cambridge absolvierte und seit 2000 als Korrespondent des Economist und des New Yorkers in Teheran lebt, dieser junge Engländer stieß im Iran unter Khomeini auf »Männer« mit Berufung, wie man sie im weißen Großbritannien wohl kaum noch trifft. Fern der Heimat wurde ihm bewusst, »dass es etwas gibt, dass Männer dazu veranlasst, für ihre Überzeugungen nicht nur zu töten, sondern auch für sie zu sterben. Männer wir David Belfield, Sadegh Zarif und Hossein Charrazi hatten dieses Etwas, was auch immer es sei, diese selbstmörderische und mörderische Bösartigkeit. Aber sie hatten auch die dazugehörige faszinierende Integrität.«
Sicherlich ist dem Autor zugute zu halten, dass er die Brandreden eines Mahmoud Ahmadinejad ebenso wenig hat voraussehen können wie die Selbstmordattentate in London. Zuweilen zeigt er sich über den iranischen Märtyrerkult befremdet und einige seiner Episodenschilderungen sind nicht nur ausgezeichnet beobachtet sondern auch meisterhaft formuliert. Und doch haben wir es hier mit einem Buch zu tun, dass in zweierlei Hinsicht aktuell ist und das in doppelter Hinsicht erschreckt: Es erschreckt als ein Bericht über jene, die nicht das Leben lieben, sondern den Tod, und es erschreckt immer dann, wenn der Autor ausgerechnet diese Gesinnung romantisiert.
Unfreiwillig führt uns Bellaigue am eigenen Exempel den Prototyp jenes linksliberalen modernen Europäers vor Augen, der »die amerikanischen Neo-Konservativen« hasst und die Freiheit verspottet, die angeblich »die Europäer den Iranern ununterbrochen« predigen; ein Europäer, der als Kind der Aufklärung in den revolutionären Iran kommt und diese schließlich verrät.
Christopher de Bellaigue: Im Rosengarten der Märtyrer. Ein Porträt des Iran. C.H. Beck Verlag, München, 2006, 341 Seiten, 24,90 Euro
Am 24. Mai 2006 in „Jungle World“ veröffentlicht.