Obama und der US-Kongress im Streit über Iran

Wer den Druck auf Iran erhöhen möchte, wird als Kriegstreiber an den Pranger gestellt

Von Matthias Küntzel

Hamburg, den 13. Januar 2013

Derzeit eskaliert der Konflikt zwischen der Obama-Administration und dem Kongress der USA über den Umgang mit Iran.

Auf der einen Seite steht eine aus Republikanern und Demokraten bestehende Mehrheit des US-Senats. Sie unterstützt einen Gesetzentwurf, der die amerikanische Verhandlungsposition gegenüber Iran durch Androhung weiterer Sanktionen stärken will. Diese Sanktionen sollen aber nicht sofort, sondern erst nach einem Ablauf von zwölf Monaten wirksam werden und auch nur dann, falls Teheran das Genfer Interimsabkommen verletzt oder sich um die geplante abschließende Lösung des Atomproblems drückt. Letzte Woche haben 75 prominente Außenpolitikberater und Publizisten dieses Vorhaben in einem offenen Brief an führende Kongressmitglieder unterstützt.[1]

Auf der anderen Seite steht der amerikanische Präsident, der diesen Sanktionen-Vorratsbeschluss verhindern will und damit droht, ihn notfalls mit seinem Veto zu Fall zu bringen. Der Gesetzentwurf stehe „in direktem Widerspruch“ zur Politik der US-Administration, erklärte eine Sprecherin aus dem Weißen Haus. Sie ging noch einen Schritt weiter und forderte „gewisse Kongressabgeordnete“ auf, der Öffentlichkeit gegenüber zuzugeben, dass sie es eigentlich auf Krieg abgesehen hätten.[2] Obamas Kurs wird von einigen maßgeblichen Senatoren, aber auch von Grassroot-Organisationen wie der jüdischen Organisation JStreet unterstützt. Deren Kampagne knüpft an die Kriegsmüdigkeit der amerikanischen Bevölkerung an. Ihre Aufkleber tragen die Parolen: „No Iranian Bomb. NO NEW WAR. No to Senate Bill 1881.“[3]

Auf diese Spaltung hat das iranische Regime seit Monaten gesetzt. „Wir machen einen Fehler, wenn wir glauben, dass es eine vereinheitliche Stimme in Amerika gibt“, betonte im Oktober letzten Jahres Irans neuer Außenminister Mohammad Zarif. „Durch Ausnutzung der entgegengesetzten Sichtweisen in den USA können wir diplomatisch siegen.“

Rohanis Berater kamen zu demselben Schluss. Sie empfahlen der iranischen Regierung „den Einfluss und die Macht derjenigen politischen Kräfte in Washington zu vergrößern, die … glauben, dass die gegenwärtige amerikanische Druck-Politik aufgegeben werden sollte.“[4]

Der wichtigste Vertreter der Kräfte, die glauben, dass der Druck gegenwärtig aufgegeben werden sollte, ist Barack Obama selbst. Auch er will mittels Verhandlungen die iranische Bombe verhindern. Der Streit geht um die Frage des „Wie“: Während die Senatsmehrheit davon ausgeht, dass sich der Iran nur unter Druck bewegen wird, ist Obama davon überzeugt, dass nur der Verzicht auf Druck diplomatische Lösungen erlaubt.

Wie Obama zu dieser Schlussfolgerung gelang, ist unklar. Er selbst hat die Wahrscheinlichkeit eines abschließenden Abkommens mit Iran auf höchstens 50 Prozent taxiert.[5]

Mehr noch: Die Äußerungen und Aktivitäten Teherans seit der Unterzeichnung des Genfer Interim-Abkommens vom 24. November 2013 zeigen, dass verlassen ist, wer sich auf freiwillige iranische Zugeständnisse verlässt. So machten die iranischen Verhandlungsführer klar, dass der Bau des Plutoniumbrüters Arak und der Testbetrieb modernster Uranzentrifugen auch nach Inkrafttreten des Interim-Abkommens weitergehen soll.

Am 20. Dezember gab die iranische Atomenergiebehörde bekannt, dass sie aus Iran ein Urananreicherungszentrum für ganz Westasien machen will.[6]

Das Büro des Revolutionsführers erklärte gar die in Genf vereinbarte Frist von sechs Monaten für das Interimsabkommen für bedeutungslos: Ein abschließendes Atomabkommen könnte „sogar 20 Jahre an Verhandlungszeit benötigen.“[7]

Dies zeigt, dass ein freiwilliges Entgegenkommen Irans nicht erwartet werden kann. Stattdessen scheint die Androhung nicht-militärischer und militärischer Druckmittel Voraussetzung für ein akzeptables Verhandlungsergebnis zu sein.

Warum aber richtet sich der öffentliche Zorn des Präsidenten nicht gegen das Regime in Teheran, das mit den oben erwähnten Ansagen das Interimsabkommen verletzt, sondern auf jene Amerikaner, die sich von Iran nicht demütigen lassen, sondern mit ihrem Vorratsbeschluss einen „vernünftigen Pragmatismus“, so US-Senator Robert Menendez8, walten lassen wollen?

Vordergründig ist Obamas Präferenz mit einer Androhung Teherans zu erklären. „Das gesamte Abkommen wäre erledigt“, erklärte Außenminister Zarif auf die Frage, was geschehen würde, wenn der Kongress einen Sanktionen-Vorratsbeschluss fasst.[9] Bislang aber hat ein Kommentar aus Teheran die Freiheiten des amerikanischen Kongresses nicht einschränken können.

In Wirklichkeit hängen Obamas Senatsangriffe mit der Tatsache zusammen, dass er im Verhältnis zu Iran nicht mehr der Treibende, sondern der Getriebene ist. Teheran fühlt sich frei, den Verhandlungstisch jederzeit zu verlassen. Dies gibt ihm die Möglichkeit, Washington mit der Androhung des Gesprächsabbruchs und der Androhung eines Atombombenbaus zu erpressen.

„Ihr habt nur ein einziges Mittel, um sicherzustellen, dass das iranische Atomprogramm friedlich bleibt“, hatte Außenminister Zarif bereits im September 2013 gedroht. „Ihr müsst zulassen, dass sich das Atomprogramm in einem friedlichen internationalen Umfeld entwickeln kann.“[10]

Barak Obama scheint vor dieser Erpressung kapituliert zu haben.

Er handelt so, als sei er auf jenes „friedliche Umfeld“ existenziell angewiesen. Mehr noch: Er sorgt dafür, dass im Weißen Haus die Tendenz, Teheran um beinahe jeden Preis zu beschwichtigen, an Boden gewinnt. Und nicht nur dort!

Die Kampagne von JStreet, die gegen das neue Sanktionsgesetz mit der Parole „NO NEW WAR“ mobilisiert, erinnert unvermittelt an die Stimmung und an die Stimmungsmache der Dreißigerjahre, als die Friedenssehnsucht der Wohlmeinenden den Kriegsfuror der Nazis nicht abschwächte, sondern nur bestärkte.

Natürlich wäre es schön, in einer Welt zu leben, in der das Mittel des Krieges ad acta gelegt werden kann. Wer sich die Welt zurecht lügt und so tut, als sei dieser Zustand heute schon erreicht, handelt hingegen verantwortungslos.

Während der Dreißigerjahre „schloss (die britische Regierung) angesichts der beunruhigenden Symptome unerschütterlich ihre Augen und Ohren“, schrieb Winston S. Churchill, der als einer der wenigen britischen Politiker „Mein Kampf“ gelesen hatte und dem „Appeasement“ seiner Regierung widerstand.[11]

Churchill hatte seit 1933 auf die „blutrünstige Philosophie“ der Nazis aufmerksam gemacht sowie auf den Fakt, dass die inneren Verhältnisse in Deutschland „keine Ähnlichkeit mit denen eines zivilisierten Staates“ haben.[12] „Nur sehr dumme Menschen, von denen es in jedem Land eine extrem hohe Anzahl gibt, konnten all dies ignorieren“, konstatiert er in seinen Erinnerungen.[13] Er blieb mit seinem Realismus und seiner Warnung vor einem großen Krieg allein.

Heute scheint man die aktive Ignoranz der Dreißigerjahre wiederholen zu wollen.

Iran als das einzige Land der Welt, dessen höchster Repräsentant dem bekannten Holocaustleugner Roger Gaurody erst kürzlich wieder die Referenz erwiesen hat.[14] Es ist das einzige Land der Welt, dessen Herrscher die Politiker in Israel Ende November 2013 mit „Tieren“ verglich, da man sie „als Menschen nicht bezeichnen“ könne.[15] Es ist das einzige Land, dessen Führer die USA als ein „Teufel“ bezeichnet, der auch dann, wenn er „zu einem Rückzug gezwungen werde“, seine Boshaftigkeit beibehalte.[16]

Das Regime gibt sich keine Mühe, seine eigentlichen Ziele zu verstecken. Doch dessen Dialogpartner wollen davon nichts hören und nichts sehen.

Einer der Unterschiede zwischen den Dreißigerjahren und der Gegenwart hat aber mit Kernspaltung zu tun. Wer sich heute mit Haut und Haar dem Appeasement verschreibt, nimmt nicht nur einen konventionellen, sondern einen atomaren Krieg in Kauf. Wer würde schon von einem fanatisch-religiösen Märtyrer-Regime erwarten, dass es Atomwaffen, ohne sie einzusetzen, wieder aus den Händen gibt?

Wer sich von der suggestiven Wirkung der Appeasement-Psychologie befreit und Obamas eskalierende Angriffe auf die Senatoren mit Distanz betrachtet, erkennt sofort, wie schädlich dieses Kesseltreiben gegen Politiker ist, die ihr Handeln nicht auf Wunschdenken, sondern auf Tatsachen stützen – schädlich für die USA, für den Westen, für die Welt.

[1] Michael Warren, Foreign Policy Experts to congressional Leaders: Enforce Iranian Compliance With Nuclear Deal, in: The Weekly Standard, January 9, 2014. Der Entwurf des Nuclear Weapon Free Iran Act findet sich hier: http://thomas.loc.gov/cgi-bin/query/F?c113:1:./temp/~c113ylxlHG:e1377 . Der Gesetzentwurf „supports continued negotiations, gives the administration a year of flexibility to secure a comprehensive agreement, respects the sanctions relief Iran is set to receive and prevents any new sanctions from taking effect while good-faith negotiations are underway“, schreibt Senator Menendez, einer der Initiatoren des Gesetzes. Robert Menendez, A diplomatic insurance policy against Iran, in: Washington Post, January 10, 2014.

[2] Ryan Grim, White House Dares Democratic Senators Pushing Iran Sanctions To Admit They Want War

[3] https://twitter.com/jstreetdotorg/status/421347216679137281 ; der Gesetzentwurf hat die Nummer 1881.

[4] Hassan Dai, Zarif says Iran can defeat US and Israel, November 2, 2013, auf: http://www.iranian-americans.com/zarif-says-iran-can-defeat-us-and-israel/ .

[5] “I wouldn’t say that it’s more than 50/50”, erklärte Obama am 7. Dezember 2013 auf einer Veranstaltung des Saba-Forums in Washington D.C.; siehe http://iipdigital.usembassy.gov/st/english/texttrans/2013/12/20131207288605.html#axzz2q6c8g8TK , S. 11.

[6] Head of AEOI: Iran’s vision – becoming a uranium enrichtment centre in west Asia; heavy water reactor in Arak will continue to operate at full power, in: Iran Daily Brief, December 20, 2013.

[7] Zitiert nach Amir Taheri, Iran nuke deal quietly collapses, New York Post, December 16, 2013.

[8] Robert Menendez, A diplomatic insurance policy against Iran, in: Washington Post, January 10, 2014.

[9] Iran’s Zarif says nuclear deal dead if U.S. passes new sanctions, www.reuters.com, December 9, 2013.

[10] FM Javad Zarif interview to Press TV: all options are not on the table; Iran cannot be deprived of its nuclear rights, in: Iran Daily Brief, September 12, 2013.

[11] Winston S. Churchill, The Gathering Storm. The Second World War, Volume I, Harmondsworth (Penguin Books Ltd.) 1985, S. 64.

[12] Churchill, a.a.O., S. 77 und 91.

[13] Churchill, a.a.O., S. 163

[14] Joshua Levitt, Ayatollah Khamenei Tweets Support for French Anti-Semite, in: the algemeiner, December 17, 2013.

[15] Raphael Ahren, Israel “unpleasantly surprised” by mild US reaction to Khameini’s vicious speech, in: The Times of Israel, November 21, 2013.

[16] Khamenei: „One of the nuclear negotiations blessings was that the American hostility towards Iran, iranians, and Islam became clear to everyone“, in: Iran Daily Brief, January 10, 2014.