Nach Trumps Iran-Entscheid: Droht der Westen zu zerbrechen?

Im Streit um den Atomdeal ergreifen Deutschland und die EU für Teheran und gegen Washington Partei

Von Matthias Küntzel

Hamburg, 12. Mai 2018

Als US-Präsident Donald Trump am 8. Mai 2018 vor die Presse trat, um den Ausstieg der USA aus dem Atomdeal mit Iran zu begründen, erklärte er: America will not be held hostage to nuclear blackmail – Amerika wird sich nicht atomar erpressen lassen.[1]

Mit diesem Satz leitete Trump eine neue Phase der Irandiplomatie ein. Denn bisher hatte die atomare Erpressung – die Drohung, dass Teheran „andernfalls“ die Bombe baut – die Verhandlungsdynamik bestimmt. Dieser worst case schwebte wie ein Damoklesschwert über den Akteuren. Um ihn abzuwenden, und den Atomdeal zu sichern, verzichtete Obama 2009 auf die Unterstützung der iranischen Protestbewegung und 2013 auf die Einhaltung roter Linien im Syrienkrieg.

Auch bei der Abfassung des Atomdeals ließen sich die internationalen Unterhändler erpressen und räumten eine Position nach der anderen: Der Deal gestattet nicht nur die Urananreicherung und deren Weiterentwicklung, er verhindert auch IAEA-Inspektionen bei militärischen Anlagen, lässt dem Regime beim Ausbau seines Raketenprogramms alle Freiheiten und läuft nach wenigen Jahren aus.[2]

Irans Außenminister Zarif handhabte das Spiel mit der Angst virtuos: „Ihr habt nur ein einziges Mittel, um sicherzustellen, dass das iranische Atomprogramm friedlich bleibt“, drohte er zu Beginn der Verhandlungen. „Ihr müsst zulassen, dass sich das Atomprogramm in einem friedlichen internationalen Umfeld [also ungestört – MK] entwickeln kann.“[3]

Um derartige Erpressungen hat sich Donald Trump, auf die Stärke der USA vertrauend, nicht länger gekümmert. Er kündigte an, gemeinsam mit den Verbündeten der USA eine echte, umfassende und dauerhafte Antwort auf die iranische Nuklearentwicklung liefern zu wollen; eine Antwort die gleichzeitig auch der iranischen Raketenentwicklung und der iranischen Kriegsführung in der Region ein Ende bereiten soll. Wirkungsvolle Sanktionen sollen die iranische Führung zur Unterzeichnung eines solchen neuen Abkommens zwingen. Wirkungsvolle Sanktionen setzen jedoch die Mitwirkung der EU, des wichtigsten Handelspartners für Iran, voraus.

Europa versus USA

Von neuen Sanktionen aber wollen die Außenbeauftragte der EU, sowie die E 3 – Großbritannien, Frankreich und Deutschland – nichts wissen. Stattdessen dominiert die Angst, auch Teheran könne den Atomdeal verlassen.

Ali Khamenei, der Revolutionsführer Irans, schürt diese Furcht. Er vertraue den E 3 ebenso wenig wie den Vereinigten Staaten; ohne starke Garantien der drei EU-Länder gebe es keinen Grund, sich an das Abkommen zu halten.[4] Irans Präsident Hassan Rohani übernahm den lockenden Part, wittert er doch die Chance, die EU gemeinsam mit Russland und der VR China gegen die USA zu positionieren. Falls die Europäer dafür sorgten, dass der Atomdeal dem Iran weiter Nutzen bringe, könne er, so Rohani, bestehen bleiben.

Wie zuvor Donald Trump die Europäer mit der Androhung des Ausstiegs aus dem Deal erpresste, um eine härtere Gangart gegenüber dem Iran durchzusetzen, so erpresst nun Teheran die EU, um Wohlverhalten gegenüber Iran zu erzwingen.

Und tatsächlich: Mit der vagen Absichtserklärung Rohanis vor Augen bemühen sich die EU-Mächte, das neue Sanktionskonzept der USA zu durchkreuzen. Es sei das Ziel, so die Bundesregierung, „dass die geltenden europäischen Sanktionserleichterungen selbstverständlich in Kraft bleiben.“[5] Die Bundeskanzlerin war sich nicht zu schade, diese Botschaft dem iranischen Präsidenten in einem Telefonat persönlich zu übermitteln.[6]

Als größtes Ärgernis gelten die sogenannten sekundären Sanktionen: Sie erlauben es dem amerikanischen Finanzministerium, die im Iran-Business aktiven europäischen Unternehmen auf eine Liste zu setzen, mit denen amerikanische Unternehmen, Banken und Personen keine Geschäfte machen dürfen.

Nun machten die deutschen Iran-Exporte 2017 gerade mal 0,2 Prozent der deutschen Gesamtexporte aus; im selben Jahr befand sich der Iran auf der Liste der europäischen Exportempfänger auf Platz 33; hinter Ländern wie Kasachstan oder Serbien.[7]

Das bedeutet erstens, dass das Tohuwabohu, das deutschsprachige Medien über den vermeintlichen Schaden für die deutsche Wirtschaft veranstalten, weit übertrieben ist und dass zweitens die europäischen Exporteure eher ihre Ausfuhren nach Iran stoppen werden, als sich den amerikanischen Markt zu vermasseln. „Es müsse zur Kenntnis genommen werden, dass eine der wichtigsten Industrienationen dieses Planeten eine politische Entscheidung getroffen habe“, erklärte Ralf Thomas, Finanzvorstand des Siemens-Konzerns. [8]

Von dieser Gelassenheit ist bei den politischen Akteuren allerdings wenig zu spüren. „Wir arbeiten an Plänen, um die Interessen der europäischen Firmen zu schützen“, erklärte eine Sprecherin der Europäischen Kommission, wobei es allein um diejenigen Firmen geht, die sich im Iran engagieren. Da wird auf Ausnahmeregelungen gesetzt, da werden staatliche Ausgleichszahlungen für Sanktionen ins Gespräch gebracht oder gar Gegen-Sanktionen gegen amerikanische Firmen erwogen.

Niemand aber stellt die Frage, warum es legitim sein soll, mit einem Regime Geschäfte zu machen, das die Region und die eigene Bevölkerung terrorisiert und das Israel auslöschen will. Niemand fragt, wie die deutsche Kanzlerin ihr besonderes Engagement für Irangeschäfte mit „der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels“ – so Angela Merkel am 18. März 2008 vor der Knesset – vereinbaren will.

Der Skandal liegt nicht darin, dass der neue amerikanische Botschafter die deutschen Unternehmen auffordert, ihre Geschäftsbeziehungen mit Iran zu beenden. Der Skandal liegt darin, dass diese Aufforderung nicht von der Bundesregierung kommt.

Diese Parteinahme für das Regime und gegen die USA hat, was Deutschland anbelangt, jedoch Tradition. Schon 1995, als US-Präsident Bill Clinton den amerikanischen Firmen den Handel mit Iran einseitig untersagte, war es Deutschland, dass die amerikanischen Sanktionsbemühungen systematisch konterkarierte.

Man war hierüber in Teheran hoch erfreut, berichtet Hossein Mousavian, der damalige iranische Botschafter in Deutschland. Irans Entscheidungsträger, schreibt er, „waren sich in den Neunzigerjahren über Deutschlands bedeutende Rolle bei der Sprengung der ökonomischen Ketten, mit denen die USA den Iran umgeben hatten, bewusst.“[9]

Erstaunlich offen legte im September 2004 auch Außenminister Joschka Fischer die Stoßrichtung seiner Iran-Intervention auf den Tisch: „Wir Europäer haben unseren iranischen Partnern immer geraten, uns als Schutzschild im wohlverstandenen eigenen Interesse zu begreifen“, so der damalige Außenminister in einer von der Bundesregierung verbreiteten Rede – als Schutzschild, wohlgemerkt, gegen die USA.[10]

Dies zeigt, dass Differenzen im Umgang mit Iran zum transatlantischen Regelfall gehören, während die Präsidentschaft Barak Obamas diesbezüglich eine Ausnahme war. Heute aber unterscheidet sich dieser transatlantische Streit von den Auseinandersetzungen der Vergangenheit in zwei wesentlichen Punkten.

Zum einen fällt er in eine Zeit, in der sich die EU als ein neues Machtzentrum in kalkulierter Distanz zu den USA zu etablieren sucht. Dies ist der Grund warum man sich im Kontext eines neuen Euro-Nationalismus so heftig an den Atomdeal klammert. In Deutschland und Frankreich wird das Abkommen als eine Art Prototyp europäischer Konfliktbewältigung interpretiert, weshalb die Europäer gerade hier „den USA Paroli bieten“ und „sich mit den Amerikanern anlegen“ müssten, so ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.[11]

Einen noch forscheren Ton schlägt der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire an: „Wollen wir die Vasallen der Vereinigten Staaten sein, die mit der Hand an der Hosennaht gehorchen?“[12]

Die Wut über die Maßnahme Trumps bricht sich auch in antiamerikanischen Ausbrüchen Bahn: „Der Geist dieser Tage scheint das Kreischen und Schreien zu sein“, befindet die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, während der für Außenpolitik verantwortliche Redakteur der Frankfurter Allgemeinen im amerikanischen Präsidenten gar einen „Umstürzler auf Vernichtungsmission“ zu sehen vermeint.[13]

Droht also tatsächlich der Westen zu zerbrechen, wie es in einigen Kommentaren heißt? Besteht die Gefahr, dass er sich in einen pro-iranischen und einen pro-israelischen Flügel spaltet?

Ich glaube das nicht. Trump hat die Blütenträume der Europäer entzaubert und aus dem Offensichtlichen – der Tatsache, dass der Atomdeal nicht zu mehr Frieden, sondern zu mehr Krieg in der Region geführt hat – seine Schlüsse gezogen.

Denn auch darin unterscheidet sich der transatlantische Streit von den Auseinandersetzungen der Vergangenheit: Seit 2004 hat sich der Terror des iranischen Regimes gegen die eigene Bevölkerung wie auch dessen expansive Kriegsführung in der Region und gegen Israel beträchtlich gesteigert. Dies gilt besonders für die Zeit seit Abschluss des Atomabkommens, das Milliardensummen in die Kriegskassen Irans spülte.

So gilt inzwischen auch hierzulande als unumstritten, was Nikolaus Busse in einem Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen so formulierte: „Iran hat die Spielräume, die durch den Wegfall der Sanktionen entstanden sind, nicht zur Mäßigung seines revolutionären Anspruchs genutzt, sondern zum Ausbau seiner Machtstellung in der Region.“ Das Regime hat die Region in Kriegsabenteuer gestürzt und die Massenflucht von Syrern und Irakis nach Europa provoziert, ohne auf die Weiterentwicklung seiner Uran- und Raketenexperimente zu verzichten.

Deshalb sahen sich die E 3-Mächte in ihrer „Gemeinsamen Erklärung“ vom 8. Mai zu folgendem Spagat verpflichtet: Sie fordern einerseits, dass „der Iran weiterhin die ihm zustehenden Sanktionserleichterungen“ erhält und erklären andrerseits, dass „die Fragen des ballistischen Raketenprogramms des Iran und auch dessen destabilisierende regionale Aktivitäten, insbesondere in Syrien, Irak und im Jemen gelöst werden (müssen).“[15]

Nicht minder janusköpfig die Stellungnahme von Heiko Maas, dem deutschen Außenminister: Man wolle „den Iran bei der Stange zu halten“, gleichzeitig aber auch „den Druck auf Iran erhöhen“.[16] Eins von beiden kann aber nur gehen. Wer heute noch glaubt, Sanktionserleichterungen für Iran würden Verhaltensänderungen nach sich ziehen, macht sich lächerlich.

Wer das Regime von einer Fortsetzung seines destruktiven Kurses abbringen will, muss den Druck auf Teheran solange erhöhen, bis das Regime vor der Alternative „Verhaltensänderung“ oder „Untergang“ steht. Dies aber wird nur mithilfe massivster Sanktionen möglich sein.

Anstatt sich diese simple Wahrheit einzugestehen, werden sich die europäischen Großmächte bei ihren bevorstehenden Beratungen ein weiteres Mal von der Angst, auch Teheran könnte aus dem Deal aussteigen, leiten lassen. Muss uns das Scheitern des Atomdeals und die Möglichkeit einer fast ungehemmten iranische Nuklearrüstung samt der damit verbundenen Kriegsgefahr nicht tatsächlich Angst machen?

Angst vor Krieg

Natürlich ist die Vorstellung einer iranischen Atombombe horribel. Weil man die Atomwaffe in der Hand fanatischer Religionskrieger mehr als alles andere fürchten muss, hat ja bislang die Taktik der Erpressung unter dem Motto „Nukleardeal oder Krieg“ so gut funktioniert.

Doch in Wirklichkeit ist Teheran zumindest gegenwärtig an einer Eskalation der Situation nicht interessiert. Das Land ist aufgrund seiner teuren Kriegsführung in Syrien, Irak, Jemen und dem Libanon extrem geschwächt. Die innenpolitische Stimmung ist aufs Äußerste gespannt. Mit der Wirtschaftskrise wächst die Unzufriedenheit der Bevölkerung von Tag zu Tag. Am 6. Mai berichtete das Wall Street Journal von Hunderten von Arbeiterkämpfen in jüngster Zeit. In zahllosen Internet-Botschaftern sollen Menschen im Iran Trumps Ausstieg aus dem Atomdeal gefeiert haben.[17]

Man weiß zudem in Teheran, das jede massive Reaktion auf Trumps Erklärung, sei es eine Hochanreicherung von Uran oder der Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag, die relative Isolierung der USA beenden und die Weltgemeinschaft gegen den Iran zusammenschweißen würde.

Gleichwohl ist Trumps Kurswechsel nicht risikofrei: Gerade bei diesem Regime können irrationale Reaktionen, die Kriegsszenarien heraufbeschwören, nicht ausgeschlossen werden. Falls es soweit kommen sollte, „werden Deutschland und Europa Position beziehen müssen“, heißt es in einem bemerkenswerten Aufsatz von Guido Steinberg, einem Berater der Bundesregierung. „Sie sollten dann zu dem Schluss kommen, dass es wichtiger ist, die atomare Bewaffnung des Iran zu verhindern als einen Krieg zu stoppen.“[18]

Das Kriegsrisiko kann zwar nicht vom Tisch gewischt werden, aber es ist kalkulierbar. Kalkulierbarer jedenfalls als die schleichende Nuklearisierung des Iran unter dem Deckmantel eines Atomdeals, der die Atomwaffenforschung nicht verbietet, der Kontrollen für militärische Einrichtungen blockiert und die Weiterentwicklung atomwaffenfähiger Raketen möglich macht.

Seitdem das Regime Uran anzureichern vermag, kann es mit der Atombombe drohen. Je eher sich die europäischen Staaten vom Druck dieser Erpressung befreien, desto besser. Appeasement basiert auf einer Kombination von Wunschdenken und Angst. Die Appeasement-Politik der EU ist gescheitert. Je schneller das die Verantwortlichen in Deutschland und Europa begreifen, desto besser für den Frieden in der Welt.

Es geht beim Iran-Streit nicht um Befindlichkeiten. Es geht darum, das Richtige zu tun. Was immer an Donald Trump kritisiert werden muss: Sein Ausstieg aus dem Atomdeal war ein erster und wichtiger Schritt, die nukleare Erpressung zu beenden und die Dynamik im Umgang mit Teheran zu verändern.

[1] Der Text der Trump-Rede findet sich hier: https://www.theatlantic.com/politics/archive/2018/05/full-transcript-iran-deal-trump/559892/.
[2] Auf die grundsätzlichen Schwächen des Atomdeals habe ich u.a. hier aufmerksam gemacht: http://www.matthiaskuentzel.de/contents/donald-trump-und-der-atomdeal-mit-iran.
[3] FM Javad Zarif interview to Press TV: all options are not on the table; Iran cannot be deprived of its nuclear rights, in: Iran Daily Brief, September 12, 2013.
[4] Vgl. Rainer Hermann, Wer kann noch wem vertrauen?, in: FAZ, 11. Mai 2018.
[5] Regierungspressekonferenz, 9. Mai 2018.
[6] Reuters, Germany wants to keep Iran nuclear deal, Merkel urges de-escalation, 10. Mai 2018.
[7] Jack Ewing and Stanley Reed, European Companies Rushed to Invest in Iran. What Now?, New York Times, May 9, 2018; Amerika setzt Frist für Iran-Geschäfte, in: FAZ, 11. Mai 2018, S. 17.
[8] Amerika setzt Frist für Iran-Geschäfte, FAZ, 11. Mai 2018, S. 17.
[9] Seyyed Hossein Mousavian, Iran-Europe Relations, Milton Park 2008, S. 133.
[10] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Joschka Fischer, zur Eröffnung der Botschafterkonferenz am 6. September 2004 in Berlin.
[11] Henning Riecke, Iran-Abkommen ohne die USA. Europa betreibt Schadensbegrenzung, DGAP Think Tank, 9. Mai 2018.
[12] Iran-Sanktionen machen die Deutschen ratlos, FAZ, 12. Mai 2018, S. 19.
[13) Klaus-Dieter Frankenberger, Zeitenwende, FAZ, 11. Mai 2018.
[14] Nikolaus Busse, Irans Ambitionen, FAZ, 11. Mai 2018.
[15] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Gemeinsame Erklärung Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens zum Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Nuklearabkommen mit Iran, 8. Mai 2018.
[16] Heiko Maas im Interview mit der ARD-Sendung „Tagesthemen“, 8. Mai 2018.
[17] Menashe Amir, Iran is full of Trump supporters, Israel Hayom-Newsletter, 10. Mai 2018, auf: http://www.israelhayom.com/opinions/surprise-iran-is-full-of-trump-supporters/.
[18] Guido Steinberg, Umgang mit dem Iran, in: Internationale Politik, 73. Jahrgang, Nr. 3, Mai /Juni 2018, S. 65. Steinberg ist Mitarbeiter der ansonsten eher iranfreundlichen „Stiftung Wissenschaft und Politik“.

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