Michael Lüders und "die reichen New Yorker Juden"

Wie der Nahostexperte den Irankonflikt erklärt

Von Matthias Küntzel

Hamburg, den 3. Juli 2012

Michael Lüders, der bei ARD, ZDF, RTL, SAT 1, 3sat, N24, n-tv, Spiegel-TV und sämtlichen ARD-Hörfunkanstalten als vielgefragter Interviewpartner agiert, präsentiert sich in seinem jüngsten Buch „Iran: Der falsche Krieg. Wie der Westen seine Zukunft verspielt“ (C.H. Beck-Verlag, München, Mai 2012) als Querdenker. Er stellt Gewissheiten in Frage, liefert unorthodoxe Argumente und etabliert im lockeren Erzählstil „Gegenöffentlichkeit“. Ein „exzellentes Buch“, schwärmt Franziska Augstein über den Band, der es bis in die TOP 50 der SPIEGEL-Bestsellerliste brachte. „Unbedingt lesenswert“ ruft uns auch Gemma Pörzgen im Deutschlandfunk zu.

Ich habe es gelesen und halte es ebenfalls für preisverdächtig – allerdings in der Kategorie „Märchenbuch“.

Lüders ist nicht nur Sachbuchautor, sondern schreibt auch Romane, wie seine Homepage verrät. In seinem Buch „Der falsche Krieg“ sind beide Genres vermischt: Was auf den ersten Blick wie ein profunder historischer Abriss erscheint, hält einer Quellenprüfung nicht stand.

Lüders‘ „Entdeckungen“

Lüders schreibt: Irans „Präsident Chatami hatte sich … in seinem Schreiben an Präsident Bush 2003 für eine Zweistaatenlösung in Palästina ausgesprochen. In Washington war man an seinem Gesprächsangebot nicht interessiert. Ahmadinedschad hat daraus auf seine Weise die Lehre gezogen: Mäßigung rechnet sich nicht.“ (S. 68)

Mir ist das Dokument, auf das Lüders hier anspielt, bekannt – es machte seinerzeit als „Guldimann-Memorandum“ die Runde und besteht aus einem Fax ohne Briefkopf und ohne Unterschrift, das der damalige Schweizer Botschafter Tim Guldimann an die amerikanische Regierung schickte.

Der Stellenwert dieses Fax-Dokuments ist unter Fachleuten umstritten. Doch selbst von jenen, die ihm große Bedeutung zuschreiben, kam bislang niemand auf die Idee, aus dem namenlosen Schreiben an das State Department einen Brief von Präsident Chatami an US-Präsident Bush zu machen.

Chatami hat dem Weißen Haus weder einen Brief geschrieben noch ein Gesprächsangebot unterbreitet. Niemals sprach er sich für eine Zweistaatenlösung in Palästina aus. Was Lüders hier als Fakt präsentiert, ist Fiktion; reine Phantasie.

Und weiter. Lüders behauptet: „Die russische Regierung (fand) im Januar 2006 einen Kompromiss mit der iranischen Führung, der einen Durchbruch hätte bedeuten können. Demzufolge wäre die Urananreicherung in Russland unter Aufsicht der IAEA erfolgt. Das spaltbare Material wäre den Iranern ,leihweise‘ zur Verfügung gestellt und anschließend wieder nach Russland verbracht worden. Präsident Bush lehnte diesen Vorschlag ab.“(63) „Die USA … verweigern sich … der Alternative, nämlich diese Anreicherung unter IAEA-Aufsicht im Ausland vornehmen zu lassen.“(85)

Eine erstaunliche Behauptung! Es gibt, wenn man die Dokumente und Berichte jener Zeit zugrunde legt, keinen Zweifel: Washington hatte den Moskauer Vorschlag ausdrücklich unterstützt. Teheran aber war zu keinem Zeitpunkt bereit war, seine Anreicherungsaktivitäten vollständig an Russland zu delegieren.

Hätte es den von Lüders behaupteten Kompromiss gegeben, hätten ihn die souveränen Staaten Russland und Iran verwirklichen können. Davon konnte aber keine Rede sein: „Bundesaußenminister Steinmeier (SPD) hat nach den ergebnislosen Atomgesprächen zwischen Iran und Russland von ,zwei sehr, sehr verhängnisvollen Signalen aus der iranischen Regierung‘ gesprochen“, berichtete am 10. Januar 2006 die Frankfurter Allgemeine. „Der russische Plan wurde von den USA, Europa und China unterstützt“, berichtete am 14. Februar 2006 die New York Times.

Lüders, der grundsätzlich keine Quellen benennt, hat auch hier Geschichte verfälscht: Bei ihm erscheint die Islamische Republik, die in Wirklichkeit blockierte, als kompromissbereit und Washington, das den Kompromiss unterstützte, als der Bösewicht, der erneut die Chance auf eine Einigung zunichtemachte. Kommen wir zum dritten Beispiel.

Lüders erklärte am 10. Mai 2012 in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur: „Die Entschlossenheit [zum Angriffskrieg gegen Iran] ist groß in Tel Aviv, es hat am 20. Januar, so berichtet die New York Times, schon startende Flugzeuge gegeben in Richtung Iran. Erst im letzten Moment wurden sie zurück gepfiffen aus Washington, weil man die Eskalation nicht wollte.“

Demnach hätte Anfang dieses Jahres um Haaresbreite ein Krieg begonnen. Doch warum hat niemand sonst auf der Welt davon gehört? Weil es sich erneut – Sie ahnen es bereits – um eine Erfindung unseres „Nahostexperten“ handelt; in seiner vermeintlichen Quelle – der New York Times – sucht man nach diesbezüglichen Hinweisen vergebens.

Wer weiter recherchiert, wird in Lüders Buch auf weitere als Tatsachen verpackte Fiktionen stoßen. Mich haben allerdings bereits die drei genannten Beispiele schockiert.

Lüders – mit dem ich gemeinsam auf dem Podium saß – ist ein Mensch, der sich wirkungsvoll als Garant „nüchterner Aufklärung“ und „sachlicher Information“ in Empfehlung bringt. Kratzt man an diesem Lack, entpuppt er sich als „Experte“, der es mit dem Baron von Münchhausen aufnehmen kann.

Natürlich darf Herr Lüders seine ganz eigene Meinung haben; er kann aber nicht seine ganz eigenen Fakten haben, selbst dann nicht, wenn er sich auf seiner Homepage als „Berater des Auswärtigen Amts“ und als „Lehrbeauftragter am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Philipps Universität Marburg“ präsentiert.

Parteilich für Teheran

Merkwürdigerweise laufen seine „ganz eigenen Fakten“ immer auf dasselbe hinaus: Die iranische Politik erscheint in einem besseren Licht. Wie ein grüner Faden durchziehen seine Versuche, uns den Standpunkt Teherans plausibel zu machen, sein Buch. So beim Thema IAEA-Kontrollen:

Während die Weltgemeinschaft die Islamische Republik bedrängt, den Kontrolleuren der Internationalen Atomenergie-Agentur die Tore zu öffnen, sucht Lüders seine Leserschaft davon zu überzeugen, dass Teheran gut beraten sei, wenn es seine Tore weiterhin verschließt: „Die Inspektoren beobachten, sammeln Informationen und machen Fotos, für die sich anschließend die US-amerikanischen und israelischen Geheimdienste und Militärs interessieren. Das liegt offenkundig nicht im iranischen Interesse, also werden entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen.“ (82f)

Dessen ungeachtet geht auch Lüders davon aus, dass sich Teheran alle Komponenten einer Atomwaffen zu beschaffen sucht:

„Wäre es für Teheran eine strategische Option, die technischen Möglichkeiten zum Bau der Atombombe so schnell wie möglich zu erwerben, auf die Fertigstellung aber zu verzichten? Eindeutig ja“, antwortet der Autor. „Diesen Weg geht Teheran gegenwärtig, ohne dabei die rote Linie zu überschreiten. Nüchtern besehen würde die iranischen Führung fahrlässig handeln, fasste sie diese Option nicht ins Auge.“ (85)

Man beachte die Ermahnung, die Lüders hier nach Teheran schickt: „Fahrlässig“ handele Ahmadinejad, wenn er davon absähe, alle Komponenten „zum Bau der Atombombe so schnell wie möglich zu erwerben“. Aus seiner Identifikation mit der Bombenoption folgt Lüders Ablehnung von Sanktionen: Für ihn ist „die Sanktionspolitik gegenüber dem Iran … ein erkennbar falscher Schritt in die falsche Richtung.“ (126)

Gleichzeitig versucht Lüders den Eindruck zu vermitteln, dass es der Obama-Administration um die iranische Bombe gar nicht geht: „Selbst wenn die iranische Führung dem deutschen Beispiel folgen und aus der Atomenergie aussteigen würde, hieße es vermutlich: Die bluffen doch nur.“ (83)

In Wirklichkeit sei die iranische Atompolitik für Washington nur ein Vorwand: „Sie ist, wie erwähnt, ein Mittel zum Zweck, um den geopolitisch unliebsamen Störenfried zu isolieren, mit Hilfe von Sanktionen in die Knie zu zwingen und ihn in letzter Konsequenz militärisch auszuschalten.“ (79) Die Impulsgeber für diese amerikanische Politik vermutet Michael Lüders aber keineswegs im Weißen Haus, sondern in Jerusalem.

Seit Monaten, behauptet Lüders, „treiben die israelische Regierung, die Israel-Lobby und die noch immer nicht kriegsmüden Neokonservativen den Präsidenten [Barack Obama] in Sachen Iran vor sich her.“ Man sollte eigentlich annehmen, empört sich der Autor, die Weltmacht USA sei in der Lage, „Israel, einen Staat von der Größe Hessens, zur Räson zu rufen. Stattdessen wedelt der Schwanz mit dem Hund.“ (24)

Steuert Israel Amerika ?

„Der Schwanz wedelt mit dem Hund“ – diese putzige Metapher gefiel Lüders derart gut, dass er sie nicht nur im Text, sondern auch als Überschrift verwendet. Jeder weiß, dass dies nicht geht: Ein Schwanz kann ebenso wenig mit dem Hund wedeln wie ein Mini-Staat von der Größe Israels mit den 400 Mal so großen Vereinigten Staaten von Amerika.

Was im realen Leben keine Chance hätte, funktioniert jedoch seit Jahrhunderten als verschwörerische Phantasie. Diese Phantasie besagt, dass Juden, die gerade einmal 0,2 Prozent der Weltbevölkerung stellen, selbst noch einer Weltmacht wie den USA ihren Willen und ihren Krieg aufzuzwingen vermögen.

„Die reichen New Yorker Juden üben eine Menge Druck auf die Entscheidungsträger aus“ kolportiert Michael Lüders und leitet daraus die Kernthese seines Buches ab: „Der Krieg gegen den Iran ist in erster Linie Israels Krieg. Israels Führung und die Israel-Lobby wollen ihn.“ (92)

Schon in der Mitte der Neunzigerjahre sei es, so Lüders, dem „Wirken der Israel-Lobby“ zuzuschreiben gewesen, dass US- Präsident Bill Clinton mit „einer Politik der Konfrontation“ vis-a-vis Iran begann. „Auf Initiative der Israel-Lobby“ habe man 1995 Handelsbeschränkungen gegen Teheran verfügt.

Damals sei es „mit Hilfe der Israel-Lobby“ auch gelungen, „das aus drei Versatzstücken bestehende Mantra zur Dämonisierung Teherans durch(zusetzen). … Erstens: Iran unterstützt Terrorgruppen. Zweitens: Iran greift nach der Atombombe. Drittens: Iran sabotiert den Friedensprozess“ im Nahen Osten. (53f)

Ein „Mantra zur Dämonisierung Teherans?“ Wenn Lüders schreibt, dass „der Iran sein Kernwaffenprogramm im Dezember 2003 in aller Stille ein(stellte)“ (62), geht er offenkundig selber davon aus, dass Teheran während der Neunzigerjahre an der Bombe baute.

Lüders hätte mit geringem Aufwand auch die anderen beiden Punkte jener angeblichen Dämonisierung: – „Unterstützung von Terrorgruppen“, „Sabotage des Friedensprozesses“ – verifizieren können. Auf das „wahr“ oder „falsch“ einer Aussage kommt es ihm aber nicht an. Er geißelt stattdessen die „Dämonisierung Teherans“ als Vorbereitung für den Krieg: „Jedem Krieg geht bekanntlich die Dämonisierung des Gegners voraus.“ (14)

Wer das Brett vor dem Kopf für einen Moment beiseitelegt, wird erkennen, dass Bill Clinton die Politik der Mullahs in allen drei Punkten zutreffend kritisierte. Er wird feststellen, dass die von Clinton eingeleiteten Handelsbeschränkungen den Versuch darstellten, eine Verhaltensänderung Teherans ohne Einsatz von Gewalt zu erreichen.

Noch schlimmer als seinen Vorgänger Bill Clinton soll es heute aber den Demokraten Barack Obama erwischt haben: Dieser habe die „Machtprobe“ mit der Israel-Lobby „unmissverständlich verloren.“ (24)

Doch auch Kanzlerin Angela Merkel werde sich der jüdischen Allmacht, die Lüders beschwört, nicht entziehen können: „Die Bundesregierung (wird) im Kriegsfall kaum eine andere Wahl haben als den Wünschen Tel Avivs zu entsprechen“ (139) – ein Aussage, die genauso gut von Mahmoud Ahmadinejad sein könnte.

Den Weltkrieg entfesseln

„Der Irankrieg ist, wie ausgeführt, wesentlich Israels Krieg“, behauptet Lüders. Warum aber sollte das kleine Israel gegen den achtzigmal so großen Iran mit seiner zehnmal so großen Einwohnerzahl Krieg führen wollen?

Jedenfalls nicht, weil die israelische Führung die Kombination von iranischer Vernichtungsandrohung und iranischer Bombe als eine ernsthafte Gefahr für das eigene Land betrachten würde – diese Möglichkeit schließt Lüders aus. Mehr noch: er bezeichnet derartige Sorgen als Zwangsvorstellungen – als „die israelische Obsession mit dem Iran“ (95).

Er räumt zwar ein, dass die „unverantwortliche Rhetorik“ Ahmadinejads „zu Missverständnissen geradezu einlädt“. Richtig verstanden sei das Ziel der „Hardliner in Teheran“ aber „nicht die ,Vernichtung‘ Israels, sondern ein neu zu schaffender Staat ,Palästina‘ ohne jüdische Vorherrschaft über Araber und Muslime“(67) – also: gar nicht so schlimm und gar nicht so schlecht…

Doch gerade deshalb, weil die Führung Israels keinen Frieden mit den Palästinensern wolle, gerade deshalb habe sie den Krieg gegen Iran auf die Tagesordnung gesetzt: „Die Ultranationalisten in Israel sind auf einen äußeren Feind geradezu angewiesen. Andernfalls wären sie gezwungen mit ihren Nachbarn Frieden zu schließen, allen voran den Palästinensern.“ (164)

Damit ist das Lüders‘sche Narrativ komplett: Israel will keinen Frieden mit den Palästinensern und setzt, um von der Palästinafrage abzulenken, das Hirngespinst einer iranischen Bedrohung in die Welt. Als nächstes mobilisiert es „die reichen New Yorker Juden“, um die USA mit in den Krieg zu ziehen.

Die Ratio dieses Krieges hat nichts mit defensiven Motiven, sondern allein mit „Geopolitik, Vorherrschaft – und … Ideologie“ (19) und damit zu tun, „die Regionalmacht Iran, den einzigen Staat neben Syrien im weiten Raum zwischen Marokko und Indonesien, dessen Politik nicht pro-westlich ausgerichtet ist, in die Schranken zu weisen.“ (14)

Für dieses Ziel sei Israel bereit „das Land [Iran] mit Krieg zu überziehen“ „ein(en) regelrechte(n) Zivilisationsbruch“ zu begehen (127), „den Nahen und Mittleren Osten in Brand zu setzen“(8) und ein „Chaos“ von solchen Ausmaßen zu stiften, „dass westliche Politik auf lange Zeit nur noch damit beschäftigt wäre, die vielen Brände zu löschen.“(134)

Lüders‘ apokalyptische Warnung ist nicht neu. Sie variiert eine Melodie, die bereits in einem älteren Alarmbuch – den „Protokollen der Weisen von Zion“ von 1905 – erklang. Die „Juden“, heißt es in diesem Klassiker, werden, „sobald ein nichtjüdischer Staat es wagt, [ihnen] Widerstand zu leisten, … den Weltkrieg entfesseln.“ Eine abgemilderte Variante popularisierte Günter Grass: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.“

Persönliche Kontakte und kulturelles Know-How

Man wundert sich über die Parteilichkeit, mit der Lüders den demokratischen Staat Israel bezichtigt, einen Angriffskrieg übers Knie brechen zu wollen, während er die iranische Diktatur gegen alle angeblichen Versuche, sie zu „dämonisieren“, verteidigt.

Eine mögliche Erklärung für diese Schlagseite liefert Lüders Tätigkeit als Wirtschaftslobbyist. Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Orientstiftung und Beiratsmitglied des Nah-und Mittelostverein NUMOV. NUMOV zum Beispiel hat sich wiederholt für eine Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen mit Iran engagiert. Kann es da erstaunen, dass der NUMOV-Funktionär Michael Lüders Iran-Sanktionen ablehnt und – großartig „unorthodox“! – vor einer „Dämonisierung“ der Mullah-Diktatur warnt?

Lüders bestätigt sich aber nicht nur im Rahmen von Verbänden, sondern auch ganz persönlich als Lobbyist. Er begleitet „Firmen aus dem deutschsprachigen Raum, die sich im Nahen und Mittleren Osten engagieren oder bestehende Geschäftsfelder erweitern möchten“, erfahren wir von seiner Homepage.

Trotz der „traditionell guten Beziehungen Deutschlands zu den nahöstlichen Staaten“ sei es „nicht immer einfach, in der Region Fuß zu fassen“, schreibt er hier. „Persönliche Kontakte und kulturelles Know-How sind entscheidend, um im Wettbewerb mit anderen Anbietern zu bestehen. Diesen Vorteil garantiert Ihnen die Nahostberatung von Michael Lüders.“

Von mir aus darf Herr Lüders sein Geld verdienen, wie er will. Bemerkenswert aber ist, dass der C.H.Beck-Verlag vergaß, die interessengebundenen Tätigkeitsbereiche seines Autors auf dem Buchdeckel zu erwähnen.

Bei Lüders sind nicht nur Fiktionen und Fakten sondern auch Berufsinteressen und „Expertisen“ vermixt. Ihn als „Nahostexporten“ vorzustellen, ohne seine Berufstätigkeit als Nahost-Wirtschaftslobbyist zu erwähnen, kommt einem Etikettenschwindel gleich. Das ist, als würde man einen Sheikh Ali Reza Attar als „Iranexperten“ in die Fernsehstudios einladen, ohne zu erwähnen, dass er von Beruf der Botschafter Irans in Deutschland ist.

Hätte, um ein Beispiel zu nennen, Klaus Staeck als Präsident der Berliner Akademie der Künste den Wirtschaftslobbyisten Lüders zur Mitgliederversammlung eingeladen, um über das Gedicht von Günter Grass und „über die Sicherheitslage zwischen Israel und Iran zu sprechen“? Wohl kaum. Den „Querdenker“ und „Nahost-Experten Michael Lüders“ zum Vortrag einzuladen, war demgegenüber kein Problem. (ZEIT-Online, 7. Mai 2012).

Dieses biographische Detail kann das positive Echo auf Lüders Buch freilich nicht erklären. Ich habe bislang lediglich eine einzige kritische Rezension gesehen (Stephan Grigat, Der Günter Grass der Politikwissenschaft, in: Jungle World, 7. Juni 2012)

Die Begeisterung dominiert. „Man würde dem Buch wünschen, dass es die Köpfe von Millionen meiner Mitbürger erreichen möge“, schwärmte Rupert Neudeck. Daniel Haufler (Berliner Zeitung) gab dem „brillanten Buch über den Irankonflikt“ die Auszeichnung „besondere Empfehlung“ auf der SZ/NDR-Bestenliste von Juni 2012, während es die Tageszeitung „junge Welt“ als „das derzeit wichtigste Antikriegsbuch“ rühmte.

Sein Buch trifft und verstärkt eine Stimmung, bei der sich das im Ausland als „German Angst“ beschriebene Phänomen mit dem tief eingefleischten Anti-Israelismus der deutschen Linken trifft.

Die Angst vor Krieg verwandelt sich in Wut – nicht in jedoch in eine Wut auf die Mullahs, die die Region umkrempeln und Israel beseitigen wollen. Sondern in unreflektierte Wut auf eben jene, denen es in den letzten 2000 Diaspora-Jahren immer schon verboten war, sich gegen Drohungen und Angriffe zu wehren.

Natürlich ist eine Debatte über die Frage, wie sich die iranische Atombombe noch verhindern lässt und welche produktive oder kontraproduktive Rolle ein Militäreinsatz hierbei spielt, notwendig und legitim. Von Lüders (wie von Grass) wird diese Debatte boykottiert. Hier werden keine Argumente abgewogen, sondern Gewissheiten geleugnet und Ressentiments mobilisiert.