Judith Butler und der neue antijüdische Diskurs

Redebeitrag anlässlich der Kundgebung gegen die Verleihung des Adorno-Preises an Judith Butler vor der Paulskirche in Frankfurt/M. am 11. September 2012

Von Matthias Küntzel

11. September 2012

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

die Paulskirche ist ein historischer Ort. Hier wurden Martin Buber und Ernst Bloch mit Preisen geehrt, Alexander Mitscherlich und Thomas Mann, Amos Oz und Boualem Sansal; honorige Menschen also. Und heute: Prof. Judith Butler.

Doch was passiert? Der Frankfurter Oberbürgermeister sucht das Weite, die Jüdische Gemeinde in Frankfurt und der Zentralrat der Juden in Deutschland boykottieren den Festakt. Und selbst diejenigen, die Prof. Butler mit einer Petition unterstützen, haben einen Petitionstext unterschrieben, der sich von ihr gleichzeitig distanziert. Aus gutem Grund!

Prof. Butler sagt offen, was sie will. Ihr neustes Buch, „Parting Ways. Jewishness and the Critique of Zionism“, handelt vom Nahostkonflikt. Diese Welt wäre eine bessere Welt, will sie uns darin vermitteln, wenn es Israel als jüdischen Staat nicht mehr gibt.

Prof. Butler fordert keinen palästinensischen Staat an der Seite Israels, sondern einen binationalen, muslimisch dominierten Staat an der Stelle Israels.

Und genau darauf zielt die von ihr unterstützte Boykott-Kampagne ab. Mit Menschenrechte hat dies wenig zu tun. Ihr Boykott lässt all die diktatorischen und autoritären Regimes der Region ungeschoren, um nur der einzigen funktionierenden Demokratie, Israel, Schaden zuzufügen.

Prof. Butler’s Moralphilosophie ist eine Doppelmoral-Philosophie. Ihre Theorie und ihre Praxis sind untrennbar verbunden.

Heute macht sich die Welt wegen des iranischen Atomprogramms und der iranischen Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel große Sorgen. Ist es da nicht erstaunlich, dass eine Frau, die die staatliche jüdische Souveränität beseitigen will, als „eine der maßgeblichen Denkerinnen unserer Zeit“ gewürdigt wird?

Und ist es nicht doppelt erstaunlich, dass ausgerechnet Frankfurt sie mit diesen Worten würdigt – Frankfurt als ein Zentrum des Judentums in Deutschland und als Stadt, in der der Judenboykott der Nazis von 1933 unvergessen ist?

Dass dies aber im Namen Theodor W. Adornos geschieht – das ist aberwitzig.

Denn die Versuche von Prof. Butler und ihren Anhängerinnen und Anhänger, sich einerseits als links und andrerseits als Postzionisten oder Antizionisten zu profilieren, setzt eines voraus: Sie müssen die Tatsache ignorieren, dass ihre Vision vom Ende Israels auf den hunderttausendfachen Beifall von Islamisten stößt, die den jüdischen Staat ebenfalls abschaffen wollen, dabei aber eine andere Vision verfolgen.

Welche Vision, das erklärte kürzlich der stellvertretende Minister der Hamas für religiöse Stiftungen, Abdallah Jarbu:

Juden sind fremdartige Bakterien, sie sind Mikroben ohne Beispiel auf dieser Welt. Möge Gott das schmutzige Volk der Juden vernichten, denn sie haben keine Religion und kein Gewissen. Ich verurteile jeden, der glaubt, eine normale Beziehung mit Juden sei möglich, jeden der sich mit Juden zusammensetzt, jeden, der glaubt, Juden seien Menschen.

Warum hat sich die Adorno-Preisträgerin bis heute ständig geweigert, diesen Judenhass zur Kenntnis zu nehmen?
Und warum hat sie sich geweigert, die Freudenfeste zur Kenntnis zu nehmen, die die Hamas genau heute vor elf Jahren anlässlich der Ermordung tausender unschuldiger Menschen in den Twin Towers feierte?

Aus Zeitmangel? Nein! Ich vermute, weil sich Prof. Butler mit Realitäten, die ihr Weltbild infrage stellen könnten, nicht befassen will. Das ist nicht einfach Ignoranz, was für eine Nahostaktivistin schlimm genug wäre, das ist aktive Ignoranz.

Gleichwohl erklärte die Adorno-Preisträgern ihren Studentinnen und Studenten in Berkeley, wie „extrem wichtig“ es sei, „Hamas und Hisbollah als soziale, progressive Bewegungen zu verstehen, die zur Linken gehören, die Teil der globalen Linken sind.“

Prof. Butler hatte hier – das sagen selbst ihre besten Freunde – einen Fehler gemacht. Sie hätte diesen Fehler schnell wieder ausbügeln und ihre Äußerungen zurücknehmen können. Doch sie hält an ihrem Fehler fest.

Genau wie einige der ehrenwertesten Geistesgrößen dieser Stadt! Denn auch das Frankfurter Adornopreis-Kuratorium hat mit seinem Votum für Butler einen Fehler gemacht. Es hätte ihn, schnell wieder ausbügeln und die Entscheidung zurücknehmen können. Doch es hielt an seinem Fehler fest.

Zwar bezeichnete Kulturdezernent Felix Semmelroth den Protest des Zentralrats der Juden in Deutschland als „einsichtig und verständlich“, um jedoch im nächsten Atemzug die Preisentscheidung zu verteidigen. Wollte Dezernent Semmelroth die Juden mit seinem Votum für Butler absichtlich brüskieren?

Ich würde diese Möglichkeit gerne ausschließen. Doch das ist nicht so leicht. Viele hier spüren die neue feindselige Stimmung, wenn es um Israel oder die Bräuche von Juden geht.

Es begann mit einem Gedicht von Günter Grass mit der Überschrift: „Was gesagt werden muss“. Hier erklärte der Schriftsteller Israel zu einer Bedrohung für den Weltfrieden. Mehr noch: Er warf dem Land vor, das „iranische Volk auslöschen“ zu wollen. Diese Intervention war vollständig irrational, weil sie die Bedrohung aus Teheran ebenso ausklammerte, wie Prof. Butler die Intentionen von Hisbollah und Hamas.

Als nächstes hatte, wie es scheint, ein Kölner Richter sein „Was-gesagt-werden-muss“-Erlebnis: Er kam zu dem Schluss, dass das Ritual der muslimischen Kinderbeschneidung und der jüdischen Säuglingsbeschneidung dem Kindeswohl widerspricht und löste damit bei der schreibenden und bloggenden Zunft eine Massenbewegung aus, die das Ziel verfolgt, die Kinder der Juden von der traditionellen Form, jüdisch zu werden zu „befreien“.

Charlotte Knobloch spricht von einer Stimmung, wie sie sie „seit 1945 hierzulande nicht erlebt“ hat und schreibt: „Erstmals geraten nun meine Grundfesten ins Wanken. Erstmals spüre ich Resignation in mir. Ich frage mich ernsthaft, ob dieses Land uns noch haben will.“

Und jetzt ein Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro für eine Wissenschaftlerin, die sich dafür einsetzt, Israel als jüdischen Staat abzuschaffen.

Die Paulskirche ist ein historischer Ort; der richtige Ort, um laut und vernehmlich kundzutun, dass es reicht: Genug ist genug!

Wir haben es beim Schüren dieser feindseligen Stimmung in allen drei Fällen mit einer Vorreiterrolle gewisser akademischer Eliten zu tun, sowie mit Erscheinungen, die den zentralen Anliegen Theodor W. Adornos widersprechen:

mit einem Schwinden geschichtspolitischer Rücksichtnahme und Verantwortung,

mit Empathieverlust, was die Lage der Juden in Israel und Deutschland anbelangt,

sowie mit einer Zunahme an Ignoranz, speziell wenn es um den Antisemitismus im Mittleren und Nahen Osten geht.

Gerade deshalb war es so wichtig, dass diese Preisverleihung nicht ohne Proteste über die Bühne geht.

Niemand will Prof. Butlers geistige Unabhängigkeit einschränken, oder sie als Kritikerin der israelischen Regierungspolitik mundtot zu machen. Es geht darum, dass eine Professorin, die das Existenzrecht Israels ablehnt, keine Adorno-Preisträgerin sein kann.

Unser Protest – das kann man heute schon sagen – wirkt nach. „Adorno-Preis hin oder her“, schreibt Sonja Vogel in der „taz“: „Als politische Denkerin wird Butler es künftig ähnlich schwer haben, von Humanisten ernst genommen zu werden, wie Michel Foucault nach seinem undifferenzierten Jubel über die iranischen Revolution 1979.“ In der Tat.