Goebbels: "Was der Jude ist, hat uns Richard Wagner gelehrt"

Ein politisches Feuilleton

Von Matthias Küntzel

Politisches Feuilleton, Deutschlandradio Kultur, 8. Mai 2013

„Wir, die wir zu ihm standen, hießen Wagnerianer. Die anderen hatten keinen Namen.“ Diese Sätze stammen aus dem Januar 1942. Gesagt hat sie Adolf Hitler.[1]

„Wagnerianer“ heißen die Anhänger auch heute und sind gefragt wie noch nie: Am 22. Mai wird das „Richard-Wagner-Jahr 2013“ mit dem Geburtstag des großen Komponisten seinen Höhepunkt erreichen. Der Wagner-Hype reicht von der Sonderbriefmarke bis zur Denkmalenthüllung, von der Gedenkmünze bis zur Mammutkonferenz. Wir werden aufgefordert, uns von der Musik des „Meisters“ überwältigen zu lassen und freundlich ermuntert, uns der „Droge Wagner“ hinzugeben; ja ihr völlig zu „verfallen“.[2]

Nun betrachtete Richard Wagner seine Klanggemälde tatsächlich als Rauschmittel, das sein Publikum überwältigen und süchtig machen sollte. Seine Musik, schrieb er 1859, schwemme „alles hinweg, was zum Wahn der Persönlichkeit“ gehöre und lasse „nur den wunderbar erhabenen Seufzer des Ohnmachtsbekenntnisses übrig.“[3]

Müssen sich aber deshalb auch unsere Feuilletonisten und Kulturpolitiker um den Verstand bringen lassen?

Während sie mit „erhabenen Seufzern“ von den Klangorgien seiner Bühnenwerke schwärmen, schauen sie beinahe unisono über die Schriften Richard Wagners hinweg – so als könne man das Theatergenie vom Ideologen trennen. In Wirklichkeit gehört beides zusammen: Während Wagner mit betörenden Noten die Liebe beschwor, entzündete er mit abscheulichen Worten den Hass.

Stolz bekannte er, einer der Geburtshelfer der Antisemitenbewegung von 1879 gewesen zu sein. Und tatsächlich hatte Wagner – auf eine damals ganz unzeitgemäße Art! – die „jüdische Rasse“ zum Feind der gesamten Menschheit, besonders aber der Deutschen erklärt und damit die Worte „deutsch“ und „jüdisch“ als Gegensatz-Worte etabliert.[4] Er erfand die Giftvokabel von der „Verjudung“, die es im deutschen Sprachgebrauch vorher nicht gab.[5] Und er nutzte seine Prominenz und einige der Opern, um seinen ordinären Judenhass bei den gebildeten Schichten salonfähig zu machen.

Zum Beispiel in den „Meistersängern von Nürnberg“, wo Wagner dem „urdeutschen“ Schuhmacher Sachs die Figur des kreischenden und hinkenden Beckmesser gegenüberstellt. Diese war als hetzerische Judenkarikatur derart eindeutig erkennbar, dass es bei einigen zeitgenössischen Aufführungen zu Protesten, ja selbst zu einer Publikumsschlacht zwischen jüdischen und judenfeindlichen Operngängern kam.[6]

Später erklärte Joseph Goebbels: „Was der Jude ist, hat uns Richard Wagner gelehrt …, durch seine Schriften und seine Musik.“[7]

Die Wagner-Dynastie in Bayreuth applaudierte damals stolz – und kommt von dieser Zeit nicht los. Warum sonst hält sie die mehr als zwanzig Jahre währende Korrespondenz zwischen Adolf Hitler und der Wagner-Familie auch jetzt noch versteckt?[8]

Und warum klammern auch die Verantwortlichen des „Richard-Wagner-Jahres 2013“ die Schattenseiten dieses Dichterkomponisten weitgehend aus? Glauben sie tatsächlich, dass man die Bühnenwerke Wagners nur dann goutieren kann, wenn man über die Hintergründe ihrer Entstehung schweigt?

Ich glaube das nicht. Ich halte es sogar für möglich, eine Wagner-Oper zu genießen, ohne den Verstand an der Garderobe abzugeben und ohne sich von Klangteppichen einfach nur überwältigen zu lassen.

Mit Wagner habe – so Joachim Fest – „die Epoche der unlauteren Massenverzauberung in der Kunst“ begonnen.[9] Die Auseinandersetzung mit den Techniken dieser Verzauberung, mit dem Zusammenspiel von Ästhetik und Ideologie, ist hochaktuell. Sie macht uns das „Erlebnis Wagner“ nicht madig, sondern gerade erst interessant.

„Wir, die wir zu ihm standen, hießen Wagnerianer“, hatte Hitler erklärte. Unsere heutigen Wagnerianer sollten sich mehr als bisher einfallen lassen, um sich von der Kunstauffassung dieses Bayreuth-Fans zu distanzieren.

Sie finden diesen Beitrag zum Nachhören und Nachlesen auf der Homepage von Deutschlandradio Kultur hier

[1] Saul Friedländer, Bayreuth und der Erlösungsantisemitismus, in: Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill, Richard Wagner und die Juden, Stuttgart Weimar (Metzler) 2000, S. 15.

[2] „Die Droge Wagner“, lautete die Schlagzeile des Titelblattes der ZEIT vom 3. Januar 2013, „Wer sich auf Richard Wagners Musik einlässt, verfällt ihr. Warum?“

[3] Hartmut Zelinisky, Verfall, Vernichtung, Weltentrückung. Richard Wagners antisemitische Werk-Idee als Kunstreligion und Zivilisationskritik und ihre Verbreitung bis 1933, in: Saul Friedländer und Jörn Rüsen (Hg.), Richard Wagner im Dritten Reich, München (Beck) 2000, S. 310.

[4] 1882 erklärte Wagner in einem Brief an König Ludwig II., „dass ich die jüdische Race für den geborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halt: dass namentlich wir Deutschen an ihnen zu Grunde gehen werden, ist gewiss, und vielleicht bin ich der letzte Deutsche, der sich gegen den bereits alle beherrschenden Judaismus als künstlerischer Mensch aufrecht zu erhalten wusste.“ Siehe Paul Lawrence Rose, Richard Wagner und der Antisemitismus, Zürich/München (Pendo) 1992, S. 188.

[5] Jens Malte Fischer, Richard Wagners ,Das Judentum in der Musik‘, Frankfurt/M. (insel) 2000, S. 81.

[6] „Bereits bei Meistersinger-Aufführungen in Mannheim (April 1869), Wien (März 1870) und Berlin (April 1870) gab es Proteste, worüber Cosima Wagners Tagebücher berichten. Die fünfte Mannheimer Meistersinger-Vorstellung geriet zu einer Publikumsschlacht zwischen jüdischen und judenfeindlichen Operngängern, wobei letztere so weit gingen, mit ,Hep! Hep!‘-Rufen an die judenfeindlichen Ausschreitungen von 1819 zu erinnern“, schreibt Ulrich Drüner, Judenfiguren bei Richard Wagner, in: Hans-Peter Bayerdörfer und Jens Malte Fischer, Hg., Judenrollen. Darstellungsformen im europäischen Theater von der Restauration bis zur Zwischenkriegszeit, Tübingen (Max Niemeyer) 2008, S. 161ff, FN 49.

[7] Reinhold Brinkmann, Wagners Aktualität für den Nationalsozialismus, in: Saul Friedländer und Jörn Rüsen, Richard Wagner im Dritten Reich, München (Beck) 2000, S. 130.

[8] Gottfried Wagner, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner – Ein Minenfeld, Berlin (Propyläen) 2013, S. 242f.

[9] Joachim Fest, Hitler, Dritte Auflage, Frankfurt – Berlin (Ullstein) 1992, S. 76.