Europas Feigheit vor der Hisbollah

Von Matthias Küntzel

Deutschlandradio Kultur, "Politisches Feuilleton", 15. Februar 2013

„Sonnenstrand“ – heißt Bulgariens größter Touristenort am Schwarzen Meer.

„Sonnenstrand“ – war auch der Zielort des Busses, den 40 israelische Touristen am 18. Juli letzten Jahres am Flughafen von Burgas bestiegen. Dann detonierte eine Bombe. Der Bus wurde zum Feuerball. Leichenteile flogen durch die Luft. Sieben Tote, darunter fünf Israelis, blieben zurück. 32 Touristen wurden zum Teil schwer verletzt. Wer hatte die Bombe gezündet? Die bulgarische Regierung schwieg, nahm aber die Ermittlungen auf.

Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Nach den Erkenntnissen der Ermittler reisten Hisbollah-Kader von Beirut nach Burgas, um den Anschlag auszuführen. Einer wurde bei dem Attentat getötet, die beiden anderen flohen in den Libanon zurück.[1]

Die Hisbollah wird von Teheran finanziert. Sie gilt als der am besten ausgerüstete und trainierte Terrorverband der Welt. Ihren Anschlägen sollen mehr als 1.000 Zivilisten oder UN-Friedenssoldaten zum Opfer gefallen sein.[2] Heute ist die Hisbollah besonders in Syrien aktiv, wo sie an der Seite Assads den Aufstand der Bevölkerung unterdrückt.

Das ist bekannt. Und doch hat Bulgarien mit der öffentlichen Nennung der Hisbollah ein Tabu gebrochen. Denn bislang hat Europa die Konfrontation mit ihr stets gescheut. Man verständigte sich stattdessen auf eine Art Stillhalteabkommen: Solange ihr Europa mit eurem Terror verschont, lassen wir euch in Europa in Ruhe.

Das bedeutet: Wir führen die Hisbollah nicht auf der europäischen Liste der Terrororganisationen. Wir gestatten ihr, in Europa Geld einzutreiben, Eigenwerbung zu betreiben und Attentäter zu rekrutieren. In Deutschland ist die Hisbollah mit beinahe 1.000 Mitgliedern besonders stark. Hier konnte man bis vor kurzem die Spenden für einen Hisbollah-Tarnverein sogar von der Steuer absetzen.[3]

Jetzt aber ändert die Bombe von Burgas das Bild. Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sieht „in den Ereignissen in Bulgarien einen Weckruf.“ Jetzt müsse die EU „ihre Instrumente zur Einstufung der Hisbollah als Terrororganisation nutzen“. Deutschland solle die Hisbollah „notfalls im nationalen Alleingang“ verbieten.[4]

Gegen diese Forderung gibt es einen alten Einwand: Zwar gehöre vielleicht der militärische Arm der Hisbollah auf die Terrorliste, aber nicht ihr politischer Flügel. Der sei im Libanon viel zu einflussreich. Beide Flügel sind jedoch untrennbar verbunden: Der Generalsekretär der politischen Partei Hisbollah führt gleichzeitig auch deren Milizen an.

Der eigentliche Beweggrund, warum Europa bislang so wenig gegen die Hisbollah unternimmt, ist Angst. Schließlich prahlt Teheran mit seiner Fähigkeit, Terrorkommandos nach Gusto losschicken zu können. „Es herrscht die allgemeine Furcht“, erklärt Sylke Tempel, eine Berliner Außenpolitik-Expertin, dass, wenn wir über das Attentat von Burgas „zu viel Geschrei machen, Hisbollah erneut zuschlagen könnte, und dass es dann keine israelischen Touristen trifft.“[5]

Sollen wir aber eine Terrorgruppe als solche nicht benennen, weil wir ihren Terror fürchten? Verschließen wir die Augen, solange ihr Terror in Europa „nur“ auf Juden zielt? Dies hieße, ein Krokodil in der Hoffnung zu füttern, dass es uns als letzte frisst.

Bulgarien ist einen anderen Weg gegangen. Gewiss, auch in Sofia wurden Stimmen laut, die vor Racheakten der Hisbollah warnten. Außenminister Nikolay Mladenov erwiderte: „Wenn wir der Versuchung erlegen wären, die Wahrheit zu verschleiern, dann würde die Botschaft an die ganze Welt sein: Hier könnt Ihr alles machen. Das ist nicht die Botschaft, die Bulgarien senden darf.“[6] Und die Europäische Union, so füge ich hinzu, schon gar nicht!

Diesen Beitrag sendete Deutschlandradio Kultur am 15. Februar 2013 in der seiner Reihe „Politisches Feuilleton“. Die Radiofassung kann hier nachgehört und nachgelesen werden.

WIE ÄUSSERT SICH BERLIN “NACH BURGAS” ÜBER DIE HISBOLLAH

Zur Vorbereitung des obenstehenden Beitrags für DRadio Kultur wandte ich mich am 8. Februar 2013 an die außenpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der im Bundestag vertretenen Fraktionen:

„Der Abschlussbericht der bulgarischen Regierung hat die Hisbollah für den Bombenanschlag in Burgas von Juli 2012 verantwortlich gemacht. Seither hat sich der Ruf, die Europäische Union möge die Hisbollah auf ihre Terrorliste setzen, verstärkt. Soll sich die Bundesregierung für diese Listung einsetzen oder nicht?“

Die Fraktionen der Regierungsparteien kamen meiner Bitte um eine Stellungnahme nach: Philipp Mißfelder (CDU/CSU) meldete sich telefonisch und übermittelte die Aussagen, die ich in meinem Beitrag mit seiner Zustimmung zitiere. Der außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundesfraktion, Rainer Stinner, sandte mir eine Stellungnahme, die sich von der Position Philipp Mißfelders deutlich unterscheidet:

„Falls sich herausstellen sollte, dass die Hisbollah insgesamt und insbesondere auch ihre Führung unmittelbar Terrorakte durchführt, muss sie als Terrororganisation gelistet werden. Bis dahin muss mit aller Kraft versucht werden, der Täter von Terroranschlägen habhaft zu werden. Dafür kann eine Teillistung, z.B. des militärischen Arms der Hisbollah, sinnvoll sein. Die Hisbollah ist eine führende Kraft im Libanon. Ob wir es gut finden oder nicht, ohne sie wird eine dauerhafte Lösung des Regionalkonfliktes nicht möglich sein. Das mag nicht der politischen Ästhetik entsprechen, aber der Realpolitik.“

Die Büros der außenpolitischen Sprecher der Oppositionsparteien, Rolf Mützenich (SPD) und Wolfgang Gehrke (Linkspartei) antworteten nicht. Bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen war dies anders. „Vielen Dank für Ihre Anfrage“, schrieb am 8. Februar eine Mitarbeiterin der außenpolitischen Sprecherin Kerstin Müller:

„Leider ist es Frau Müller aufgrund der sitzungsfeien Zeit nicht möglich, Ihnen die Position der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Abschlussbericht über den Bombenanschlag in Burgas bis zum 11.02.2013 mitzuteilen.“

Ich bedankte mich für diese Antwort und schrieb:

„Es handelt sich bei der sitzungsfreien Zeit nicht um Parlamentsferien, sondern um die Woche, in der in der Regel weniger Alltagsstress herrscht als in Sitzungswochen. Ich möchte Sie also erneut um eine Stellungnahme bitte – bis heute um 15.00 Uhr. Falls Ihre Fraktion noch keine einheitliche Haltung zur Frage der Hisbollah-Listung ,nach Burgas‘ entwickelt haben sollte, wäre auch dies eine Aussage, mit dem ich etwas anfangen kann.“

Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

[1]Matthew Brunwasser and Nicholas Kulish, Multinational Search in Bulgaria Blast, in: New York Times, February 6, 2013.

[2] Alexander Ritzmann, Die Hisbollah wird in Deutschland unterschätzt, in: Die Welt, 13. August 2008 sowie CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mißfelder: Hisbollah auf die Terrorliste der Europäischen Union setzen, Berlin, 6. Februar 2013.

[3]Der neueste vorliegende Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 spricht von 950 Mitgliedern. (2010: 900) und erwähnt den in Göttingen ansässigen und bundesweit tätigen Spendensammel-Verein „Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“ (WPK). „Die in Deutschland vom WKP gesammelten Gelder werden an die „al-Shahid Association“ („Märtyrer-Stiftung“) mit Sitz im Libanon transferiert, die Teil des Sozialnetzwerkes der „Hizb Allah“ ist. Die von Deutschland aus feststellbaren finanziellen sowie logistischen Hilfen für die „Hibz Allah“ im Libanon fördern den bewaffneten Kampf gegen Israel. Dessen Akteure erfahren aus dem Bewusstsein, dass die Hinterbliebenen der „Märtyrer“ eine gesicherte finanzielle und soziale Versorgung erhalten, eine unterstützende Motivation, ihr Leben im Kampf gegen Israel zu opfern.“ (Verfassungsschutzbericht 2011, S. 275.) Bis 2010 waren Spenden für den WPK steuerlich absetzbar. „Dem WKP wurde vor kurzem die Gemeinnützigkeit entzogen“, erklärte die niedersächsische Landesregierung am 20. April 2010 in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU und der FDP zum Thema „Extremismus in Niedersachsen“.

[4] Telefonische Mitteilung des MdB Philipp Mißfelder gegenüber dem Verfasser, 11. Februar 2013.

[5] Nicholas Kulish and Matthew Brunwasser, Europeans Await Report on Bus Blast in Bulgaria, in: New York Times, February 4, 2013.

[6] Karla Engelhard, Gefährlicher Verdacht mit unabsehbaren Folgen, Deutschlandfunk, 8. Februar 2013.