Anmerkungen zum Fall Holz

Von Matthias Küntzel

April 2006

Ich musste wirklich schallend lachen, als ich dieser Tage Klaus Holz’ Polemik gegen Lars Rensmanns Studie „Demokratie und Judenbild“ (Wiesbaden 2004) las. Da sind zum einen die zahlreichen Stilblüten entblößter Eitelkeit. Ein Beispiel: Lars Rensmann, so beschwert sich Klaus Holz,

„geht in keiner vertretbaren Weise auf meine Ergebnisse ein. Das muss er auch nicht, auch wenn es nahe liegend wäre, da meinem Buch von ausgewiesenen Kollegen wie Peter Pulzer, Reinhard Rürup, Christhard Hoffman oder Stefan Breuer – bei aller Kritik – bescheinigt wurde, eben diesen Zusammenhang [von Nationalismus und Antisemitismus] innovativ zu untersuchen.“[1]

Hui!! Bei aller Kritik, gleich vier (!) Bescheinigungen! Sie müssen natürlich nicht, Herr Rensmann, aber wäre es angesichts dessen nicht nahe liegend….? Dass der Leiter eines evangelischen Studienwerks es für notwendig erachtet, derart larmoyant um die Anerkennung seiner Reputation zu buhlen, ist bemerkenswert.

Nicht minder amüsant sind die Belehrungen über „Wissenschaftskultur“, die sich Klaus Holz – auf vermeintlich hohem Rosse sitzend! – vorzutragen erlaubt. Demnach müsse Rensmanns Buch in Teilen „abgesprochen werden, ... wissenschaftlicher Text zu sein“, „eine Berufung auf … Rensmanns Dissertation“ sei „nicht akzeptabel“, „er zitiert völlig unkritisch“, „derlei ist infam“, um nur einige Kostproben aus seiner Philippika zu zitieren.

Dabei legte Klaus Holz, etwa im Umgang mit Küntzel-Texten, ein derart originelles Verständnis von „Wissenschaftlichkeit“ an den Tag, dass ich mich am 21. September 2005 genötigt fühlte, per Postweg zu protestieren. Hier ein Auszug meines Briefs:

Sehr geehrter Herr Holz,

erst in diesen Tagen kam ich dazu, Ihren Beitrag „Neuer Antisemitismus? Wandel und Kontinuität der Judenfeindschaft“ in der Zeitschrift „Mittelweg 36“ (April/Mai 2005) zu lesen.

Ich habe mich gefreut, dass Sie Ihre Betrachtungen über den „Islamisierten Antisemitismus“ am Beispiel zweier Texte entwickeln, die ich in Deutschland bekannt gemacht und erstmals auf deutsch präsentiert habe: Textauszüge aus der Hamas-Charta sowie aus Sayyid Qutbs Pamphlet „Unser Kampf mit den Juden“.

(...)

Auf den folgenden Seiten Ihres Aufsatzes musste ich – teils befremdet, teils amüsiert – zur Kenntnis nehmen, dass Sie in insgesamt zehn Fußnoten auf meine Übersetzungen verweisen und daraus zitieren, ohne mich auch nur ein einziges Mal namentlich zu nennen.

Sie schreiben in Ihren Fußnoten 11 und 12: „Ich zitiere die Charta der Hamas nach … den Auszügen in deutscher Übersetzung in der jungle world, 27. November 2002“ und „In der jungle world vom 27. November 2002 sind einige Absätze [des Qutb-Aufsatzes] in deutscher Übersetzung dokumentiert.“

Sie wissen aber genau, dass ich die von Ihnen zitierten Passagen in einem Dossier der o.g. genannten Zeitung unter dem Titel „Jihad und Judenhass“ veröffentlicht und mit einer Einleitung („Einige notwendige Erläuterungen zu den Dokumenten“) versehen habe. Des weiteren wissen Sie, dass die von Ihnen zitierten Dokumente den Nachsatz tragen: „Übersetzung: Matthias Küntzel“.

Ich glaube nicht, dass ich Sie als Leiter des „Evangelischen Studienwerkes e.V. Villigst“ über die Usancen einer korrekten Zitation hinweisen muss. Sie wissen selbst, dass die Quellenangabe „in der jungle world“ wissenschaftlichen Ansprüchen kaum genügt (zumal die von Ihnen genannten Zitate auch in meinem Buch [Djihad und Judenhass] aufgeführt sind).

Um meinen Vorwurf an Sie zusammenzufassen: Sie stützen sich in Ihrem Aufsatz zu einem erheblichen Teil (mit zehn von vierzig Fußnoten) auf die Vorarbeiten eines Kollegen, weigern sich jedoch mit auffälliger Penetranz, den Namen dieses Kollegen auch nur ein einziges Mal zu erwähnen.

Lieber Herr Holz, ich kann mich nicht erinnern, Ihnen ein einziges Mal in meinem Leben begegnet zu sein; persönliche Ranküne scheiden als Motiv für Ihr Vorgehen also aus. Warum haben Sie dennoch mir gegenüber die Gepflogenheiten des akademischen Umgangs ignoriert? Ich erbitte und erwarte für Ihre Vorgehensweise eine Erklärung.

Mit freundlichen Grüßen, MK

14 Tage später, am 6.10.2005, erhielt ich Holzens Antwort. Natürlich hätte der Leiter des Evangelischen Studienwerks seinen Fehler mit ein paar Worten des Bedauerns einräumen können und die Sache wäre erledigt gewesen. Er entschied sich jedoch für einen anderen Weg.

Seine Antwort beginnt mit einer Überraschung: Er habe mich im „Mittelweg“ „genau so“ zitiert, „wie es üblich ist“.

Dann bekennt er, weitaus weniger überraschend, dass ihm mein 2002 erschienenes Buch „Djihad und Judenhass“ zwar „seit längerem“ als Titel bekannt gewesen sei. Er habe es jedoch vor Abschluss seines Artikels im „Mittelweg“ und auch vor Abschluss seines Buches “Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft” (Hamburg 2005) NICHT gelesen. Tja.

Und schließlich eine kleine Sensation. Holz schreibt: „Sie legen nahe, dass ich erst durch Ihre Vorarbeiten von den zitierten Quellen Kenntnis erhalten hätte und mich, ohne Sie zu nennen, auf Ihre Arbeiten stütze. Das ist nicht der Fall. Selbstverständlich sind mir die Charta der Hamas … und der Text von Said Qutb schon seit langem bekannt.“ (Hervorhebung M.K.)

Tatsächlich?

Am 13. November 2002, genau zwei Wochen, bevor ich am 27. November 2002 die antisemitischen Passagen aus der Charta der Hamas sowie die Textauszüge von Qutb in der „Jungle World“ präsentierte, hatte Klaus Holz (gemeinsam mit Elfriede Müller und Enzo Traverso) an gleicher Stelle das Dossier „Schuld und Erinnerung. Die Shoah, der Nahostkonflikt und die Linke“ publiziert.[2]

Holz behauptet, dass ihm der Antisemitismus in der Charta der Hamas lange vor dem 27. November 2002 bekannt gewesen sei. Dies bedeutet, dass er diese antisemitischen Passagen bei Abfassung seines im selben Monat veröffentlichten Textes „Schuld und Erinnerung“ bereits kannte.

Allerdings verlieren Holz und Co. am 13. November 2002 in „Schuld und Erinnerung“ über die Charta der Hamas kein Wort. Stattdessen heißt es hier:

„Linke Solidarität sollte sich vor allem an die in der Gegenwart Unterdrückten richten, also an PalästinenserInnen. Die israelische Besatzung ist der Ausdruck eines Staatsterrorismus, die palästinensische Gewalt ist eine Reaktion darauf.“

Von einer antisemitischen Einflussnahme auf „den palästinensischen Widerstand“ findet sich in dem langen Text nicht nur kein Wort. Stattdessen heißt es:

„Das Bild, das man in Gaza von Juden hat, ist dem in Deutschland genau entgegengesetzt. Es gründet …. auf der Realität der Besatzungsarmee.“

Folgerichtig bewertet Holz in diesem Text, den er und seine Mitstreiter während des Höhepunkts der Intifada 2002 verfassten, die palästinensischen Selbstmordattentate als „Akte der Verzweiflung“. Sie prangern in ihrem dezidiert linken Positionspapier den Terrorismus und das vom Terror verursachte Leid im Nahen Osten zwar an. Diese Terminologie wird jedoch ausschließlich als Kritik des „israelische(n) Staatsterrorismus“ und des „von Juden zu verantwortende Leid(s)“ eingesetzt.

So vehement sie hier einen Antisemitismus unter Palästinensern bestreiten, so vehement werden diejenigen, die auf eben diesen Antisemitismus hinweisen, als Holocaust-Relativierer attackiert:

„Der Antizionismus in der arabischen Welt und der vieler PalästinenserInnen wird [von ihnen] mit dem traditionellen Antisemitismus der westlichen Welt, der die Shoah hervorbrachte, in eins gesetzt. Damit wird der eliminatorische Antisemitismus verharmlost und in seiner historischen Einmaligkeit relativiert. Wenn die PalästinenserInnen als die Antisemiten von heute verurteilt werden, liegt darin ebenfalls eine Schuldabwehr und eine Relativierung der Shoah.“

Inzwischen hat Holz diesen Standpunkt stillschweigend korrigiert. In seinem Buch „Die Gegenwart des Antisemitismus“ versucht er gerade zu belegen, dass der Antizionismus in der arabischen Welt mit dem traditionellen Antisemitismus der westlichen Welt mehr oder weniger in Eins zu setzen sei.[3] Heute schlägt er eben das, was ihm in 2002 noch als eine Form der „Schuldabwehr“ erschien, als überfällige Orientierung vor.

Natürlich ist jeder Erkenntniszuwachs zu begrüßen. Davon aber scheint Klaus Holz nichts wissen zu wollen. Er rückt – dies belegt seine Auseinandersetzung mit Lars Rensmann in 2006 – keinen Jota von seiner 2002 veröffentlichen Stellungnahme ab, obwohl diese mit seinen jüngeren Aussagen zum Antisemitismus in der muslimischen Welt schlichtweg unvereinbar ist.

Wer aber hat diesen Widerspruch ans Tageslicht gezerrt? Die Komik nimmt kein Ende: Es war Klaus Holz selbst sowie der in dieser Debatte mit ihm Verbündete Matthias Lorenz, die aus eigenem Antrieb zwischen dem Buch „Die Gegenwart des Antisemitimus“ und dem Essay „Schuld und Erinnerung“ eine Verbindung hergestellt und die Diskussion damit auf beide Texte ausgeweitet haben.

Im Vergleich damals-heute sind nicht nur klare Widersprüche, sondern durchaus auch Kontinuitäten evident. Auch deshalb ist eine Ausweitung der laufenden Diskussion auf das Papier „Schuld und Erinnerung“ unbedingt geboten. So scheint sich Holzens Herangehensweise an die Holocaust-Leugnung bzw. Holocaust-Relativierung zwischen 2002 und 2006 kaum verändert zu haben.

In 2002 hatte der portugiesische Schriftsteller José Saramago die israelische Besatzung im Westjordanland mit Auschwitz verglichen. Holz und Co. sprechen in „Schuld und Erinnerung“ zwar davon, dass dies ein „absurder Vergleich“ gewesen sei. Verdächtiger aber war ihnen die Empörung, die diesem Vergleich folgte:

„Auch wenn der Vergleich Saramagos falsch war, wirkt die Aufregung, die er erzeugte, suspekt. Man wird den Eindruck nicht los, dass Saramagos Artikel …. als Vorwand willkommen ist, um nicht mehr über die israelische Politik gegenüber den Palästinensern sprechen zu müssen. Die Erinnerung an Auschwitz wird somit zu einer Sichtblende, hinter der sich eine oft mit blutiger Gewalt ausgeübte Unterdrückungspolitik verbirgt. .... Wenn Saramagos Worte Kritik verdienen, so verdient die Banalisierung der Geschehnisse in den besetzten Gebieten im Namen der Erinnerung an Auschwitz unsere Entrüstung.“

Dieses Muster – wonach nicht so sehr die Holocaust-Leugnung als vielmehr die Empörung darüber misstrauisch machen müsse – wiederholte Klaus Holz am 2. Februar 2006 in einem Artikel über Ahmadinejads Holocaust-Leugnung. Dort heißt es:

„Die große mediale Aufmerksamkeit, die die [in Teheran] geplante Konferenz der Holocaust-Leugner erfährt, verdankt sich leider nicht nur der Kritik des Antisemitismus. Dann müssten jeden Tag die Zeitungen voll davon sein. Sie droht einen Krieg gegen den Iran zu legitimieren, der seit Jahren und aus ganz anderen Gründen in Betracht gezogen wird.“[4]

Wenn Ahmadinejads Worte Kritik verdienen, so verdient die heimliche Legitimierung US-amerikanischer Kriegspläne im Namen der Erinnerung an Auschwitz unserer Entrüstung….?

Doch zurück zu Holzens Wissenschaftsverständnis und seinen Brief an den Autor dieser Zeilen. Die Fragen, die dieser Brief aufwirfst, haben mit den postmodernen Spielereien um irgendwelche „Narrative“ nichts zu tun. Es geht um Wahrheit und Verantwortung.

Denn offenkundig kann nur eine der beiden folgenden Alternativen zutreffend sein:

Entweder hat Holz bei der Abfassung der Erklärung „Schuld und Erinnerung“ vom ungeschminkten Antisemitismus in der Charta der Hamas nichts gewusst. Dann hat er in seinem Brief an mich gelogen.

Oder Holz sagte mir gegenüber die Wahrheit. Dann aber hätte er in seiner Erklärung „Schuld und Erinnerung“ hinsichtlich des Antisemitismus unter Palästinensern wider besseren Wissens die Unwahrheit gesagt.

Wie immer man es auslegen will: Als Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst hat er sich disqualifiziert.

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[1] Klaus Holz, Eine kritische Theorie des Antisemitismus? Über: Rensmann,Lars, Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004, 541 Seiten, 44,90 €, in: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau Nr. 52. Erscheint dort im Juni 2006. .

[2] Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso, Schuld und Erinnerung. Die Shoah, der Nahostkonflikt und die Linke, in: Jungle World, 13. November 2002.

[3] Klaus Holz, Die Gegenwart des Antisemitimus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft, Hamburg 2005. Hier heißt es z.B. auf Seite 13 und 15: „Der islamistische Antisemitismus erweist sich als strukturell identisch mit dem europäischen…. Der Antisemitismus, der in der arabischen bzw. muslimischen Welt vertreten wird, ist in allen wesentlichen Aspekten ein Import aus Europa.“

[4] Klaus Holz, Aus trüber Quelle, in: DIE ZEIT, 2. Februar 2006.