9/11 und die Globalisierung des Antisemitismus

Rede anlässlich der Eröffnungskonferenz des LONDON CENTRE FOR THE STUDY OF CONTEMPORARY ANTISEMITISM (LCSCA) am 13. September 2022 in London

Von Matthias Küntzel

London, 13. September 2022

Guten Morgen, liebe Freundinnen und Freunde,

mein Name ist Matthias Küntzel, ich bin ein nicht-jüdischer Politikwissenschaftler und Historiker aus Hamburg, Deutschland. Vor 30 Jahren habe ich begonnen, die Nazi-Ideologie zu studieren, insbesondere die antisemitische Ideologie, um zu verstehen, wie es zu Auschwitz kommen konnte und um zu verstehen, wie meine Eltern Hitler lieben konnten, als sie jung waren.

Dann kam 9/11. Dieser Anschlag fand vor fast genau 21 Jahren statt. Jeder, der alt genug ist, wird sich an die schrecklichen Bilder erinnern: die verzweifelten Gesichter hinter den Fenstern des World Trade Centers; die einfachen Angestellten, die sich in den Tod stürzten.

Hunderte in den eigenen Selbstmord hineinzureißen, damit Tausende an ihren Arbeitsplätzen verbrennen – das war in der Tat ein ungeheuerliches, ein abscheuliches Verbrechen. Norman Geras, der britische Philosoph, nannte es ein “Verbrechen gegen die Menschheit”.

Ebenso, wie ich zuvor versucht hatte, die Nazi-Ideologie zu verstehen, wollte ich nun die Ideologie der Islamisten verstehen. Ich wollte wissen: Welche Ideen trieben die Gruppe um Mohamed Atta zu ihrem Verbrechen?

Eine Antwort bekam ich, als 2002 in Hamburg der erste Prozess gegen ein Mitglied von Attas Gruppe stattfand. Ich hatte das Glück, den Reuters-Journalisten zu kennen, der bei diesem Gerichtsverfahren anwesend war und sich Notizen gemacht hatte. Lassen Sie mich zitieren, was Zeugen aus der Gruppe dem Gericht über Atta sagten:

“Attas Weltanschauung basierte auf einer nationalsozialistischen Denkweise. [...] Er betrachtete New York als das Zentrum des Weltjudentums, das seiner Meinung nach der Feind Nummer eins war.”

Die Mitglieder seiner Gruppe seien davon überzeugt, dass die Juden den Zweiten Weltkrieg angezettelt hätten. Sie “glaubten an eine jüdische Weltverschwörung”. Osama bin Laden, der Anführer von Al-Qaida, teilte diese Ansicht. Ich möchte aus seinem “Brief an das amerikanische Volk” vom November 2002 zitieren:

“Die Juden haben die Kontrolle über eure Wirtschaft übernommen, wodurch sie die Kontrolle über eure Medien übernommen haben und nun alle Aspekte eures Lebens kontrollieren. Sie machten euch zu ihren Dienern, um ihre Ziele auf eure Kosten erreichen.”

Hier konstruierte Bin Laden einen Gegensatz zwischen den “bösen Juden” und dem “guten amerikanischen Volk”. Sein Hass auf die USA beruht auf der Überzeugung, dass “die Juden” das Land kontrollieren und es für jüdische und israelische Interessen missbrauchen. Wir sehen also: Obwohl sich 9/11 gegen die USA richtete, war die Motivation für diese Untat antisemitischer Hass.

Doch die meisten Regierungen, Massenmedien und Aktivisten wollten über die antisemitische Dimension von 9/11 nicht sprechen. Sie interessierten sich nicht für die Fantasiewelt der Täter. Sie wollten die immanente Logik ihres Handelns nicht erkennen. Nicht einmal in den USA!
Der offizielle amerikanische 9/11 Commission Report von 2004 ist ein Beispiel. Das Wort Antisemitismus kommt in dem Abschnitt über “Bin Ladens Weltanschauung” nicht vor. Im Rahmen des “Kriegs gegen Terror” war ein spezifischer Kampf gegen die Ideologie, die den Terrorismus motiviert hatte, nicht vorgesehen.

Neuer Auftrieb für Antisemitismus

Die Wochen und Monate nach dem 11. September zeigten, welch großer Fehler dies war. Nur zehn Tage nach 9/11 riefen Jeremy Corbyn und andere Veteranen der radikalen britischen Linken die Stop the War Coalition ins Leben, die sich zu einem Bündnis zwischen britischen Islamisten und Linken entwickelte.

Palästinensische Selbstmordattentäter wurden als heldenhafte Freiheitskämpfer gepriesen. Extremistische muslimische Prediger ermutigten junge britische Muslime in feurigen Predigten, Dschihad zu praktizieren – nicht ohne Erfolg, wie sich bei Ereignissen wie dem Anschlag vom 7. Juli 2005 in London, dem Bombenanschlag in der Manchester Arena 2017 oder der Ermordung von Lee Rigby zeigte.

Die Weigerung, die wahren Motive von Al-Qaida zu erkennen, führte zu einer Umkehrung der Verantwortung: Je tödlicher der Terrorismus, so glaubten viele, desto größer die amerikanische oder israelische oder britische Schuld. Die Täter wurden zu Opfern erklärt und die Opfer zu Tätern.

Antisemitische Verschwörungsmythen schossen wie Pilze aus dem Boden. An vielen Orten in Großbritannien tauchten Graffiti auf, die den Davidstern mit der Zahl 9/11 in Verbindung brachten. Die Botschaft lautete, dass der Mossad an der Planung des Anschlags beteiligt gewesen sei.

Der Slogan Hey USA!!! Why Did 4,000 Jews Escape from Boom? machte die Runde. Er unterstellt, dass 4.000 Juden, die angeblich im World Trade Center arbeiteten, am 11. September nicht zur Arbeit erschienen, weil sie vor dem Anschlag gewarnt worden seien. Diese Legende, die vom Hisbollah-Fernsehsender Al-Manar erfunden und verbreitet wurde, erreichte in Windeseile Millionen in aller Welt.

Welches Bild von “Juden” zeichnete dieses Gerücht? Erstens akzeptiert es den Mythos, dass der Mossad vor nichts zurückschreckt, um den Arabern zu schaden. Es suggeriert zweitens, dass 4.000 Juden in New York City den Befehlen des Mossad mit militärischer Disziplin gehorchen. Drittens wird ein Wille zur Vernichtung der nichtjüdischen Bevölkerung vorausgesetzt, da diesem Gerücht zufolge die New Yorker Juden ihre nichtjüdischen Kollegen kaltblütig dem Tod preisgaben.

Die weltweite Verbreitung dieses Hassvirus markierte eine Zäsur. Über Nacht fand die Legende von der jüdischen Weltverschwörung als Interpretationsrahmen für ein Ereignis von globaler Bedeutung weite Verbreitung.

Der 11. September gab dem Antisemitismus neuen Auftrieb, was besonders Israel zu spüren bekam. In den folgenden Monaten und Jahren sah sich der jüdische Staat nicht nur mit einer Eskalation palästinensischer Selbstmordattentate, sondern auch mit antisemitischen Mobilisierungen in Europa und der arabischen Welt konfrontiert.

So mündete der Versuch, den Judenhass der 9/11-Terroristen zu ignorieren, in eine Katastrophe: Der antisemitische Anschlag wurde zum Ausgangspunkt für die Globalisierung des Antisemitismus.

Die Frage lautet: Warum wurde die antisemitische Dimension von 9/11 ignoriert? Wie war dies möglich? Was hält Menschen davon ab, den Antisemitismus in seiner ganzen Tragweite zu erkennen? Warum weichen so viele diesem Thema aus? Ich möchte Ihnen drei Gedanken hierzu präsentieren.

Erstens: Das Problem der Rationalisierung

Ich habe bereits den offiziellen amerikanischen Bericht der 9/11-Kommission erwähnt, der Osama Bin Ladens Antisemitismus ignoriert. Stattdessen vermittelt dieses Dokument den falschen Eindruck, dass der Islamismus ursprünglich als Reaktion auf die jüngste amerikanische und westliche Politik entstanden sei.

Hier haben wir es mit einem typischen Beispiel für Rationalisierung zu tun. Da sie nicht in der Lage waren, die wahren Beweggründe für den 11. September zu erkennen, suchten die verwirrten Autoren des 9/11-Berichts Zuflucht zu einer Idee, die ihnen besser vertraut war: Die Politik des Westen sei schuld. Hätte sich der Westen anders verhalten, so das Argument, wäre der Anschlag nicht geschehen.

Doch eben diese Logik tritt beim Antisemitismus außer Kraft. Das ist nicht leicht zu begreifen, leben wir doch in einer Welt, in der wir automatisch glauben, dass es für jedes Problem eine plausible Ursache geben muss. Doch so funktioniert Antisemitismus nicht. Der Antisemitismus missachtet die Logik von Ursache und Wirkung, die der „gesunde Menschenverstand“ als unumstößlich betrachtet.

Denken Sie an die Shoah! Wir müssen uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass es für die Ermordung von 6 Millionen Juden nicht den geringsten sozialen oder sonst wie plausiblen Grund gab. Die Nazis glaubten ihrem eigenen Wahn, dass die Juden für all das Leid und Elend in der Welt verantwortlich seien. Sie waren überzeugt, dass nur die totale Vernichtung der Juden die Welt von diesem Leid und Elend erlösen könne.

Ihr Handeln war psychopathologisch, es war völlig realitätsfremd. Die Shoah liefert uns bis heute den überzeugendsten Beweis für diese Besonderheit des Antisemitismus: Es gab und gibt keinen rationalen Grund für ihn.

Deshalb ist es auch so verkehrt, den Holocaust vom Antisemitismus trennen und ihn als sogenanntes “innereuropäisches Kolonialverbrechen” in die Zwangsjacke einer postkolonialen Ideologie zwängen zu wollen. Dies bringt mich zum ersten meiner drei Vorschläge für das neue Londoner Centre:

Die Befassung mit dem Holocaust ist von zentraler Bedeutung für den Kampf gegen Antisemitismus. Es geht um das Gedenken an die Ermordeten. Es geht aber auch und vor allem um unseren Blick auf die Gesellschaft und die Welt; um einen Blick, der die Augen nicht vor dem Bösen verschließt, sondern es als Tatsache anerkennt und bekämpft.

Wer das spezifische Grauen des Holocaust nicht erkennt, wird auch nicht erkennen können, was den Antisemitismus vom Rassismus unterscheidet. Und wer dieses Spezifikum des Antisemitismus nicht erkennt, wird kaum eine Sensibilität für die Notwendigkeit der Existenz Israels als Instrument jüdischer Selbstverteidigung entwickeln.

Doch zurück zu unserer Frage: Was hindert Menschen daran, Antisemitismus anzuerkennen, wenn er auftritt?

Zweitens: Schonung für muslimischen Antisemitismus

Was wäre, wenn amerikanische Nazis einen ähnlichen Anschlag auf das World Trade Center verübt hätten? Hätten Regierungen und Medien den Antisemitismus der Angreifer auch dann ignoriert? Ich denke, Sie werden mir zustimmen, dass dies kaum vorstellbar ist. Warum also wird antisemitisches Verhalten, wenn es von Muslimen ausgeht, anders beurteilt als das von Nazis?

Viele behaupten, dass der gegenwärtige Judenhass im Nahen Osten mit dem historischen Judenhass in Europa nichts zu tun habe. Einige betrachten den muslimischen Antisemitismus als eine leicht verzerrte Form des Befreiungskampfes der Araber, andere entschuldigen ihn als Reaktion auf die Aktivitäten des jüdischen Staates.

Alle sind sich einig, dass israelische Juden für das Verhalten der Antisemiten verantwortlich seien. Israel ist die Ursache, so lautet ihr Mantra, und Judenhass die Wirkung.

Tatbestände, die diesem rationalisierenden Ansatz widersprechen, werden ignoriert. Die angebliche Verantwortung Israels für den nahöstlichen Antisemitismus darf nicht in Frage gestellt werden.

So wollen z.B. viele im akademischen Milieu vom Einfluss Nazideutschlands auf die arabische Welt und dessen Nachwirkungen nichts wissen. In diesem Bereich sind jedoch seit dem 11. September 2001 zahlreiche neue Studien erschienen, die zeigen, dass der zeitgenössische Judenhass im Nahen Osten eng mit dem historischen Judenhass in Europa verbunden ist; dass die antisemitische Propaganda Nazideutschlands in arabischer Sprache im Nahen Osten bleibende Spuren hinterlassen hat; dass die auffällige Ähnlichkeit zwischen zeitgenössischen antijüdischen Slogans und Grafiken und denen der Nazis kein Zufall ist.

Zu viele weigern sich jedoch, den Judenhass der Islamisten ernst zu nehmen und sich mit der Bedeutung dessen, was sie sagen und schreiben, auseinanderzusetzen.

Dies führt zu einer weiteren Besonderheit: Viele derjenigen, die den Antisemitismus herunterspielen, finden im Nahen Osten Entschuldigungen für das, was sie in Europa verurteilen.

“Sind alle Formen der Holocaust-Leugnung gleich zu bewerten?”, fragt zum Beispiel der antizionistische Professor Gilbert Achcar. “Sollte nicht unterschieden werden, ob eine solche Leugnung von Unterdrückern ausgesprochen wird oder von Unterdrückten?”

Hier gibt Achcar den Holocaust-Leugnern, solange sie einer angeblich “unterdrückten Gruppe” angehören, einen moralischen Freibrief: Was sonst empörend wäre, wird akzeptabel.

Nach meiner Auffassung grenzt es an Rassismus, eine Art homo islamicus zu konstruieren, indem an Muslime andere Maßstäbe angelegt werden, als an Nicht-Muslime. Muslime werden auf diese Weise infantilisiert: Als Mitglieder einer schutzbedürftigen Gruppe wird ihnen der Wille und die Kritikfähigkeit abgesprochen, die wir als Europäer für uns beanspruchen.

“Es sind meine muslimischen Mitbürger”, schreibt Maajid Nawaz, “die am meisten unter dieser herablassenden, zum Selbstmitleid anregenden Verhätschelung leiden.”

Es versteht sich doch von selbst, dass diejenigen, die Antisemitismus bekämpfen, auch jede Form von Rassismus bekämpfen müssen, auch wenn er von Juden in Israel oder anderswo ausgehen sollte. Gleichzeitig müssen wir aber auch darauf bestehen, dass diejenigen, die behaupten, den Rassismus zu bekämpfen, auch alle Formen des Antisemitismus bekämpfen, auch wenn er von Muslimen ausgeht.

Ein großes und akutes Problem

Hier stoßen wir jedoch auf ein großes und akutes Problem, auf das ich in einem Exkurs eingehen möchte.

Alle einschlägigen Umfragen – weltweit und in Westeuropa – zeigen, dass antisemitische Einstellungen unter Muslimen verbreiteter sind als unter Nicht-Muslimen. In Deutschland beispielsweise ergab eine repräsentative Umfrage im Mai 2022, dass Antisemitismus unter Muslimen weitaus stärker verbreitet ist als in der Gesamtbevölkerung und besonders stark unter jenen Muslimen ausgeprägt ist, die häufig Moscheen besuchen. Während in der deutschen Allgemeinbevölkerung beschämende 23 Prozent der Aussage zustimmten, dass Juden zu mächtig seien, stieg dieser Wert bei den Muslimen auf 49 Prozent und bei den streng religiösen Muslimen auf 68 Prozent.

Darüber hinaus ist der Antisemitismus der Islamisten durch eine außergewöhnliche Radikalität gekennzeichnet. Nehmen wir das Beispiel des Holocausts.
Neonazi-Gruppen alten Stils in Europa neigen dazu, den Holocaust zu leugnen oder zu verharmlosen; selten rechtfertigen sie ihn offen. Sayyid Qutb jedoch, das berühmteste Mitglied der Muslimbruderschaft im 20. Jahrhundert, rechtfertigte die Shoah und bezeichnete sie als göttliche und gerechte Strafe:

“Dann hat Allah Hitler über sie herrschen lassen.”

Dies mag ein extremes Beispiel sein, doch das Problem besteht darin, dass solche Aussagen in der arabischen Öffentlichkeit auf keine nennenswerte Kritik stoßen und sich auch nicht auf Randgruppen beschränken.

So wiederholte in 2009 Scheich Yousuf Al-Qaradawi, ein führender Ideologe der Muslimbruderschaft, den Ansatz von Qutb. Seine Rechtfertigung des Holocausts strahlte der Fernsehsender Al-Jazeera aus:

“Im Laufe der Geschichte hat Allah den [Juden] Menschen auferlegt, die sie für ihre Verderbtheit bestrafen sollten. Die letzte Strafe wurde von Hitler vollzogen. [...] Er hat es geschafft, sie in ihre Schranken zu weisen. Das war eine göttliche Strafe für sie. So Allah will, wird es das nächste Mal durch die Hände der Gläubigen geschehen.“

Worauf Qaradawi hier hofft, war ist klar: Die nächste “göttliche Strafe”, die dem Holocaust ähneln soll, soll von Muslimen verübt werden. Damit sind wir bei einem aktuellen Szenario angelangt: Stichwort Teheran.

Eine erneute, angeblich religiös begründete Bestrafung der israelischen Juden ist das, was die Islamisten in Teheran vorbereiten und propagieren. Der Oberste Führer des Iran, Ali Khamenei, hat “den Krieg gegen Palästina [als] einen Krieg gegen die Existenz des Islam” bezeichnet. Er erklärte: “Das Schicksal der islamischen Welt und das Schicksal aller islamischen Länder … hängen vom Schicksal Palästinas ab.” Seine Schlussfolgerung ist klar: “Wir glauben, dass die Vernichtung des israelischen Regimes die Lösung der Palästina-Frage ist.”

Natürlich gibt es keine rationale Grundlage für den Hass Teherans auf Israel. Zwischen Israel und dem Iran gibt es keine Grenzprobleme. Auch gibt es zwischen ihnen kein Flüchtlingsproblem. Dennoch behauptet das iranische Regime, dass Israel und der Zionismus ein Übel darstellen, das ausgerottet werden müsse, um die Menschheit zu befreien.

In mehrfacher Hinsicht geht das, was das Teheraner Regime in aller Öffentlichkeit vorbereitet, über 9/11 hinaus:

Die Revolutionsgarden rühmen sich, dass sie “das zionistische Regime in weniger als acht Minuten vernichten werden”. Eine iranische TV-Dokumentation “7 Minutes to Tel Aviv” zeigt Aufnahmen von simulierten Angriffen auf wichtige Ziele in Israel, darunter der Atomreaktor Dimona, die Knesset und Wirtschaftszentren. Der Oberste Führer des Iran, Ali Khamenei, hat erklärt, dass Israel spätestens 2040 nicht mehr existieren werde. Eine Countdown-Uhr in Teheran zeigt die Anzahl der Tage, die bis zum angekündigten Ende Israels verbleiben.

Die westlichen Regierungen nehmen diesen völkermörderischen Antisemitismus jedoch nicht ernst. Warum eigentlich? Vermutlich, weil sie erneut der Ursache-Wirkungs-Logik verfallen sind und den Judenhass Teherans rationalisieren, indem sie glauben, dass Israel in irgendeiner Weise dafür verantwortlich sein müsse.

Die Analyse und Bekämpfung dieser iranischen Pläne hat nichts mit “Islamophobie” zu tun, sondern mehr mit Theodor Adornos kategorischem Imperativ, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun müssen, “damit sich Auschwitz nie wiederholt, damit so etwas nie wieder geschieht”.

Viele Akademiker meiden jedoch dieses Thema aus Angst, als “anti-arabisch” oder “islamophob” abgestempelt zu werden. Dies ist ein ernstes Problem; viele an westlichen Universitäten sagen aus Angst vor Ausgrenzung nicht, was sie denken, und schränken den Umfang ihrer Forschung ein. Hoffentlich kann die Arbeit des Londoner Centre hier etwas bewirken.

In Großbritannien gibt es prominente Muslime, die aktiv gegen den Antisemitismus unter Muslimen kämpfen. Ich hoffe – und das ist mein zweiter Vorschlag -, dass das London Centre for the Study of Contemporary Antisemitism sie unterstützt und auch nicht-muslimische Forscher dazu ermutigt, das Thema Antisemitismus unter Muslimen mit unvoreingenommenem Blick zu betrachten.

Zurück zu unserer Ausgangsfrage: Was hindert Menschen daran, Antisemitismus anzuerkennen, wenn er auftritt? Dies bringt mich zu einem letzten Punkt, der mit Jeremy Corbyn und seinem islamistisch-linken Bündnis zu tun hat.

Israelbezogener Antisemitismus

Die Feindseligkeiten gegen Israel erscheinen heute in Form einer Zangenbewegung: Auf der einen Seite der Zange finden wir klassische Antisemiten wie Ali Khamenei oder Hasan Nasrallah, den Führer der Hisbollah.

Auf der anderen Seite finden wir nichtjüdische und jüdische Mitläufer des Antisemitismus – die so genannten Antizionisten -, die die Versuche des iranischen Regimes, die Zerstörung des jüdischen Staates ideologisch und emotional salonfähig zu machen, aufgreifen und fördern.

Ein wesentliches Merkmal dieses Antizionismus ist die Fälschung der faktischen Geschichte des Nahen Ostens. Sie klammern sich zum Beispiel an das PLO-Mantra, dass “der Zionismus … organisch mit dem Weltimperialismus verbunden ist und sich gegen alle Befreiungs- oder Fortschrittsbewegungen in der Welt richtet”, um die PLO-Charta von 1968 zu zitieren.

Dies ist eine Verfälschung der Geschichte. Das Gegenteil ist der Fall, wie Jeffrey Herf kürzlich in seinem neuesten, sehr lesenswerten Buch mit dem Titel Israel’s Moment gezeigt hat. Einerseits erfahren wir, dass der Zionismus vor 1948 vom “Weltimperialismus” – in Form der britische Regierung, des Pentagon und des State Department der USA – nicht gefördert, sondern bekämpft wurde, weil der Zionismus zu Beginn des Kalten Krieges als Werkzeug Moskaus angesehen wurde.

Andererseits wurde der Zionismus 1946 von den “Bewegungen für den Fortschritt in der Welt”, auf die sich die PLO bezog, nicht bekämpft, sondern unterstützt. Dazu gehörten nicht nur alle Regierungen des Sowjetblocks, sondern auch all jene konservativen, liberalen und linken Kräfte in den USA, die während des Krieges eine Anti-Nazi-Position eingenommen hatten.

Angesichts der Shoah sprachen sich alle diese Kräfte 1945 für die Gründung eines jüdischen Staates aus. Und 1948, als die arabischen Länder Israel angriffen, verteidigten sie diesen Staat und prangerten gleichzeitig Antisemiten und Nazi-Kollaborateure wie den ehemaligen Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, an.

Ich bin daher überzeugt – und dies ist mein dritter Vorschlag -, dass das Centre sich bemühen sollte, das historiographische Monopol der PLO zu brechen und eine neue und unabhängige Sichtweise der Geschichte des Nahen Ostens zu entwickeln.

1975 stimmte die UN-Vollversammlung dafür, den Zionismus als “eine Form des Rassismus” zu bezeichnen. Obwohl diese Resolution 1991 aufgehoben wurde, ist der Hass auf Israel nach wie vor virulent, insbesondere an den Universitäten. Es ist höchste Zeit, die Giftschwaden zu vertreiben, das das Studium der Geschichte des Nahen Ostens seither verzerrt haben.

Es gibt noch viel zu entdecken. Und vielleicht werden wir feststellen, dass das neue Londoner Zentrum an die Tradition der Anti-Nazi-Bewegung der späten 1940er Jahre anknüpfen kann.

Das sind also meine drei Vorschläge für die Arbeit des Centre: erstens das Bewusstsein für den Holocaust zu stärken, um die Besonderheit des Antisemitismus zu verdeutlichen; zweitens den Antisemitismus in der muslimischen Welt zu analysieren und drittens die reale Geschichte des Nahostkonflikts frei von ideologischen Scheuklappen zu rekonstruieren.

Und lassen Sie mich hinzufügen: Für einen wirklich erschreckenden Moment gab es die Aussicht auf einen antisemitischen britischen Premierminister, aber das Schlimmste ist nicht eingetreten. Dies war auch der Einigkeit und dem starken Widerstandswillen der britischen jüdischen Gemeinschaft zu verdanken.

Diese Episode zeigt uns aber auch, wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns bewegen, und wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Die falschen Schlüsse, die aus dem 11. September gezogen wurden, bezeugen das Ausmaß der Gefahr.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und möchte meinem Londoner Freund Colin Meade für seine Hilfe bei der Vorbereitung dieses Papiers danken. Ich wünsche dem London Centre for the Study of Contemporary Antisemitism den großen Erfolg, den es braucht!

Bild: Jeremy Corbyn auf einer Pro-Palästina-Demonstration in London, 15. Mai 2021 · Quelle: Solidarity with Palestine · Autor: Socialist Appeal · Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0 Generic