Finkelsteins Freunde

Auf die antizionistische Kritik an Goldhagen hat man in Deutschland nur gewartet

Von Matthias Küntzel

Jungle World, Mai 1998

Für die internationale Fachwelt und Öffentlichkeit ist Finkelstein bis zum 11. August 1997 ein no-name geblieben. Nachdem mehrere US-amerikanische Zeitschriften die Veröffentlichung seiner Goldhagen-Kritik abgelehnt hatten, wurde diese Anfang Juli 1997 in der Londoner New Left Review publiziert. Der Aufsatz hatte weltweit keine Beachtung gefunden, was sich schlagartig änderte, nachdem Stefan Aust von dem Pamphlet Wind bekam: Finkelstein wurde von der Spiegel-Chefredaktion zum Anti-Goldhagen-Star gekürt, seitenweise nachgedruckt und über Nacht zum öffentlichen Ereignis gemacht.

Besonders erstaunlich ist dies nicht. Finkelstein erfüllt als jüdischer Kronzeuge einen nur in Deutschland geträumten Traum. Er ist der erste, der mit seiner Kritik an Hitlers willige Vollstrecker zugleich den gesamten Wissenschaftsbereich der Holocaust studies vom Tisch fegt und als zionistische Propagandawaffe “entlarvt”: ”,Der Holocaust ist praktisch die zionistische Version des Nazi-Holocaust’, erklärt Finkelstein: ein Deutungsmuster, das seit dem Sechstagekrieg 1967 von radikalen US-Zionisten kathederreif gemacht wurde.” (Spiegel 33/97)

Auf eine solch radikale Revision scheint auch der zuständigen Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, nur gewartet zu haben. Neue Einwände gegen Goldhagens Buch habe der Text nicht liefern können, schreibt er in seiner Eloge. Dennoch “verändert sich …jetzt erst, mit dem Auftreten Norman Finkelsteins die Szene … Es geht hier nicht mehr um ,ganz gewöhnliche Deutsche und den Holocaust’, es geht … um das jüdische Selbstverständnis und den Holocaust. ... Finkelstein historisiert Goldhagens Thesen als Beiträge einer ,zionistischen Ideologie’.” (FAZ, 19.8.97)

Bei Finkelstein verändert sich die Szene in der Tat: Das deutsche Verbrechen wird überdeckt und die Schuldfrage auf den Kopf gestellt. Die Juden werden als die Täter und die Nichtjuden als deren Opfer gezeichnet. Die Holocaust-Studies, so Finkelsteins zentrale These, verfolgten das Interesse, allen Nicht-Juden ein potentielles Interesse am Judenmord zu unterstellen, um so dem Staate Israel eine “totale Lizenz” für “Aggression und Folter” ausstellen zu können.

Ein derartiges Konstrukt ist selbstverständlich wahnhaft und damit der deutschen Erinnerungsabwehr und den damit verbundenen Projektionsgelüsten wie auf den Leib geschnitten. Umfragen zufolge vertreten etwa 40% der Deutschen die Überzeugung, daß die “rachsüchtigen” Juden den Holocaust nur für ihre Zwecke ausnützen wollten, weshalb ihnen, so der meist unausgesprochene Folgegedanke, der Mund nach Möglichkeit zu stopfen sei. Doch auch andere Muster des Antisemitismus werden bei Finkelstein mobilisiert:

Erstens gründet sich seine Polemik gegen die Holocaust studies auf die Halluzination einer jüdischen Weltverschwörung mit Schaltstelle Tel Aviv, als deren Spezial-Agent Daniel Goldhagen sein Unwesen treibt. Zweitens wärmt er das antisemitische Gerücht von der “jüdischen Medienmacht” neu auf, mit deren Hilfe die zionistische Verschwörung ihre globale Wirksamkeit angeblich realisiert. So hat der Spiegel die Tatsache, daß Finkelsteins Manuskript von vier us-amerikanischen Verlagen abgelehnt worden ist, nicht mit der Qualität des Textes erklärt, sondern in das wahnhaft-paranoide Weltbild eingefügt, wonach gerade die Ablehnung ein heimliches Gütesiegel des Textes und der überzeugendste Beleg für die bedrohliche zionistische Omnipotenz sei.

Von antisemitischen Zuschreibungen ist drittens auch die ganz spezielle Interpretion des Nationalsozialismus geprägt, mit der Finkelstein die Goldhagen-Studie kontrastiert. “Goldhagen glaubt einfach nicht”, ereifert sich der Palästina-Spezialist, “daß die Juden den Deutschen heftiges Unrecht getan hätten. Er bestreitet energisch, daß die Juden in irgendeiner Weise für den Antisemitismus verantwortlich sein könnten. ... So muß jeder Deutsche, der die Gruppenloyalität von Juden in Frage stellte oder Einwände gegen ihre geschäftlichen Praktiken hegte, letztendlich als Nazischeusal gelten.”

Auch wenn solch offen bekundete Parteilichkeit zum guten akademischen Ton in Deutschland noch nicht gehört, ist es doch kein Wunder, daß Finkelstein mit sicherem Instinkt den angeblich ferngesteuerten jüdischen Holocaust-Studies das positive Leitbild der German scholarship über den Holocaust gegenübergestellt, welche der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichtet sei. ()

Noch weniger freilich kann es erstaunen, daß der notorisch bekannte kanadische Auschwitzleugner und Nazi Ernst Zündel Finkelstein und Birn als “intellektuell redliche, tapfere Gelehrte” feiert, die “nur zufällig Juden seien” (was für Birn nicht stimmt) und daß er deren Texte auf seiner Web-page The Zündelsite als “äußerst mutiges Buch” anpreist, das “die unverfroren talmudische Verleumdung mit dem Titel Hitlers willige Vollstrecker energisch widerlegt”, wie die US-Zeitschrift The New Republik (4.5.98) enthüllt.

Dennoch hatten sich nicht nur Hans Mommsen, sondern auch Christian Jansen und Ulrich Herbert positiv auf Finkelstein bezogen, von Kurt Pätzold ganz zu schweigen, der in den Marxistischen Blättern die “vernichtende Kritik” des “als Antizionist geschmähten Finkelstein” gegen Goldhagen verteidigte.

In konkret 10/97 ergriff ein Historiker namens Jürgen Matthäus in einem Beitrag mit der Überschrift Strohmänner das Wort.() Unter das Verdikt des Strohmannes, daran läßt der Artikel keinen Zweifel, wird hier auch Daniel Goldhagen gestellt, was dem von Finkelstein ausgesponnenen Konstrukt recht nahe kommt. Matthäus phantasiert ansonsten von einer “Goldhagen-Finkelstein-Debatte des ausgehenden 20. Jahrhunderts” und nimmt “im Streit zwischen zwei jüdischen Gelehrten” dem Schein nach eine Beobachterposition ein. ()

Was sich als Äquidistanz einen “fairen” Anstrich zu geben sucht, läuft letzlich jedoch auf eine Nichtigmachung der Goldhagen-Studie und eine Respektbekundung für Finkelstein hinaus, dessen Kritik an Goldhagens Buch Matthäus ausdrücklich lobt und dessen Generalverdikt gegen die Holocaust studies er als “überzogen” charakterisiert.

Aber so ist es heute nun einmal: Während etwa in der New York Times, im Observer oder in The New Republik massive Zweifel an der in Anführungszeichen gesetzten “Gelehrsamkeit” eines Finkelstein artikuliert werden, wertet ihn hierzulande selbst ein Blatt wie konkret zum “jüdischen Gelehrten” auf. Während in den USA schon die Absicht, Finkelsteins Aufsatz in einem renommierten Verlag zu veröffentlichen, durchaus heftige Proteste der Anti-Defamation League, des World Jewish Congress und prominenter Einzelpublizisten zur Folge hatte, blieben vergleichbarer Reaktionen im Lande der Mörder nahezu vollständig aus. ()

Wippermann hatte weiter oben die richtige Frage gestellt: Warum gerade Finkelstein? Weil er als jüdischer Kronzeuge eine deutsche Antwort auf Goldhagen gibt, die selbst zu formulieren ein guter Teil der deutschen Historiker sich heute noch nicht traut. Ist es nur Zufall, daß der Verlag Henry Holt And Company, der die Originalausgabe des Finkelstein/Birn-Buches in den USA publiziert, von dem Deutschen Michael Naumann, einem ehemaligen Assistenten der Universität Bochum, geleitet wird?

Matthias Küntzel

(aus: Jungle World, 20. Mai 1998)