Europäische Patronage

Wie das alte Europa den islamischen Antisemitismus stärkt

Von Matthias Küntzel

Redebeitrag, Februar 2004

Vor fast genau drei Monaten1 zündeten zwei Selbstmordattentäter der al Qaida in Istanbul fast zeitgleich zwei Autobomben vor den Synagogen „Newe Schalom“ und „Beit Israel“, 25 Menschen starben, 300 wurden verletzt. Die radikalislamistische Bewegung beweist praktisch, was ihren Programmen schon immer zu entnehmen war: Dass sie antisemitisch ausgerichtet ist und Menschen allein deshalb tötet, weil sie Juden sind: Das war das Ziel der Anschläge in Djerba, in Mombasa und in Casablanca und in Istanbul.

Die Anzahl radikaler Islamisten, die freudig bereit sind, für den Djihad zu sterben, liegt heute bei rund sieben Millionen.[2] Die islamistische Bewegung insgesamt, die in den antijüdischen Kampagnen der ägyptischen Moslembruderschaft in den 30er Jahren ihren Ursprung hat, wird von etwa 200 Millionen Moslems unterstützt. Viele von ihnen geben sich nach außen ein reformerisches Image. Was sie mit der al-Qaida jedoch vereint, ist ihr Hass auf alle Juden und ihr erklärtes Ziel, Israel zu zerstören.[3] Mit ihren 200 Millionen Anhängern sind die Islamisten innerhalb der Weltgemeinschaft der Muslime, die 1, 3 Milliarden Menschen umfasst, zwar eine Minderheit. Die eigentliche Dramatik der Situation liegt jedoch in dem Umstand, dass der Antisemitismus der Islamisten innerhalb der weltweiten Umma der Muslime nicht nur auf keine Gegenbewegung stößt, sondern dass sich der Judenhass mit zunehmender Geschwindigkeit als der wichtigste gemeinsame Nenner dieser umma etabliert.

Die Behauptung beispielsweise, dass das Verzehren nichtjüdischen Blutes ein religiöser Ritus bei „den Juden“ sei, findet sich nicht nur auf den Homepages der islamistischer Sekten. Diese Behauptung gehört zum Repertoire eines weitverbreiteten Standardwerks über Das Volk Israels im Koran und in der Sunna, das der renommierteste Geistliche des sunnitischen Islam, der Großscheich der Al-Azhar-Universität von Kairo, Mohammed Tantawi verfasst und 1997 neu aufgelegt hat. In seinem Bestseller zitiert Tantawi zustimmend Adolf Hitlers Mein Kampf mit der Aussage: „Indem ich mich der Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herren“. Unter expliziter Berufung auf Die Protokolle der Weisen von Zion macht er zum Beispiel „die Juden“ für den moralischen und sexuellen Verfall an allen Orten der Erde verantwortlich.

Mittlerweile existieren in der arabischen Welt nicht nur 60 unterschiedliche arabischen Ausgaben der „Protokolle der Weisen von Zion“, sondern diese Hetzschrift wurde gar zur Grundlage einer 41-teiligen Filmserie gemacht, die während des Ramadan 2002 im ägyptischen Staatsfernsehen und während des Ramadan 2003 im syrischen Staatsfernsehen jeweils zur besten Zeit gesendet worden ist. Mehr als 20 weitere Fernsehstationen in der arabischen Welt haben diese Filmserie übernommen.[4] Dieser systematischen Gehirnwäsche via Satellitenfernsehen ist heute auch ein nicht unbeträchtlicher Teil der insgesamt 15 Millionen Muslime ausgesetzt, die sich in der EU niedergelassen haben. „Es gibt heute mehr Antisemiten und mehr Antisemitismus als je auf der Welt“, hat Alain Finkielkraut zutreffend konstatiert.[5]

Diese neue und diesmal weltweite Attraktivität des antisemitischen Wahns hat offenkundig mit dem Ende des Kalten Kriegs zu tun und der Tatsache, dass nur noch eine Supermacht existiert. Es fehlt politisch und ideologisch ein Gegengewicht. Wenn sich Menschen der Macht des Kapitals auf globaler Ebene ausgesetzt sehen und diese Macht außerhalb der Kontrolle der Nationalstaaten zu liegen scheint, dann sprießen sofort die Verschwörungstheorien. Die prominenteste Verschwörungstheorie, um den Weltmarkt massenwirksam und einfach zu erklären, ist der Antisemitismus. Die Moslembrüder sprechen von Juden, die Globalisierungskritiker von Zionisten, aber sie meinen dasselbe und haben dafür den Begriff Busharon kreiert. Alles wird auf diesen einen Punkt reduziert und jedwede Wahrnehmung globaler Konflikte unbewusst oder bewusst durch dieses antisemitische Raster vorstrukturiert.

Ungewöhnlich und neu ist allerdings die Unverfrorenheit, mit der heute Vertreter des Islam das antijüdische Feindbild auch öffentlich und offensiv propagieren. Zwei Ereignisse der letzten Zeit haben dies gezeigt.

Ich meine erstens die Eröffnungsrede des malaysischen Ministerpräsidenten Mahathir vor dem globalen Islam-Gipfeltreffen in Kuala Lumpur von Mitte Oktober 2003. Erstmals seit dem Ende des II. Weltkriegs hat hier ein Regierungschef vor den Delegationen aus 57 Staaten, vor 2.200 Journalisten und laufenden Kameras eine Botschaft an die Moslems in aller Welt verkündet, die antisemitische Stereotype propagierte, um Muslime auf einen Krieg gegen Juden einzuschwören. „Die Juden beherrschen diese Welt“, hatte Mahathier vor diesem Forum ausgerufen, und die Juden hätten „Menschenrechte und Demokratie“ nur deshalb „erfunden“, um hierdurch „die Kontrolle über die mächtigsten Länder“ zu gewinnen.[6]

Ich meine zweitens den Tatbestand, dass Mahathir für diese Rede standing ovations erhielt und bis heute keine einzige relevante Stimme aus dem Islam diese antisemitische Tiraden kritisierte. Wenn sich aber in einer Organisation, die vorgibt, 1,3 Milliarden Menschen zu vertreten, kein Protest gegen eine antisemitische Hetzrede regt, dann markiert dies einen Wendepunkt.

Es ist gerade dieser Antisemitismus des gehobenen islamischen Milieus, der den Zulauf zu islamistischen Terrorkommandos garantiert. Da mag sich auch ein Herr Matathier vom Islamismus abgrenzen, so viel er will: Wer antisemitischen Wind sät, erntet djihadistischen Sturm. Wenn sich das Hirngespinst des angeblich notwendigen Kampfs gegen die Juden erst einmal festgesetzt hat, kann sich die Al Qaida allemal als die konsequentere Kraft und als eigentliche Avantgarde der Umma präsentieren.

Denn auch der aktivistische Flügel des islamischen Antisemitismus hat vom Zusammenbruch der alten Weltordnung profitiert. Seit der Implosion des sogenannten Realen Sozialismus ist der Islamismus als die einzige Bewegung zurückgeblieben, die drei Eigenschaften in sich bündelt, die nämlich 1. dem Kapitalismus mit einer umfassenden ideologischen Begründung entgegentritt, die 2. mit enormen finanziellen Ressourcen ausgestattet ist und die 3. weltübergreifend agiert. Und so, wie Mahathier um den Beifall bei den Vertretern von 57 Regierungen warb, so erheischt der Islamismus heute mit zunehmendem Erfolg den Beifall der Antiglobalisierungsbewegung, wie das Europäische Sozialforum in Paris im letzten November bewies. Der Endpunkt dieser antisemitischen Dynamik ist derzeit nicht abzusehen.

Die Dramatik dieser Entwicklung wird in Deutschland und Europa kaum erfasst. Mehr noch: Sie wird systematisch heruntergespielt. Zufällig saßen am Folgetag der Rede Mahathiers sämtliche Regierungschefs der EU bei einer Gipfelkonferenz beisammen. Für die Abschlusserklärung dieses Gipfels war die Verurteilung der Mahathier-Rede bereits vorbereitet. Doch dann legten hiergegen Jaques Chirac, der an diesem Tag auch für Gerhard Schröder sprach, sowie der griechische Ministerpräsident Simitis ihr Veto ein und erklärten, dass diese Kritik im Abschluss- Communique des EU-Gipfels nicht zu suchen habe und an untergeordneter Stelle zu veröffentlichen sei.“[7]

Wie wurde dieser Vorgang von der New York Times kommentiert? Ihr Leitartikel verwies auf die vor 60 Jahren von Deutschen verübten und von unzähligen anderen Europäern unterstützten antijüdischen Verbrechen und bezeichnete die „Nonchalance“, die der EU-Gipfel dem Antisemitismus gegenüber an den Tag legte, als „unentschuldbar“.

Das Repräsentantenhaus der USA hatte den stehenden Beifall für Mahathier immerhin einstimmig als „bereitwillige Mittäterschaft bei der Verbreitung von Hass gegen Juden“ verurteilt. [8] Demgegenüber wurde der demonstrative europäische Verzicht auf eine hochrangig lancierte Verurteilung von islamischen Antisemiten als Bestätigung interpretiert: Öffentlich hatte sich Mahathier nach diesem EU-Gipfel bei Jaques Chirac bedankt.

Diese Reaktion auf Mahathir bereite ihm weitaus mehr Sorgen, als die Rede selbst, hatte der Vorsitzende der amerikanischen Anti-Defamation League, Abraham Foxman, hierzu erklärt. Mahathir habe die globale politische Landkarte offenkundig sorgfältig studiert. Als Foxman diese Einschätzung formulierte, waren ihm die Ergebnisse der von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Umfrage bei jeweils 500 Einwohnern jedes Mitgliedsstaats noch nicht bekannt. Auf die Frage, welcher Staat den Frieden in der Welt derzeit am meisten bedrohe, benannten 59 Prozent der 7.500 befragten Europäer den jüdischen, Israel. Von den befragten Deutschen waren es gar 65 Prozent, die ausgerechnet Israel für die weltweit größte Friedensgefahr hielten!

Wir wissen, dass diese Umfrage von Seiten der EU sofort die allergrößte Publizität erhielt. Wir wissen aber auch, was mit den Ergebnissen einer von der EU in Auftrag gegeben Studie über Antisemitismus in den 15 EU-Staaten geschah.

Weil diese Untersuchung nachwies, dass die großen muslimischen Gemeinden in Frankreich, Belgien, der Niederlande und Großbritannien mit antisemitischen Hetze aus arabischsprachigen Zeitungen und Radiosendern systematisch aufgestachelt werden und infolgedessen „physische Attacken gegen Juden sowie die Schändung und Zerstörung von Synagogen häufig von Muslimen ausgeführt“ werden, gerade deshalb wurde ihre Veröffentlichung mit Verweis auf die „political correctness“ über zehn Monate lang trotz zahlreicher internationaler Proteste unterdrückt. Begründung: „Die Untersuchung sei ungeeignet, da sie die „Islamophobie“ in Europa … fördern könne.“[9] Anstatt diesen Antisemitismus zu bekämpfen, suchten die europäischen Stellen offenkundig nach Argumenten, ihn zu entschuldigen.

Dieser so bemerkenswert unterschiedliche Umgang mit einer Umfrage, die Israel dämonisiert und einer Untersuchung, die Antisemitismus nachweist, zeigt deutlich genug, dass die „unentschuldbare“ Nonchalance der EU gegenüber dem Antisemitismus bei Mahathier weder ein Zufall, noch ein Einzelfall gewesen ist.

Heute stehen wir somit vor dem bemerkenswerten Phänomen, dass zwar der Antisemitismus eines Le Pen oder eines Abgeordneten Hohmann auf signifikante politische Widersprüche stößt. Sobald sich dieser Judenhass jedoch islamisch artikuliert, wird er mit Samthandschuhen angefasst.

Diese bemerkenswerte Ungleichbehandlung ist derzeit das zentrale politische Problem.

Ich möchte deshalb mit zwei Exkurses der Frage nachgehen, ob es irgendeinen plausiblen Grund gibt, der es nahe legen würde, bei der Beurteilung des europäischen und des islamischen Antisemitismus unterschiedliche Maßstäbe anzulegen. Zuerst soll es um die Spezifik oder Nicht-Spezifik des islamischen Antisemitismus gehen. Meine zweite Ausführung ist der Frage gewidmet, ob nicht vielleicht doch Israel für diesen Antisemitismus mit verantwortlich ist. Abschließend komme ich erneut auf die europäische und auch die deutsche Politik zurück.

Heute ist das wichtigste Merkmal des islamischen Antisemitismus die antijüdische Theorie von der Weltverschwörung. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Charta der Hamas von 1988, die unter Berufung auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ die Juden nicht nur für die Französische und für die Russische Revolution verantwortlich macht, sondern ebenso für den I. Weltkrieg, für den II. Weltkrieg und für die Gründung der Vereinten Nationen, mit deren Hilfe die Juden, wie es in der Charta heißt, „die Welt durch ihre Mittelsmänner zu beherrschen“ suche.[10]

Diese Paranoia der Hamas ist in Wirklichkeit eine Phantasie des Christentums und dem ursprünglichen Islam völlig fremd. Nur in der fabrizierten Christuslegende erscheinen Juden als eine dunkle, tödliche und überaus mächtige Instanz, da sie es gar fertig brachten, Gottes einzigen Sohn zu töten. Diese Legende ist der Ausgangspunkt der christlichen Ängste vor jüdischer Übermacht und Boshaftigkeit, egal ob es um die mittelalterliche Schuldzuweisung für Brunnenvergiftung und Pest oder um die neuzeitlichen Ängste vor „Kasinokapitalismus“ und „spekulativem Kapital“ geht.

Der Islam ist demgegenüber von einer anderen Legende geprägt, einer Legende, der zufolge sich die Juden dem Propheten Mohammed in Medina zwar widersetzten. Hier aber blieb Mohammed als eindeutiger Sieger zurück. Er soll die jüdischen Stämme von Medina besiegt und anschließend vertrieben, versklavt oder getötet haben.

Die Diskriminierungen, die Juden unter moslemischer Herrschaft zu erleiden hatte, waren infolgedessen nicht von Hass, Furcht oder Neid motiviert, sondern von Verachtung und von herablassender Duldung, einer Duldung freilich, die rasch zur Unterdrückung wurde, wenn Juden die diskriminierenden Grenzen zu überschreiten suchten. Ansonsten aber waren Juden im Islam geschützt: Die antijüdischen Pogrome des Okzidents blieben hier unbekannt.

Dies hat sich erst mit Laufe der letzten 80 Jahre geändert. Nun erst wurde ein „Antisemitismus nationalsozialistischer Prägung“, so Bernard Lewis, von Europa in die islamische Welt exportiert.[11] Nun erst wurden aus den schwächlichen Widersacher Mohammeds die heimlichen Beherrscher der Welt.

Dieses europäische Phantasma bestimmte die Rede Mahathirs und prägt bis heute beispielsweise den Anti-Amerikanismus der al Qaida. „Wir glauben“, erklärte Osama Bin Laden 1998 über die Clinton-Administration, „dass diese Regierung Israel in Amerika repräsentiert. Schaut euch nur die wichtigsten Ministerien an, und ihr werdet sehen, dass die Juden dort das Sagen haben. Sie benutzen Amerika, um ihre Ambitionen in der Welt und besonders in der islamischen Welt voranzutreiben.“[12]

Das zweitwichtigste Kennzeichen des islamischen Antisemitismus ist sein antijüdischer Rassismus. Dieser schreibt „den Juden“ natürliche Eigenschaften zu, die unveränderlich seien, und die das jüdische Verhalten für alle Zeiten bestimmten. Zu den wichtigsten Dokumenten dieses Rassismus gehört der in der gesamten islamischen Welt verbreitete Aufsatz „Unser Kampf mit dem Juden“, den Sayyid Qutb, der wichtigste Ideologe des Islamismus, 1950 veröffentlichte. Qutb zufolge seien die Juden „von ihrem ersten Tag an … die Feinde der muslimischen Gemeinschaft“ gewesen und hätten ihren Krieg gegen den Islam „in beinahe vierzehn Jahrhunderten nicht für einen einzigen Moment unterbrochen.“[13]

Auch dies hat mit der ursprünglichen Einstellung des Islam nichts zu tun. Zwar standen in dessen Machtbereich die Juden ebenso wie die Christen, die Sklaven und die Frauen stets auf einer minderen Stufe. Im Gegensatz zu den Frauen konnten Juden jedoch ihre Diskriminierung überwinden, indem sie durch bloßen Willensakt zum Islam konvertierten. Dann waren sie, soweit männlich, gleichberechtigte Moslems.

Für Qutb hingegen, der dem Rassenantisemitismus der Europäer aufgeschlossen war, blieb „der Jude“ auch dann ein Feind, wenn er Moslem geworden war. Mehr noch: Qutb war geradezu besessen von der besonderen Gefährlichkeit all derjenigen Moslems, in denen er verkappte jüdische Agenten sah. Kemal Atatürk, z.B., der in der Türkei eine progressivere Form des Islam etablierte, galt ihm als jüdischer Agent.

Ich hatte vorhin schon einmal Mohammed Tantawi erwähnt, den Leiter der Al-Azhar-Universität, der höchsten religiösen Institution Ägyptens. Auch Tantawi erweist sich in seinem Bestseller Das Volk Israels im Koran und in der Sunna“ als Rassist, in dem er „den Juden“ unveränderliche natürliche Eigenschaften zuschreibt wie zum Beispiel: das „Brechen von Verträgen und Bündnissen“, die „Gier nach dem Leben und dem Diesseits“, „Selbstsucht“, „übermäßiger Egoismus“ oder „Heuchelei“. [14]

Selbstverständlich hat der islamische Antisemitismus diese ausschließlich aus Europa importieren Bestandteile – den Rassismus und die Weltverschwörungstheorie – mit spezifischen Elementen einer islamistisch inspirierten Koran-Auslegung verknüpft und hierdurch noch weiter radikalisiert.

So wird in der Feindbildphantasie dieses Antisemitismus der europäische Topos vom jüdischen „Übermensch“ mit dem islamischen Topos vom jüdischen „Untermensch“ verknüpft, etwa wenn Juden in Anlehnung an einschlägige Koranverse als „Schweine“ und „Affen“ verächtlicht gemacht werden.

Oder es werden entlang der Kampflinie Jude-versus-Muslim Erinnerungen an die Frühgeschichte des Islam revitalisiert und Mohammeds Tötung und Vertreibung der Juden von Medina im 7. Jahrhundert zum Vorbild genommen, um die Tötung und Vertreibung der heute in Palästina lebenden Juden religiös zu legitimieren.

Oder man erklärt Palästina zum islamischen Einflussgebiet (Dar al-Islam), in welchem Juden kein einziges Dorf, geschweige denn einen Staat beherrschen dürften. „Das Verschwinden Israels ist schon eine im Koran festgestellte Geschichtsnotwendigkeit“, heißt es dann beispielsweise bei der Hamas, die Israels Existenz, in welcher Form auch immer, absolut negiert.

Oder es werden stets nur die ausgesucht judenfeindliche Passagen aus dem Koran zitiert. (Z.B. Sure 5, Vers 82)

Und doch kann als Resümee dieser Ausführungen festgehalten werden, dass all die islamistischen Wortführer, die scheinbar die radikalste Abgrenzung von der Kultur des Westen propagieren, sich hierbei zugleich einer originär westlichen Denkform, des europäischen Antisemitismus, bedienen. Dies macht die Trennung zwischen einem europäischen und einem islamischen Antisemitismus so absurd: Denn es ist die Ideologie der Nazis, die hier wieder zutage tritt: Wir blicken nicht der islamischen, sondern der eigenen Geschichte ins Gesicht.

Es ist gerade die aus dem „Stürmer“ bekannte Enthumanisierung der Juden und ihre Dämonisierung zum Menschheitsfeind, die vor 60 Jahren die Tötung der Juden um ihrer Tötung willen vorbereitete und die seit über drei Jahren die Islamisten dazu treibt, als „jüdisch“ markierten Menschen unterschiedslos in überfüllten Bussen, Restaurant, Diskotheken, Musicals, Synagogen oder Wolkenkratzer zu töten.

Welch ein Irrsinn, wenn die europäischen Behörden diesen Judenhass zum Bestandteil einer „antirassistisch geschützten Zone“ erklären! Islamischer Antisemitismus hat mit irgendwelchen ethnischen Besonderheiten oder kulturellen Marotten, die unter den Artenschutz einer „political correctness“ zu stellen wären, nicht das Geringste zu tun. Und es ist ein Skandal, dass von der antisemitischen Charta der Hamas bis heute keine vollständige deutsche Übersetzung existiert.

„Erst wenn die deutsche Öffentlichkeit dieser Bedrohung (durch den islamischen Antisemitismus) in angemessener Weise entgegentritt“, hat Bassam Tibi, der muslimischen Islamwissenschaftler aus Göttingen zutreffend erklärt, „wird man davon sprechen können, dass sie die Lehren aus der deutschen Vergangenheit wirklich verstanden hat.“[15]

Damit beginnt mein zweiter Exkurs. Denn heute wird diese Bedrohung nicht nur nicht ernst genommen, sondern gar als eine mehr oder weniger verständliche Reaktion auf die israelische Politik interpretiert. Beschwichtigend zeigt man auf Sharon: Hat nicht dessen Politik den islamischen Antisemitismus erst provoziert? Wird dieser Spuk nach Lösung des Nahost-Konflikts nicht schnell wieder verschwunden sein?

Der Islamwissenschaftler Navid Kermani formuliert es so: „Ohne den Nahost-Konflikt gäbe es den islamistischen Antisemitismus in dieser Form gar nicht.“[16]

Diese Kausal-Behauptung ist nicht nur außerordentlich weit verbreitet. Sie trägt nach meinem Eindruck auch dazu bei, dass gegenwärtig die Kritik am islamischen Antisemitismus, auch in jüdischen Gemeinden, durch Verunsicherung und Zurückhaltung gekennzeichnet ist. Und stehen wir nicht in der Tat vor einer historisch neuen Situation? Als die Protokolle der Weisen von Zion Hitlers Antisemitismus formten, hatte es ein hochgerüstetes Israel noch nicht gegeben.

Gewiss besteht zwischen der Eskalation des Nahostkonflikts und der Mobilisierung von Antisemiten ein Zusammenhang. Dennoch ist auch in dieser Hinsicht die Separierung zwischen einem „wahnhaften“ Antisemitismus bei Homann oder Hitler und einem „triftigen“ Antisemitismus in der arabisch/islamischen Welt, da dieser sich immerhin auf reale Probleme beziehe, absurd.

Erstens beweisen alle Erkenntnisse der Sozialwissenschaft, dass Antisemitismus mit jüdischem Verhalten nichts zu tun hat. Dies gilt ebenso für Sharon. Auch eine noch so kritikwürdige Politik der israelischen Regierung mag zwar die Wut auf diese Regierung steigern. Niemals aber verschafft sie der antisemitischen Gewissheit, Washington werde in Wirklichkeit von Jerusalem aus regiert, Plausibilität. Wer aber erst einmal dieser dämonisierenden Wahnvorstellung anheim gefallen ist, wird sein antijüdisches Feindbild in allem, was eine israelische Regierung tut oder lässt, bestätigt finden.

Zweitens ist auch historisch der arabisch-islamische Antisemitismus keine unmittelbare Folge des Nahostkonflikts. Man kann dies zum Beispiel anhand eines Dokuments von 1921 beweisen; ein Dokument, dass im Kontext der Nahost-Frage vollständig unbekannt ist, und dass ich zufällig im Zusammenhang mit meiner Beschäftigung mit Winston Churchill fand. Ich meine das offizielle Memorandum des Palestinian Arab Congress, dass eine Delegation dieser Körperschaft am 14. März 1921 dem damaligen britischen Kolonialminister Winston Churchill in Jerusalem präsentierte.

Es handelt sich bei diesem Memorandum um ein Kerndokument des Antisemitismus, wie es der Nazi-Ideologe Alfred Rosenberg damals – zwei Jahre vor Beginn des britischen Mandats über Palästina ! – nicht phantasievoller hätte abfassen können.

„Juden haben zu den aktivsten Befürwortern der Zerstörung in vielen Ländern gehört“, betont dieses Dokument, das dem konkreten Verhalten zionistischer Siedler keine einzige Silbe widmet. „Es ist wohl bekannt, dass die Desintegration von Russland vollständig oder zu einem großen Teil von den Juden bewerkstelligt worden ist. In einem großen Maße sind sie auch für die Niederlage von Deutschland und Österreich verantwortlich zu machen. (...) Der Jude ist darüber hinaus klüngelhaft und unnachbarschaftlich und kann nicht mit denen, die um ihm herumwohnen, vermischt werden. ... Der Jude ist ein Jude überall in der Welt. Er bündelt den Reichtum eines Landes und setzt sich dann an die Spitze von dessen Bevölkerung, die er bereits, so wie es ihm beliebt, in Armut stürzte. Er unterstützt Kriege, wann immer das Eigeninteresse es nahe legt und benutzt so die Armeen der Nationen, die tun sollen, was ihm beliebt.“[17]

Im Geiste dieser rabiat antisemitischen Position wurden im Frühjahr 1920 und 1921 die alten jüdischen Viertel von Jerusalem und Jaffa unter Führung des späteren Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, demoliert und 48 Juden getötet. 1929 fand ein weiteres Massaker in den jüdischen Vierteln von Hebron und Safed statt. Auch hier wurden nicht Zionisten, sondern unbewaffnete Angehörige des alten Yishuv attackiert und 133 von ihnen erschlagen. Der Mufti führte als Rechtfertigung die „Protokolle der Weisen von Zion“ an.[18]

Dies beweist: Antisemitische Manifeste und Pogrome – das also, was uns heute an der Hamas überrascht und erschreckt – waren schon 20 Jahre vor der Gründung Israels Realität. Mehr noch: Dieser Judenhass hat den Nahost-Konflikt bis heute geprägt.

Die europäische Verantwortung hierfür ist immens. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Mufti von Jerusalem eine von Europa eingesetzte und geförderte Instanz gewesen ist. Es waren die Briten, die 1921 den Mufti gegen die Mehrheitsstimmung unter den Palästinensern in sein Amt hievten. Es waren die Deutschen, die ihn zwischen 1937 und 1945 für seine Nazi-Dienste bezahlten. Und es waren Franzosen, die 1946 dem als Kriegsverbrecher gesuchten Mufti unter dem Jubel der arabischen Welt die Flucht und eine neue politische Karriere ermöglichten.

Als den Palästinensern 1937 erstmals ein palästinensischer Staat neben einem jüdischen angeboten wurde, stimmten nicht nur die Zionisten, sondern auch der gemäßigte Flügel der Palästinenser, angeführt vom Clan der Nashashibis, zu. Er scheiterte allein am Veto Amin el-Husseinis.

1947 wurde anlässlich des UN-Teilungsplans für Palästina die zweite große Chance einer Einigung vereitelt. Mit größter Vehemenz sorgte der Mufti im arabischen Lager für die Ablehnung des UN-Beschlusses um stattdessen den Krieg gegen den neu gegründeten jüdischen Staat vorzubereiten. Der skandalöse Umstand, dass der in Europa zuvor noch als Nazi-Kriegsverbrecher gesuchte el-Husseini erneut als Sprecher aller Palästinenser reüssieren konnte, erhielt so historisches Gewicht. Später engagierte sich der Ex-Mufti als Pate und Finanzier der 1959 gegründeten Fatah und setzte 1968 Jassir Arafat inoffiziell als seinen Nachfolger ein: „Amin el-Husseini hatte den Eindruck, dass Arafat der richtige Führer für die palästinensische Nation war“, berichtete später dessen Schwiegersohn Muheidin al-Husseini: „ Er fand, er sei fähig, die Verantwortung zu tragen.“[19]

Auch wer der israelischen Politik Fehler und Menschenrechtsverletzungen ankreidet, kommt somit um die Erkenntnis nicht herum, dass die zionistische Bewegung und der Staat Israel von Anfang an einer Bewegung gegenüberstanden, die sich nicht von Rationalitätskalkülen, sondern von einer antisemitisch motivierten Vernichtungswut gegen Juden leiten ließ.

Dies sollte Folgen haben für unseren Blick auf den Konflikt. Gängig ist die These, die Nahost-Krise habe den islamischen Antisemitismus ursächlich hervorgebracht. In Wirklichkeit verhielt es sich andersherum: Die Zuspitzung des Nahostkonflikts hat nicht den Antisemitismus bewirkt, sondern der Antisemitismus jene Zuspitzung.

Auch heute ist für all die antisemitischen Attacken in Paris oder Istanbul ist der Nahostkonflikt nicht Ursache, sondern Gelegenheit. Islamisten sind keine Dummköpfe. Sie verschleiern und rücken in den Hintergrund, worum es ihnen eigentlich geht: Abschaffung der Demokratie, Kampf gegen Aufklärung und Vernunft, Unterjochung der Frau, Unterwerfung unter die Sharia-Diktatur, Bekämpfung der Juden, wo immer sie leben. All diese eigentlichen Bestrebungen bleiben sorgfältig verhüllt. Stattdessen wird – quasi als Kulisse – das Feindbild Sharon in den Raum geschoben. Dieser Sharon ist für Islamisten Agitationsfläche und Verkleidung. Man muss die Kulisse nur ein wenig beiseite schieben und schon lugen die “Protokolle der Weisen von Zion” dahinter hervor, die die Charta der Hamas so stolz als ihren Leitfaden präsentiert.[20] In seiner Berliner Rede von November 2002 brachte der renommierte Holocaust-Forscher Jehuda Bauer das Wesen dieses Antisemitismus auf den Punkt: „Die Sprache des Islamismus ist klar und deutlich genozidal. Eine Wiederholung des Massenmordes an den Juden wird angestrebt, das ist schwarz auf weiß nachzulesen.“

Ich habe damit auch meinen zweiten Exkurs abgeschlossen. Gibt es einen Grund – dies war die Ausgangsfrage – , bei Beurteilung des europäischen und des islamischen Antisemitismus zwei verschiedene Maßstäbe anzulegen; den Hohmann also zu verdammen und die Hamas-Charta zu ignorieren? Die Antwort auf diese Frage ist, glaube ich, klar. Ob wir nun die ideologische Dimension (Stichwort: Weltverschwörungstheorie) oder die realpolitische Situation (Stichwort: Israel) betrachten: Es gibt nicht den geringsten Grund, dem islamischen Antisemitismus mildernde Umstände zu attestieren.

Und dennoch: So, wie die Hamas und deren Sympathisanten in allen Teilen der Welt an jenes antisemitische Erbe anknüpft, das sich 1921 anlässlich des Churchill-Besuchs in Jerusalem erstmals offen zu erkennen gab, so knüpfen heute nolens volens auch die Regierungen des „alten Europa“ an jenen Pro-Arabismus an, der in den vielfältigen Hilfeleistungen für den Mufti von Jerusalem sein historisches Vorbild hat. Wenn wir diesen Antisemitismus und den durch ihn motivierten Terror gegen jüdische und arabisch Israelis als das vordringlichste Problem des Nahostkonflikts identifiziert haben – dann rückt die offene Parteinahme der Europäischen Union für Arafat und ihre kaum versteckte Parteinahme für die Hamas in ein neues Licht.

Wie hieß es in einer Presse-Erklärung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 12. Februar 2004 zur Arafat-Alimentierung durch die EU: „Jetzt verdichtet sich auch in der EU selbst der Verdacht, dass terroristische Palästinenseraktionen indirekt aus EU-Geldern finanziert wurden. Dies ist ein unglaublicher Skandal.“[21]

Und noch im Juli letzten Jahres weigerte sich der Europäische Ministerrat, die Konten der Hamas einzufrieren und die Organisation auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen. Die Aktivitäten der Hamas seien „legitim“, betonte der Sprecher der EU-Kommission, Reijo Kempinnen, da sie soziale Dienste leiste und Kliniken betreibe. „Dass die Hamas in ihrer Gänze eine Terrororganisation sei, ist gewiss nicht unsere Position.“[22] Erst als die Hamas den „Road Map“-Friedensplan, den sie als „zionistische Verschwörung“ denunzierte, zum Scheitern gebracht hatte, erst am Tage des Rücktritts von Mahmud Abbas, setzte die EU die Hamas – nicht aber die mit ihr verbundenen sozialen Organisationen – auf die Liste terroristischer Organisationen.

Ich weiß, dass Joschka Fischer von vielen jüdischen Verbänden als guter Freund betrachtet wird. Es lässt sich dennoch nicht verschweigen, dass auch Joschka Fischer sich intensiv für eine permanente Integration der Hamas bei künftige Friedensbemühungen eingesetzt hat. „Es müsse ein ,dauerhaftes Übereinkommen für eine Waffenruhe’ mit der islamistischen Hamas-Bewegung und anderen Gruppen erreicht werden“, erklärte er Ende Juni 2003 in Kairo. Die US-Regierung reagierte damals prompt: „Wie kann eine Gruppe, die entschlossen ist, Israel auszulöschen, je ein Partner in dem Friedensprozess sein?“, fragte ihr Regierungssprecher fassungslos.[23] Fischers Antwort auf diese Frage ist unbekannt.

Wie kritisch zuweilen die deutsche Rolle selbst im europäischen Ausland wahrgenommen wird, demonstrierte vor wenigen Wochen der prominenteste Leitartikel-Autor der schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“, Peter Wolodarski. Wolodarski kritisierte, dass das schwedische Parlament die europäische Gewohnheit übernommen habe, niemals ein palästinensische Selbstmordattentat zu kritisieren, ohne zugleich die Politik Ariel Sharons zu verdammen und fuhr dann so fort:

„Ein eindeutiges Beispiel, wie diese Unparteilichkeit in der Praxis zum Ausdruck kommt, hatten wir im Oktober letzen Jahres, als einer weibliche Selbstmordattentäterin 21 Menschen (17 Juden und 4 muslimische Araber) in einem Restaurant in Haifa tötete und 60 verletzte. Am folgenden Tag antwortete Israel mit dem Angriff auf eine Stellung der Terroristen in Syrien, was den deutschen Kanzler, Gerhard Schröder, dazu veranlasste, beide Aktionen im selben Satz zu verurteilen. Gewiss, es war nicht das erste Mal, dass der Islamische Djihad einfache Israelis ermordete. Diesmal aber wurden diese Absichten mit einem Maximum an Grausamkeit ausgeführt. Die Bomberin wählte sich den am besten gefüllten Teil des Restaurants aus. Ihr Bombergürtel befand sich auf der selben Höhe wie der Kopf eines sitzenden 10-jährigen Kindes. Zwei jüdische Familien, die hier ihr Sonntagsessen einnahmen, verloren jeweils Mitglieder aus drei Generationen. Ein Junge, der überlebte, verlor nicht nur seine Augen, sondern zugleich seinen Bruder, Vater, Großvater, Großmutter und Cousin. Dieses Massaker mit dem israelischen Angriff auf ein verlassenes Ausbildungslager der Terroristen in Syrien gleichzusetzen, verweist auf einen Zusammenbruch der Moral, was Gefühle der Verzweiflung und der Wut bei der Öffentlichkeit insgesamt und nicht nur bei Überlebenden des Holocaust auslösen sollte. Dies aber geschieht gerade nicht. (...) Jeder, der damit rechnete, dass die Massenmorde an israelischen Zivilisten seit September 2000 den Zuspruch für das palästinensische Volk vermindern würde, sah sich getäuscht. Das Gegenteil war der Fall: Je gnadenloser die im Kampf gegen Israel verwendeten Methoden, desto größer die Unterstützung.“[24]

Schröder hatte in der Tat sie israelische Aktion als „nicht akzeptabel“ kritisiert und von Kairo aus gemeinsam mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak dazu aufgerufen, den sogenannten „Teufelskreis der Gewalt“ zu durchbrechen.[25]

Doch auch der Kontext dieser Äußerung ist interessant. In Begleitung von Spitzenvertretern der deutschen Industrie hatte sich unser Gerhard von Arabien ausschließlich Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinte Arabische Republik als Reiseziele ausgesucht. Israel stand ausdrücklich nicht auf dem Programm. In Ägypten weihte Schröder die „German University of Cairo“ ein, in Riad sprach der Kanzler vor der Riad Chamber of Commerce and Industry und in Dubai weihte er das Gipfeltreffen arabischer Medien zum Thema „Krieg und Medien“ ein.

Auf die in arabischen Medien gängige antisemitische Hetze oder die dort übliche Leugnung der Shoah, oder auf die Situationen der Frauen und sonstige Menschenrechtsverletzungen ging der Bundeskanzler in seinen drei Reden mit keiner Silbe ein. Stattdessen schwärmte er in Riad vom „gegenseitigen Respekt vor unseren Kulturen“ und beteuerte in Dubai: „Die tägliche Zusammenarbeit wird dem Verständnis unserer beiden Kulturen dienen und zu noch mehr Respekt vor eben diesen kulturellen Eigenschaften beitragen, als ohnehin schon vorhanden ist.“[26]

Was der deutsche Kanzler hier praktizierte, nennt sich irreführenderweise : „Kritischer Dialog“, und das ist etwas, was Deutschland mehr als alle anderen europäischen Mächte zum Grundsatz seiner Nahost- und Mittelost-Politik gemacht hat.

Dieser Dialog setzt die Akzeptanz von Antisemitismus voraus. Man hockt zusammen und plaudert höflich über Demokratie und Kultur und weiß doch ganz genau, dass diejenigen, mit denen man so freundlich parliert, Israel um jeden Preis auslöschen wollen und auslöschen werden, sofern nichts geschieht. Doch genau das wird nicht thematisiert. Da schweigt des Sängers Höflichkeit.

Dies zeigt exemplarisch die Konferenz am an, die die SPD-nahe Friedrich Ebert-Stiftung vom heutigen 17. Februar 2004 bis zum 19. Februar 2004 gemeinsam mit einer der Hiszbollah nahestehenden Vereinigung im Deutschen Orientinstitut in Beirut unter dem vielsagenden Titel: „Die islamische Welt und Europa: vom Dialog zum Verständnis“ veranstaltet.

Zu den wichtigsten Redern dieser Tagung gehört der mit der Organisationsbezeichnung „Hiszbollah“ im Konferenzprogramm angeführte Scheich Naeem Qasim, der das Panel über Palästina leiten und zum Thema „Finden wir zu einer gemeinsamen Sprache?“ (Towards a common language?) referieren wird.

“Besatzung und Widerstand” heißt die Diskussionsrunde zwischen Michael Lüders und Ali Fayyad vom Hizbollah Think Tank CSSD. Der Untertitel lautet: „Eine differenzierte Perspektive“.

Azzam al-Tamini, der auf einem Podium zu „Freiheit und Menschenrechte“ sprechen wird, pflegt die Hamas für ihre differenzierte Sicht auf die Juden zu rühmen und feiert die „Eskalation des palästinensischen Aufstands“, die zu einer Situation geführt habe, in der „die post-israelische Ära vor der Tür steht.“

Mit von der Partie sind ferner Jamal al-Banna, der Bruder des Gründers der Moslem-Bruderschaft, der sich für den Holocaust-Leugner Roger Garaudy vorbehaltlos engagiert, sowie der Islamist Tariq Ramadan, der im vergangen Jahr die jüdischen Intellektuellen Frankreichs der „reflexhaften Verteidigung der israelischen Politik“ bezichtigte und auf dem Europäischen Sozialforum der Gobalisierungsgegner in Paris eine begeisterte Zuhörerschaft fand. Auf dieser Tagung ist kein einziger namhafter Kritiker des Islamismus vertreten und keine Muslima, die zur Unterdrückung der Frau in islamischen Gesellschaften sprechen würde, von Gegnern des Antisemitismus ganz zu schweigen. [27]

Dieser herzliche Dialog mit ausgewiesenen Antisemiten entspricht aber durchaus den ausformulierten Prioritäten deutscher Außenpolitik.

Auf keinen Fall sollten die Europäer ihre Zeit mit fruchtlosen Definitionsversuchen des Begriffs „Terrorismus“ vergeuden, schlug z.B. mit Blick auf die Hamas ein Diskussionspapier der Bertelsmann-Stiftung den Teilnehmern einer hochrangig besuchten Nahost-Konferenz im Januar 2002 vor. Denn gerade im Nahost-Diskurs sei „die Abgrenzung zwischen Terroristen, Widerstandskämpfern und Oppositionsgruppen verschwommen“. Stattdessen sollten die Akteure in der EU die islamistische Bewegung gegen eine allzu undifferenzierte Anti-Terrorkriegsführung der Amerikaner verteidigen und in den europäischen Dialog der Kulturen integrieren.[28] Die deutsche Außenpolitik will mit Islamisten kooperieren, anstatt sie zu isolieren. Dieses Signal kommt freilich einer Ermunterung zum Djihad gegen Israel gleich: Warum sollte sich die arabische Welt den amerikanischen Aufrufen zur Isolierung von Hamas und anderer Terrorgruppen anschließen, wenn dies selbst Deutschland und die EU nicht tun?

Diese Kooperation zwischen der Friedrich Ebert-Stiftung und der Hizbollah verweist auf die Geldgeber dieser Terrorgruppe, den Iran. Wie dieser „Kritische Dialog“ der Europäer und besonders Deutschland mit dem Iran geführt wird, ein Land das offen den Atomschlag gegen Israel propagiert, das seit Jahren die Produktion von Atomwaffen vorbereitet und durch seine nicht-deklarierte Bombenpolitik den Atomwaffensperrvertrag ständig gebrochen hat, das sollte Gegenstand einer gesonderten Veranstaltung sein.

Welche Motive treiben das „alte Europa“ und Deutschland zu dieser an Abgründen balancierenden Politik?

Geht es vielleicht um materielle Interessen? Immerhin ist der Iran nicht nur Finanzier der Hizbollah und des Islamischen Djihad, sondern zugleich das Eldorado der deutschen Exportwirtschaft. Die Zuwachsraten lagen 2002 bei 25 Prozent, 2003 bei 23 Prozent. Die Ausfuhr deutscher Maschinen in den Nahen und Mittleren Osten wies zuletzt eine Rekordsteigerung von 24,2 Prozent aus.[29]

Oder geht es um eine Walserisierung der deutschen Außenpolitik? Sie erinnern sich vielleicht, dass Walser’s Polemik gegen die sogenannte „Auschwitz-Keule“ mit dem Amtsantritt der rot-grünen Regierung 1998 zusammenfiel. Damals wandte sich der neue Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye an die europäischen Nachbarn, die sich tunlichst daran gewöhnen sollten, „dass Deutschland sich nicht mehr mit dem schlechten Gewissen traktieren lässt.“ Eine derartige Gefahr besteht beim „Unkritischen Dialog“ mit dem Islamismus gewiss nicht. Nirgendwo in der Welt wird die Shoah so konsequent verleugnet, verharmlost oder persifliert.

Oder ist vielleicht richtig, was Israel Singer, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, erklärte: „Deutschland betrachte Israel inzwischen als ,das Lieblingstierchen der Amerikaner’ und so sei Kritik an Israel Teil deutscher Bestrebungen, sich politisch von den Vereinigten Staaten zu emanzipieren.“[30]

Immerhin schwärmte der Leiter des Deutschen Orient-Instituts, Udo Steinbach, schon 1998 davon, dass die Bundesrepublik angesichts der enormen „Sympathie“, die man „Deutschland traditionell in der gesamten Region“ entgegenbringe, „im Nahen Osten weithin als künftige Großmacht gesehen“ angesehen werde, die „ein Gegengewicht gegen eine allzu dominante amerikanische Machtausübung bilden kann.“[31] Der 11. September und der Krieg gegen den Irak scheinen diesen deutschen Ehrgeiz, sich in der arabische-muslimischen Welt als wichtigster Widersacher der USA zu profilieren, verstärkt zu haben.

Als Joschka Fischer vor einiger Zeit gefragt wurde, worin nun eigentlich „das spezifisch Europäische“ an der globalen Neugestaltung bestehe, antwortete er so: „Der Unterschied ist, ob es eine kooperative oder eine konfrontative Perspektive gegenüber dem arabisch-islamischen Krisengürtel geben wird.“ Mit andern Worten: Der Unterschied liegt darin, ob mit dem Antisemitismus in diesem Teil der Welt kooperiert wird, oder ob dieser zurückgewiesen und bekämpft wird.

Dieser „Kritische Dialog“ mit fanatischen Judenmördern sollte hierzulande skandalisiert und der Widerstand gegen den Antisemitismus auf die deutsche und die europäische Außenpolitik ausgeweitet werden. Denn genau auf diesem Gebiet hat die doppelbödige Politik, den Hohmann’schen Antisemitismus zu sanktionieren, den islamischen aber zu hofieren, ihre bislang schlimmste Ausprägung erreicht.

Welche der von mir aufgelisteten Motive nun die Ausschlag gebenden für die europäische und deutschen Politik sind, ist zweitrangig. Wesentlicher ist, das diese Politik einer 1969 formulierten Warnung Léon Poliakovs eine geradezu erschreckende Aktualität verleiht: „Wer den Antisemitismus in seiner primitiven und elementaren Form nicht anprangert, und zwar gerade deshalb nicht, weil er primitiv und elementar ist, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht dadurch den Antisemiten in aller Welt ein Zeichen heimlichen Einverständnisses gibt.“
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[1] Dieser Text wurde erstmals am 17. Februar 2004 in Frankfurt/M. anlässlich einer vom Jüdischen Studentenverband in Hessen und dem Frankfurter Arbeitskreis Kritische Theorie durchgeführten Veranstaltung präsentiert. Er wurde im September 2004 in der Zeitschrift Jüdisches Leben in Bayern (Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayern) sowie im Juli 2004 in dem Rundbrief Nr. 67 des „“Freundeskreis Kirche und Israel in Baden e.V.“ publiziert.

[2] Bassam Tibi, Wider die Unterschätzung der Weltanschauung, in: NZZ, 2./3. März 2002.

[3] So hat im Januar dieses Jahres der neue Führer der als moderat geltenden ägyptischen Moslembruderschaft Selbstmordattentate gegen Zivilisten in Israel und im Irak ausdrücklich propagiert. „Jeder weiß“, erklärte er in einem Interview, „dass die Moslembrüder weltweit jede jüdische oder zionistische Existenz in irgendeinem Palästina bekämpfen.“ Vgl. New Muslim Brotherhood Leader: Resistance in Iraq and Palestine is Legitimate; America is Satan; Islam will Invade America and Europe, in: MEMRI Special Dispatch Series, No. 655.

[4] Galloping anti-Semitism, in: Washington Post, November 16, 2002.

[5] Antisemitismus im Wandel. Ein Gespräch mit Alain Finkielkraut, in: FAZ, 12. November 2003.

[6] Für die Muslime forderte er „Gewehre und Raketen, Bomben und Kriegsflugzeuge, Panzer und Kriegsschiffe“ und eine Modernisierung des Islam, um den Kampf gegen Israel und die Juden effektiver voranbringen zu können. Vgl. Matthias Küntzel, Wer Antisemitismus sät, wird Dschihad ernten, in: FR, 21. November 2003.

[7] Israelisch-französischer Schlagabtausch, in: NZZ, 21. Oktober 2003.

[8] Ron Kampeas, After Mahathir’s anti-Semitic remarks, Jews wonder if outrage will yield change, in: jta-report, Oct, 22, 2004; JTA Daily Briefing, Oct. 28, 2003.

[9] Joseph Croitoru, Unter Verschluß, Wien gegen Berlin: Streit um eine EU-Studie zum Antisemitismus, in: FAZ, 27. November 2003.

[10] Die Charta ist in englischer Sprache auf der homepage der Hamas dokumentiert. Siehe: www.palestinecenter.org/cpap/documents/charter.html

[11] Bernard Lewis, „Treibt sie ins Meer!“. Die Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt /M. 1987, S. 294.

[12] Osama bin Laden Frontline interview (May 1998), siehe: www.ontology.buffalo.edu/smith//courses01/rrtw/Ladin.htm

[13] Siehe M. Küntzel, Sprache der Vernichtung, in: Jungle World, 27. November 2002.

[14] Meine Aussagen über Tantawi stützen sich auf die diesbezügliche Analyse von Wolfgang Driesch, Islam, Judentum und Israel, Mitteilungen Band 66/2003 des Deutschen Orient-Instituts Hamburg, Hamburg 2003, S. 56-62, S. 73-82, S. 88-93. Der wichtigste Unterschied zwischen dem antijüdische Rassismus der Islamisten und dem Rassismus der Nationalsozialisten liegt in seiner jeweiligen Selbstbildphantasie. Der völkische und biologische Rassismus der Nazis ist bei den Islamisten durch religiösen Überlegenheitswahn ersetzt.

[15] Bassam Tibi, Der importierte Hass, in: Die Zeit, 6. Februar 2003.

[16] „Der islamische Antijudaismus ist neu – und gefährlich“, sagt Herr Kermani, in: taz, 26. November 2003.

[17] Das Memorandum ist dokumentiert in: Martin Gilbert, Winston S. Churchill, Vol. IV, Companion Part 2 (Documents July 1919-March 1921), S. 1386ff., London 1977.

[18] Gudrun Krämer, Geschichte Palästinas, München 2002, S. 246ff, S. 259, S. 272f..

[19] J. und J. Wallach, Jassir Arafat, München 1994, S. 128, S. 110.

[20] Es ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig zu wissen, dass diese antisemitische Machwerk von den Agenten des Zarismus in erster Linie als ein Traktat gegen die subversiven Elemente der Moderne konzipiert wurde, gegen individuelle Selbstbestimmung und Demokratie, in dem man diese Elemente der Moderne als angeblich jüdische Erfindungen und als Hilfsmittel für eine imaginäre jüdische Welteroberungsstrategie zu diskreditieren suchte.

[21] Kein EU-Euro für den Terror in Nahost. Presseerklärung des entwicklungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Christian Ruck und des für Nahost im Entwicklungsausschuss zuständigen Berichterstatters, Siegfried Helias vom 12. Februar 2004.

[22] Philip Carmel, Under pressure from France, E.U. desides against Hamas ban, in: JTA (Global News Service of the Jewish People), 6. Juli 2003

[23] Fischer fordert Ende der Gewalt, in: FAZ, 25.6.03. Der Beamter der US-Regierung ist zitiert nach: Steven R. Weisman, A Sense of Harmony Felt Within Diplomatic Circles, in: NYT, 27. Juni 2003.

[24] Die englische Übersetzung dieses Artikels ist dokumentiert unter: >http://www.axess.se/english/currentissue/insight_wolodarski.php<.

[25] Schröder: Israels Aktion in Syrien ist nicht akzeptabel, AP-Meldung vom 5. Oktober 2003.

[26] Die drei Reden Gerhard Schröders sind dokumentiert in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin vom 7. 10. 2003.

[27] Vgl. Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer, Verständnisvolles Europa, in: “die jüdische.at” vom 8. Februar 2004, sowie in: Jungle World vom 11. Februar 2004; Miriam Lau, Affirmative Kritik, in: Die Welt, 14. Februar 2004.

[28] Felix Neugart, Europe, the Mediterranean and the Middle East, Discussion Paper presented by the Bertelsmann Group for Policy Research Center of Applied Policy Research, to the VII. Kronberg Talks, 17.-19. January 2002, S. 15. An dieser Tagung nahmen Joschka Fischer, Javier Solana, der spanische Vize-Außenminister als Vertreter der EU-Präsidentschaft sowie die Nahost-Sondervermittler der UN und Russlands teil. Vgl. [www.german-foreign-policy.com/de/news/article/1012518000.php].

[29] Michael Laker, Flexibel die Marktposition verteidigen, in: FAZ, 11. August 2003; Gute Geschäfte in Arabien, in: FAZ, 7. Oktober 2002; Anfang Juni 2002 organisierte der Iran mit 160 Teilnehmern aus 23 Ländern eine Konferenz gegen die Nahost-Friedenspläne der USA. Revolutionsführer Khamenei rief hier die Regierungen und Völker der islamischen Welt auf, „alle spirituellen und materiellen Ressourcen für die Stärkung des Palästinenservolks zu mobilisieren in seinem heiligen Krieg gegen die Besetzer“, siehe NZZ, 3. Juni 2002. Im August wurden mehrere Millionen Dollar aus dem Iran an die Terrorzellen der Fatah transferiert, die sich der Waffenruhe nicht angeschlossen hatte. Vgl. Israel beginnt mit Freilassung von Gefangnen, in: FAZ, 7. August 2003; Autonomiebehörde beschlagt 3 Millionen Dollar für Jihad, in: NZZ, 15. August 2003.

[30] Singer sieht Deutschland in der Pflicht, in: FAZ, 13. Februar 2003.

[31] Udo Steinbach, Der Nahe Osten in der deutschen Außenpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 12/1998, S. 25ff.