Zum Beispiel Katajun Amirpur

oder: Wenn Angst vor der Wahrheit die Feder führt

Von Matthias Küntzel

Hamburg, den 17. Januar 2010

„Schön!“, dachte ich, als ich hörte, dass Katajun Amirpur mein Buch über „Die Deutschen und Iran“ im Deutschlandradio Kultur besprechen wird. Amirpur ist Islamwissenschaftlerin und eine renommierte deutsch-iranische Journalistin, die u.a. in der Süddeutschen Zeitung, der taz und der Zeit schreibt. Gerade weil wir zum Thema „Die Deutschen und der Iran“ unterschiedliche Standpunkte vertreten, war ich auf ihre Rezension, die das Deutschlandradio Kultur am 10. Januar 2010 im Rahmen seiner Sendung LesArt ausstrahlte, gespannt.[1] Würde ihr Text die überfällige Debatte über das Pro und Kontra der deutschen Iranpolitik weiterbringen?

Leider nicht. Katajun Amirpurs Rezension ist ein Versuch, die Auseinandersetzung über die Thesen meines Buchs zu unterbinden, bevor sie überhaupt begonnen hat. Dass sie mich in ihrem kurzen Text gleich fünfmal falsch zitiert, ist erstaunlich. Überraschend aber auch der bestimmte Artikel, der gleich am Anfang ihren Tonfall prägt: „Wenn man der Logik des Matthias Küntzel einmal folgt…“. Wer so einsetzt, hat kaum eine nüchterne Bestandsaufnahme zum Ziel.

Amirpur fasst das Ergebnis meiner Recherche wie folgt zusammen: „Die Hitlerbegeisterung also ist für Küntzel der Grund für das bis heute sehr gute deutsch-iranische Verhältnis.“ Ich bitte um Entschuldigung, aber für solch eine „Erkenntnis“ hätte ich keine 300 Seiten gebraucht. Mein Buch formuliert keine steilen Thesen, sondern legt die verschiedenen historischen Beziehungspunkte, die die Intensität dieser Beziehung begründen, detailliert und faktengestützt dar. Alle anderen Journalisten, die das Buch bislang im Deutschlandfunk, der Süddeutschen Zeitung, der Welt, der Weltwoche, im Handelblatt und in vielen anderen Medien rezensierten, haben dies übrigens bemerkt.

Katajun Amirpur aber nimmt das Risiko, jemand könne ihre Phantombeschreibung mit dem Original vergleichen, in Kauf. Sie schreibt: „Man fragt sich, wo Küntzel seine Informationen über die iranische Geschichte her nimmt. Es gibt eine ganze Palette hervorragend recherchierter Sekundärliteratur zur neueren iranischen Geschichte“ – und verschweigt, dass mein Buch auf bisher unveröffentlichten Dokumenten aus verschiedenen Archiven basiert sowie auf etwa 150 Werken der Sekundärliteratur. Bemerkenswerterweise will sie jedoch von jener „hervorragend recherchierten Sekundärliteratur“ immer dann nichts wissen, wenn diese ihr Bild von der Welt zu hinterfragen droht.

So geht sie in ihrer Parteinahme für Khomeini soweit, eine der zentralen Propagandalügen des Regimes zu wiederholen.„Khomeini hat sich nie auf die Seite des Schahs geschlagen“, behauptet sie apodiktisch. „Er hat nie gegen Mossadegh agitiert“. Die englischsprachige iranische Literatur zeichnet ein anderes Bild. Sie weist nach, dass die Gruppe der konservativen und quietistischen Geistlichen um Kashani, Bihbahani und Buroujerdi, zu der auch Khomeini gehörte, seit dem Herbst 1952 gegen die von Mohammed Mosaddegh angekündigte Einführung des Frauenwahlrechts Einwände erhoben und – trotz vieler interner Differenzen – 1953 den Putsch gegen Mossadegh unterstützt oder begrüßt hatte.

Es stimmt, dass die Diskussion um den Anteil der religiösen Führer und Sekten am Sturz von Mosaddegh im deutschen Sprachraum noch nicht angekommen ist und mein Buch hier Neuland betritt. Und es ist verständlich, dass Khomeinis Bewunderer gerade hier besonders empfindlich reagieren, besagt doch der antiimperialistische Mythos, dass die beiden Helden Mossadegh und Khomeini in ihrem Widerstand gegen den Schah fast schon in Eins zu setzen sind.

In Wirklichkeit zogen Mossadegh und Khomeini aus der Diktatur des Schah den entgegengesetzten Schluss: Während der Nationalist Mossadegh zumindest im Ansatz republikanische Forderungen verfocht, wollte Khomeini stets das Gegenteil: Er betrat die politische Bühne, um die Herrschaft des Schah durch die Herrschaft der Scharia zu ersetzen.

Empört weist Katajun Amirpur auch die Passagen meines Buches zurück, die die „unverhohlenen Bewunderung vieler Iraner für Hitler“ thematisieren, über die auch die frühere FAZ-Korrespondentin in Iran, Christiane Hoffmann, schreibt. Über die Bewertung dieser Erscheinung kann man unterschiedlicher Meinung sein. Katajun Amirpur aber streitet bereits das Faktum ab: „Küntzels Äußerungen sind von einer absoluten Unkenntnis der iranischen Gesellschaft geprägt.“ Weder setzt sich Amirpur mit meinen Quellen auseinander, noch erklärt sie, auf welche Quellen sie sich stützt oder woher denn eigentlich ihre „Kenntnis der iranischen Gesellschaft“ stammt.

Dabei ist das, was Frau Amirpur zu leugnen sucht, allen Eingeweihten bekannt. Exil-Iraner in Deutschland teilen mir bei meinen Lesungen immer neue Details hierüber mit. „Einmal Hitler!“ – lautete beispielsweise die in aller Unschuld erteilte Order, die einer von ihnen seinem Friseur in Teheran zuzuwerfen pflegte, um die gewünschte Frisur zu erhalten.

Auch heute noch können über Youtube jene denkwürdigen Bilder von Oktober 2004 abgerufen werden, als die deutsche Fußballnationalmannschaft im Teheraner Stadium stand und Hunderte Iraner beim Abspielen der vertrauten „Deutschland, Deutschland über alles“ – Hymne aufstanden, um ihr den Hitlergruß darzubieten. Der konsternierte Fernsehmoderator stammelte etwas von „perversen Auswüchsen“: „Da standen einige, sogar ziemlich viele und zeigten den Hitlergruß.“[2] Katajun Amipur lässt keinen Zweifel daran, dass sie hierüber keine Auseinandersetzung wünscht.

Trotzdem möchte ich mich bei ihr bedanken, beweist doch ihre Besprechung, dass mein Buch nicht nur als Wissensquelle, sondern zugleich als ein Art Prüfstein taugt: An der Art des Umgangs mit dessen Befunden ist zu erkennen, ob sich jemand mit der historischen und gesellschaftlichen Wahrheit der deutsch-iranischen Beziehung auseinandersetzen, oder ob er diese verleugnen will.[3]

Auseinandersetzung schließt mögliche Kritik an meinen Quellen und Interpretationen ein. Wer die Befunde aber nicht einmal zur Kenntnis nehmen will, fällt nicht nur dem Bemühen um wissenschaftliche Erkenntnis, sondern auch der iranischen Demokratiebewegung in den Rücken. Heute stürzt die Legitimation des islamistischen Regimes rapide in sich zusammen. Heute steht die Frage, warum denn in den letzten 30 Jahren so viel schief gelaufen ist, im Raum.

Dass sich Katajun Amirpur bei dieser Bestandsaufnahme nicht besonders wohl in ihrer Haut fühlt, kann ich nachvollziehen. Immerhin entschuldigte sie Ahmadinejad bereits nach dessen erster berüchtigter Brandrede von Oktober 2005. Damals suchte sie die Leserschaft der taz mit dem Hinweis zu beruhigen, dass Ahmadinejad „außenpolitisch vollkommen unerfahren“ sei und deshalb „nicht geahnt“ habe „welches Echo seine Worte … finden würde“.[4]

Im März 2008 nahm sie jene Rede Ahmadinejads erneut in Schutz – diesmal gegen vermeintliche Übersetzungsfehler. Dessen Aufruf habe keineswegs auf die Zerstörung Israels, sondern lediglich auf „die Aufforderung, die Besetzung Jerusalems zu beenden“ gezielt.[5] Später verteidigte sie das Berliner „Zentrum für Antisemitismusforschung“ gegen den Vorwurf, zuwenig über Iran zu arbeiten („Ich verstehe nicht so ganz, wo die Lücke da sein soll“)[6] und warnte, dass „die Gefahr einer Atommacht Iran … künstlich heraufbeschworen wird“.[7]

Ihr Vorschlag aus dem Jahr 2004, die Ablösung der Steinigung durch den Tod am Strang „als einen Schritt in die richtige Richtung – nämlich als Abkehr vom angeblich unflexiblen Korsett des islamischen Rechts“ zu deuten, blieb unvergessen. Der Satz, den sie damals über den Kampf der Reformer verfasste, würde mir, hätte ich ihn geschrieben, heute noch die Schamesröte ins Gesicht treiben: „Das offizielle Heiratsalter [iranischer Mädchen] ist erst vor kurzem, nach zähem Ringen zwischen Reformern und Konservativen, von neun auf zehn Jahre erhöht worden“[8].

Wie sie mit dieser publizistischen Rolle fertig wird, ist ihr Problem. Mir geht es um Amirpurs Zuhörer- und Leserschaft – um jenes linksliberale Lager, das in den letzten dreißig Jahren die iranischen Verhältnisse nur allzu gern verharmlost und die Bundesregierung bei ihrer Beziehungspflege mit den Mullahs stets unterstützt hat. Heute ist mit dem islamistischen System auch die Selbstverständlichkeit dieser Parteinahme in eine Krise geraten. Heute steht auch in Deutschland die Frage, warum denn in den letzten 30 Jahren im deutschen Umgang mit Teheran so viel Merkwürdiges passierte, im Raum.

Amirpur möchte, dass sich diese Personengruppe auch in Zukunft weder für die Kontaminierung der bilateralen Freundschaft durch den Nationalsozialismus noch für die Politik und das Programm Khomeinis interessiert. Mein Buch soll in diesem Milieu nicht wahrgenommen, über die bilaterale Zusammenarbeit soll nicht neu nachgedacht werden – deshalb ihre Rezension.

Ich verfolge ein anderes Ziel. Ich möchte, dass die überfällige Diskussion beginnt und die notwendigen Konsequenzen gezogen werden und bin deshalb zu öffentlichen Debatten aller Art bereit – auch mit der Autorin einer solchen Rezension.


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[1] Siehe unter: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/lesart/1101375/drucken/ oder auf meiner homepage.

[2] Siehe unter: http://www.youtube.com/watch?v=iH0gl6OXXt4.

[3] Dies trifft nur deshalb für „Die Deutschen und der Iran“ zu, weil gegenwärtig kein zweites Buch über die deutsch-iranischen Beziehungen existiert.

[4] Katajun Amirpur, Unbedarfter Populist, in: taz, 28. Oktober 2005.

[5] Katajun Amirpur, Der iranische Schlüsselsatz, in: Süddeutsche Zeitung, 15. März 2008; Amirpurs Interpretation wurde in einem nachfolgenden Artikel widerlegt. Siehe Mariella Ourghi, Agitator des letzten Kampfes, in: Süddeutsche Zeitung, 26.3. 2008.

[6] Wolfgang Benz (Hrsg.), Islamfeindschaft und ihr Kontext. Dokumentation der Konferenz ,Feindbild Muslim – Feindbild Jude’, Berlin 2009, S. 125.

[7] Siehe Fußnote 3.

[8] Katajun Amirpur, Eine Hinrichtung, die weniger grausam sein soll, in: Süddeutsche Zeitung, 28. August 2004.