Wie das Nazi-Erbe den Nahen Osten bis heute prägt

Auszüge aus einem Interview, das Dr. Manfred Gerstenfeld mit Matthias Küntzel führte. Von Dr. Manfred Gerstenfeld und

Von Matthias Küntzel

Hamburg, den 1. November 2013

Nazideutschland hatte die Situation im Nahen Osten massiv beeinflusst. Wer diesen Hintergrund außer Acht lässt, kann die gegenwärtigen Konflikte in dieser Region nicht verstehen.

Im Sommer 1937 machte Großbritannien den Vorschlag, Palästina in einen kleinen jüdischen und einen erheblich größeren arabisch-muslimischen Staat aufzuteilen. Dieser sogenannte „Peel“-Plan alarmierte die Naziführung in Berlin: Von nun an begann man in großem Maßstab Geld zu investieren und Propaganda zu verbreiten, um die die Araber gegen die Juden aufzuhetzen und sie zum Kampf gegen das zionistische Projekt aufzustacheln.

So steckten die Nazis in Ägypten mehr Geld in die Muslimbruderschaft, als in jede andere antibritische Gruppe. In Palästina wurde gleichzeitig der Mufti Hadj Amin el-Husseini mit Geld und Waffen versorgt. Beide Investitionen zahlten sich für die Nazis aus.

Mitte der Dreißigerjahre waren die moderaten arabischen Kräfte, die mit dem Zionismus auszukommen suchten, noch keineswegs marginalisiert. Dies änderte sich, nachdem die Nazis ihr Gewicht in die Waagschale der Islamisten geworfen hatten.

Der Mufti konnte im „arabischen Aufstand“ von 1936-39 die moderaten Palästinenser durch Terror aufreiben oder vertreiben. Die ägyptischen Muslimbrüder wiederum nutzen die Zusammenstöße in Palästina für antisemitische Kampagnen und wurden hierdurch erst zu einer Massenorganisation. Ihre Mitgliederzahl stieg von 800 im Jahr 1936 auf 200.000 im Jahr 1938 steil an. Die Geldspritzen aus Nazideutschland gestatteten es ihnen, eine Druckwerkstatt mit 24 Beschäftigen zu etablieren und ihren Antisemitismus mit den modernsten Mitteln zu verbreiten.

Radio Zeesen…

Berlin wollte sich auf die Muslimbruder allein aber nicht verlassen, sondern begann noch vor dem II. Weltkrieg, seine antisemitische Propaganda auf Arabisch, Persisch, Türkisch und in Hindi zu verbreiten.

Bevorzugtes Mittel war Radio Zeesen, ein Kurzwellensender, der aus Zeesen bei Berlin sendete. Da man ihn anlässlich der Berlin-Olympiade 1936 renoviert hatte, war er in der arabischen Welt besser als jeder andere Sender zu empfangen.

Die Programme, die der Sender von 1939 bis 1945 täglich ausstrahlte, waren professionell gemacht. So wurden antisemitische Hetzbeiträge geschickt mit Zitaten aus dem Koran und arabischen Musikbeiträgen vermischt. Die Alliierten des Zweiten Weltkriegs wurden als von „Juden“ abhängige Mächte gezeichnet und „Juden“ zugleich als die schlimmsten Feindes des Islam attackiert: „Der Jude ist ein Feind und ihn zu töten erfreut Gott.“ Die Nazipropagada knüpfte also an den im Islam vorhandenen Judenhass an, um ihn zu radikalisieren.

Über den Einfluss dieser Gehirnwäsche auf die analphabetierte Massen liegen keine systematischen Untersuchungen vor. Zahlreiche Zeitgenossen haben jedoch von der Massenwirkung, die diese Goebbel’sche Radio-Propaganda auslöste, berichtet.

Beispiel Palästina: Hier berichtete ein arabischer Informant der Jewish Agency, dass er am 7. Oktober 1939 in Jaffa „an einem Café vorbeikam und eine deutsche Sendung hörte. Um das Café herum standen Araber – auch auf den umliegenden Balkons – und hörten der Übertragung zu.“

Beispiel Iran: Ein 1940 aufgenommenes Foto aus Teheran zeigt ein riesiges Röhrenradio an erhöhter Stelle in einer Wandnische sowie eine Menschenmasse, die am Eingang eines Teehauses die Rundfunkübertragung aufmerksam verfolgt. Damals versammelten sich Passanten „auf den Bürgersteigen vor den Teehäusern…, um den Berichten der Deutschen über ihre Geländegewinne zu lauschen“, schrieb der iranische Schriftsteller Amir Cheheltan. „Die Berichte inspirierten die Phantasie der Menge auf der Straße, denn jeder Sieg entsprach einer Niederlage der Kolonialmächte Sowjetunion und Großbritannien, den sie bejubelte und beklatschte.“

Radio Zeesen trug auf diese Weise dazu bei, dass ein immer größerer Teil der arabischen Welt den Nahostkonflikt durch die antisemitische Brille der Nazis zu betrachten begann.

und der Krieg von 1948

1945 wurde das Nazi-Reich zerschlagen. Gleichzeitig befanden sich dessen wichtigste Agenten im Nahen Osten auf dem Höhepunkt ihrer Macht. So verfügten die Muslimbrüder nach 1945 in Ägypten über 500.000 Mitglieder.

1946 bereiteten sie dem Mufti von Jerusalem, Amin el Husseini – einem der größten Kriegsverbrecher des Nazi-Regimes, der den Holocaust forciert hatte und für den Tod Tausender jüdischer Kinder persönlich verantwortlich war – einen begeisterten Empfang. Sie bezeichneten ihn als „Helden, der mit der Hilfe Hitlers … gegen den Zionismus kämpfte“ und erklärten: „Deutschland und Hitler sind nicht mehr, aber Amin al-Husseini wird den Kampf fortsetzen.“

Es lag maßgeblich an der Haltung der Muslimbrüder und des Mufti, dass der UN-Teilungsplan für Palästina von November 1947 nicht nur abgelehnt, sondern 1948 ein Krieg mit dem Ziel der Vernichtung des Teilstaats Israel vom Zaum gebrochen wurde.

Dieser Krieg war nicht durch den Zionismus provoziert. Sei Motiv war der Antisemitismus, den die Nazis zwischen 1939 und 1945 systematisch verbreitet und den Amin el-Husseini und der Muslimbruderschaft zwischen 1946 und 1948 weiter geschürt hatten.

Natürlich lässt sich die Kontinuität eines vom Nationalsozialismus inspirierten Denkens auch anhand zahlreicher anderer Indizien belegen: Die Ähnlichkeiten der antisemitischen Karikaturen von damals und jetzt, die Leugnung oder Befürwortung des Holocaust, die Verehrung Adolf Hitlers bei einem Teil der arabischen Meinungselite, die Verbreitung arabischer Ausgaben von „Mein Kampf“.

Warum greifen die deutschen Institutionen dieses Thema nicht auf?

Dennoch wird bis heute der Nazi-Einfluss auf jene Region von der internationalen Nahost- und Islamforschung in der Regel ignoriert –auch in Deutschland.

Ich hatte hierzulande über die Bedeutung von Radio Zessen erstmals 2004 in einem bekannten Verlag, dem Suhrkamp-Verlag publiziert. 2009 folgte Jeffrey Herfs bahnbrechendes Buch „Nazi Propaganda for the Arab World“, das die Botschaften des Nazi-Radios für die Araber dokumentiert.

Dennoch scheuen sich bis heute die staatlich finanzierten Institute in Deutschland wie z.B. das „Zentrum für Antisemitismusforschung“ oder das „Zentrum Moderner Orient“ diese Thema aufzugreifen.

Warum will man von diesem Aspekt der deutschen Geschichte nicht wissen, warum ist Herfs Buch bis heute nicht ins Deutsche übersetzt?

Offenbar gilt das Axiom, dass die israelische Politik den Antisemitismus in der Region verursacht haben muss und niemand sonst. Was diesem Postulat der „political correctness“ – „Israel ist schuld!“ – widerspricht, wird gar nicht erst ins Blickfeld genommen.

Dies ist nicht einfach Ignoranz. Es geht um eine aktive, bewusste, zielgerichtete Ignoranz – um die Korruption von Wissenschaft.