Lebendige Vergangenheit

Zur Kontinuität der deutschen Großalbanien-Politik

Von Matthias Küntzel

Antifaschistisches Infoblatt, Sommer 2001

. Nun wurde das Kosovo der maßgebliche Hebel der deutschen Albanienpolitik. „Dort wohnen die rassisch besten und politisch entschlossensten, soldatisch geeignetsten Elemente des albanischen Volkes“, schwärmte Neubacher im September 1943 in einem Telegramm nach Berlin. „Es besteht die Möglichkeit,“, so Neubacher weiter, die „kossowanische Miliz … in Tirana antreten zu lassen, welche die Freiheitsbewegung in Schwung bringen soll.“ [8]

Und schon wurden die Kosovo-Albaner mit akuell anmutenden Argumentationsmustern umbuhlt: “Die Deutschen erweckten den Eindruck”, schreibt der amerikanische Historiker B.J. Fischer, “dass erst jetzt, mit ihrer Ankunft, eine wirkliche Vereinigung des Kosovo mit Albanien erreicht würde. ... Die Deutschen versäumten es nicht, die Albaner darauf hinzuweisen, dass die Alliierten in Sachen Kosovo auffällig schweigsam gewesen sind – ein Hinweis auf deren Absicht, es erneut den Jugoslawen zurückzugeben – und dass die Alliierten weder eine albanische Exilregierung noch ein albanisches Exilkomitee anerkannt und damit die Frage der Existenz eines albanischen Staates in der Nachkriegswelt in der Schwebe gelassen haben.” [9] Die so eingesetzte Kosovo-Karte zog: Noch im September 1943 wurde ein hauptsächlich aus Kosovo-Albanern bestehendes Nationalkomitee installiert und in Tirana die „Unabhängigkeit“ Albaniens erklärt. Deutschland freilich blieb das einzige Land, dass das „unabhängige“ Großalbanien diplomatisch anerkannte. [10]

Mit dem „laschen Besatzungsregime“ gegenüber den Serben war es nach Beendigung der italienischen Phase vorbei. Von nun an ließ man den Massakern der kosovo-albanischen Milizen an Serben freien Lauf. Noch im September 1943 wurde mit tatkräftiger deutscher Unterstützung eine “Zweite Prizren-Liga” gebildet, deren erklärtes Ziel “ein ethnisch reines Großalbanien” war. Die blutige Vertreibung der Serben, die die über 12.000 Mitglieder zählende Liga nun ins Werk setzte, fand unter deutscher Aufsicht und deutscher Anleitung statt. Neben der “Zweiten Prizren-Liga” rekrutierte die Wehrmacht ein 600-700 Mann starkes Bataillon, das ausschließlich aus deutschfreundlichen Kosovo-Albaner bestand und als Eliteeinheit nach Tirana geschickt wurde. Ende 1943 wurden weitere 1.200 kosovoalbanische Gendarmen von Mitrovica nach Tirana entsandt.

Im Februar 1944 gab Adolf Hitler, der „für die letzte romantische Ecke Europas sehr viel übrig hatte“ [11] den Befehl, aus “diesem Bergvolk stolzer Waffenträger” (Neubacher) einen eigenständigen SS-Verband, die “SS-Division Skanderbeg”, zu etablieren. Diese 6.500-köpfige Division wurde aus den albanischen Einheiten der 13. SS-Bosniaken-Gebirgsdivision sowie aus albanischen Milizen zusammmengestellt. Ihr Standort war Prizren, ihr hauptsächliches Operationsgebiet das Kosovo, ihr erklärter Auftrag der “Schutz” des “ethnisch reinrassigen” Albaniens. [12]

“Schutz” bedeutete: Wer nicht dazugehörte, wurde getötet oder Gräueln ausgesetzt und verjagt. “Die Einheiten dieser Division”, schreibt Fischer, “erwarben sich schnell eine höchst unvorteilhafte Reputation, da sie, besonders in den serbischen Gebieten, das Vergewaltigen, Plündern und Ermorden dem Kämpfen vorzogen.” Die außerordentliche Brutalität der “Skanderbeg-Division” ist vielfach belegt. So tötete sie am 28. Juli 1944 im Dorf Veliko 380 Ortsansässige (darunter 120 Kinder) und steckte 300 Häuser in Brand. Im April 1944 deportierte sie 300 Juden. Zwischen dem 28. Mai und 5. Juli “hob die SS-Division auf albanischem Gebiet weitere 510 ,Juden, Kommunisten, Partisanen und verdächtige Personen’ aus”, berichtet Raul Hilberg. “249 von ihnen wurden abtransportiert.” [13] Auch die Roma der Region Kosovo, die bis September 1943, mit gelben Armbinden gezeichnet, Zwangsarbeit leisten mussten, wurden nach Übernahme des Kosovo durch die Deutschen deportiert und in Konzentrationslager in Jugoslawien, aber auch nach Buchenwald und Mauthausen verschleppt. [14]

Entgegen der später in Tirana gepflegten Legende war das Kosovo auch für Titos Partisanen die mit Abstand unerfreulichste Region. „Die Bewegung im Kosovo ist sehr schwach, fast tot“, heißt es in einem Lagebericht der KP Jugoslawiens vom August 1943. [15] Unter der Herrschaft der Deutschen verschlimmert sich die Situation. In einem Bericht an das ZK der KP Jugoslawiens von Anfang 1944 erklärte die kleine und isolierte kommunistische Gruppe dieser Provinz, dass hier die albanischen Massen die nationalsozialistischen Besatzer als ihre Befreier und die Deutschen als ihre größten Freunde betrachteten: [16]

Selbst Ende 1944, als die südalbanischen Partisanen die Wehrmacht schon in die Flucht getrieben und Albanien befreit hatten, blieb speziell das Kosovo noch im Lager der Achsenmächte verankert. Keineswegs zufällig unternahm gerade hier die SS ihren letzten Versuch, den unvermeidlichen Sieg der Allierten noch aufzuhalten. Nachdem ihnen der Boden in Tirana zu heiß geworden war, setzten sich die beiden zurückgebliebenen Statthalter Deutschlands im Oktober 1944 nach Prizren ab und unterstützten die Errichtung einer antikommunistischen Regierung im Kosovo unter Führung ihres langjährigen Freundes, des Kollaborateurs Xhafer Deva, und führten ihr große Mengen an Waffen, Munition, Lebensmittelvorräten und vermutlich auch Agenten zu. Die Deva-Truppen sollen um die Jahreswende 1944/45 über mehr als 6000 Soldaten verfügt haben, ihr örtliches Zentrum war die Drenica-Region. Der Widerstand der Deva-Truppen gegen Titos Partisanenarmee dauerte von November 1944 bis Mai 1945 und konnte erst nach dem Einsatz einer 30.000-köpfigen Partisanenarmee zerschlagen werden. [17] Die Großalbanien-Idee blieb jedoch virulent und lebte Anfang der 80er Jahre im Kosovo wieder auf.

Das Pogrom als Programm

Seit Titos Verfassungsänderung von 1974 konnte von einer Diskrimierung der Kosovo-Albaner keine Rede sein. Im Gegenteil: Diese genossen sämtliche Rechte und kontrollierten das gesamte „albanisierte“ Kosovo. Dennoch stand für die Nationalisten auch in dieser Situation die Vertreibung und Drangsalierung aller Nicht-Albaner ganz oben auf der Tagesordnung. Das Ziel dieser Bewegung ist „ein ,ethnisch reines‘, das heißt von Serben und anderen Slawen ,gesäubertes Gebiet‘, in dem nur Albaner siedeln“, berichtete 1986 Die Welt. „Das Ziel der radikalen Nationalisten ist … ein ,ethnisches Albanien, das West-Mazedonien, Süd-Montenegro, Teile des südlichen Serbiens, Kosovo und Albanien umfasst“, notierte 1987 die New York Times. Die Flucht der Slawen vor der andauernden Gewalt verwandelt das Kosovo in eben das, was die Nationalisten unter den ethnischen Albanern seit Jahren … fordern – in eine ,ethnisch reine‘ Region.“ [18]

Mit der deutschen Einheit von 1990 kam auch die traditionelle Schutzmacht der Großalbanien-Idee wieder ins Spiel. Noch im selben Jahr erklärten die Kosovo-Nationalisten ihre Provinz für unabhängig. Ibrahim Rugova wurde zum „Präsidenten“ und Bujar Bukoshi zum „Regierungschef“ eines „unabhängigen Kosova“ ernannt. Beide machten aus ihrer weitreichenden Zielsetzung keinen Hehl. „Ich persönlich strebe eine Vereinigung mit Albanien an“, erklärte 1991 Rugova. „Die beste Lösung wäre allerdings, alle Albaner könnten in einem Staat zusammenleben, auch die Albaner in Mazedonien müßten daran beteiligt werden.“ [19] Bujar Bukoshi, der seine „Exilregierung“ nicht zufällig in Deutschland installierte, stand dem nicht nach: „Wir werden alles tun, damit die freie Republik Kosovo und Albanien eines Tages eins werden“, zitierte ihn die taz und fügte hinzu: „Schon lernen die Kinder in den Privatschulen, wie sie sich bei einem ,Vertreibungskrieg‘ zu verhalten haben.“ [20] In der Tat: Dieses Privatschulprogramm der Kosovo-Albaner – von Deutschland aus geleitete, von albanischen Migranten finanzierte und von der Bundesregierung politisch unterstütze – setzte mit seinen „grotesk nationalistisch und antiserbisch“ (W. Oschlies) ausgerichteten Materialien eben jene „Bildungsarbeit“ fort, die 1944 in den deutschen Besatzungszonen abgebrochen worden war. [21]

Die ersten Sprengsätze für ein neues Großalbanien gingen Februar 1996 hoch: Als erste öffentlichen Aktion attackierte die UCK fünf serbische Flüchtlingslager zeitgleich mit Bombenanschlägen. So begann, wie ein UCK-Sprecher später erklärte, „der Krieg für die Befreiung der Kosovo-Territorien, die von Serben, Makedonern und Montenegrinern okkupiert sind.“ [22] Es ist kein Zufall, dass schon diese erste Aktion die Handschrift der alten SS-Division „Skanderbeg“ trug. Viele Führungskader der UCK, so etwa ihr Gründer Adem Jashari, wurden als die Kinder oder Enkel von Angehörigen der alten SS-Division Skanderbeg rekrutiert. Gern prahlt auch die rechtsextreme albanische Organisation „Balli Kombetar“ (Nationale Front), die 1944 zu den wichtigsten Stützen der Nazi-Herrschaft zählte, mit ihrem Einfluss in der UCK. [23] Mit einigen Gebräuchen knüpfte die UCK auch unmittelbar an ihre Nazi-Vorläufer an. So werden bis heute zumindest die mazedonischen UCK-Mitglieder in Anlehnung an das 1941 in Prizren stationierte faschistische Schwarzhemden-Bataillon in eine schwarze Kluft gesteckt. Und auch ihr ursprünglicher Gruß – geballte Faust an die Stirn – enstammt der faschistischen Tradition. Erst nachdem dies bei historisch versierten Beobachtern Irritationen auslöste, wurde der militärische Gruß dem in der Nato üblichen angepasst. [24]

Der wichtigste Kontinuitätsbezug zwischen der SS-Division Skanderbeg und der UCK liegt in der Tatsache begründet, dass es beiden nicht um irgendeine Form albanischer Eigenstaatlichkeit, sondern stets um eine „ethnisch reine“ Eigenstaatlichkeit gegangen ist, die alles, was vom völkischen Homogenitätsideal abweicht oder an die ehemalige serbische Herrschaft erinnert, zerstören und ausrotten will. Ihr Freiheits-Begriff ist am nationalsozialistischen „frei von“ orientiert: Frei von Juden, frei von Roma, frei von Türken und mazedonischen Slawen. Dieses Verständnis von „Befreiung“ hatte die UCK von Anbeginn in den von ihre kontrollierten Gebieten vorgeführt. “In den solchermaßen befreiten Dörfern verbot die UCK alle politischen Parteien und ging gewaltsam gegen die Minoritäten der Serben, Roma und Goranen (islamische Makedonier) vor.“ [25] Mit diesem völkisch-faschistoiden Gesellschaftsmodell ist das wohl wichtigste Merkmal des Projekts „Großalbanien“ benannt.

Schutzzone für die UCK

Seit Beginn des Nato-Protektorats im Kosovo wurden alte Erinnerungen an das Großalbanien der Jahre 1943/44 wach.Als die deutschen Truppen in Prizren einmarschierten, wurden sie wie alte Wehrmachtsfreunde begrüßt. „Sicher hatten es die Deutschen von der ersten Stunde an leichter als die übrigen Kfor-Truppen“, berichtete der Spiegel. „Deren Parteinahme zu Zeiten Hitlers für die Unabhängigkeit der Albaner haben die heute noch lebenden Jahrgänge absichtsvoll zu einer geschichtlich beglaubigten Bruderschaft verewigt und an ihre Enkel weitergereicht. ... Wie anno 1943 … preisen besonders die UCK-Hierarchen den ,historisch belegten Pakt‘.“ [26] In einem „Leitfaden für Bundeswehrkontingente im Kosovo“ hat die Bundesregierung diese Verbrüderungen thematisiert. „Es ist nicht auszuschließen“, heißt es darin, „dass Sie von Verwandten oder Freunden ehemaliger Angehöriger der SS-Division ,Skanderbeg‘ ... auf diese geschichtlichen Bezüge angesprochen werden.“ Dies habe jedoch mit einer Heroisierung der Nazi-Herrschaft nicht unbedingt zu tun. Genausogut könne, um „Verbundenheit“ auszudrücken,.ein deutscher Fußballer genannt werden.“ [27] Verbundenheit mit Deutschland wird in diesem Leitfaden mit „nazifreundlich“ gleichgesetzt und der Begeisterung für die Taten der Wehrmacht Normalität attestiert. Ihre Verbundenheit mit der Wehrmacht demonstriert tagtäglich aber auch die Bundeswehr. In präziser Nachahmung eines seit 1941 vom deutschen Sender „Radio Belgrad“ gepflegten Rituals wird in Prizren als täglicher Ausklang des deutschen Soldatensenders der Wehrmachtsschlager „Lili Marleen“ ausgestrahlt; eine Provokation, die sich die Bundesregierung nur dort erlauben kann, wo einstmals ein Zentrum der Nazi-Kollaboration gewesen war. [28] Und doch hat diese Musikauswahl einen tieferen, wenn auch unbeabsichtigten Sinn: Zeitgleich zur Ausstrahlung der alten Melodie wurde in Prizren an die „Säuberungen“ der früheren albanischen SS-Division angeknüpft. In keiner anderen Besatzungszone des Kosovo erhielt die UCK eine größere Pogromfreiheit als in der deutschen. „In Prizren haben es die deutschen Soldaten den albanischen Kämpfern der Kosovo-Befreiungsarmee überlassen, das in der Stadt geltende Recht zu bestimmen, und damit die serbischen Familien ihrem Schicksal überlassen“, kritisierte der in Paris erscheinende Figaro. [29] „Die UCK habe erklärt, Prizren stehe vollständig unter ihrer Kontrolle“, bestätigte auch die FAZ. Selbst das geistliche Oberhaupt der Serben im Kosovo, Bischof Artemije, hatte vergeblich Sicherheitsgarantien vom deutschen Kfor-Kontingent in Prizren erbeten.“ [30]

Ethnische Reinheit – deutsches Ideal. 10.000 Serben aus Prizren wurden fast vollzählig erschlagen oder vertrieben, die Roma aus dem Kosovo systematisch verfolgt und die letzte jüdische Gemeinde von Pristina unter Gewaltandrohung verjagt. Und doch scheint dies für die deutsche Politik in erster Linie eine Erfolgsbilanz zu sein.“Im Kosovo sei die Kriminalität nun geringer als in Moskau“, frohlockte zum Beispiel Rudolf Scharping und auch der ehemalige deutsche Kfor-Kommandant Klaus Reinhardt strotzt nur so vor Zufriedenheit: „Heute geht es in Prizren und Pristina wie in anderen westlichen Städten zu: Die Discos sind voll, die Leute sitzen auf den Boulevards und freuen sich, dass sie in Frieden leben können.“ Frieden, so die Logik, sei eingekehrt, weil die „Fremdvölkischen“ endlich wieder verjagt worden sind. „Nur in den Zonen“, schränkt Reinhard ein, „wo die verschiedenen ethnischen Gruppen aufeinanderstoßen, sind die Spannungen noch groß.“ [31] Anders formuliert: Nur in Zonen und Ländern mit „ethnischer Reinheit“ sind Gefahrenpotentiale eliminiert. Das Kosovo als völkisches Musterland? Schon haben Bundeswehr-Offiziere ihrer Auffassung Ausdruck verliehen, dass „die westliche Vorstellung nach einem friedlichen Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in multiethnischen Staatsgebilden … nichts als eine Fiktion“ ist? [32]

Macht und Wahn

Wie in der Vergangenheit, so hat sich Deutschland auch in der Gegenwart als Schutzmacht des völkischen albanischen Nationalismus profiliert – mit Verve, mit Kompetenz und mit einem hochmotivierten Apparat. Für diese Politik wurde Gerhard Schröder in Prizren mit „ungewöhnlich euphorischem Jubel“ bedacht. Soweit ist alles klar.

Warum aber war Schröder, als er sich in Prizren feiern ließ, so „tief berührt“? Warum ging er davon aus, daß dieser Jubel „vor dem Hintergrund der spezifisch deutschen Geschichte“ eigentlich jeden berühren müsse? Die Erklärung liegt auf der Hand: Der Bundeskanzler hat den Beifall der Kosovo-Albaner nicht als einen Jubel über die Kontinuität der deutschen Albanien-Politik wahrgenommen, sondern in diesen Beifall das genaue Gegenteil hineinphantasiert: die Bestätigung einer vermeintlichen Diskontinuität und die Belobigung eines „geschichtsgeläuterten“ Deutschlands. Im narzisstischen Hochgefühl derealisierte Schröder die Wirklichkeit und tat so, als hätten nicht die Verteidiger der Kollaboration Deutschland hochleben lassen, sondern die Nachfahren von Titos Partisanenarmee.

Die Berührtheit des Kanzlers macht den Wahn manifest: Eine spezifische psychologische Disposition formt sich ihre eigene Wirklichkeit.

Für diese Disposition ist Auschwitz – also das Schuld- und Entlastungsmotiv –zentral. Der Einsatz der Bundeswehr, rief der Kanzler den in Prizren stationierten Soldaten zu, trage dazu bei, „historische Schuld und historisches Verbrechen, die im deutschen Namen begangen wurden, durch ein anderes Bild Deutschlands zu ersetzen.“ [33] Der logische Defekt in Schröders Formulierung – können Bilder Verbrechen „ersetzen“? – korrespondiert mit dem psycho-logischen des deutschen Kollektivs: Nach dem Modell der Festplatte, die man löscht und mit einem neuen Programm überschreibt, stehen Schröder & Co. unter dem Zwang, die Nazi-Verbrechen löschen und mit einem „Stolz auf Deutschland“-Progamm überschreiben zu wollen.

Zwar kollidiert diese Disposition mit der politischen Realität: die Kontinuitätslinien zwischen aktueller und nationalsozialistischer Kosovo-Politik liegen offen zutage. Die Wirklichkeit wird vom gesellschaftlichen Bewußtsein jedoch nur soweit anerkannt, wie sie mit der sozialpsychologischen Bedarfslage harmoniert. Zwar haben sich die Deutschen angeblich so intensiv mit ihrer Vergangenheit befasst, wie niemand sonst. Doch die Verbrechen der kosovo-albanischen SS werden wie selbstverständlich ignoriert, erinnern sie doch an die Gegenwart. Zwar erfreut sich das Thema „Vertreibung“ einer allgemeinen Popularität. Doch die Vertreibung der Juden von Pristina, die u.a. das britische Parlament beschäftigte, wird hierzulande tabuisert, erinnert sie doch an die Vergangenheit. Das große pluralistische Geschwafel, das im Gestus der absoluten Aufgeklärtheit die deutschen Gazetten und Kanäle füllt, weicht abrupt einem durchgängigen Schweigen, sofern der Bedarf nach Entlastung zu Schaden kommen könnte und der nationalsozialistische Hintergrund der aktuellen deutschen Großalbanienpläne kenntlich zu werden droht.

Quelle: konkret 5/2001, S. 19-21 (gekürzte Version) sowie Antifaschistisches Infoblatt Nr. 53, Sommer 2001, S. 42-47.
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[1] Internationale Politik 10/1999, S. 69. Ich bedanke mich bei Rosi Wittenhagen und Frank Behn für Anregung und Kritik.

[2] Großalbanien ist kein fester geographischer Begriff. Der erste und wichtigste Schritt dahin ist die Unabhängigkeit des Kosovo, die Deutschland im Windschatten der Mazedonien-Krise mithilfe der Durchsetzung landesweiter Wahlen und einem sich anschließenden Kosovo-Referendum durchzusetzen will. Siehe hierzu mein Dossier: Grenzenlose Freunde, in: Jungle World, 4. April 2001 (www.jungle-world.com).

[3] Vgl. Bernd J. Fischer, Albania at War 1939-1945, Hurst & Co., London 1999, S. 168 und 185. Fischers Studie ist die am Gründlichsten recherchierte über diese Zeit. Soweit nicht anders angegeben, stammen die folgenden Informationen aus seinem Buch.

[4] Smilja Avramov, Geoncide in Yugoslavia, zit. nach George Thompson, The roots of Kosovo fascism, vgl. www. Emperors-clothes.com/articles/thompson/rootsof.htm, S.2.

[5] Fischer, a.a.O., S.89.

[6] Vgl. Miranda Vickers, Between Serb and Albanian. A Historiy of Kosovo, Hurst & Co., London, 1998, S.92. 92.)

[7] Nach Darstellung albanischer Nationalisten mußten sich die Kosovo-Albaner geradezu zwangsläufig an die Seite der Mittelmächte und der Achse schlagen. Schließlich habe man „die albanische Nation“ anlässlich der Londoner Friedenskonferenz von 1912 auf ganz verschiedene Staaten: Albanien, Griechenland und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen aufgeteilt und damit erst jenes Unrecht geschaffen, dass für die Parteinahme der Kosovo-Albaner entscheidend war. In Wirklichkeit konnte von einer nationalen albanischen Bewegung 1912 keine Rede sein. Der albanische Staat wurde anläßlich der Londoner Friedenskonferenz von Wien und Berlin erfunden, um den drohenden „serbisch-russischen Zugang zur Adria zu unterbinden. Großbritannien und Frankreich setzten im Gegenzug durch, dass das Kosovo beim serbischen Staat verbleibt. Der in London so zur Welt gebrachte Staat verfügte weder über eine Idee noch über eine Bewegung, die seine Existenz hätte rechtfertigen können. Zwar hatten 1912 einige albanische Clanführer mit diskreter österreichischer Unterstützung in der Hafenstadt Vlora die Unabhängigkeit Albaniens und eine provisorische Regierung ausgerufen.. Tatsächlich aber war das von dieser „Regierung“ kontrollierte Gebiet exakt auf jene Kleinstadt beschränkt. Die Antwort auf die Frage, welche Staatsform das neue albanische Gebilde eigentlich erhalten solle, wurde erst sechs Monate nach „Staatsgründung“ formuliert. Man einigte sich 1913 darauf, „dass Albanien ein souveränes Fürstentum unter der erblichen Herrschaft eines Fürsten sein sollte, dessen Auswahl sich die Mächte vorbehielten.“ Kann es angesichts dieser Farce verwundern, dass die in Versailles tagenden Sieger des I. Weltkriegs dazu neigten, Albanien „vollständig zwischen Griechenland und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen aufzuteilen? Es war das antislawisch ausgerichtete Interesse der Mittel- bzw. Achsmächte, das die Kosovo-Albaner zu ihrem bevorzugten Instrument und zum sorgfältig gehegten Objekt spezifischer Erziehungs- und Nationsbildungsprogramme machte. (Vgl Klaus Thörner, in: J. Elsässer (Hg.),Nie wieder Krieg ohne uns, Hamburg 1999, S.16ff sowie Peter Bartl, Albanien, Regensburg 1995, S. 135, 138, 189f.)

[8] Brief Neubachers an das Auswärtige Amt vom 12.September 1943, zit. nach: Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie E: 1941-45, Bd. VIII (1. Mai 1944 – 8. Mai 1945, S. 540 (Dok. 316).

[9] Bernd J. Fischer, a.a.O., S. 167.

[10] Archiv der Gegenwart, 1944, S.6449.

[11] Neubacher, a.a.O., S. 110.

[12] Vgl. Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, Band IV, S.624; Fischer, a.a.O., S. 185; Neubacher, a.a.O., S. 116.

[13] Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. II, Frankfurt/M. 1990, S. 751.

[14] Karola Fings, Cordula Lissner, Frank Sparing, ”...einziges Land, in dem Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst.” Die Verfolgung der Roma im faschistisch besetzten Jugoslawien 1941-1945, Köln, S. 43.

[15] Geoff Ryan, Spielball fremder Interessen. Die albanische nationale Bewegung in Kosova, in: Soz 10/13.5.1999.

[16] Christine von Kohl, Wolfgang Libal, Kosovo: gordischer Knoten des Balkan, Wien 1992, S. 48 f.

[17] Fischer, a.a.O., S. 240; Jens Reuter, a.a.O., S. 35.

[18] Die Welt, 17.1.86; NYT, 1.11.1987.

[19] Guardian, 14.10.1991 sowie taz, 25.10.1993.

[20] taz, 11.5.1992.

[21] Den außenpolitische Stellenwert derartiger Indoktrination erhellt die akuelle Meldung, wonach „die Bundesregierung eine Million Mark für die im mazedonischen Tetovo geplante albanisch-sprachige Universität zur Verfügung (stellt). Wie das Auswärtige Amt in Berlin mitteilte, soll die private Einrichtung der albanischen Minderheit in Mazedonien die Möglichkeit einer anerkannten Hochschulbildung ,in eigener Sprache im eigenen Land‘ eröffnen.“ (FR, 5.April 2001)

[22] Zit. nach W. Oschlies, Kosovo ´98: Breitenwirkung und (mögliche) Lösungen des Konflikts, Köln 1998, S. 7.

[23] Stefan Lipsium, Kosovo: Politische Führung zerstritten, in: Südosteuropa, Heft 7/8 1999, S.370.

[24] Vgl. Foreign Affairs, May/June 1999, S. 27. Als zweite ideologische Quelle der UCK wird gern auf die von Enver Hoxha adoptierte Form des Maoismus verwiesen. Mit diesem Mißverständnis räumte der führende „Enverist“ der 80er Jahre und spätere UCK-Vorsitzende Adem Demaci jedoch schon 1997 auf. „Hätten wir antikommunistische Propaganda verbreitet“, erinnerte sich der frühere Professor an der Universität Pristina, „hätten wir das Quäntchen an Unterstützung verloren, das wir vom Hoxha-Regime zu bekommen erhofften. ... Die marxistisch-leninistische Ideologie war nur ein Deckmantel, der von wahren Patrioten für die Unterstützung des Ziels der nationalen Befreiung genutzt worden ist.“ (Interview mit Demaci, in: R. Elsie (Hg), Kosovo. The Heart of the Powder Keg, New York 1997, S. 484ff.)

[25] Le Monde Diplomatique, Mai 1999, S. 20.

[26] Spiegel 36/1999, S.184 sowie 35/1999, S.151.

[27] Vgl. Rüdiger Göbel, „Der Albaner ist…“, in: junge Welt, 30. Juni 2000.

[28] Vgl. etwa Die Zeit, 12.8.1999.

[29] Vgl. taz, 21.6.1999. Wenige Tage nach Veröffentlichung dieser Meldung ließ sich Schröder in Prizren von der UCK-Gemeinde feiern.

[30] FAZ, 17.6.1999.

[31] Interview mit K. Reinhardt, in: Die Woche, 9.6.2000. Zur Aussage Scharping: FAZ, 27.10.00.

[32] So Bundeswehr-Offiziere im Gespräch mit der FAZ, 19.3.2001.

[33] Spiegel 30/1999, S. 25.