Islamisten schüren ungestraft Antisemitismus

Von Matthias Küntzel

Deutschlandfunk (Morgenmagazin), 27. Dezember 2007

Der Politologe Matthias Küntzel sieht den Friedensprozess im Nahen Osten entscheidend durch islamistischen Antisemitismus belastet. Zugleich warf Küntzel der Bundesregierung vor, nicht gegen antijüdische Propaganda Stellung zu beziehen. Küntzel sprach sich dafür aus, “Urheber und Transporteure der Hasspropaganda mit Sanktionen zu bestrafen oder die Freigabe von Entwicklungshilfe vom Verzicht aus diese Propaganda in staatlichen Medien abhängig zu machen”.

Bettina Klein: Guten Morgen, Herr Küntzel!

Küntzel: Guten Morgen, Frau Klein!

Klein: Zunächst mal die Frage, inwiefern hat der islamische Antisemitismus, den Sie beklagen, heute etwas mit deutscher Politik zu tun?

Matthias Küntzel: Ja nun, auf der einen Seite erleben wir eine antisemitische Gehirnwäsche, die durchaus an die Gehirnwäsche der Nazis erinnert…

Klein: Das müssen Sie jetzt mal erklären.

Küntzel: Na ja, das ist, man könnte es an einem Beispiel darstellen, zum Beispiel hat der Iran, finanziert der Iran einen Satellitenfernsehsender, Al-Manar, das ist der offizielle Sender der Hisbollah-Bewegung, der wird auch in Deutschland gesehen, der wird auch vom Verfassungsschutz in Deutschland als eine Art Leitmedium für Islamisten in Deutschland betrachtet. Und dort wird ein Antisemitismus verbreitet, der wirklich beispiellos ist, zum Beispiel wurde dort das antisemitische Machwerk “Die Protokolle der Waisen von Zion” als eine Spielfilmserie verbreitet, oder es werden zum Beispiel die uralten antijüdischen Lügen, dass Juden das Blut von Christenkindern trinken würden neu aufbereitet und propagiert. Man sah zum Beispiel eine Szene in dieser Fernsehreihe, da wurde ein christlicher kleiner Junge weggeschleppt in einen Keller, und dann ging die Kamera mit Großaufnahme auf dessen Kehle zu, dann sah man, wie dessen Kehle durchgeschnitten wurde, das Blut sozusagen aufgefangen wurde, damit die Juden dort ihr Brot mit backen können. Solche Szenen, die in die Wohnzimmer der muslimischen Familien gelangen, wo die Kinder sie sehen, verschaffen eine derart verpestete Atmosphäre, dass natürlich man sich dann nicht wundern muss, wenn plötzlich auch in Deutschland jüdische Mädchen oder Schülerinnen und Schüler angegriffen werden.

Klein: Sie weisen auf die Parallelen hin zwischen dem Antisemitismus der Nazis und jenem islamistischer Fundamentalisten. Worin bestehen die?

Küntzel: Nun, das besondere an dem islamischen Antisemitismus ist natürlich, dass er auf koranischen Direktiven aufbaut. Aber so wie der Nazi-Antisemitismus auf christlichen Grundlagen ursprünglich aufbaute, hat auch der islamische Antisemitismus in den 30er Jahren eine ungeheure Radikalisierung erfahren, insofern, als man plötzlich nicht nur das, was jüdisch ist, als schlecht betrachtete, sondern alles, was schlecht ist in der modernen Welt, als jüdisch interpretierte. Wenn wir zum Beispiel die Charta der Hamas uns genau anschauen, dann stellen wir fest, dass dort sämtliche Übel der Weltgeschichte auf Juden zurückgeführt werden, die Revolution in Russland, in Frankreich, das sei alles eine jüdische Tat gewesen, der Erste Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg, das sei von Juden organisiert gewesen. Es wird also im Grunde genommen ein zentraler Bösewicht aufgemacht, und es wird suggeriert, wenn wir den vernichten, dann ist die Welt gut.

Klein: Wie schwer wiegt dieser Faktor, diese Beobachtung, die Sie gemacht haben, für die aktuellen Prozesse und für die aktuellen Versuche, die Konflikte im Nahen Osten, Sie haben das Beispiel Iran genannt, ich habe das Beispiel Gespräche heute zwischen Palästinensern und Israelis genannt, wie schwer wiegt dieser Faktor bei der aktuellen Entwicklung?

Küntzel: Nun, es ist ja schon so, dass wir miterlebt hatten zum Beispiel, wie der Gazastreifen völlig geräumt worden ist von den Israelis. Es hätte also eine gute Chance gegeben, endlich mal eine Region des Friedens, des ökonomischen Austauschs des Wohlstandes aufzubauen. Stattdessen wurde daraus ein riesiges Waffenlager gemacht. Das heißt, wir sehen schon, wenn ich das ernst nehme, was die Hamas-Charta schreibt, dass Juden für diese ganzen Übel der Weltgeschichte verantwortlich sind, dann muss ich natürlich einen Staat wie Israel zerstören wollen.

Klein: Aber das klingt wiederum mit Verlaub auch nach einer Verschwörungstheorie nur von der anderen Seite her.

Küntzel: Na ja, das ist nicht richtig, denn Verschwörungsmythen unterstellen ja, dass irgendwelche im Verborgenen agierenden Konspiratoren irgendeinen umfassenden Plan mit betrügerischen Mitteln unter Täuschung der Öffentlichkeit durchzusetzen versuchen, während hier diese islamistischen Antisemiten nicht im Verborgenen agieren, sondern ganz öffentlich. Sie täuschen niemanden. Hat Ahmadinedschad je verschwiegen, dass er Israel zerstören will? Wir müssen also nicht etwas Verborgenes aufspüren, sondern wir müssen etwas laut Ausgesprochenes wörtlich nehmen.

Klein: Aber was Sie sagen, Herr Küntzel, das beschreitet natürlich den bekannten Weg der gegenseitigen Schuldzuweisungen, die wir seit Jahrzehnten ja auch im Nahen Osten erleben, von den Palästinensern Richtung Israel gerichtet und umgekehrt. Das heißt, es gibt nur die eine Möglichkeit, wirklich radikal sich auf eine Seite zu stellen? Müsste es nicht darum gehen, auch bei antisemitischen Tendenzen dann dahin zu kommen, eben wirklich auf Ausgleich und Versöhnung zu setzen?

Küntzel: Das ist natürlich entscheidend. Ich setze auch auf Ausgleich und Versöhnung, aber das setzt voraus, dass wir erst einmal die Faktoren, die diese Versöhnung seit vielen Jahrzehnten verhindern, ernst nehmen. Und es gab in Israel die große, große Bewegung “Frieden gegen Land”. Man war bereit, das Land abzugeben für Frieden. Und man muss sich doch jetzt die Frage stellen, zum Beispiel, warum will der Iran Israel auslöschen? Der Iran hat kein Grenzproblem mit Israel. Der Iran hat kein Palästinenserproblem. Der Iran hat eine lange Geschichte 2500 Jahre lang zusammen mit Jude und eigentlich mehr Ärger mit den Arabern gehabt in der Geschichte. Also warum will der Iran Israel auslöschen? Und die Antwort ist, weil der Iran eine antisemitische Fantasie von Israel hat.

Klein: Sie haben jüngst davon geschrieben, dass auch Adolf Hitler die Vision gehabt habe, Flugzeuge in die Wolkenkratzer von New York zu fliegen, nachzulesen sei das in den Tagebüchern von Albert Speer, der berichtet von einer Art Ekstase bei Hitler angesichts der Vorstellung brennender Türme in Manhattan. Und das war zu Beginn der 40er Jahre. Eine Schreckensfantasie, die die Attentäter des 11. September mehr oder weniger in die Wirklichkeit umgesetzt haben. Sehen Sie da Parallelen oder Verbindungen?

Küntzel: Natürlich gibt es keine direkten Verbindungen. Ich habe auch geschrieben, dass war ein Zufall, dass das jetzt von Deutschland ausging mit dem 11.-September-Attentat, aber der Zusammenhang besteht darin, wir wissen eigentlich seit Hitler, seit Goebbels, dass man das, was diese Menschen propagiert hatten, ernst nehmen muss. Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch hat an einem Stück geschrieben, das ist sehr bekannt, “Biedermann und die Brandstifter”. Und darin hat dann der Max Frisch, dem erfolgreichen Brandstifter, das folgende Wort in den Mund gelegt, Zitat: “Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise, die glaubt niemand.” Und das Zitat war natürlich gemünzt auf Hitler, auf Goebbels, dass niemand geglaubt hat, dass sie das, was sie angekündigt haben, wahrmachen würden. Und heute erleben wir, dass man zwar die Worte vernimmt, aber sie nicht ernst nimmt. Man hört nicht wirklich hin, man klammert sich lieber an die komfortable, ein bisschen Mut machende Unwahrheit, dass das alles nicht so schlimm sei, dass es vielleicht nur die Politik Israels ist und der Amerikaner, und wenn die sich ein bisschen ändert, wird alles wieder gut. Das ist nicht so.

Klein: Aber wer nimmt das nicht ernst?

Küntzel: Ich meine zum Beispiel die Bundesregierung.

Klein: Inwiefern?

Küntzel: Insofern, als die deutsche Außenpolitik merkwürdigerweise diesen islamischen Antisemitismus nicht berücksichtigt in ihrer Politik. Anstatt also zum Beispiel die Urheber und Transporteure der Hasspropaganda mit Sanktionen zu bestrafen oder die Freigabe von Entwicklungshilfe vom Verzicht aus diese Propaganda in staatlichen Medien abhängig zu machen, anstatt diese Verwüstung des menschlichen Geistes bei jeder Gelegenheit politisch anzuprangern, ja, also im Grunde genommen die einfachsten Schlussfolgerungen aus dem Holocaust zu ziehen, stattdessen geschieht auf diesem Gebiet rein nichts.

Klein: Würden Sie so weit gehen, zu sagen, da herrscht auf diesem Auge weiterhin und immer noch nach vielen Jahrzehnten der Auseinandersetzung, die die Deutschen mit ihrer Geschichte hinter sich haben, herrscht auf diesem Auge weiterhin eine Art Blindheit? Würden Sie das der Bundesregierung unterstellen?

Küntzel: Auf dem außenpolitischen Gebiet würde ich das der Bundesregierung unterstellen, und es diskreditiert natürlich alle die Maßnahmen zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Innenpolitisch ist es etwas anderes, also wenn in Berlin muslimische Jugendliche jüdische Mädchen attackieren, ist das durchaus ein Thema der Medien und wird auch mit politischen Maßnahmen verfolgt. Aber das Verrückte ist, dass die Quelle, zum Beispiel dieser Fernsehsender Al-Manar, der über einen ägyptischen und über eine saudischen Satellitenkanal über Deutschland ausgestrahlt wird, dass diese Quelle nicht angegangen wird, dass nicht Druck auf Ägypten und Saudi-Arabien ausgeübt wird mit dem Ziel, diese Ausstrahlung von antisemitischer Hasspropaganda zu unterbinden. Und das ist, glaube ich, das Mindeste, was man verlangen kann.

Klein: Die Einschätzungen von Matthias Küntzel, Autor und Politikwissenschaftler, danke Ihnen für das Gespräch, Herr Küntzel.

Küntzel: Ich danke Ihnen.

Siehe: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/717958/