Islamischer Antisemitismus und der 8. Mai

Vortrag vor der B’nai B’rith Loge „Hans Rosenthal“ am 8. Mai 2005 in Berlin

Von Matthias Küntzel

Mai 2005

Zunächst einmal möchte ich Ihnen ein Kompliment machen. Viele lehnen es gerade in diesen Tagen ab, sich mit dem arabischen Antisemitismus zu befassen. Warum? Seit Arafats Tod sprießen die Hoffnungen auf eine friedliche Beilegung des Nahostkonflikts. Da hält man sich die schlechten Nachrichten gerne vom Leib. Unser heutiges Thema fügt der Hoffnung ein Stück Realismus, ein Stück schlechte Nachricht hinzu. Meistens ist Realismus schwerer zu ertragen als die Illusion.

Deshalb ehrt Sie Ihre Entscheidung, sich heute mit dem wohl problematischsten Aspekte des Nahostkonflikts – dem arabischen Antisemitismus – zu befassen.

Ich darf Ihnen zugleich versichern, dass es für das Thema des heutigen Abends kaum ein besseres Datum als den 8. Mai gibt. Dieses Datum wird der Ausgangspunkt meiner Darstellung sein.

Am 8. Mai wurde das antisemitische Regime in Berlin besiegt, dem es gelungen war, einen 3 Millionen Quadratkilometer großen Todeskessel zu schaffen, innerhalb dessen alle Juden, derer man habhaft werden konnte, erschossen, erschlagen oder vergast worden sind.

Auch deshalb wurde nach dem 8. Mai 1945 überall in der Welt der Bannfluch über den Nationalsozialismus ausgesprochen. Überall in der Welt sah man die Bilder aus den Konzentrationslagern – die Berge toter Gerippe sowie die ausgemergelten und halbtoten Überlebenden – und war sich einig in der Verdammung des Nazi-Regimes?

Überall in der Welt? Nein. Die arabische Welt ging erinnerungspolitisch einen anderen Weg. Hier wurde in der maßgeblichen veröffentlichten Meinung der Nationalsozialismus und dessen Judenvernichtung keineswegs generell mit einem Bannfluch belegt. Hier lebte das Gerücht von der jüdischen Weltverschwörung weiter fort, so, als hätte es den 8. Mai nie gegeben. Hier wurden in Kairo im November 1945 die bis dahin größten antijüdischen Pogrome in der Geschichte Ägyptens verübt. Hier wurde im Sommer 1946 einer der berüchtigtsten Nazihelfer und Kriegsverbrecher – der Mufti von Jerusalem – nach seiner illegalen Rückkehr nach Ägypten als Held gefeiert.

Dem 8. Mai 1945 folgte eine zweifache Teilung der Welt. Die Spaltung in die politökonomischen Systeme ist als der Kalte Krieg bekannt. Die zweite Kluft, die der Kalte Krieg nur überdeckte, und die erst jetzt – nach dem Kalten Krieg – nach und nach erkennbar wird hat mit der Akzeptanz und teilweise gar mit dem Fortleben nationalsozialistischen Gedankenguts zu tun. In ihrem Bericht über den 1961 geführten Prozess gegen Adolf Eichmann gab Hannah Arendt den Blick auf diesen Abgrund frei: „Die Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo und Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern, dass er ,sein Geschäft nicht zu Ende geführt’ habe; eine Rundfunksendung aus Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt sogar einen kleinen Seitenhieb auf die Deutschen, denen jetzt noch vorgeworfen wurde, dass ,im letzten Krieg nicht ein deutsches Flugzeug je eine jüdische Siedlung überflogen und bombardiert’ hätte.“[1]

Hannah Arendt mag hier vielleicht übertrieben oder einseitig berichtet haben. Tatsache aber ist, dass diese Haltung zum Holocaust auch heute in der arabischen Welt durchaus anzutreffen ist. So formulierte im April 2002 der Kolumnist der zweitgrößten, staatlich kontrollierten ägyptischen Tageszeitung, Al Akhba sein Bedauern, dass der Holocaust nicht radikal genug stattgefunden habe und seinen Herzenswunsch, endlich alle Juden vernichtet zu sehen. Er schrieb: „Hinsichtlich des Schwindels mit dem Holocaust haben viele französische Studien bewiesen, dass dies nichts als Fabrikation, Lüge und Betrug ist. Ich aber beschwere mich bei Hitler und erkläre ihm vom tiefsten Grund meines Herzens: ,Wenn du es nur getan hättest, mein Bruder, wenn es doch nur wirklich geschehen wäre, sodass die Welt ohne ihr [der Juden] Übel und ihre Sünde erleichtert aufseufzen könnte.“[2]

Dieser Kommentar war zweifellos besonders boshaft und stellt deshalb keine verallgemeinerbare ägyptische Stellungnahme dar. Doch schon die Tatsache, dass er keinen Aufschrei der Empörung auslöste und somit für die meisten Leser von al-Akbha akzeptabel erschien, ist schlimm genug.

Derartige Positionen zum Holocaust bleiben völlig unerklärlich, wenn wir den gedanklichen Kontext, in dem sie geschrieben werden, außer Acht lassen. Dieser Kontext ist durch eine weitere Besonderheit geprägt, die die arabische Welt vom Rest dieser Erde unterscheidet. Ich meine damit die Popularität, die das berüchtigste antisemitische Pamphlet der Geschichte – die „Protokolle der Weisen von Zion“ – hier genießt.

Diese Protokolle sind eine Waffe aus Papier. Sie projizieren alle vermeintlichen Übel der Moderne auf einen einzigen Feind, die Juden, und teilen die Welt manichäisch auf: Hier das bedrohte Gute, dort das jüdische Böse. Entweder Vernichtung des Bösen oder aber eigener Untergang. In Russland löste das Pamphlet Text Pogrome aus, in Deutschland war es der Leitfaden zum Holocaust: Kein anderer Text hatte Hitlers Judenpolitik maßgeblicher geprägt, als diese sogenannten Protokolle, die Alfred Rosenberg 1919 von Russland nach Berlin brachte und sofort seinem Freund Adolf Hitler verabreichte. Schon deshalb sollte dieses Machwerk international geächtet und seine Verbreitung verboten werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Kein anderes Buch nach dem Koran hat heute in der arabischen Welt einen vergleichbar großen Einfluss, wie die „Protokolle“.

So wurde in den letzten Jahren dieser Leitfaden Adolf Hitlers mehrfach in Spielfilmserien als soap opera popularisiert. Das ägyptische Staatsfernsehen, der Hisbollah-Sender Al-Manar und viele andere TV-Stationen strahlten derartige Hassproduktionen wiederholt während des Ramandan aus. In der arabischen Verfilmung der „Protokolle“ zerren z.B. an einer Stelle Juden einen verängstigen Jungen in einen Raum. Dann fährt die Kamera auf das Kind zu und man sieht in Großaufnahme, wie Juden dem Kind die Kehle durchschneiden und das Blut in einem Metallbecken auffangen. So wird die Ritualmord-Legende, wonach Juden zum Passahfest das Blut von Ungläubigen verzehren, zur besten Sendezeit Millionen von Muslimen eingeimpft. Man wird Generationen brauchen, um dieses Gift wieder zu entfernen.

Die Leugung oder gar Befürwortung des Holocaust ist also eingebettet in eine antisemitische Massenmanipulation, wie man sie heute suggestiver in keiner anderen Sprache als der arabischen kennt. Ein Führer der Hamas brachte in 2003 diese Verquickung auf den Punkt, als er in einem Beitrag für Al-Risala, der Wochenzeitung der Hamas, den Holocaust unter Berufung auf Holocaust-Leugner wie Garaudy, Irving und Honsik als „die größte aller Lügen“ bezeichnete, um die Juden im selben Atemzug – und im Stil der „Protokolle“ – zu bezichtigen, als die „eigentlichen“ Drahtzieher und Finanziers der Nazis für deren Kriege verantwortlich gewesen zu sein.

Diese Behauptung ist einfach zu abstrus, um erst genommen zu werden, werden Sie jetzt vielleicht sagen und ich wünschte, Sie hätten Recht.

Tatsächlich aber ist die Behauptung, die Juden hätten maßgeblich den II. Weltkrieg finanziert und von ihm profitiert, ein Bestandteil der offiziellen Programmerklärung der Hamas. In Palästina hat die Hamas, deren Charta sich positiv auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ bezieht, bei den jüngsten Wahlen im Westjordanland 34 Prozent der Wählerstimmen und zuvor im Gazastreifen 65 Prozent der Stimmen erhalten. Zugleich wird die Hamas uneingeschränkt von der weltweit größten islamistischen Vereinigung, der weltweit operierenden „Moslembruderschaft“ unterstützt, als deren Zweigstelle in Palästina sie operiert. Damit aber bin ich nach der Holocaustleugnung und dem Antisemitismus bei dem dritten ideologischen Paradigma angekommen, dass in den arabischen Ländern weitaus stärker als sonst wo in der Welt verbreitet ist: Ich meine den Wunsch, Israel von der Landkarte zu entfernen. Natürlich hängt das eine mit dem anderen zusammen: Wer im Nazi-Stil die Juden für alle Übel dieser Welt verantwortlich macht – für den Verfall der Sitten, für die Verbreitung von Rauschgift, für alle Kriege, wo immer sie stattfinden – der muss Israel als das Zentrum des Weltübels auslöschen wollen. Wer so denkt, wird im Mord an beliebige Juden kein Verbrechen, sondern einen Akt der Befreiung sehen.

Lassen Sie mich diesen ersten Teil meines Referats, diese kurze Bestandsaufnahme eines mindsets, dass in der arabischen Welt heute stärker also anderswo auf der Erde verbreitet ist, resümieren: Ich habe von den drei Seiten eines ideologischen Dreiecks gesprochen: Erstens Dämonisierung der Juden, zweitens Legitimierung oder aber Leugnung des Holocaust und drittens die Liquidierung Israels: drei Seiten eines ideologische Dreiecks, das in sich zusammenfällt, wenn nur eine dieser drei Seiten fehlt:

Wer die Realität der Shoa erfasst, kann nicht länger Juden dämonisieren und Israel liquidieren wollen.

Wer den Antisemitismus bekämpft, kann nicht den Holocaust leugnen, während, wer Israel anerkennt, den Schrecken und die historische Wirkungsmacht des Antisemitismus kaum leugnen kann.

Weil eines mit dem anderen steht oder fällt – deshalb tritt in der arabischen Welt diese Propaganda des Hasses fast immer als Dreierpack zutage: als ein Judenhass, der mit der Leugnung des Holocaust und der Dämonisierung Israels untrennbar verbunden ist.

Zwei Fragen schließen sich dieser Bestandsaufnahme an. Erstens: Wie kam diese Ideologie des Hasses in die arabische Welt? Darauf möchte ich im nun kommenden Teil dieses Vortrags eingehen. Zweitens: Wie kann dieser Hass-Virus wieder entfernt werden bzw. welche Auswirkung hat sein Vorhandensein für die regionale und internationale Politik der Gegenwart?

In wenigstens diesem einen Punkt sind sich alle Historiker, Islamwissenschaftler und Politikwissenschaftler einig: Das Phantasma von der jüdischen Weltverschwörung, das uns heute besonders in der arabischen Welt auf Schritt und Tritt begegnet, ist europäischen Ursprungs und dem ursprünglichen Judenbild des Islam vollständig fremd.

Nur in der Christuslegende erscheinen Juden als eine tödliche und mächtige Instanz, die es angeblich gar fertig brachten, Gottes einzigen Sohn zu töten.

Ganz anders der Islam. Ihm zufolge haben nicht die Juden den Propheten ermordet, sondern der Prophet die Juden: Mohammed hatte alle jüdischen Stämme aus Medina in den Jahren 623 bis 627 versklavt, vertrieben oder getötet.

Also tauchten die charakteristischen Züge des christlichen Antisemitismus in der muslimischen Welt nicht auf: „Es gab keine Ängste vor einer jüdischen Verschwörung und Vorherrschaft, keine Anklagen wegen diabolischer Bösartigkeit, Juden wurden nicht beschuldigt, Brunnen zu vergiften oder die Pest zu verbreiten.“ [3]

Also waren auch die Diskriminierungen, die Juden unter moslemischer Herrschaft zu erleiden hatte, nicht von Hass, Furcht oder Neid motiviert, sondern von Verachtung oder von herablassender Duldung, einer Duldung die in der Regel erst dann in Unterdrückung umschlug, wenn Juden die sie diskriminierenden Grenzen zu überschreiten suchten. Ansonsten waren Juden im Islam geschützt: Die antijüdischen Pogrome des Okzidents blieben hier unbekannt.

Dies hat sich erst mit Laufe der letzten 80 Jahre geändert. Nun erst wurde ein „Antisemitismus nationalsozialistischer Prägung“, so Bernard Lewis, von Europa in die islamische Welt exportiert.[4] Nun erst wurden aus den schwächlichen Widersacher Mohammeds die heimlichen Beherrscher der Welt. Der maßgebliche Transfer dieser Ideologie von der europäischen in die arabisch-islamische Welt fand zwischen 1937 und 1945 unter der Wucht der Nazi-Propagada statt.

Selbstverständlich sickerte die christliche Variante des Judenhasses bereits in den 100 Jahren zuvor in die islamische Welt ein – eingebracht durch christliche Missionare, Kaufleute oder Botschaftsangehörige. Nur haben all diese antisemitischen Traktate und Aktivitäten auf Massenebene einfach keine Rolle gespielt. Sie blieben abgesehen von den christlichen Minderheiten, weitgehend unbemerkt bzw. stießen bei amtlichen Stellen des osmanischen Reichs nicht selten sogar auf offenen Widerspruch.

Dieser Zustand änderte sich erstmals in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts und zwar ausschließlich in einem winzigen Segment der arabischen Welt: in Palästina.

1920 wurde erstmals eine arabische Übersetzung der Protokolle der Weisen von Zion veröffentlicht. Ein Jahr darauf, am 14. März 1921, wurde der damalige britische Kolonialminister Winston Churchill anlässlich seines Besuchs in Jerusalem mit einem ersten „Memorandum der Palästinenser“ konfrontiert. Dieses Memorandum ist weithin unbekannt und doch von größter Relevanz. Es handelt sich um eine frühe Stellungnahme des Palestinian Arab Congress unter der Leitung von Musa Kasim Pasha el-Husseini, ein Verwandter des späteren Mufti von Jerusalem. Erst zwei Jahre später trat das britische Mandat über Palästina in Kraft. Ich zitiere aus diesem Memorandum:

„Juden haben zu den aktivsten Befürwortern der Zerstörung in vielen Ländern gehört, und zwar besonders dort, wo sie durch ihre einflussreichen Positionen in der Lage waren, Schaden anzurichten.

Es ist wohl bekannt, dass die Desintegration von Russland vollständig oder zu einem großen Teil von den Juden bewerkstelligt worden ist. In einem großen Maße sind sie auch für die Niederlage von Deutschland und Österreich verantwortlich zu machen. Solange der Stern der Zentralmächte im Aufwind war, umschmeichelten die Juden sie. Doch in dem Moment, in dem sich die Waagschale zugunsten der Alliierten neigte, zogen Juden ihre Unterstützung für Deutschland zurück. (...)

Der Jude ist ein Jude überall in der Welt. Er häuft den Reichtum eines Landes in seinen Händen an. (...) Er unterstützt Kriege wann immer das Eigeninteresse es nahe legt und benutzt so die Armeen der Nationen, die tun sollen, was ihm beliebt.“[5]

Churchill wurde also nicht mit konkreten Beschwerden über zionistische Siedler konfrontiert, sondern mit einem antisemitischen Vortrag, wie ihn zu diesem Zeitpunkt der Nazi-Ideologe Alfred Rosenberg nicht besser hätte halten können. Und in der Tat gibt es Hinweise darauf, dass Musa Kasim el-Husseini bereits 1920 ein Exemplar der „Protokolle“ von einem britischen Offizier in Palästina erhalten hatte.

Ganz im Geiste dieser rabiat antisemitischen Position wurden im April 1920 das jüdische Viertel von Jerusalem unter der Führung des späteren Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, angegriffen und fünf Juden, die mit dem Zionismus nichts zu tun hatten, getötet und 230 Menschen zum Teil schwer verletzt. Im Mai 1921 – sechs Wochen nach Übergabe des Memorandums – wurde das jüdische Viertel von Jaffa demoliert. 43 Juden und 14 Araber starben; [134 Juden und 49 Araber wurden verletzt.] 1929 schließlich fand das Massaker in den jüdischen Vierteln von Hebron und Safed statt. Auch hier wurden vorrangig nicht Zionisten, sondern Angehörige des alten Yishuv attackiert, die unbewaffnet und seit Hunderten von Jahren dort ansässig waren. 133 von ihnen wurden erschlagen. Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, hatte dieses Massaker mit Verweis auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ legitimiert. [6]

Warum fanden diese ersten antijüdischen Ausschreitungen der Neuzeit, die durch Muslime verübt wurden, ausgerechnet in Palästina statt?

Selbstverständlich hängt die Antwort auf diese Frage mit Palästina und den Zionisten zusammen. Der Antisemitismus hat sich jedoch nicht an dem entzündet, was Zionisten tun, sondern an dem, was Zionisten sind.

Antisemitische Ideologen haben von Anfang an die Juden mit den bedrohlichen Aspekten der modernen kapitalistischen Welt in Eins gesetzt. Für diesen ideologischen Zweck bog man sich in Europa die Wirklichkeit zurecht. In Palästina hingegen vollzogen sich die Anfänge der Moderne auf eine andere Art als anderswo. Hier verkörperten die einwandernden Zionisten tatsächlich Kapitalismus und Modernität.

Die progressiven russischen Juden, die nach dem Scheitern
der Revolution von 1905 in das Land strömten, sahen sich mit vormodernen
Zuständen konfrontiert: unmittelbare Herrschaft des Patriarchats und
Unterjochung der muslimischen Frau, striktes Loyalitätsgebot gegenüber
dem eigenen Familienclan, gnadenlose Herrschaft der Religion. Sie praktizierten demgegenüber einen anderen Lebensteil, gekennzeichnet durch Säkularität, individuelles Streben nach Glück, Meinungsfreiheit und Gleichstellung der Frau und dachten gar nicht daran, den diskriminierenden Status anzuerkennen, den der traditionelle Islam für Christen und Juden vorgesehen hat. Man wird kaum einen anderen Ort der Welt finden, wo sich der Zusammenprall zwischen alter Tradition und moderner Lebensart so drastisch gestaltete, wie hier.

Der Judenhass des Mufti war eine Kampfansage an den Einbruch der Moderne in die Welt des Islam. Oberflächlich betrachtet drehte sich der Konflikt zwischen Zionismus und Anti-Zionismus in erster Linie stets nur um den Besitz von Land. In Wirklichkeit verbarg sich dahinter stets ein sehr viel weitergehender Konflikt: Der Streit nämlich um die Frage des Umgangs mit der Moderne.

Ägypten hatte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts dieser Moderne geöffnet, die Türkei ersetzte in den Zwanzigerjahren das Kalifat durch das Leitbild Kemal Atatürks, und auch Reza Khan forcierte die Säkularisierung des Iran. Dieser Reformströmung des Islam ließ der Mufti in seinem Machtbereich nicht den geringsten Raum. Er sah in Jerusalem den Kristallisationskern der „Wiedergeburt des Islam“ und in Palästina das Zentrum, von dem aus der Widerstand gegen Juden und die Moderne seinen Anfang nehmen sollte. „Das Kino, das Theater und einige schamlose Zeitungen … kommen wie Nattern in unsere Häuser und Höfe, wo sie die Moral töten und die Grundlagen der Gemeinschaft zerstören“, rief er 1935 auf einer Konferenz islamischer Religionsgelehrter aus und stellte die vermeintlichen Urheber dieser Entwicklung bloß: „Die Juden haben hier ihre Sitten und Gebräuche verbreitet, die im Gegensatz zu unserer Religion und unserer ganzen Lebensweise stehen. ... Die jüdischen Mädchen, die in kurzen Hosen herumlaufen, demoralisieren unsere Jugend durch ihre bloße Anwesenheit.“[7]

Doch da der Haupttrend in der arabischen Welt zu diesem Zeitpunkt noch vollständig anders verlief, blieben die antijüdischen Ausschreitungen der 20er Jahre in Palästina isoliert. Sie wurden in der übrigen arabisch-islamischen Welt weder besonders beachtet, noch gar unterstützt. Nach dem Hebron-Massaker von 1929 verpflichtete z.B. das ägyptische Innenministerium sein Pressebüro, alle antizionistischen und antijüdischen Artikel der ägyptischen Medien zu zensieren. 1930 ließ die ägyptische Regierung Dutzende Palästinenser, die nach dem Pogrom von 1929 nach Ägypten geflohen waren, in das Mandatsgebiet abschieben.

Der Zionismus wurde zu diesem Zeitpunkt vom Gros der arabischen Eliten hingenommen und von Teilen dieser Elite sogar offen begrüßt.

„Die Zionisten sind für dieses Land [Palästina] notwendig“, schrieb damals beispielsweise der Herausgeber der ägyptischen Zeitung al-Ahram. „Das Geld, das sie bringen werden, ihre Intelligenz und der Fleiß, der sie charakterisiert, werden ohne Zweifel dazu beitragen, das Land wieder zu beleben.“[8] Noch 1933 erlaubte die ägyptische Regierung, dass 1000 neue jüdische Einwanderer in Port Said zur Weiterfahrt nach Palästina landen konnten.[9]

Der europäische Antisemitismus fasste zwar vereinzelt bei den christlichen Minderheiten der arabischen Welt Fuß; er konnte die arabischen Massen jedoch nicht ergreifen. Die einzige Ausnahme bildete seit 1920 ein Segment der palästinensisch-arabischen Bevölkerung, die sich um den Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini geschart hatte und von ihm angestachelt wurde.

Die eigentlich historische Schnittstelle, die die antisemitische Weltanschauung der Europäer massenhaft in die arabische Welt transferierte, fand zwischen 1937 und 1945 statt.

Denn erst 1937, als mit dem britischen Peel-Plan erstmals die Möglichkeit einer Zweistaaten-Lösung für Palästina am Horizont erschien, begann die aktive Araberpolitik der Nazis. Berlin wollte einen jüdischen Teilstaat in Palästina um jeden Preis und mit Unterstützung der Araber verhindern.

Stärkung der Araber gegen die Juden: Zwar verfolgte Berlin, um London nicht zu verprellen, den neuen Kurs zunächst nur auf leisen Sohlen, doch das Ausmaß der jetzt in Gang gesetzten Aktivitäten war imposant. Studenten aus arabischen Ländern erhielten deutsche Stipendien, Firmen heuerten arabische Auszubildende an, arabische Parteiführer wurden zu Nürnberger Parteitagen und Armeeführer zu Wehrmachtmanövern eingeladen. In Berlin wurde ein „Arabischer Klub“ als Zentrum der Palästina-Agitation und des arabisch-sprachigen Rundfunkbetriebs etabliert.[10]

Der mit Abstand wichtigster personelle Träger der antijüdischen Propagandaoffensive war Amin el-Husseini, der Mufti von Jerusalem, damals eine der prominentesten Figuren der islamischen Welt. Seine Freundschaft mit Heinrich Himmler und sein Anteil am Holocaust sind weitgehend bekannt.

Weniger bekannt ist eine Leistung, die erst heute ihre Wirkung entfaltet: Der Mufti hat als erster den europäischen Antisemitismus in einen islamischen Kontext übersetzt. Und hier komme ich zu einem wesentlichen Punkt. Selbstverständlich gab es aufgrund der Auseinandersetzung Mohammeds mit den Juden von Medina antijüdische Verse im Koran und antijüdische Passagen in der Sunna. Diese hatten jedoch im Laufe der Jahrhunderte kaum noch eine Rolle gespielt. Die klassische islamische Literatur behandelte Mohammeds Kampf mit den Juden als „eine relativ geringfügige Episode im Leben des Propheten, die ohnehin mit deren vollständiger Niederlage endete.“ [11]

Nun aber stellte der Mufti unter dem Einfluss des Nationalsozialismus Mohammeds Konflikt mit den Juden als ein absolut zentrales Thema aus dessen Lebensgeschichte heraus. Nun wurde der feindseligen Haltung der medinischen jüdischen Stämme dem Propheten gegenüber eine geradezu kosmische Bedeutung zugeschrieben. „Leider wissen nur wenige, dass die Feindschaft zwischen Islam und Judentum nicht neueren Datums ist“[12], schrieb der Mufti in seinen Vorwort zur Broschüre „Islam und Judentum“, die die Nazis in mehrere Sprachen verbreiteten. Und er hatte Recht damit. In der Tat waren die judenfeindlichen Suren des Koran und der oben zitierte Hadith von dem Baum und dem Stein über die Jahrhunderte vollständig in Vergessenheit geraten. Jetzt aber wurden diese Hassbotschaften wachgerufen und bei jeder Gelegenheit zitiert. Typisch etwa die Rede, die der Mufti im November 1943 hielt: „Dieses Volk ist der Feind der Araber und des Islam seit dessen Bestehen. Der Heilige Koran hat diese alte Feindschaft in den folgenden Worten ausgesprochen: ,Du wirst finden, dass die den Gläubigen am feindlichsten Gesinnten die Juden sind.’ Sie versuchten, den verehrungswürdigen Propheten zu vergiften, leisteten ihm Widerstand, waren ihm feindlich gesonnen und intrigierten gegen ihn. Dies war vor mehr als 1300 Jahren der Fall. Seit jener Zeit haben sie nicht aufgehört, gegen die Araber und Mohammedaner ihre Intrigen zu spinnen.“[13] So wurde aus den unterlegenen Zeitgenossen Mohammeds eine ewige Bedrohung für alle Muslime konstruiert und der europäische Topos der jüdischen Weltverschwörung mit Versatzstücken islamischer Überlieferungen amalgamiert.

Ein zweiter wesentlicher Bündnispartner der Nazis für die Verbreitung eines muslimisch gefärbten Antisemitismus war die ägyptische Muslimbruderschaft, die mit dem Mufti eng kooperierte. Diese bereits erwähnte Muslimbruderschaft ist die Keimzelle des Islamismus, die z.B. die Hamas hervorbrachte wie auch die wichtigsten Mentoren und Weggefährten von Osama bin Laden.

Die Muslimbruderschaft entwickelte sich in antijüdischen Kampagnen der 30er Jahre zur Massenbewegung und ist bis heute das Zentrum des islamischen Antisemitismus geblieben. Aus Dokumenten, die man in der Wohnung des Direktors des Deutschen Nachrichtenbüros in Kairo, Wilhelm Stellbogen, sicherstellte, geht hervor, „dass die Muslimbruderschaft vor Oktober 1939 Subventionen vom DNB erhielt. Stellbogen war am Transfer dieser Gelder an die Bruderschaft beteiligt, deren Summe beträchtlich höher lag als die Beträge, die anderen antibritischen Aktivisten angeboten wurden“, berichtet Brynjar Lia in seiner Monographie über die Moslembruderschaft. „Diese Geldtransfers scheinen von Hadj Amin el-Husseini und einigen seiner palästinensischen Kontaktpersonen in Kairo … koordiniert worden zu sein.“[14] Die Zuwendungen gestatteten es der Muslimbruderschaft, eine Druckwerkstatt mit 24 Beschäftigten zu etablieren und modernste Propagandamittel einzusetzen, um einem antisemitischen Antizionismus Ausdruck zu verleihen, der den Nazi-Lügen über die Juden in nichts nachstand.

Die größte propagandistische Wirkung aber erzielte ein Rundfunksender, von dem heute kaum jemand etwas weiß. In Zeesen, einem Ort mit 4.000 Einwohnern im Süden Berlins, stand einst der leistungsstärkste Kurzwellensender der Welt. Seit 1939 sendete er täglich sein arabischsprachiges Programm. Von allen fremdsprachigen Redaktionen hatte die Orient-Redaktion „absoluten Vorrang“ und brachte es auf rund achtzig Mitarbeiter.[15] Kein anderer Sender erfreute sich zwischen 1939 und 1945, als man in der arabischen Welt dem Radio vorzugsweise auf öffentlichen Plätzen oder in Basaren und Kaffeehäusern lauschte, einer größeren Beliebtheit als der Nazi-Sender aus Zeesen, der seit 1941 unter der Leitung des Mufti stand. Hier wurden antisemitische Hetzbeiträge geschickt mit Zitaten aus dem Koran und arabischen Musikbeiträgen vermischt. Die Alliierten des Zweiten Weltkriegs wurden als von „Juden“ abhängige Mächte gezeichnet und den Zuhörern das Bild von den “Vereinten Jüdischen Nationen“ eingetrichtert. Gleichzeitig wurden Juden als die schlimmsten Feinde des Islam attackiert: „Der Jude war seit Mohammeds Zeiten nie ein Freund der Moslems. Der Jude ist der Feind, und ihn zu töten erfreut Gott.“[16]

Radio Zeesen – „unser Fernkampfgeschütz im Äther“, wie Goebbels es nannte – nahm seinen regulären Betrieb am 25. April 1939 auf und sendete täglich ab 17.45 Uhr Berliner Zeit.[17] Hier wurden alle Araber verhöhnt, die mit Zionisten auch nur verhandeln wollten. „Der Sprecher von Radio Berlin bezeichnete [den jordanischen König] Amir Abdallah regelmäßig als ,Rabbi Abdallah’“, berichtete der spätere BBC-Journalist Nevill Barbour. „Es war nicht gerade leicht, die Nazipropaganda über die jüdische Heimstätte in Palästina zu kontern.“[18] Zwar stellte Radio Zeesen seinen Betrieb kurz vor dem 8. Mai 1945 ein; doch der Antisemitismus in der arabischen Welt begann sich von jetzt an erst recht auszubreiten.

Ich sprach eingangs von einer erinnerungspolitischen Spaltung der Welt: Während für den Rest der Welt die Nazi-Taten als der Inbegriff des Bösen bewertet wurden, lebte speziell in der arabischen Welt der von Radio Zeesen popularisierte Topos einer jüdischen Weltverschwörung weiter so fort, als hätte es den 8. Mai nie gegeben.

Diese beiden entgegengesetzten Sichtweisen auf den Holocaust prallten erstmals im November 1947 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen aufeinander. Auf der einen Seite standen diejenigen, für die die Shoah eine Tatsache und Katastrophe war, weswegen sie sich für die Teilung Palästinas und die Gründung Israels einsetzten.[19] Auf der anderen Seite standen diejenigen, für die der UN-Beschluss lediglich ein weiterer Beweis „jüdischer Weltverschwörung“ war. Zu den letztgenannten Leugern oder Befürwortern des Holocaust gehörte der Führer der ägyptischen Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna, der den UN-Plan als ein „internationales Komplott“ attackierte, „ausgeführt von den Amerikanern, den Russen und den Briten unter dem Einfluss des Zionismus“. Zu diesem Lager gehörte ebenfalls der erneut zum palästinensischen Wortführer avancierte Amin el-Husseini. Statt Palästina in zwei Staaten zu teilen, sollten – so el-Husseini – ,„die Araber … gemeinsam über die Juden herfallen und sie vernichten, sobald sich die britischen Streitkräfte [aus Palästina] zurückgezogen hätten.“[20]

Kein arabischer Staatschef fand den Mut, dem populären Führer der Palästinenser und einem der populärsten Wortführer der Muslime überhaupt zu widersprechen. Keine europäische Regierung wiederum fand den Mut, den als NS-Kriegsverbrecher gesuchten Amin el-Husseini vor ein Gericht zu stellen, weil man es sich seinerseits nicht mit der arabischen Welt nicht verderben wollte. So bereiteten der Zynismus des Westens und der Opportunismus der Araber einer der fatalsten Weichenstellungen des 20. Jahrhunderts – dem Krieg gegen die Umsetzung des UN-Teilungsbeschlusses – den Weg.

Zwar ging der neue Staat aus diesem Krieg, der 6.000 Israelis das Leben kostete, als Sieger hervor. Der Antisemitismus erreichte jedoch eine neue Dimension. Gamal Abdel Nasser, dessen Putsch von 1952 eine Folge der arabischen Niederlage war, verbreitete die Zentralschrift des europäischen Antisemitismus, Die Protokolle der Weisen von Zion, in der arabischen Welt. Darüber hinaus setzte Nasser viele der zahllosen Naziverbrecher, die sich ihrer Bestrafung durch Flucht nach Ägypten entzogen hatten, da ein, wo sie Profis waren – in der antijüdischen Propaganda.[21]

Erst als auch Nassers Feldzug gegen Israel im Sechs-Tage-Krieg von 1967 kläglich gescheitert war, wurde der zuvor geschürte Hass auf Juden islamistisch radikalisiert. Nassers antijüdische Propaganda war mit einer Neigung für die angenehmen Seiten des Lebens noch einhergegangen. Jetzt aber wurde der Antisemitismus mit dem Hass der Islamisten auf Sinnlichkeit und Lebensfreude vermischt und als religiöser Widerstand gegen alle „Verderber der Welt“ popularisiert. Jetzt „entdeckte“ man, dass nicht nur alles Jüdische böse, sondern alles „Böse“ jüdisch sei. So erklärt das wichtigste Manifest des islamischen Antisemitismus, der von dem Muslimbruder Sayyid Qutb verfasste Essay „Unser Kampf mit den Juden“ – der mit der Hilfe Saudi-Arabiens nach 1967 millionenfache Verbreitung in allen islamischen Ländern erfuhr – unter Anspielung auf Karl Marx, Sigmund Freund und Emile Durkheim die Juden für den weltweiten moralischen und sexuellen Verfall verantwortlich: „Hinter der Doktrin des atheistischen Materialismus steckte ein Jude; hinter der Doktrin der animalistischen Sexualität steckte ein Jude; und hinter der Zerstörung der Familie und der Erschütterung der heiligen gesellschaftlichen Beziehungen steckte ebenfalls ein Jude.“[22] Jetzt erklärte man Palästina zum heiligen islamische Gebiet (Dar al-Islam), in welchem Juden nicht einmal ein Dorf regieren dürften, und Israels Vernichtung zu einer religiösen Pflicht. Jetzt breitete sich ungehindert intellektuelle Verwüstung aus: Man begann, Juden in Anlehnung an Koranverse als „Schweine“ und „Affen“ verächtlich zu machen und bot als wissenschaftliche Erkenntnis die Behauptung feil, dass das Verzehren von nicht-jüdischem Blut ein religiöser Ritus der Juden sei.[23]

Eine weitere Steigerung wurde 1982 erreicht, als die Hizbollah damit begann, Menschen systematisch als Bomben einzusetzen. Der Hass auf Juden war nun größer, als die Furcht vor dem Tod; die Ideologie der Vernichtung schlug in die Praxis der Zerfetzung beliebiger Juden um. Das weitere ist bekannt.

Wir sind somit spätestens seit 1967 und verstärkt seit dem Beginn der II. Intifada mit einem Judenhass konfrontiert, der den europäischen Topos vom jüdischen „Weltverschwörer“ mit dem islamistischen Topos vom jüdischen „Untermenschen“ verknüpft. Juden werden im gleichen Atemzug sowohl als „Schweine“ und „Affen“ verächtlich gemacht und als die Drahtzieher der Weltpolitik angefeindet.

Ich kann diesen zweiten Teil meines Vortrags mit einem Satz resümieren: Wir haben es in der arabischen Welt heute immer noch mit jenen Schattengewächsen zu tun, deren Saat zwischen 1937 und 1945 gelegt worden ist. Das Ergebnis ist eine genozidale islamistische Ideologie, die genoziale Progamme und genozidale Aktivitäten erzeugt. Islamisten propagieren nicht nur die Tötung beliebiger Juden, sondern praktizieren sie – ob in Djerba, Istanbul, Casablanca, Mombasa oder Taba. Ihre Ambition der Vernichtung wird in der Regel technisch begrenzt. Hätte die Hamas vor wenigen Wochen zwischen einer Kassem- und einer Atomrakete wählen, wäre die Entscheidung wohl klar gewesen.

Ihre Ambition der Vernichtung wird heute – und dies ist eine Ausnahmesituation – auch politisch begrenzt: Hamas wartet auf die einseitige Räumung des Gazastreifens durch Sharon und man wartet auf das Ergebnis der Wahlen zum palästinensischen Legislativrat, an denen sie erstmals partizipiert – nicht als eine Gruppe unter vielen, sondern als der neben der Fatah größte Favorit.

Damit komme ich zu meinen abschließenden Bemerkungen über die aktuelle Situation. Was zeichnet diese Situation aus?

Erstens: Das islamische Antisemitismus wird in der europäischen Öffentlichkeit verharmlost oder ignoriert. Während der Antisemitismus eine Abgeordneten Hohmann berechtigte Empörung provoziert, wird derselbe Antisemitimus verharmlost oder ignoriert, wenn er sich islamisch artikuliert.

Man tut dann so, als gehöre der Judenhass zur orientalischen Welt wie die Wasserpfeife und die Moschee. Oder dieser Hass auf Juden wird als einen vermeintlichen Reflex auf den Nahostkonflikt rationalisiert.

Zweitens: Die europäische und deutsche Außenpolitik behaupten, mit der islamischen Welt, besonders dem Iran, einen „kritischen Dialog“ zu praktizieren. Doch wie sieht dieser Dialog aus? Man hockt zusammen und plaudert höflich über Demokratie und Kultur und weiß doch ganz genau, dass diejenigen, mit denen man so freundlich parliert, Israel um jeden Preis auslöschen wollen und auslöschen werden, sofern nichts geschieht. Doch genau das wird nicht thematisiert. Da schweigt des Sängers Höflichkeit.

Drittens: Organisationen wie die Hamas und die Hizbollah, die einen Nazi-Antisemitismus propagieren und die Selbstmordattentate gegen x-beliebige Juden anstacheln und bejubeln, werden besonders von den Europäern geschont. Ihre Finanzquellen werden nicht wirklich ausgetrocknet, sondern im Fall der Hamas implizit und bei der Hisbollah sogar explizit geschützt.

Viertens: Selten war der öffentliche Blick auf diese Terrorgruppen so verzerrt wie heute, in einer Zeit, in der die Friedenshoffnung den Realismus überwölbt. Erwartungsvoll – man kann schon sagen: mit angehaltenem Atem! – hofft die Weltöffentlichkeit auf die Beendigung eines Konflikts, der den Kult des Selbstmordattentats hervorgebracht und weltweit verbreitet hat. Gleichzeitig verleitet die Sehnsucht nach einer Lösung des Konflikts zur Illusion: In einem Klima vorauseilender Hoffnung fällt alles, was die gute Stimmung trüben könnte, nur allzu schnell unter den Tisch.

Manche erklären den Krieg gegen Israel für beendet, weil sich die Hamas zu einer Art Waffenstillstand bereit erklärte. Sie ignorieren, wie die Hamas diese Waffenruhe definiert: „Die Hudna ist Teil des Widerstands. Sie ist eine neue Phase, eine Art Ruhezeit für unsere Kämpfer.“[24] Was aber hat das Kräftesammeln für die nächste Schlacht mit Frieden zu tun?

Manche sehen in der Hamas bereits einen „Friedenspartner“, weil diese Organisation sich bereit erklärte, einen Palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 zu akzeptieren. Sie ignorieren das Kalkül, das die Islamisten mit diesem Staat verbinden: „Die Hamas vertritt den Standpunkt, dass dieser Staat nur eine Etappe auf dem Weg zu einem palästinenischen Staat auf dem gesamten Territorium von Palästina markiert – mit anderen Worten: dass Israel eines Tages verschwindet.“[25]

Manche verwechseln das Mittel mit dem Ziel und verbreiten allein deshalb Zuversicht, weil die Hamas die Teilnahme an Wahlen vorübergehend höher gewichtet, als die Politik der Terroranschläge. Es ist so, als würde man darüber jubeln, dass Osams bin Laden aus seiner Berghöhle kriecht, um in Pakistan für das Amt des Regierungschefs zu kandidieren. Wollen wir tatsächlich die Islamisten dafür loben und dafür belohnen, dass sie die gleichen menschenverachtenden Ziele mit unterschiedlicher Taktik verfolgen?

Besonders wenig Aufmerksamkeit wird der Frage gewidmet, warum diese Gruppen Tag für Tag ihr Ziel, Israel auszulöschen, propagieren. Man ignoriert den Antisemitismus Hitler’scher Qualität, der ihre Politik bestimmt. Solange aber die Hamas Israel nicht anerkennt, sondern jede Zweistaatenlösung erklärtermaßen als einen Zwischenstopp auf den Weg zur Vernichtung Israels begreift, kann von einer ernsthaften Chance auf Frieden keine Rede sein.

Dies ist die Lehre aus dem 8. Mai: Dieses Datum steht für die Erkenntnis, dass der Krieg erst dann beendet ist und das Frieden erst dann möglich sein wird, wenn die Kräfte der Destruktion und die Propagandaapparate des Antisemitismus und des Rassimus besiegt und überwunden sind.

Lassen Sie mich deshalb Ausführungen mit der Warnung eines Moslems, des aus Syrien stammenden Islamwissenschaftlers Bassam Tibi beenden: „Zu Recht wurde kürzlich in der Jüdischen Allgemeinen beklagt, dass man in Deutschland von der ,antisemitischen Dimension des 11. Septembers wenig sehen und gar nichts wissen’ wolle“, schrieb er vor einigen Monaten in der ZEIT. „Doch erst dann, wenn die deutsche Öffentlichkeit dieser Bedrohung in angemessener Weise entgegentritt, wird man davon sprechen können, dass sie die Lehren der deutschen Vergangenheit wirklich verstanden hat.“ [26]

[1] Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, München 1986, S. 81.

[2] Zit. nach The Middle East Media Research Institute (MEMRI), Bericht Nr. 375, 3. Mai 2002. Siehe zur Holocaust-Leugung als Bestandteil des arabischen Alltagsbewusstseins: Küntzel, a.a.O., S. 51f und 116f.

[3] Vgl. Bernard Lewis, „Treibt sie ins Meer!“. Die Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt /M. 1987, S. 137ff.

[4] Bernard Lewis, „Treibt sie ins Meer!“. Die Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt /M. 1987, S. 294.

[5] Das Memorandum ist dokumentiert in: Martin Gilbert, Winston S. Churchill, Vol. IV, Companion Part 2 (Documents July 1919-March 1921), S. 1386ff., London 1977.

[6] Gudrun Krämer, Geschichte Palästinas, München 2002, S. 246ff, S. 259, S. 272f..

[7] Uri M. Kupferschmidt, The Supreme Muslim Council. Islam under the British Mandate for Palestine, Leiden 1987, S. 249f. und S. 252.

[8] Stefan Wild, Zum Selbstverständnis palästinensisch-arabischer Nationalität, in: Helmut Mejcher, Die Palästina-Frage 1917-1948, Paderborn 1993, S. 79. Das Zitat stammt von 1913.

[9] El-Awaisi, S. 22ff.

[10] Melka, a.a.O., S. 53.

[11] Lewis, “Treibt sie ins Meer!“, S. 151.

[12] Zani Lebl, Hadz-Amin i Berlin, Beograd 2003, S. 181/182.

[13] Die Mufti-Rede zum Jahrestag der Balfour-Erklärung ist dokumentiert in: Gerhard Höpp, Mufti-Papiere. Briefe, Memoranden, Reden und Aufrufe Amin al-Husainis aus dem Exil, 1940-1945, S. 192ff. Das Koran-Zitat stammt aus dem 82. Vers der 5. Sure. Die Broschüre „Islam und Judentum“ findet sich bei Thomas Casagrande, Die Volksdeutsche SS-Division “Prinz Eugen”, Frankfurt/M. 2003, S. 333.

[14] Brynjar Lia, The Society of the Muslim Brothers in Egypt, Reading 1988, S. 175. Der britische Geheimdienstoffizier Seth Arsenian, bestätigt diese Information: „Nazi-Agenten finanzierten subversive Gruppen wie z.B. .... die Moslembrüder in Ägypten, damit sie Propaganda gegen die Briten in Palästina machen.“ Vgl. Arsenian, a.a.O., S. 425.

[15] Werner Schwipps, Wortschlacht im Äther, in: Deutsche Welle (Hg.), Wortschlacht im Äther. Der deutsche Auslandsrundfunk im Zweiten Weltkrieg, Berlin 1971, S. 58.

[16] Seth Arsenian, Wartime Propaganda in the Middle East, in: The Middle East Journal, Oct. 1948, Vol. II, No. 4, S. 421; Robert Melka, The Axis and the Arab Middle East: 1930-1945, University of Minnesota 1966, S. 47f; Heinz Tillmann, Deutschlands Araberpolitik im Zweiten Weltkrieg, Berlin/Ost 1965, S.83f.; Arsenian und Melka zufolge setzte das arabische Programm aus Zeesen schon Anfang 1938 ein.

[17] Information von Gerhard Damm (dm2awd), Zeesen.

[18] Nevill Barbour, Broadcasting to the Arab World. Arabic Transmissions from the B.B.C. and Other Non-Arab Stations, in: Middle East Journal, Vol. V, Winter 1951, S. 65.

[19] Am 29. November 1947 beschloss die UN-Vollversammlung, Palästina in einen jüdischen Staat (56 Prozent des Mandatsgebiets für 500.000 Juden und 500.000 Araber) und einen arabischen Staat (43 Prozent des Gebiets für 750.000 Araber und 10.000 Juden) zu teilen und Jerusalem unter internationale Verwaltung zu stellen.

[20] El-Awaisi, a.a.O., S. 195, und Bethell, a.a.O., S. 381.

[21] Küntzel, a.a.O., S. 70f.

[22] Qutbs Text wurde 1950 verfasst, konnte sich aber in der Phase der blutigen Verfolgung der Muslimbrüder durch Nasser, der auch der 1966 hingerichtete Qutb zum Opfer fiel, nicht durchsetzen. Vgl. Ronald L. Nettler, Past Trials and Present Tribulations: A Muslim Fundamentalist Speaks on the Jews, in: Michael Curtis (ed.), Antisemitism in the Contemporary World, London 1986, S. 99ff.

[23] Diese Behauptung findet sich z.B. in dem Standardwerk über „Das Volk Israels im Koran und in der Sunna“, das der heute renommierteste sunnitische Geistliche und Großscheich der Al-Azhar-Universität von Kairo, Mohammed Tantawi, als Doktorarbeit eingereicht und 1968/69 veröffentlicht hat. Vgl. Wolfgang Driesch, Islam, Judentum und Israel, Hamburg 2003, S. 53 und 74. Dieser Bestseller wurde zuletzt 1997 aufgelegt.

[24] So Muschir al-Masri, Sprecher der Hamas, im Interview mit der deutschen Wochenzeitung Der Spiegel Nr. 5/2005, 31.1.05, S. 102.

[25] Greg Myre and Steven Erlanger, Palestinian Security Forces Move to Stop Attacks in Gaza, in: New York Times, January 21, 2005.

[26] Bassam Tibi, ‘Der importierte Hass. Antisemitismus ist in der arabischen Welt weit verbreitet’, Die Zeit, 6. Februar, 2003.