Iran hat keinen Anspruch auf Atomtechnik

Obama, die Mullahs und der Atomwaffensperrvertrag

Von Matthias Küntzel

Wall Street Journal, 29. September 2009

Schon wieder hat Teheran dreist und selbstbewusst gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen. Und schon wieder haben Deutschland und die fünf Vetomächte des UN-Sicherheitsrats
maßvoll reagiert und ihre Dialogbereitschaft betont. Einbestellung der iranischen Botschafter? Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats? Fehlanzeige. Routinemäßig ruft man die Regierung Ahmadinejad dazu auf, das Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft zurückzugewinnen. Erneut werden neue Zugangsrechte für IAEA-Inspektoren eingeklagt. Emsig wird auf die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags gepocht. „Jedes Land, auch Iran, sollte das Recht auf friedliche Nutzung der Atomkraft haben“, hatte Präsident Barack Obama schon in seiner berühmten Kairoer Rede erklärt, „wenn es seinen Verpflichtungen im Rahmen des atomaren Nichtverbreitungsvertrages nachkommt.“

Die permanenten Vertragsverstöße der Mullahs haben aber nichts mit Pflichtverstößen zu tun, sondern mit der Tatsache, dass sich die Ziele der iranischen Außenpolitik und die Zwecksetzung des Atomwaffensperrvertrags diametral widersprechen.

Der Sperrvertrag, 1968 aufgelegt und noch im selben Jahr von Mohammed Reza Schah unterzeichnet, verfolgt die Absicht, „die internationale Entspannung zu fördern und das Vertrauen zwischen den Staaten zu stärken“, so seine Präambel. Er will das internationale System stabilisieren. Teheran verfolgt das entgegengesetzte Ziel. Die schiitischen Islamisten wollen die säkularisierte Weltordnung, die sie als „satanisch“ bezeichnen, nicht stabilisieren, sondern aus den Angeln heben und durch ein Scharia-gestütztes System der internationalen Beziehungen ersetzen. „Der Kampf geht so lange weiter“, versprach Revolutionsführer Khomeini, „bis das ,Es gibt keinen Gott außer Gott’ ... überall in der Welt zu vernehmen ist.“ Hierfür wird auch das Atomprogramm gebraucht. „Die Nuklearisierung Irans“, erklärte Ahmadinejad vor iranischen Anhängern, „ist der Beginn einer grundlegenden Veränderung in der Welt.“ Sie werde „in den Dienst derer gestellt, die entschlossen sind, den brutalen Mächten und Aggressoren entgegenzutreten.“

Der Widerspruch zwischen den Zielen der Mullahs und den Intentionen des Vertrags ist aber auch juristisch fixiert. So wird in Artikel 151 der Verfassung der Islamischen Republik Koranvers 60/8 als verbindliche Richtschnur für Regierungspolitik zitiert: „So rüstet wider sie, was ihr vermögt an Kräften und Rossehaufen, [um] damit in Schrecken zu setzen Allahs Feind und euren Feind und andre außer ihnen, die ihr nicht kennt.“ Für uns klingt dieser Rückgriff auf das 7. Jahrhundert amüsant. Sobald wir aber „Rossehaufen“ durch „Atomanlagen“ ersetzen, sieht es anders aus. Vermutlich ist Iran das einzige Land der Welt, das die umfassende Aufrüstung gegen „Allahs Feinde“ zu einem Verfassungsgebot erklärt.

Wir sehen: Ein Gottesstaat, wie er in Iran seit 1979 existiert, hätte dem Atomwaffensperrvertrag bona fide niemals beitreten können. Wenn die Mullahs ihre Mitgliedschaft dennoch nicht kündigten, verrät dies taktisches Geschick: Warum sollte man nicht die Privilegien, die dieser Vertrag seinen Unterzeichnern bietet, so lange wie möglich nutzen?

Die weniger gut informierte Öffentlichkeit geht davon aus, dass der Sperrvertrag den Weg zur Bombe verbaut. Doch in Wirklichkeit sind die Möglichkeiten, die er den Bombenaspiranten bietet, enorm. Dies liegt in erster Linie an Artikel IV des Vertrags, der es seinen Unterzeichnern – zum Beispiel Iran – ermöglicht, alle für die Atomwaffe wesentlichen Komponenten unter Aufsicht der IAEA zu produzieren, solange nur die Montage jener Komponenten zum Atomsprengsatz unterbleibt.

Die Bedeutung dieses Schlupflochs erläuterte im April 2007 Hossein Shariatmadari, ein Vertrauter des Revolutionsführers Ali Khamenei: „Ein Land, dass sich das Wissen und die Technik der Urananreicherung angeeignet hat, ist nur einen Schritt von der Produktion von Atomwaffen entfernt. Dieser zusätzliche Schritt ist kein wissenschaftlicher oder technischer Schritt, sondern eine Frage politischer Entscheidung.“

Artikel X des Sperrvertrags weitet dieses Schlupfloch noch aus. Wer sich unter dem Deckmantel des Vertrages mit allen wichtigsten Komponenten der Atomwaffe eingedeckt hat, kann anschließend rechtmäßig den Vertrag wieder verlassen, um die Bombe zu zünden. Nach Artikel X des Vertrags muss jener Rücktritt lediglich mit ,außergewöhnlichen Ereignissen“ begründet und dem Sicherheitsrat drei Monate im Voraus bekannt gegeben werden.

Ein Staat, der dem Wunsch Obamas folgend „seinen Verpflichtungen im Rahmen des atomaren Nichtverbreitungsvertrages nachkommt“, kann somit alle Vorbereitungen für die Bombe treffen, um sich anschließend – nach seinem vertragskonformen Rücktritt – zur Atommacht zu erklären.

Amerikas Präsident Bill Clinton war somit gut beraten, als er in den Neunzigerjahren den Mullahs jede Form der Atomenergie verweigerte und sich um die verblasste iranische Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag nicht kümmerte. Am 21. Oktober 2003 kam es jedoch zu dem, was ein hochrangiger iranischer Atompolitiker später als „sehr bedeutsamen Wendepunkt“ bezeichnete.

An diesem Tag reisten die Außenminister Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands, Jack Straw, Dominique de Villepin und Joschka Fischer nach Teheran, um trotz massiver Vorbehalte aus dem Weißen Haus „das Recht Irans an(zuerkennen), Atomenergie für friedliche Zwecke im Sinne des Atomwaffensperrvertrags zu verwenden“, wie es in einer gemeinsam von Iran und den drei Außenministern unterzeichneten Erklärung heißt.

Zu diesem Zeitpunkt wusste man, dass Teheran mit dem Bau nuklearer Geheimanlagen über 18 Jahre hinweg gegen das Kontrollregime des Sperrvertrags verstoßen hatte. Und doch setzte sich die paradoxe Entwicklung fort: Je vertragsbrüchiger die Politik Teherans, desto üppiger die mit dem Atomwaffensperrvertrag begründeten Zugeständnisse der Europäer und später auch der USA. In seiner Kairoer Rede sicherte auch Barack Obamas dem antisemitischen Regime das Recht auf Atomenergie, sofern es sich an den Sperrvertrag halte, zu. Selbst nachdem jüngst die Existenz der zweiten Urananreicherungsanlage enthüllt wurde, blieb Obamas Tonfall konziliant: „Iran muss jetzt unverzüglich tätig werden, um durch Erfüllung seiner internationalen Verpflichtungen das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wiederherzustellen.“

Solange das Land von der khomeinistischen Doktrin beherrscht wird, kann es dieses Vertrauen aber nicht geben. Dieser Realität haben sich die fünf Vetomächte und Deutschland bisher nicht gestellt. Stattdessen hat man Teheran ermuntert, jene „Vertrauenswürdigkeit“ weiter vorzutäuschen.
Schon immer ist die Flucht in die Illusion attraktiver gewesen, als die Konfrontation mit der Realität. Der Zusammenhang von Wunschdenken und Angst ist evident. Der faule Kompromiss, auf den es hinauslaufen könnte – Ja zur iranischen Urananreicherung, solange Teheran Kontrollen der IAEA gestattet – ist heute schon mit Händen zu greifen.

Er kann allerdings nur in einem Desaster enden: Die Kombination von Atombombe und Religionskrieg bedeutet für die Menschheit höchste Gefahr. Sie wird sich weder mit den Instrumenten des Atomwaffensperrvertrags noch mit einer Fortsetzung der Sanktionspolitik entschärfen lassen, sondern nur militärisch oder nichtmilitärisch, wenn all das ausgeschöpft wird, was Artikel 41, Kapitel VII der UN-Charta empfiehlt: „Die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen.“ Die Zeit der routinierten Konzilianz und des diplomatischen „business as usual“ läuft ab.