Geschäfte mit dem "schlafenden Riesen"

Wie die vom Wirtschaftsministerium unterstützte Deutsche Handelskammer in Dubai versuchte, den Handel mit Iran zu befördern

Von Matthias Küntzel

DIE WELT, 6. März 2010

Berlin – In den Hotels von Dubai spielen sich seltsame Dinge ab. Zum Beispiel im Fünf-Sterne-Haus “Dubai Monarch”. Die von den Überwachungskameras aufgezeichneten Bilder der 15 Damen und Herren, die das Hotel am 17. November 2009 mit bestimmter Absicht betraten, liegen uns leider nicht vor. Wohl aber das Protokoll jener Zusammenkunft, die dem Ziel diente, der deutschen Industrie neue Zugangswege in den Iran zu verschaffen.

Die Deutsch-Emiratische Industrie- und Handelskammer zu Dubai hatte ins “Dubai Monarch” eingeladen, um eine “Arbeitsgruppe Iran” aus der Taufe zu heben. Die Kammer ist eine teilstaatliche, vom Wirtschaftsministerium subventionierte Institution. Ihr Geschäftsführer Peter Göpfrich gerät nun in Erklärungsnot, weil das Sitzungsprotokoll durchgesickert ist. Es handele sich um einen “sehr ärgerlichen” und “sehr peinlichen” Vorgang, sagt er der WELT.

Was war geschehen? Nachdem der Inhalt dieses Protokolls in der “Jerusalem Post” und im “Wall Street Journal” Schlagzeilen machte, zog Göpfrich die Notbremse und ließ das Projekt “Arbeitsgruppe Iran” fallen. “Die AHK-Arbeitsgruppe Iran (hat) ihre Arbeit bis auf Weiteres eingestellt”, ist seit dem 2. März 2010 auf der Homepage der Außenhandelskammer zu lesen. Zudem wurde die Mitarbeiterin der Kammer, die das Protokoll verfasst hatte, entlassen.

Ob sich die “peinliche” und “ärgerliche” Affäre auf diese Weise beenden lässt, ist fraglich. So spektakulär sich deutsche Konzerne wie Siemens und die Münchener Rück vom Iran-Geschäft verabschiedeten, so lautlos setzen deutsche Maschinen- und Anlagenbauer ihre Geschäfte mit dem Mullah-Regime fort. Je bedrohlicher die angekündigten Iran-Sanktionen, desto attraktiver der Umweg via Dubai.

Seit Jahren dient diese Millionenstadt den Mullahs als Hintertür, durch die sie in den Iran schleusen, was durch die Vordertür sanktionsbedingt keine Chancen hat. In dem winzigen Emirat, dessen Fläche 420-mal kleiner ist als die Fläche des Iran, wird zwar so gut wie nichts produziert. Aber Dubai brachte es fertig, dass 2009 die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), zu denen Dubai gehört, vor Deutschland und China wichtigstes Exportland für den Iran war. 80 Prozent aller Einfuhren in die VAE werden wieder ausgeführt – davon ein Viertel über Dubai in den Iran.

Nach Auskunft des Dubaier Iranian Business Council sind dort 8000 iranische Firmen und 1200 iranische Handelsgesellschaften registriert. Wöchentlich verkehren 300 Flüge zwischen Dubai und dem Iran. Dubai verfügt zudem mit Dschebel Ali über den größten künstlichen Hafen der Welt. Der iranische Containerhafen Bandar Abbas ist lediglich 100 Meilen entfernt. Zwischen 2005 und 2009 hat sich die Warenausfuhr von Dubai in den Iran auf zwölf Milliarden Dollar verdreifacht.

Im November 2007 hatte Herbert Honsowitz, der damalige deutsche Botschafter in Teheran, den Wert der deutschen Iran-Exporte via Dubai auf vier Milliarden Dollar jährlich taxiert. Später nahm er dies jedoch zurück. Nach Auskunft der Deutsch-Emiratischen Industrie- und Handelskammer sind 800 deutsche Unternehmen mit Filialen in Dubai registriert.

Sicher ist zudem, dass die deutschen Ausfuhren in die Emirate zuletzt sprunghaft angestiegen sind. 2008 erreichten diese Lieferungen einen Wert von elf Milliarden Dollar – gegenüber 2007 eine Steigerung um 40 Prozent. Im Bereich des Fahrzeug- und Maschinenbaus – einer im Iran besonders begehrten Branche – stiegen die Ausfuhren gar um mehr als 60 Prozent: von vier auf 6,5 Milliarden Dollar.

Dies macht den Wunsch, die Handelswege in den Iran über Dubai auszuweiten, plausibel und mag erklären, warum im Mai 2009 die Deutsch-Emiratische Industrie- und Handelskammer gegründet wurde. Zur Einweihungsfeier reiste der damalige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg höchstpersönlich an.

Ein halbes Jahr später verschickte Daniela Calligaro, die Abteilungsleiterin der Kammer für Business Development Services, die Einladung zur Bildung einer offiziellen “Arbeitsgruppe Iran”. Man wolle mit ihrer Hilfe prüfen, heißt es in dem Einladungsschreiben, “wie unter Einschluss deutscher Firmen neue Handels- und Investitionsflüsse geschaffen werden können, die die Vereinigten Arabischen Emirate als ein Eingangstor zum iranischen Markt nutzen”.

In der Öffentlichkeit betont das politische Berlin jedoch, deutsche Firmen von Geschäften mit dem Iran abhalten zu wollen. “Wir müssen alles daransetzen”, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im November 2007 erklärt, “dass die Handelswege nicht über Umwege doch wieder in den Iran führen.”

Im November vergangenen Jahres kamen die Gründungsmitglieder jener “Arbeitsgruppe Iran” im “Dubai Monarch” zusammen – zu einem Zeitpunkt, da die iranische Führung international isolierter war als je zuvor: Seit Juni 2009 hatte sie die iranische Demokratiebewegung vor den Augen aller Welt terrorisiert.

Doch darum ging es bei jenem Gründungstreffen nicht. Es sei das Ziel der Gruppe, “die Geschäfte unserer Mitglieder mit diesem Regime zu befördern”, vermerkt das dreiseitige Protokoll, das den Verlauf dieser Sitzung wie auch die Stimmung unter den Teilnehmern beschreibt.

Im Vordergrund steht die Klage über Geschäftsbehinderungen, die die USA und die Bundesregierung unter dem Einfluss Washingtons veranlasst hätten. Gleichzeitig macht man sich für künftige Iran-Geschäfte gegenseitig Mut: Dieses Land sei ein “schlafender Riese”; stets hätten Iraner gerade “die deutschen Produkte respektiert und geschätzt”.
Iraner in Dubai seien für alles zu gewinnen, behauptet das Protokoll. Also müsse man “die iranische Präsenz in Dubai ausnutzen, Kontakte herstellen”, Risikokapitalbeteiligungen eingehen und Firmenpartnerschaften in Erwägung ziehen.

Zumindest dem Versammlungsleiter war die Brisanz dieser Vorschläge offenbar bewusst. Man müsse derartige Unternehmungen “sehr taktvoll angehen, weil das Thema sehr sensibel ist”, warnte Peter Göpfrich in seinem Resümee.

Einige Monate später bestätigte Göpfrich die Existenz dieses Protokolls. Doch sei es ohne sein Wissen an die Öffentlichkeit gelangt. Die Kammer habe aus jener “peinlichen” Affäre gelernt und werde ihr Iran-Engagement in Zukunft auf die Vermittlung der Embargo-Regeln, wie sie in den Merkblättern der Bundesregierung skizziert seien, beschränken, beteuerte er.

Allerdings sei man immer wieder mit der Frage deutscher Unternehmen konfrontiert, wie Dubai als Sprungbrett in den Iran genutzt werden könne. Es gebe auf diesem Feld “keine Transparenz” und “kein Firmenregister”. Die meisten Unternehmen würden ihren Handel ohnehin an der Kammer vorbei betreiben.

Dieser Einschätzung stimmt ein Mitarbeiter der bundeseigenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft German Trade & Invest, der namentlich nicht genannt werden will, zu. Man habe schon vor Jahren den Beschluss gefasst, “keine Werbung für die Umgehung” via Dubai zu machen. Man weise ganz im Gegenteil jede Firma auf die mit dieser Strategie verbundenen Risiken und auf mögliche “Probleme mit den Vereinigten Staaten” hin.

Es wird also keineswegs, wie von der Bundeskanzlerin versprochen, “alles darangesetzt, dass die Handelswege nicht über Umwege doch wieder zum Iran führen”. Immerhin ist es allein jener “peinlichen” und “ärgerlichen” Panne zu verdanken, dass die Öffentlichkeit von der Politik der Deutsch-Emiratischen Industrie- und Handelskammer überhaupt erfuhr und die “Arbeitsgruppe Iran” heute nicht mehr existiert.

Seither werden jene Umwegstrategien von den zuständigen öffentlichen Stellen vielleicht nicht aktiv beworben, aber doch geduldet. Was vor wenigen Wochen im “Dubai Monarch” offiziell begann, geht inoffiziell munter weiter.

Kurz vor der neuen, womöglich entscheidenden Sanktionsrunde gegen das iranische Regime steht die Bundesregierung somit vor der Wahl: Entweder täuscht sie im internationalen Kontext Geschäftigkeit lediglich vor, um Israel und den Vereinigten Staaten zu imponieren und von eigenmächtigen Schritten abzuhalten. Oder sie setzt Teheran tatsächlich unter Druck, um den Bau von Atomwaffen zu verhindern. Dann aber muss sie alles tun, um das “Eingangstor zum iranischen Markt” via Dubai so sicher wie möglich zu verschließen.