Die Bombe und Herr Grass

Von Matthias Küntzel

Schabbat Schalom, NDR-INFO, 6. April 2012

„Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“, hat Paul Spiegel, bis 2006 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärt.

Zwar kündigt Teheran im Wochentakt Israels Vernichtung an. Falls der jüdische Staat jedoch nicht freiwillig untergehen will, sondern sich zu verteidigen droht, sei – so Günter Grass – der Weltfrieden in Gefahr.

Grass zeigt für die Situation der bedrohten Israelis kein Interesse. Ursache und Wirkung hat er vertauscht. Niemand in Israel will Krieg, während Iran seine nuklear bestückbaren Raketen mit der Aufschrift „Israel muss vernichtet werden” versieht, wie Fotos von iranischen Paraden beweisen.

Falls sich Israel genötigt sehen sollte, gegen eine iranische Atombombe militärisch vorzugehen, wäre es kein Einsatz mit dem Ziel, Menschen zu töten, es wäre eine Notwehrmaßnahme, ein Kampf fürs Leben.

Dies kommt in der Debatte um den Schriftsteller zu kurz. Es häufen sich Kommentare, die dessen antisemitische Stereotype kritisieren, um dessen Warnung vor einem israelischen Präventivschlag zu verteidigen. „Der Skandal besteht nicht in Grass‘ Israelkritik“, betont beispielsweise Klaus Hillenbrand in der taz. Wollen Hillebrand oder Bettina Marx von der „Deutschen Welle“, die ähnlich argumentiert, im Schatten der Ahmadinejad-Bombe leben? Ach nein? Wie wollen sie diese dann aber verhindern? Und warum spricht Tom Buhrow diese Frage in seinem mehr als zwanzigminütigem „Tagesthemen“-Gespräch mit Günter Grass nicht an?

Das eigentliche Problem ist die iranische Bombe. Sie zu verhindern, ist der kategorische Imperativ unserer Zeit. Es sind nicht die schon lange existierenden, israelischen, sondern die drohenden iranischen Atomwaffen, die viele arabische Staaten zum Aufbau eigener Atomarsenale treiben. Die Möglichkeit, den iranischen Griff zur Bombe ohne Einsatz von Waffen zu verhindern, schwindet derzeit aber ebenso rasant, wie die Angst vor einem Militäreinsatz steigt.

Angst! Ist es vielleicht diese Angst, die heute viele dazu verleitet, sich geradezu verzweifelt einzureden, von Iran ginge keine Gefahr aus? Ist es die Angst, die heute viele dazu veranlasst, auf den klassischen Sündenbock für Krisenzeiten zurückzugreifen und Juden – in diesem Fall den jüdischen Staat – zu prügeln?

Letztes Wochenende veröffentlichten 1.700 Unterzeichner eine Zeitungsanzeige unter der Überschrift „Sanktionen und Kriegsdrohungen sofort beenden“, in der eben dies geschah: Irans Regime wurde in Schutz genommen und Israel für die Krise verantwortlich gemacht.

Gleichwohl gehören Oskar Negt und Franz Alt zu den Erstunterzeichnern, sowie Wolf Dieter Narr, Elmar Altvater, Iring Fetcher, Ekkehart Krippendorff und viele mehr. Wenige Tage später macht Grass die Projektion perfekt, indem er dem jüdischen Staat unterstellt, genau das zu betreiben, was ihm angedroht wird: die „Auslöschung“.

Was aber Deutschland tun könnte und tun müsste, um iranische Atombomben zu verhindern – diese Frage interessiert offenbar weder Oskar Negt noch Günter Grass.

Immerhin ist die Bundesrepublik bis heute der wichtigste westliche Partner der Mullahs geblieben: in 2011 wurden deutsche High-Tech-Produkte im Wert von weit über 3 Milliarden Euro nach Iran transferiert. Eine konsequente Sanktionspolitik sähe anders aus. Je durchlässiger aber die Lücken im Sanktionsregime, desto gewisser der bevorstehende Krieg und desto ungemessener die Warnung der Bundesregierung, Israel dürfe „keine Abenteuer“ begehen.

„Man kann nicht a priori Nein zum Krieg sagen“ – hatte Paul Spiegel erklärt, eine Aussage, die sich vor dem Hintergrund des 8. Mai 1945 von selbst versteht. Hitler wurde von Soldaten, nicht von Pazifisten besiegt.

Es käme darauf an, von der berechtigten Erregung über die Selbstentblößung des Günter Grass auf die Frage zu kommen, die tatsächlich zählt: Wie ist Irans Atomwaffenoption zu verhindern?

Beitrag für die Sendung ,Schabbat Schalom‘, NDR –INFO, am 6. April 2012.