Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Über Robert S. Wistrichs Buch "Muslimischer Antisemitismus. Eine aktuelle Gefahr"
Tribüne, 1. Dezember 2012
„Die heutigen Juden sind teuflischen Ursprungs“, rief der Imam der Ka’aba Moschee in Mekka, dem heiligsten Ort der muslimischen Welt. „Sie sind … der Abschaum der menschlichen Rasse, welchen Allah verflucht und in Affen und Schweine verwandelt hat.“ Diese Worte seien typisch für tausende von Predigten in der arabischen Welt, erklärt Robert S. Wistrich in seinem neuen Buch „Muslimischer Antisemitismus“. Wistrich ist Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem und der vermutlich führende Antisemitismusforscher unserer Zeit. Im Zentrum seines Buches steht die Studie „Muslim Antisemitism. A Clear and Present Danger“ in deutscher Erstübersetzung, die er 2002 im Auftrag des American Jewish Committee verfasste. Sie wird durch das Nachwort des Verfassers von 2011, einer Bibliographie seiner Schriften seit 1973 sowie durch ein Vorwort des Politikwissenschaftlers Clemens Heni ergänzt.
Der Haupttext liefert eine lesenswerte Einführung in die Geschichte der muslimisch-jüdischen Beziehungen. „Die Juden im Islam (hatten) eine relativ bessere gesellschaftliche Position, verglichen mit der ihrer Glaubensgenossen in den christlichen Ländern“, betont Wistrich. Gleichwohl seien einige der Ursprünge der gegenwärtigen Judenfeindschaft im Koran und anderen frühen islamischen Quellen zu finden. Wistrich ruft aber auch die widersprüchlichen Antworten der islamistischen Bewegungen auf den 11. September in Erinnerung: auf der einen Seite die Freudenfeiern über den Tod Tausender Amerikaner, auf der anderen Seite die Schuldzuweisungen an Israel als dem angeblichen Urheber dieser Tat. Instruktiv ist auch der Abschnitt, in dem der Autor zeigt, dass die iranische Holocaustleugnung bereits 1980 begann, ohne jedoch in westlichen Medien auf Beachtung zu stoßen.
In seinem Nachwort lässt Wistrich seiner Enttäuschung über das anhaltende Desinteresse der Öffentlichkeit freien Raum. Damals wie heute werde „die antijüdische Dimension des gegenwärtigen militanten Islam herunter gespielt oder komplett ignoriert.“
Mehr noch: Während der Islamismus Zulauf erfahre, folgten dessen „offenen oder klammheimlichen Kollaborateure in Europa … ihrem unstillbaren Hunger, Israel zu dämonisieren und moralisch zu delegitimieren.“ Die „neue Form der Endlösung der ,zionistischen Frage‘“, auf die es die islamistischen Bewegungen und Staaten abgesehen hätten, werde derzeit nicht durch die internationale Öffentlichkeit oder durch Menschenrechtsorganisationen vereitelt, sondern einzig durch die abschreckende Militärmacht Israels.
Gleichwohl waren Wistrichs Publikationen der letzten zehn Jahre nicht umsonst: Auf die Aussage, dass der Antisemitismus „für islamistisch ausgerichtete Gruppen und Staaten ein konstitutiver Bestandteil ihrer Ideologie“ darstellt (Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Bundesminister des Innern, August 2011, S. 52) wäre solch ein Gremium 2002 noch nicht gekommen.
Gleichwohl stehen diese Worte auf dem Papier, während es der Bundesregierung mit der Annäherung an die islamistischen Sieger des „arabischen Frühlings“ gar nicht schnell genug gehen kann. Den Verantwortlichen – und nicht nur ihnen! – sei Wistrichs Buch ans Herz gelegt, ist hier doch nachzulesen, wie die ägyptische Muslimbruderschaft den 11. September empfand: Für sie „war der Terrorangriff … eine ,göttliche Vergeltung‘, nicht zuletzt weil die Amerikaner , die Affen [d.h. die Juden] den Menschen vorziehen.‘“
Robert S. Wistrich: Muslimischer Antisemitismus. Eine aktuelle Gefahr. Aus dem Englischen von Clemens Heni und Thomas Weidauer, Edition Critic 2011, 164 S., 14,90 Euro.