Wie hält es die Linkspartei mit dem Iran?

Ein Briefwechsel mit Jürgen Reents, Chefredakteur des "Neuen Deutschland"

Von Matthias Küntzel

Hamburg, im Juni 2008

Vor gut einem Monat veröffentlichte ich meine Erfahrung mit der Tageszeitung „Neues Deutschland“, dem früheren Zentralorgan der SED, das sich heute als Bannerträger der Linkspartei profiliert.
Die Redaktion hatte mich um einen Gastbeitrag zum Thema „Deutschland und Iran“ gebeten, dessen Veröffentlichung jedoch unmittelbar nach Erhalt abgelehnt.

Siehe hier

Kurz nach meinem Rundschreiben erhielt Jürgen Reents den Protestbrief eines Freundes aus früheren Zeiten, indem es u.a. heißt:

Ich mag nicht glauben, dass du einverstanden bist mit dem Vorgehen deines Redakteurs. (...) Matthias Küntzel hat in der Sache recht, dass der Iran nach der Atombombe greift und seine Urananreicherung keinem anderen Zweck dient. Da wollen wir uns mal alle nichts vormachen. Dass er polemisch formuliert hat – für eine Debattenseite -, fällt unter die journalistischen Freiheiten.
Matthias Küntzel hat auch recht, wenn er die Haltung zum Iran als eine eklatante Schwachstelle der Partei Die Linke bezeichnet. Darüber hinaus findet man die zitierten Argumente, die die nukleare Aufrüstung des Iran notdürftig legitimieren sollen, bei vielen anderen Linken. Ich selber bin in dieser Frage schon oft gegen eine Mauer des Schweigens und der Zensur gestoßen. Hierzu brauchen wir eine Debatte, in welcher den Beteiligten nicht gleich das Herz in die Hose fällt, wenn einmal Lafontaine angegriffen wird. (...)
Wenn ich mir vergegenwärtige, dass die GEGNER des deutschen Großkapitals und die GEGNER des iranischen Schahregimes heute zäh an einem Projekt festhalten, das ursprünglich vom Pfauenthron mit dem Siemens Konzern gestartet und laut Spiegel mit 400 Mio. DM geschmiert wurde, wenn ich bedenke, dass linke Mitstreiter diesen immer noch virulenten und verhängnisvollen Schurkenstreich heute verteidigen zu müssen glauben – ohne etwas von den 400 Mio. abbekommen zu haben oder? – dann wird mir ganz anders. Wir haben ja wohl gar nichts verstanden.
Bitte setze dich auch dafür ein, dass sich an dieser absurden Situation etwas ändert.
Freundliche Grüße (...)

Am 16. Juni 2008 antwortete Jürgen Reents. Sein ausdrücklich für die Veröffentlichung freigegebener Brief befasst sich zunächst mit der Zensur meines Debattenbeitrags:

Du hoffst, dass ich nicht einverstanden bin mit dem »Vorgehen« unseres Redakteurs. Das bin ich in einem Punkt tatsächlich nicht, aber darüber hatte ich zuvor keine Kenntnis: Ich hätte Matthias Küntzel nicht um einen solchen Debattenbeitrag gebeten. Aber bestellt war bestellt. Als Christian Klemm – ein junger Redakteur, der bei uns die Debattenseite betreut – mir den Text vorlegte, habe ich entschieden, dass er nicht gedruckt wird. Die an MK mitgeteilte Begründung, die er auf seiner Website und in seinem Kettenbrief Dir und anderen zur Kenntnis gegeben hat, will ich kurz erläutern (...).
Punkt 1, das verfehlte Thema: Die Fragestellung war: »Soll die Bundesregierung für schärfere Sanktionen gegen den Iran eintreten?«. Man kann sagen, dass er die Frage in der einleitenden Passage und im Schlusssatz streift. Im übrigen behandelt sein Text eine Frage, die man vielleicht so formulieren könnte: »Ist die Linkspartei der verlängerte Arm des iranischen Regimes?«

Punkt 2, die fehlende journalistische Seriösität: Sie fußt auf der Umlenkung des Themas. Die These von MK, die Linkspartei wolle »der wichtigste Partner des Mullah-Regimes in Berlin« werden, ist grotesk. Er rankt Behauptung an Verdacht, Spekulation an Einbildung, Beschimpfung an Unterstellung. Mit seriösem Journalismus hat das nichts zu tun, und da Du seine wissenschaftlichen Qualitäten hervorhebst: davon erkenne ich in diesem Text leider auch nichts. MK hängt einen Quellenapparat an offensichtlich unstrittige Hinweise und unterlässt jede Quellenangabe und jede Überprüfbarkeit für Zitate über »schwarze dreckige Mikroben« u.a., als die »die Machthaber in Teheran« Israel bezeichnet hätten. Unsere Debatten sind kontrovers, wir laden explizit auch Autor(inn)en dazu ein, bei denen wir sogar wissen, dass sie der Orientierung des ND nicht sonderlich zugetan sind. Aber einige Qualität in der Argumentation erwarten wir dann schon.

Der zweite Teil des Briefes befasst sich mit dem Iran. Hierzu äußert sich der ND-Chefredakteur wie folgt:

Du schreibst, MK habe »in der Sache recht, dass der Iran nach der Atombombe greift und seine Urananreicherung keinem anderen Zweck dient«. Ich bin so frei zu sagen: Vielleicht hast Du recht, vielleicht hast Du unrecht. Du verweist auf Deine Kenntnisse als Physiker, ich verweise auf meinen Hang als Journalist und Mathematiker, mich an Fakten zu orientieren und sowohl logisch wie auch nicht ohne Einbeziehung aller Umgebungsfaktoren zu denken. Zum ersten gehört: Für Dein »sicheres Wissen« geben die Berichte der damit befassten internationalen Organisationen keinen Beleg. Zum zweiten gehört: Es gibt vor allem Kreise in zwei Atomwaffenstaaten, die das behaupten, die selbst Drohungen bis hin zum Einsatz atomarer Waffen gegen Iran ausgesprochen haben, und von denen der eine seine bisherigen Kriege im Nahen und Mittleren Osten wie in Zentralasien mit allerlei unbewiesenen Behauptungen und aufgedeckten Lügen legendiert hat. Ich spreche im letzten Fall erkenntlich von den USA, dem einzigen Staat, der bislang überhaupt die Atombombe eingesetzt hat; und im weiteren von Israel, dem einzigen Atomwaffenstaat in der Region, aus dessen Regierung immer wieder unangenehme militärische Schläge gegen den Iran angedroht werden (wie jüngst von Shaul Mofaz, dem möglichen Nachfolger von Ehud Olmert). Das sind Fakten, wie auch jene, dass die USA seit dem Umsturz in Iran 1979 bekanntlich an der Rückgewinnung dieses Landes in ihren Einflussbereich arbeiten. Diese Fakten spielen übrigens in MKs Artikel keine Rolle (wie auch, da er sich einem anderen Thema zugewandt hat).

Über den Charakter des Mullah-Regimes, die Menschenrechtsverletzungen in Iran und die feindliche Haltung seiner Regierung gegenüber Israel mache ich mir keine Illusionen. Beim Attentat 1988 auf Abdul Rahman Ghassemlou in Wien und beim Mykonos-Attentat 1992 in Berlin wurden Menschen ermordet, die ich kannte und als meine Freunde bezeichnen durfte – es waren Mordaufträge aus dem Regime heraus, im Falle des Wiener Attentats soll der heutige iranische Präsident nach Zeugenaussagen unmittelbar beteiligt gewesen sein. Ich habe den Fanatismus der Pasdaran 1986 bei einem Aufenthalt im irakisch-iranischen Kriegsgebiet kennen gelernt – solche persönlichen Erfahrungen veranlassen mich in Kombination mit allgemein zugänglichen und gesicherten Informationen über Hinrichtungen u.a.m. wahrlich nicht zu Sympathien. Aber ich möchte daran erinnern, dass der Krieg in Afghanistan nicht begonnen wurde, um die Unterdrückung der Frauen zu bekämpfen oder Hinrichtungen abzuschaffen, das hat diejenigen, die den Kriegsbefehl gaben, zuvor wenig interessiert. Sie haben auch mit Saddam Hussein so lange paktiert, und seine Giftgaseinsätze gegen die Kurden hat sie nicht interessiert (auch die Bundesregierung nicht, die gab noch Hermes-Kredite), bis er ihnen hinsichtlich Kuwait zu übermütig wurde. Und die innere Verfasstheit des Staates ist auch im Falle des Iran nicht Anlass der Androhung militärischer Schläge. Im Ernst dürfte weder die US-amerikanische noch die israelische Regierung davon ausgehen, dass der Iran Israel angreift – im iranischen Regimes gibt es islamistische Ideologen und Antisemiten, aber nach bisheriger Kenntnis und Erfahrung keine Deppen, die den Selbstmord suchen.

Was ich damit sagen will: Es ist lächerlich, aus der Ablehnung so genannter militärischer »Präventivschläge« gegen den Iran (befürwortest Du sie? befürwortet MK sie?) eine Unterstützung undemokratischer Zustände wie auch ekliger Ideologien zu schlussfolgern. Man wäre schnell bei einer Argumentation, nach der die halbe Welt in Brand zu stecken wäre, um weiteren Bränden vorzubeugen. Es gibt auch in ND kein Verschweigen oder gar eine Parteinahme für das iranische Regime, es gibt nur den Versuch, sich bei Verstande zu halten.

Ich hatte Jürgen Reents in den frühen 1980ern persönlich kennengelernt: Er war damals als Abgeordneter und ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der grünen Bundestagsfraktion in Bonn angestellt. Am 17. Juni 2008 antworte ich ihm wie folgt:

Ich finde deine Entscheidung, meinen Debattenbeitrag im Neuen Deutschland nicht zu veröffentlichen, gleichzeitig falsch und konsequent. Es geht, wie du weißt, nicht um eine Lappalie, sondern darum, wie sich „Die Linke“ definiert:
Bedeutet „links sein“, ein kritisches Bündnis mit dem antisemitischen Islamismus gegen den Westen? Oder bedeutet „links sein“ ein kritisches Bündnis mit dem Westen gegen den antisemitischen Islamismus?
Oder der Antifa-Aspekt: Bedeutet „links sein“, die Holocaust-Leugnung des Iran und dessen Ambition, Israel zu vernichten, herunterzuspielen? Oder heißt „links sein“, dass schon allein deshalb die deutschen Sonderbeziehungen zum Iran in Frage zu stellen oder zu beenden sind?
Last but not least das Thema nukleare Option, um das sich mein Debattenbeitrag dreht: Heißt „links sein“, dafür einzutreten, dass das iranische Terrorregime zur Mittelstreckenrakete auch die Atomwaffen-Rohstoffe erhalten kann – siehe Peach und Lafontaine? Oder heißt „links sein“ dafür einzutreten, dass die Urananreicherung beendet wird?
Ich weiß, dass du und ich jede dieser drei Fragen anders beantworten. Und ich vermute, dass deine jeweiligen Argumente schwach sind, weshalb du eine ernsthafte Debatte scheust. Oder, in deinen eigenen Worten: Der Fehler des Neuen Deutschland bestand nicht darin, meinen Debattenbeitrag unterdrückt zu haben. Der Fehler bestand darin, mich überhaupt darum gebeten zu haben. 6.000 Zeichen von Küntzel: Das hält das Neue Deutschland nicht aus.

Zu deinen Erläuterungen: An manchen Stellen erwecken sie den Eindruck, als wolltest du meinem abgelehnten Artikel partout Musterbeispiele an die Seite stellen. Etwa, wenn du behauptest, es gäbe keine Belege, dass der Iran gezielt nach Atomwaffentechniken greift. Genau das meinte ich, als ich „von einer ideologischen Panzerung wider die Realität“ sprach, „die ihresgleichen sucht.“ Alle Welt weiß, dass der Iran gezielt dual use-Techniken entwickelt. Die Internationale Atomenergieagentur (siehe Fußnote 1 meines Artikels) dokumentiert es und schon die Logik gebietet es: Da Russland sämtliches Uran für den einzigen iranischen Reaktor zur Verfügung stellt, gibt es für die Urananreicherung in Natanz keinen zivilen Bedarf.
Du aber greifst auf das Arsenal der Verschwörungstheorie zurück, um zu erklären, warum sich die Welt über die militärische Dimension dieses Programms so viel Sorgen macht: „Es gibt vor allem Kreise in zwei Atomwaffenstaaten, die das behaupten.“

Diese Zweistaaten-Fixierung ist mein nächster Punkt: Du hast in deinem Brief dem alten Feindbild „BushSharon“ ungeniert freien Lauf gelassen und das zur Debatte gestellte Thema „Deutschland und Iran“ über weite Strecken durch den Topos Israel&USA ersetzt. Du schreibst, dass dich deine Erfahrungen mit dem Iran „wahrlich nicht zu Sympathien“ mit dem Regime veranlassten. Doch dann kommt das übergroße ABER: Das Mullah-Regime mag schlecht sei, ABER Amerika und Israel sind schlimmer. „Offenkundig“ – heißt es in meinem Artikel, den du den ND-Lesern nicht zumuten willst – „hat die eingeschliffene Gegnerschaft zu den USA und Israel die Fähigkeit zerstört, neue Formen des Antisemitismus und die Bedrohung Israels mit Massenvernichtungswaffen auch nur zu erkennen.“
Zum Beispiel suggerierst du, dass die eigentliche nukleare Gefahr nicht vom Iran, sondern von Israel ausgehe, was die kausalen Zusammenhänge auf den Kopf stellt. Warum wohl hat die arabische Welt von Jidda bis Jordanien erst jetzt damit begonnen, sich über eigene Atomarsenale Gedanken zu machen? Warum hatten Vanunus Enthüllungen über das israelische Atomprogramm 1986 keine vergleichbaren Aktivitäten ausgelöst?

Mit anderen Worten: Mein Artikel hat – ohne dies zu wissen – deine eigene politische Position kritisiert. Das war offenkundig zuviel. Deine Entscheidung – „Das drucken wir nicht!“ – muss binnen weniger Minuten gefallen sein. Deine Begründungen dafür klingen nachgeschoben. Natürlich war es legitim, die Fragestellung „Soll die Bundesregierung für schärfere Sanktionen eintreten“ auf die Linkspartei auszuweiten und deren Kampf gegen Sanktionen mit zu thematisieren. In einer Zeitung wie dem Neuen Deutschland war dies geradezu geboten.
Wer aber über ein bestimmtes Thema nicht reden will, sagt: Thema verfehlt. So erwähnt auch dein Antwortbrief die Kernfrage meiner Kritik – dass die Linkspartei dem Iran Atomwaffentechnologien zugestehen will und Sanktionen bekämpft – mit keinem Wort. Allerdings gehst du indirekt, mit dem Wörtchen „unstrittig“, darauf ein: „MK hängt einen Quellenapparat an offensichtlich unstrittige Hinweise.“ Ist also Norman Paechs Aussage: „Was man Israel oder Pakistan gewährt hat, kann man dem Iran nicht verweigern“ bei euch „unstrittig“? Ist die Behauptung, der Iran gehe einen „selbstbestimmten“, an den „Werten seiner Gesellschaft orientierten Entwicklungsweg“ in der Linkspartei unstrittig?
Das glaube ich kaum. Diese Aussagen werden nur solange „unstrittig“ sein, wie darüber nicht gestritten und auf jede aufkeimende Debatte der dicke Deckel geworfen wird. Diese Vermeidungsstrategie – du wirst es ahnen! – hat keine Chance.

Hier Reents’ abschließende Antwort vom 18. Juni 2008:

Argumente finde ich reizvoll, prüfe daran auch gerne, wie belastbar meine eigenen sind. Für Korrespondenzen, die sich in Unterstellungen und Eitelkeiten erschöpfen, fehlen mir aber Lust und Zeit. Ich klinke mich (...) wieder aus. Wünsche Dir, dass Du irgendwann heil und ohne Uniform aus diesem gedanklichen Irrgarten rauskommst.