"Wenn aber alles gescheitert ist, was dann?"

Shimon Stein und Mohssen Massarrat über den "Atomstreit zwischen Israel und Iran": ein Veranstaltungsbericht

Von Matthias Küntzel

FACULTY FORUM, GERMAN EDITION, Scholars For Peace In The Middle East (SPME), 27. Juni 2012

„Droht Krieg? Stimmen zum Atomstreit zwischen Israel und Iran“ – so hieß die Veranstaltung, die die Katholische Akademie in Hamburg am 10. Mai 2012 veranstaltete. Gesprächspartner waren Shimon Stein, der ehemalige israelische Botschafter in Berlin sowie Mohssen Massarrat, ein emeritierter Politikprofessor der Universität Osnabrück. Massarrat war die treibende Kraft hinter der Erklärung „Friedens- statt Kriegspolitik im Irankonflikt. Sanktionen und Kriegsdrohungen sofort beenden“, die – von mehr als 2.000 Personen unterschrieben – im März dieses Jahres u.a. in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde.

Einführung und Moderation übernahm Dr. Wilfried Buchta, eine junger „Islamwissenschaftler und Nahost-Consultat“ aus Berlin, der mit seinen einleitenden Worten dieser Fachbezeichnung alle Ehre machte: „Der Beweis für ein iranisches Atomwaffenprogramm steht noch aus“, behauptete Buchta, und der „semantische Kern der Formulierung“ des berühmten Ahmadinejad-Zitats von 2005 sei „bis heute umstritten.“ Muss heute so reden, wer als „Islamwissenschaftler“ eine Zukunft haben will?

Massarrat war 1961 aus Iran nach Deutschland gekommen. Er konnte, wie er an diesem Abend erwähnte, noch 1989, dem Jahr, in dem Khomeini seine Fatwa gegen Salman Rushdie erließ, in einer offiziellen Zeitschrift des Regimes publizieren. Sein gegenwärtiges politisches Credo rief er am Ende des Abends in den Raum: „Wir Völker werden alle Verlierer eines neuen Krieges sein, nur der militärisch-industrielle-Komplex wird gewinnen, und er ist es, der für Lüge und Manipulation sorgt, um die Völker gegeneinander aufzuhetzen.“

Für mich hatte allein schon dieser Ausruf den Besuch der Veranstaltung gelohnt: So viel Völker-Pathos findet man ansonsten nur noch in Kabaretts, wo die Imitation des Kommunistischen Bund Westdeutschland der 70er Jahre als Lachnummer gilt. Massarrat aber formulierte seien Worte nüchtern und meinte sie ernst. Während er mit den beiden Völkern offenkundig das deutsche und das iranische meinte, schloss sein Wort vom „militärisch-industriellen Komplex“ die von den iranischen Revolutionsgarden geführten Atom- und Raketenfabriken keineswegs mit ein. Er stellte somit gegenüber: Hier die Rüstungsgewinnler des Westens, – dort die Völker der Welt einschließlich der Regierung und des Volkes des Iran.

Auf einen Einwand aus dem Publikum, dass zahlreiche Iranerinnen und Iraner innerhalb und außerhalb des Landes den Regime-Change wollten, erwiderte Massarat: „Diese naive Vorstellung teile ich überhaupt nicht. Die Iraner sind eine Kulturnation, sie sind ein stolzes Volk“. Und überhaupt: „Die Debatte über Demokratie kann nicht stattfinden unter dem Schatten der Bedrohung von außen.“ Wenn diese Debatte in Teheran zensiert und jede widerspenstige Regung zerschlagen wird, sind dann also erneut diejenigen verantwortlich, die „drohen“ – Israel und die USA?

Und was ist mit all den Versuchen von Barack Obama, eine neue Phase der Entspannung mit Teheran in die Wege zu leiten? Massarrat ergreift auch hier Partei: „Wir müssen sehen, warum der Iran die ausgestreckte Hand nicht ergreift.“ Seine Antwort: Weil es sich um „eine scheinbar ausgestreckte Hand“ gehandelt habe, weshalb der Iran darauf gar nicht habe reagieren können.

Da aber der Westen nur trickse oder drohe, sei der iranische Wunsch nach Atomwaffen nachzuvollziehen. Er persönlich lehne die Atomenergie zwar ab. Doch halte er es nicht nur für „sehr wahrscheinlich“, sondern auch für „durchaus logisch, dass die Elite die Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen erhalten will. Jede andere Regierung würde sich ähnlich verhalten wie Iran.“ Folgerichtig maß er der in den Medien häufig erwähnten Anti-Atomwaffen-Fatwa des iranischen Religionsführers Ali Khamenei keine Bedeutung bei: „Für mich gilt diese Fatwa in der Form nicht.“

Dessen ungeachtet würde der Iran die Atombombe niemals einsetzen; dafür sorge schon die Abschreckungsdoktrin und deren Motto: Wer als erster Atomwaffen einsetzt, stirbt zwangsläufig als zweiter. Daraus folgt: „Es gibt keine Legitimation für die Angst, die in Israel geschürt wird.“

Doch was ist mit dem Antisemitismus des iranischen Regimes und seinen Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel? „Die Bedrohungsrhetorik ist leer und bedeutungslos“, erklärte Massarrat. Das wisse auch die israelische Führung. Auch der Antisemitismus sei „kein Problem des Iran“, wusste Professor Massarrat zu berichten. „Er war es niemals. Er ist kein Problem der islamischen Länder, sondern ein Problem der Europäer.“ Man dürfe deshalb auch nicht „mit dem Begriff Antisemitismus herumhantieren, wie das die israelische Regierung und die Israellobby macht.“

Hier schließt sich der Kreis: Weil der militärisch-industrielle-Komplex des Westens Profite machen und „die Völker gegeneinander aufhetzen“ will, setzt er die Lüge vom iranischen Antisemitismus in die Welt. Mehr noch: Israels Regierung schürt diese Angst bewusst, um „andere Staaten mit dem Präventivschlag zu bedrohen.“

Um dieses abgekartete Spiel zu durchkreuzen, sei er, Mohssen Massarrat, auch „entschieden gegen jegliche Iran-Sanktion, weil sie die Legitimation liefert für eine Argumentation die besagt: Wir haben alles versucht – jetzt gibt es Krieg.“

Dem ehemaligen israelischen Botschafter war die Konsternation über Massarrat und Buchta, die die offiziöse Katholische Akademie immerhin als „Experten“ eingeladen hatte, anzumerken. Auf Buchtas Frage: „Was würde passieren, wenn es zu einem Atomschlag durch Israel kommt?“ erwiderte der ehemalige israelische Botschafter: „Das ist völliger Unsinn. Darauf möchte ich nicht antworten.“

Den Ausführungen Massarrats begegnete Stein mit dem bitter-ironischen Staunen über das, was er an diesem Abend über Israel und Iran alles neu gelernt habe.

Stein betonte, dass er bereits die Einengung auf „Israel und Iran“ für einen Fehler halte: Was sich in Iran abspiele, sei kein israelisches, sondern ein regionales und globales Problem. Er verwies auf die hegemonialen iranischen Ansprüche in der Region: „Ich bin der festen Überzeugung, dass Israel keine herausragende Rolle spielte, als sich Iran für das Atomwaffenprogramm entschied.“

Gefährde die iranische Bombe Israels Existenz? Botschafter Stein: „Meine Antwort lautet Nein. Iran stellt keine existenzielle Bedrohung dar.“ Es handele sich jedoch um eine „signifikante Bedrohung, die den Nahen Osten total verändern wird.“ Er persönlich teile die Ängste vor einer Auslöschung nicht. „Doch die Mehrheit der Israelis hat eine andere Auffassung.“

Israel sehe sich nicht als Feind des Iran: „Wir haben Iran nie bedroht.“ Der Konflikt habe erst mit der islamischen Revolution von 1979 und ihrem Postulat „Israel hat keinen Platz auf der Landkarte“ begonnen. Heute sei es nicht an Israel, den Atomkonflikt zu lösen: Wenn Iran alle Fragen der internationalen Gemeinschaft beantworte, sei das Problem behoben. Stein plädierte für internationale Verhandlungen, bei denen jede Seite nachgibt. „Wenn aber alles gescheitert ist, was tut man dann?“