Neuestes Buch:
Nazis und der Nahe Osten
Wie der islamische Antisemitismus entstand
Bahamas, Dezember 1993
“Zu meiner und meiner Genossen bösen Überraschung kamen auch Nazis mit Flugblättern”, schreibt Karl Retzlaw in seinen “Erinnerungen eines Parteiarbeiters” über den Berliner Verkehrsarbeiterstreik von 1932. “Die Leitung der Berliner Nazipartei bemühte sich um die Sympathien der Arbeiter und hatte zur Teilnahme am Streik aufgefordert. Die Nazis kamen geschlossen anmarschiert, zum Teil in SA-Uniform. Auch hier sah ich wieder, daß es meistens Arbeiter waren. Ich bemerkte unter ihnen einige Gesichter, die mir als frühere Kommunisten oder Sozialdemokraten bekannt waren. Wir kommunistischen Mitglieder standen zusammen, die Nazis stellten sich uns gegenüber auf. Die Diskussion, die sich nun entwickelte, war ganz und gar nicht freundlich. Wenn unsere riefen: ,Ihr seid doch auch Proletarier’, so antworteten sie: ,Nein, wir sind es nicht, wir sind nationalgesinnte Arbeiter und keine Judenhörige.’ Die Nazis riefen uns zu: ,Wo sind denn Eure Juden so früh am Morgen?’ Solche Bemerkungen beeindrucken einige meiner Genossen. ,Oben haben sie – die Juden – eine große Schnauze’, sagte einer, ,hier, früh um 4 Uhr kommt kein Aas’. ,Zum Plakate ankleben und Flugblätterverteilen kommen sie nicht.’ sagte ein anderer und so fort. (Retzlaw – Spartacus, Aufstieg und Niedergang, Frankfurt 1971, S.310)
Retzlaw wollte mit dieser Episode die latente Wirkung der antisemitischen Propaganda auch bei Mitgliedern der KPD veranschaulichen. Mir geht es im Folgenden um den Zuruf: “Ihr seid doch auch Proletarier!” Dieser ist “brand”aktuell. Er kennzeichnet heute einen Bruchpunkt zwischen traditioneller und antinationaler Linke. Der Zuruf erfolgte massenhaft, als im August 1992 auf der antirassistischen Demo durch Lichtenhagen skandiert wurde: “Ausländer sind die falsche Adresse – haut den Politikern auf die Fresse!”. Ein Slogan der Einheitsfront von unten: Faschistoid verhetzte Arbeiter, rassistische Kleinbürger und antikapitalistische Linke – eine Front! Er wiederholte sich in abgeschwächter Form in dem beschönigenden Motto der Bonner Blockadeaktionen gegen die Abschaffung des Asylrechts: “Die BrandstifterInnen sitzen in Bonn”.
Je nachdrücklicher es dem Nazismus heute gelingt, sich im Zuge der Krisenverschärfung als angebliche Revolte gegen die bestehenden Zustände zu profilieren und als Protestbewegung Teile des Proletariats für sich zu gewinnen, desto begieriger scheint jedenfalls die dem Volk zugeneigte Linke in eben jenem Protestpotential ihr altneues Subjekt zu entdecken.
“Republikaner und DVU zusammen erreichen unter den Arbeitern und Arbeiterinnen einen doppelt so hohen Anteil wie in der Gesamtbevölkerung – unter den Männern sogar 17 Prozent”, berichtet die “Forschungsgruppe Wahlen” über die letzte Hamburger-Wahl. “Auch Arbeitslose findet man unter den Wählern der Rechtsaußenparteien mehr als doppelt so häufig wie in der Gesamtheit.” Auf dieses Klientel hatten es autonom/anarchistischen Kreise abgesehen, die während des Wahlkampf in den Prolo-Vierteln Plakate klebten, auf denen “volkstümlich” erklärt wurde, daß auch die Nazis nichts für den Arbeiter tun. Auf eben jenes “Subjekt” spekuliert die Spitzenkandidatin der Hamburger “Alternativen Liste-Wehrt Euch”, Christiane Schneider (BWK) mit ihrem Vorschlag, “die Themen, die die Faschisten aufgreifen und durch die sie zum Erfolg kommen wollen, einmal zusammenzustellen und die inhaltliche Auseinandersetzung zu entfalten.” (Lokalberichte Hamburg, 30.9.93)
Hatte es von Teilen der radikalen Linken bisher je den Versuch oder die Aufforderung gegeben, die Wähler der Unionsparteien mit Agitationsplakaten zu überzeugen oder sich auf deren Hetzschreibe inhaltlich einzulassen? Warum soll nun gerade für die Wähler faschistischer Parteien ein spezifisches Überzeugungsprogramm auf den Weg gebracht werden? Weil das “Rebellentum” jener “Protestwähler” fasziniert und hierüber eine Affinität zu den eigenen Zielen gesehen wird? Weil Fascho-Wähler scheinbar den ersten Schritt, die Abgrenzung von den bürgerlichen Parteien, bereits vollzogen haben und nun womöglich im zweiten Schritt für die Ablehnung des Kapitalismus gewonnen werden könnten? Derartige Hoffnungen kann sich nur machen, wer den verhetzten Möchtegern-Tätern ein gutes Stück Solidarität zuteil werden läßt und damit Partei bezieht gegen diejenigen, gegen die das rassistische Gemüt revoltiert.
Wie man sich die Überzeugungsarbeit unter DVU-Wählern vorzustellen hat, wurde von “scc” in den BWK-Lokalberichten schonmal skizziert. Es sei notwendig, heißt es dort, “die scheinbare Rationalität faschistischer Politik (,gut ist, was dem deutschen Volke nützt’) aufzubrechen, ihre Mittel und Folgen herauszuarbeiten und aufzuzeigen, daß die Faschisten nicht in der Lage sind, die Versprechen gegenüber ihren Anhängern einzuhalten.” (scc, in: Hamburger Lokalberichte 18/93)
“Die scheinbare Rationalität…?” Im Rahmen seiner spezifischen Wertsetzungen ist der Faschismus gewiß nicht nur scheinbar rational. Dessen Wertsetzungen akzeptiert bereits, wer die Kritik hauptsächlich an “Mittel und Folgen” seiner Politik führen will. Die Kritik, daß Faschisten ihre Versprechen nicht wahrmachen, kann man dagegen kaum noch als “nur” opportunistisch bezeichnen, weil sie den Inhalt faschistischer Versprechungen als positiv anerkennt.
Thälmanns “schaffende Volksgenossen”
Die linke Bezugnahme auf faschisierte Proleten folgt einem Grundmoment deutscher kommunistischer Politik, das bis heute, weitgehend ungebrochen, tradiert worden ist. Ein dogmatischer Glaubenssatz des “echten Marxisten” der Jahre 1930-33 besagte, daß die deutsche Arbeiterschaft den Nazismus niemals zulassen werde. Oder – in Abgrenzung zur antinationalen Position: “Verständnis für die arbeitende Klasse können nur die aufbringen, die ihr angehören, und die, die ein Herz für die Schwachen dieser Gesellschaft haben.” (Lokalberichte Hamburg 20/93) Wie ein persönliche Kränkung wurde dementsprechend damals wie heute das Aussprechen der Tatsache empfunden, daß die weitaus größte Masse der deutschen Arbeiter eher Nazi ist, als Kommunist: 1932 hatte die NSDAP mehr Mitglieder und mehr Wählerstimmen, als SPD und KPD zusammengenommen. Der Chef der Sturmabteilung (SA), Ernst Röhm bezifferte den Anteil von Arbeitern und Angestellten in der SA auf 81%. In ihrem Offenen Brief an “Werktätigen Wähler der NSDAP und die Mitglieder der Sturmabteilungen” von 1931, überschrieben mit: “Schaffende Volksgenossen!” hatte die KPD damals ihre Anbiederei auf die Spitze getrieben: “Als ehrliche Kämpfer gegen das Hungersystem haben sich die proletarischen Anhänger der NSDAP in die Einheitsfront des Proletariats eingereiht und in Erwerbslosenausschüssen ihre revolutionäre Pflicht getan. ...In zahlreichen Wohngebieten haben Anhänger der NSDAP den revolutionären Arbeitern geholfen,die Massen gegen die Exmission von Erwerbslosen zu mobilisieren. In vielen Dörfern haben Mitglieder der NDSAP unter Führung der Kommunisten verhindert, daß den schaffenden Bauern die Kuh gepfändet oder ihr kleiner Besitz versteigert wurde.” (Rote Fahne vom 1.11.31, zit. nach H.Weber, Der deutsche Kommunismus, Frankfurt/M. 1963, S.156)
Der reale Todfeind als imaginierter Hoffnungsträger – diesem fatalen Fehlurteil hatten zwei ideologische Prämissen zugrunde gelegen: die offene Flanke zum Nationalismus sowie die Annahme, die soziale Frage sei auch im Deutschland der 30er Jahre noch links besetzt. Die Klassenlage der SA- und NSDAP-Anhänger wurde für wesentlicher genommen als deren Ideologie (während paradoxerweise in der KPD-Rhetorik jener Jahre die “nationale Befreiung” oftmals vor die soziale gesetzt worden ist). Und die nationalistischen Elemente des Stalinismus wurden schon längst nicht mehr nur nachgekläfft, sondern deutsch untermalt: Als Thälmann 1931 selbst vor einer Versammlung kommunistischer Funktionäre ein deutsches Volk bejammerte, “das national versklavt wird und auf dem die Peitsche der ausländischen und der deutschen Bourgeoisie herumtanzt” (a.a.O., S. 152), war dies schon längst keine opportunistische Rhetorik mehr, sondern tiefempfundene Überzeugung.
Diese (verkürzten) Schlaglichter auf die Politik der Thälmann-KPD machen deutlich, welch’ Verdrängungsleistung gerade in Deutschland mit einem politischen Ansatz verbunden ist, der etwa im Progromtäter aus Lichtenhagen den fehlgeleiteten Genossen und im Hamburger DVU-Wählern den Kumpel erkennt, der nur Opfer ist und “die Schnauze voll (hat) von dem Gesülze der ,etablierten’ Parteien”, wie es in einem Harburger Flugblatt heißt.
Zwar ist zu beobachten, daß diese Verdrängungsleistung seit Hoyerswerda nicht mehr uneingeschränkt funktioniert. Um so massiver aber die abwehrende Reaktion, die den vereinzelten Kritikern des Proletariats bei Autonomen, im BWK, in der VSP und anderen Gruppierungen entgegenschlägt. Die dabei vorgebrachten “Argumente” sind unabhängig vom politischen Lager weitgehend gleich. Ich greife zwei Beispiele heraus: Die autonom/antiimperialistischen Angriffe gegen die bevölkerungsverachtende Position der Frankfurter “Fluchschrift”-Gruppe (siehe Dokumentation auf S. ) und die Kritikpapiere der Hamburger Lokalberichte” (LB) gegen eine Hamburger antinationale Aktion.()
“Wer das Volk kritisiert, entlastet die Bourgeoisie!”
Das Flugblatt der Hamburger antinationalen Gruppen hatte (wie implizit auch die “Fluchschrift”) konstatiert, daß der 8. Mai 1945 “für den prägenden und dominanten Teil der deutschen Bevölkerung” eine Niederlage gewesen sei, weil “die Masse der Deutschen damals von der Legitimität des Dritten Reiches überzeugt” gewesen war. Unsere Volksfreunde haben dies nicht gerne gelesen. Prompt wurden entlastende (und sich gegenseitig widersprechende) Standartverweise auf den “Widerstand der deutschen Bevölkerung” (LB 20/93) und den Umstand, “daß der Faschismus wesentlich Terror auch nach innen” war (LB 17), und somit Opposition oder Widerstand kaum zugelassen habe, neu aufgetischt.
Selbstverständlich hat es beides: heroischen Widerstand und beispiellosen Terror gegeben. Die Bezugnahme hierauf verkommt allerdings zum Alibi, wenn mit ihr verdeckt werden soll, wie verzweifelt isoliert jene Minderheit der NS-GegnerInnen in der fanatischen Gemeinschaft der Deutschen bis zur letzten Minute des Regimes gewesen war.
Ein anderer Beitrag der “Lokalberichte” will die massenhafte NS-Zustimmung gar nicht bestreiten. Aber: “Diese relativ breite Basis hatte auch Mussolini in Italien, diese Basis hatte (eingeschränkt) Franco und die Falangisten, und eine solche Basis findet sich auch in mancher lateinamerikanischen Diktatur”, heißt es dann weiter, womit beides: Das Ausmaß der NS-Verbrechen und Ausmaß der deutschen Zustimmung bis zur Entstellung relativiert wird. (LB 20/93)
Ein weiteres Gegenargument kommt taktisch daher: Wer man in Bezug auf den NS von einem “Bündnis von Mob und Elite” spreche, werde “die deutsche Bourgeoisie von ihrer Schuld entlastet” (LB 20) bzw. “die Verantwortlichkeit der Bankiers und Funktionäre” verwässert (Swing 45). Wie absurd! Wer durch das “Bündnis von Mob und Elite” die Eliten als “entlastet” begreift, geht offenkundig davon aus, daß eine von der Bevölkerungsmehrheit ebenfalls erwünschte Aggression per se nicht so schlimm sein kann wie die ausschließlich von einer Minderheit gewollte.
Daß die Kenntnisnahme der gesellschaftlichen Basis des Nationalsozialismus die Kritik an den herrschenden Verhältnissen nicht verwässert, sondern pointiert, ist den Kritikern der antinationalen Politik hingegen keineswegs entgangen: Da sie das Traditionskonzept linker “Realpolitik” zu entwerten droht, wird gerade diese Pointierung verhöhnt.
“Wenn ihr nun schon so schlau seid und uns die Welt erklärt, wie sie wirklich ist” mokieren sich die autonomen Krititer der “Fluchschrift” in “Swing”, “wollt Ihr uns dann veraten, welche politischen Ansätze ihr gefunden habt, die Lage zu verändern?” (Swing 45) Nicht minder großspurig die Kritiker des BWK: Wer von einer rassistischen Volksgemeinschaft damals und heute ausgehe, drohe “faktisch zu kapitulieren” und verbreite, wie im Fall der Hamburger Aktion, “den seltsamen Beigeschmack von zugleich Resignation und elitärem Den-Staub-von-Füßen-Schütteln.” (LB 18). Dann sich lieber selbstlos die Füße im braunen Modder der DVU-Wählerschaft schmutzig machen? “Mit wem wollen dieser Menschen”, so das entscheidende Resümee all jener Proteste, “denn eine bessere Welt aufbauen, wenn ,die deutsche Bevölkerung’, wie sie schreiben, den Faschismus wollte.” (ebd.)
Diese Frage trifft den Nagel deutschlinker Geschichtsinterpretation auf den Kopf: Um nicht zu resignieren, um das Bohren der dicker Bretter aufklärerischer Kleinarbeit in den Prolo-Vierteln auch weiterhin geduldig aushalten zu können – allein deshalb darf es das Bündnis von Mob und Eliten vor 50 Jahren ebensowenig gegeben haben, wie es heute bestenfalls einen ferngelenkten, keinesfalls aber originären Rassismus in der Arbeiterklasse geben darf.
Der in Selbstüberschätzung schwelgende Linke, der die “Menschen” nicht aufgeben will, weigert sich wahrzunehmen, daß der Großteil dieser Menschen ihn aufgegeben hat, seit er linksradikal geworden ist und weiter aufgeben wird, solange er dies bleibt. Warum diese Wahrnehmungsschwierigkeit? Folgt aus der falschen Analyse ein falscher Seelenzustand oder verhält es sich andersherum? Daß irrationale Momente zumindest nicht ausgeschlossen werden können, beweisen die Vernichtungsphantasien, welche die Volksfreunde der antinationalen Linken unterstellen.
“Wollt ihr uns alle zu Faschisten stempeln?”
Beispiel Nr. 1: In einer Zuschrift an die BWK-Lokalberichte wird im Hinblick auf die alliierten Angriffe gegen deutsche Großstädte und unter Bezugnahme auf die antinationale Linke erklärt, daß alle diejenigen “bekämpft werden” müssen, die “eine Bombardierung von arbeitenden Menschen, die Hitler zum großen Teil gar nicht gewählt haben … für richtig erachten”. Dies ist ein falscher aber zumindest rational nachvollziehbarer Standpunkt. Was nun folgt, ist irrational: “Wie soll ich zu solchen Menschen Vertrauen aufbauen, die alles umbringen wollen, was nicht ganz so handelt und denkt wie sie selbst.” (LB 20/93) Hier wird nicht nur die Rolle der Nazis und der Briten im 2. Weltkrieg vertauscht. Sondern projiziert wird der Vernichtungsvorwurf zugleich auf all diejenigen, die sich die nationalistische Kritik an “Bomber Harris” nicht zueigen machen.
Beispiel Nr. 2: Der Rassismus sei kein deutsches Problem, heißt es in der “Fluchschrift”Kritik einer “autonomen Antiimperialistin”, veröffentlicht in “Swing”. Denn wäre er ein deutsches Problem, “dann wäre das Problem des weltweiten Rassismus ja ganz einfach zu lösen. Das deutsche Volk (in der Volksgemeinschaft, wie sie in der Fluchschrift behauptet wird) müßte schlicht ausgerottet werden, da es sich offenbar auch als ganzes Volk – nicht verändern kann. ... aus dem gesamten Kontext der Fluchschrift wird deutlich, daß hier die Zerstörung der Deutschen, also der Menschen, die in diesem Land leben, gemeint ist.” (Swing 45)
Beispiel Nr. 3, “Swing” Nr. 48: Es müsse die “Fluchschrift”-Redaktion, schreibt dort “Xanthippas”, ein “Frankfurter Autonomer”, die Re-Nazifizierung in Deutschland wohl als traumatisch empfinden und deshalb “Rettung in der Beseitigung ,der Deutschen’ suchen.”()
Was spielt sich ab bei denen, die auf die antinationale Kritik mit derartigen Zwangsvorstellungen reagieren? Offenkundig kommen hier Projektionen ins Spiel, bei denen sich auch die linken Deutschen so begreifen, wie sich die Volksgemeinschaft am liebsten sieht: als Opfer der antinationalen Mächte. Die Leute von der “Fluchschrift” schreiben: “Es scheint, als würde unsere Kritik am Bewußtsein und am Handeln der Deutschen, Xanthippas eigene Vernichtungsphantasien erst richtig mobilisieren. In altbewährter Tradition: Die Deutschen projizieren auf ihr ,Gegenüber’ die Vernichtungsphantasien, die gerade sie haben. Auf die Idee, ein Volk zu vernichten, auf die muß ja erst einmal jemand kommen. In Deutschland, deren Bevölkerung auf ein geschichtliches praktisches Programm verweisen und zurückgreifen kann, kommen diese Phantasien automatisch hoch.” (Fluchschrift 2)
“Ihr selbstgerechten Rhetoriker!”
Das Problem liegt nicht darin, daß eine antinationale Linke auf Veränderung und Aufklärung verzichten will. Das Problem liegt darin, daß der volksverbundene Teil der Linken Prämissen perpetuiert, die Aufklärung geradewegs blockieren.
So wird, wie wir gesehen haben, der Blick auf den Nationalsozialismus von Befangenheiten getrübt, die nicht nur zu falschen Einschätzungen führen, sondern zugleich dafür sorgen, daß typische, der NS-Verdrängung geschuldete Projektionen auch innerhalb der Linken virulent werden können.
So klammert mann/frau sich hier und heute an die Hoffnung, daß zwischen sozialem Abstieg und Wunsch nach progressiver Gesellschaftsveränderung ein Zusammenhang besteht. In Deutschland trifft diese Gleichung aber nicht zu. Nationalsozialismus und materielles Interesse der deutschen Lohnabhängigen sind nicht per se ein Widerspruch, sondern können harmonieren, wie der vorangegangene Artikel dieser Bahamas beweist. Zugleich unterschätzt, wer mit ein paar Aussagen über das “eigentliche” Interesse der Arbeiter faschistoiden Verhetzungen entgegentreten will, die Tiefenwirkung jener Ideologien. Für die Bekämpfung des Nazismus scheint notwendiger zu sein, was gerade bei volksnahen Linken oft verachtet und als “abstrakter”, “interlektueller”, “ideologischer” und “theoretischer” Zugang verhöhnt wird: Die Ächtung und Ausgrenzung von Nationalismen und die Hinwendung zur Analyse dieser Gesellschaft und der in ihr angelegten Destruktion. Für die bewußte Beförderung von antikapitalistischen Kämpfen ist dies kein Hinderungsgrund, sondern, soweit es den Internationalismus betrifft, eine Voraussetzung.
Darüberhinaus ist unverständlich, warum die hiesige Linke gerade das Volk der Deutschen zum Bezugspunkt politischen Handelns macht. Warum sollte sich der linksradikale Teil dieses Landes nicht vorrangig auf die Haßobjekte des deutschen Rassismus beziehen? Oder auf die internationalen Opfer und Gegener deutscher Großmachtpolitik, um für deren fortschrittlichste Segmente “im Hinterland” des Imperialismus Unterstützer und Ansprechpartner zu sein? Das wäre zur Abwechslung mal keine Anpassung an die deutschen Zustände, sondern auf sie ein Angriff…
Max Müntzel
(aus: Bahamas Nr. 12, 12/1993)