Kanonenfutter der Mullahs

Über die Bassidschi-Bewegung im Iran

Von Matthias Küntzel

CICERO, Juni 2006

Die Schlüssel zum Paradies waren aus Plastik und kamen aus Taiwan. Während des Iran-Irak-Krieges 1980 bis 1988 importierte das iranische Regime 500.000 davon. Damals regelte ein iranisches Gesetz, dass Kinder ab zwölf auch gegen den elterlichen Willen auf die Minenfelder durften. Vor jedem Einsatz wurde ihnen ein Schlüssel um den Hals gehängt, er sollte ihnen die Pforte zum Paradies öffnen. “Früher sah man freiwillige Kinder, vierzehn-, fünfzehn-, sechzehnjährige“, schrieb die halbamtliche iranische Tageszeitung Ettela’at. „Sie gingen über Minenfelder. Ihre Augen sahen nichts, ihre Ohren hörten nichts. Und wenige Augenblicke später sah man Staubwolken aufsteigen. Als sich der Staub wieder gelegt hatte, war nichts mehr von ihnen zu sehen. Irgendwo, weit entfernt in der Landschaft, lagen Fetzen von verbranntem Fleisch und Knochenteile herum.”

Derartige Szenen würden nunmehr vermieden werden, versicherte Ettela’at seinen Lesern: “Vor dem Betreten der Minenfelder hüllen sich die Kinder (jetzt) in Decken und rollen auf dem Boden, damit ihre Körperteile nach der Detonation der Minen nicht auseinander fallen und man sie zu den Gräbern tragen kann.”
Die Kinder, die sich so in den Tod rollten, gehörten der von Khomeini ins Leben gerufenen Massenbewegung der Bassidschi an. Die Bassidschi-e Mostasafan („die Mobilisierten der Unterdrückten“) waren kurzfristig rekrutierte Milizionäre. Sie zogen zu Tausenden und mit Begeisterung in ihr Verderben. „Die jungen Männer räumten mit ihren eigenen Körpern die Minen“, erzählte im Mai 2002 ein Kriegsveteran der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, „es war zum Teil wie ein Wettrennen, ohne Befehl der Kommandeure, jeder wollte der erste sein.“

Heute wird die Opferung der Bassidschi im Krieg gegen den Irak mehr denn je gefeiert. denn je. Mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Achmadinedschad, der öffentlich in der Uniform der Bassidschi auftritt, hat die Generation der Teilnehmer jenes Krieges die Macht im Land erobert. Er selbst gehörte zu den Instrukteuren, die aus Kindern Märtyrer machten. Bereits in einer seiner ersten Fernsehansprachen schwärmte Achmadinedschad: „Gibt es Kunst, die schöner, göttlicher und ewiger wäre, als die Kunst des Märtyrertods?“ Und Revolutionsführer Ali Khamenei pries den Krieg gegen den Irak angesichts der Furchtlosigkeit der Bassidschi als Prototyp künftiger Auseinandersetzungen.

Der Kriegseinsatz der Bassidschi ist das Ursprungsverbrechen des politischen Islam: Hier hat der Kult des religiös motivierten Selbstmordattentats seinen Anfangspunkt. Wenn wir verstehen wollen, warum heute im palästinensischen Parlament eine Frau sitzt, die dafür verehrt wird, drei ihrer fünf Söhne in den Tod gejagt zu haben, wenn wir wissen wollen, warum sich auch heute noch über 50.000 junge Iraner für Selbstmordattentate bewerben – kommt man an den Bassidschi nicht vorbei.

Ihre Geschichte begann 1980 mit dem irakischen Angriff auf Iran, den Khomeini als Geschenk des Himmels pries. Dieser Krieg war ein willkommener Vorwand, um die Gesellschaft und den Staatsapparat des Iran zu islamisieren. In kürzester Zeit wurde die Khomeini fanatisch ergebenen Revolutionsgarden, Pasdaran, zu einer eigenständigen Armee ausgebaut. Gleichzeitig wurde der Aufbau einer Bassidschi-Volksmiliz forciert. Während die Revolutionsgarden aus professionellen Soldaten bestanden, wurden die Bassidschi unter männlichen Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 sowie Männern über 45 Jahren rekrutiert. Binnen wenigen Wochen wurden sie auf den Krieg vorbereitet – allerdings weniger militärisch als religiös. Zum Abschluss erhielt jeder Bassidschi ein blutrotes Stirnband, das ihn als „Freiwilligen Märtyrer“ auszeichnete. Diese jungen Kämpfer, meist aus Dörfern stammend und häufig Analphabeten, machten etwa ein Drittel der iranischen Streitkräfte aus.

Und so sah ihre Kriegsverwendung aus: Die Kinder und Jugendliche mussten sich, kaum bewaffnet, in waagerechten Reihen vorwärts bewegen. Ob man als Kanonenfutter dem feindlichen Feuer entgegenlief oder Minen zur Explosion brachte: Wichtig war, dass die Bassidschi über die zerfetzten oder verstümmelten Menschenreste diszipliniert hinweg stiegen und sich in immer neuen Wellen in den Tod warfen. Auf diese Weise erzielte der Iran 1982 Anfangserfolge. „Sie kommen in riesigen Horden und stürmen Fäuste schwingend auf unsere Stellungen zu“, klagte im Sommer 1982 ein irakischer Offizier. „Man kann die erste Welle erschießen, auch die zweite, aber irgendwann türmen sich vor dir die Leichen, dass du nur noch heulen und dein Gewehr wegwerfen willst, das sind doch alles Menschen.“ Bis zum Frühjahr 1983 hatten die Revolutionsgarden 450.000 Bassidschi an die Front kommandiert. Wer diesen Einsatz überlebte, kehrte nach drei Monaten an seine Schule oder seinen Arbeitsplatz zurück. 1982 wurden bei der Rückeroberung der Stadt Chorramschahr 10.000 Iraner getötet. Im Februar 1984 blieben nach der „Operation Kheiber“ 20.000 iranische Leichen auf dem Schlachtfeld zurück. 1986 kostete die „Kerbala 4-Offensive“ über 10.000 Iranern das Leben. Insgesamt sollen bei Bassidschi-Einsätzen einige hunderttausend Menschen getötet worden sein.

WIE WURDEN die Bassidschi rekrutiert? Die Revolutionsgarden entsandten „außerordentliche“ Pädagogen an die Schulen, die sich bei den dortigen paramilitärischen Pflichtveranstaltungen ihre Märtyrer herauspickten. Propagandafilme wie das 1986 im iranischen Fernsehen gesendete Machwerk „Eine Spende für den Krieg“ priesen das Bündnis zwischen Regime und Kind und geißelten Eltern, die das Leben ihrer Kinder zu retten suchten. Außerdem gab es materielle Anreize. Im Rahmen der Kampagne „Opfere eines deiner Kinder dem Imam“ gewährte man jeder Familie, die ein Kind auf dem Schlachtfeld verlor, hohe zinsfreie Kredite sowie weitere großzügige Vergünstigungen. Zudem bot die Mitwirkung bei den Bassidschi den Ärmsten der Armen die Chance auf eine Karriere – bis heute werden Bassidschi-Reservisten vom Mullah-Staat protegiert.

Zu Beginn des Krieges hatten die Mullahs noch keine Menschen, sondern Tiere in die Minenfelder geschickt: Esel, Pferde, vor allem Hunde. Vergeblich. „Die Esel galoppierten in Schrecken davon, nachdem einige ihrer Artgenossen in die Luft gesprengt worden waren“, schreibt Mostafa Arki in seinem Buch „Acht Jahre Krieg im Nahen Osten“. Diese Esel reagierten normal. Die Angst vor dem Tod ist ein Teil der Natur. Die Bassidschi hingegen marschierten klaglos, furchtlos, wie von unsichtbarer Hand gesteuert in ihren Tod. Warum?

Befremdlich klangen schon die Parolen, mit denen sie in die Schlacht zogen: „Gegen den Yazid unserer Zeit!“ „Die Karawane Hussein zieht weiter!“ „Ein neues Kerbala wartet auf uns“. Yazid, Hussein und Kerbala sind Schlüsselbegriffe der schiitischen Religion. Ihr Ursprungsmythos ist die im Jahr 680 in Kerbala ausgefochtene Schlacht zwischen den Gründern des sunnitischen und des schiitischen Islam. Die Hauptfigur der Schiiten ist Imam Hussein, der Enkel des Propheten Muhammad. Hussein hatte einen Aufstand gegen den „unrechtmäßigen“ Kalifen Yazid riskiert. Husseins Aufstand wurde jedoch von denjenigen verraten, die ihm zuvor die Treue geschworen hatten. Diese „Erbsünde“ der Schiiten generiert bis heute bedingungslose Loyalität. Auf der Ebene von Kerbala, am zehnten Tag des Monats Muharrem, wurden Hussein und sein Gefolge von einer unbesiegbaren Übermacht unter Yazids Führung angegriffen und niedergemacht. Husseins Leichnam wies die Spuren von 33 Lanzenstichen und 34 Schwerthieben auf. Sein Kopf wurde abgeschlagen und der Rumpf von Pferden in den Boden gestampft. Seither ist das Märtyrium Husseins der Kern der schiitischen Theologie und der Ashura-Tag das höchste Fest der Schiiten. Männer schlagen sich mit Fäusten auf die Brust oder geißeln ihren Rücken mit Eisenketten, um sich in das Leiden Husseins hinein zu versetzen.

Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti beschreibt in „Masse und Macht“ das Ashura-Fest in Teheran, wie es etwa 1850 stattgefunden hat. „500.000 Menschen, vom Wahne gepackt, bedecken sich das Haupt mit Asche und schlagen mit der Stirn gegen den Boden. Sie wollen sich der freiwilligen Marter unterwerfen, sich in Gruppen umbringen und raffiniert verstümmeln. Zu Hunderten kommen Männer in weißen Hemden herbei, das Gesicht ekstatisch zum Himmel gewandt. Von diesen Männern werden mehrere am Abend tot sein, viele verstümmelt und entstellt und die weißen Hemden, rot verfärbt, werden Leichentücher sein. Es gibt kein schöneres Los, als an dem Festtag der Ashura zu sterben, die Pforten der acht Paradiese stehen für die Heiligen weit offen, und jeder sucht hineinzugelangen.“

Wenn auch Exzesse dieser Art im gegenwärtigen Iran verboten sind, hat Khomeini den spirituellen Kern des auch heute noch gepflegten Rituals übernommen und ihn politisiert.
Er hat die nach innen gerichtete Leidenschaft auf den äußeren Feind gelenkt. Er hat die passive Klage in aktiven Protest überführt. Er machte die Schlacht von Kerbala zum Prototyp des Aufbegehrens gegen den neuen Yazid in Gestalt des Saddam Hussein. Doch warum sollten die Bassidschi in diesem Kampf ihr Leben lassen? Hier kommt Khomeinis Theologie ins Spiel. Ihm galt das Leben als wertlos und der Tod als der Beginn eigentlicher Existenz. „Die natürliche Welt“, erklärte er im Oktober 1980, „ist der niedrigste Aspekt, der Abschaum der Schöpfung.“ Entscheidend sei das Jenseits, jene „göttliche Welt, die unerschöpflich“ ist. Diese Welt stehe für Märtyrer offen. Ihr Tod sei lediglich ein Übergang von der diesseitigen in die jenseitige Welt, wo sie in Ewigkeit und Prächtigkeit weiterlebten. Ob der Kämpfer also die Schlacht gewinnt oder ob er sie verliert und als Märtyrer stirbt – in beiden Fällen sei der Sieg gewiss: entweder als weltlicher oder als seelischer Sieg. Diese Einstellung hatte für die Bassidschi eine verhängnisvolle Konsequenz: Man kümmerte sich nicht darum, ob sie überleben oder nicht. Nicht einmal auf die Effizienz ihres Opfers kam es an. Militärische Siege seien sekundär, erklärte Khomeini im September 1980. Der Bassidschi müsse sich, „als ein ,Soldat Gottes’ verstehen, dem nicht so sehr der Ausgang des Kampfes, als vielmehr die bloße Teilnahme daran Zufriedenheit und Genugtuung verschafft“.

Hätte Khomeinis Hass auf das Leben auch ohne den tief verwurzelten Kerbala-Mythos im Krieg gegen den Irak seine Wirkung entfalten können? Vermutlich nicht. Mit ihren Kerbala-Parolen auf den Lippen zogen die Bassidschi erregt in die Schlacht. Ali Khamenei, der heutige Revolutionsführer, lobte iranische Mütter, die für die Verluste ihrer Söhne Gratulationen statt Beileidsbekundungen entgegennahmen.

WENN DER TODESMUT der Bassidschi nachzulassen drohte, inszenierte das Regime eine Show. Dann tauchte an der Front ein geheimnisvoller Reiter auf einem prächtigen Schimmel auf. Sein mit Phosphor überzogenes Gesicht leuchtete. Seine Kleidung war die eines mittelalterlichen Fürsten. Die Soldaten reagierten mit panikartiger Verzückung, berichtet der Kindersoldat Reza Behrouzi, dessen Geschichte Freidoune Sehabjam 1985 dokumentierte. „Alle wollten dem Reiter entgegenlaufen. Dieser aber schickte sie fort. ,Kommt nicht zu mir’, rief er, ,stürmt zum Angriff gegen die Ungläubigen. Rächt den Tod unseres Imam Hussein und macht die Abkömmlinge Yazids nieder.’ Als die Gestalt verschwand, riefen die Soldaten: ,Ya, Imam Zaman, wo bist du?’. Sie warfen sich auf die Knie, beteten und weinten. Als er wiedererschien, standen sie wie ein Mann auf. Wer noch bei Kräften war, lief dem Feind entgegen.“

Die geheimnisvolle Gestalt, die solche Emotionen freisetzen konnte, ist der „Verborgene Imam“ – eine mythische Figur, die das Denken und Handeln Ahmadinedschads bis heute bestimmt. Die Schiiten bezeichnen alle Nachkommen des Propheten Muhammad als Imame und schreiben ihnen einen quasi-göttlichen Status zu. Der in Kerbala von Yazid ermordete Hussein war der dritte Imam, dessen Sohn und Enkel der vierte und fünfte. Am Ende dieser Linie steht der „Zwölfte Imam“ mit Namen Muhammad. Einige bezeichnen ihn als den Mahdi („der Rechtsgeleitete“), andere als Imam Zaman (von saheb-e zaman: „der Herr der Zeit“). Er wurde 869 als einziger Sohn geboren und verschwand 874 spurlos. Biologisch brach die Linie Muhammads damit ab. Die Schiiten aber setzten sie mythologisch fort. Sie sind davon überzeugt, dass sich der Zwölfte Imam im Alter von fünf Jahren lediglich zurückgezogen habe, um in naher oder ferner Zukunft aus seiner Verborgenheit aufzutauchen und die Welt von allen Übeln zu befreien.

Nach schiitischer Tradition darf eine legitime islamische Herrschaft erst beim Wiederauftauchen des Zwölften Imam errichtet werden. Bis dahin bleibt den Schiiten nichts anderes übrig, als zu warten, sich mit der illegitimen Herrschaft abzufinden und dem Schicksal des Prophetenenkels Hussein in Trauer zu gedenken. Khomeini aber dachte gar nicht daran, zu warten. Er gab dem Mythos einen gänzlich neuen Sinn. Der Zwölfte Imam werde erst dann aus der Verborgenheit zurückkehren, wenn die Gläubigen damit begonnen hätten, das Böse zu beseitigen und dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Um die Wiederkehr des Mahdi zu beschleunigen, müssten sich die Muslime aus ihrer Erstarrung befreien und kämpfen. Dieser khomeinistische Aktivismus war vom Aufbruchgedanken der ägyptischen Muslimbrüder inspiriert. Man war sich einig, was als „das Böse“ zu bewerten sei: all die dem Leben zugeneigten Errungenschaften der Moderne, die anstelle der göttlichen Bestimmung die Selbstbestimmung setzen, anstelle blinder Gläubigkeit den Zweifel und anstelle der Scharia-Moral die Sinnesfreude.

Khomeini hat die Religion der Schiiten, die über Jahrhunderte für Gewaltlosigkeit und Quietismus stand, dschihadistisch radikalisiert. Mehr noch: Die von ihm angeordneten Bassidischi-Einsätze waren in der Geschichte des Islam ohne Beispiel und missachteten den Koran. So heißt es in Sure 2, Vers 195: „Und stürzt euch nicht mit eigener Hand ins Verderben.“ Noch expliziter in Sure 4, Vers 29: „Begeht nicht Selbstmord; siehe, Allah ist barmherzig gegen euch. Und wer dies tut in Feindschaft und Frevel, wahrlich, den werden Wir brennen lassen im Feuer.“ Zwar hatten in den Dreißiger Jahren schon die Muslimbrüder die Losung „Sieg oder Märtyrertod“ propagiert. Jeder Muslim, der wider Willen in eine ausweglose Situation gerät, sollte eher sein Leben opfern, als kapitulieren. Die Praxis der Bassidschi, aber, sich in einer nicht ausweglosen Situation mit Freude in den sicheren Tod zu stürzen, war selbst der Muslimbruderschaft vollständig fremd. Es war aber das Vorbild der Bassidschi und der Segen Khomeinis, die den 15-jährigen libanesischen Schiiten Ahmas Qusayr im November 1982 zum ersten islamistisch begründeten Selbstmordattentat gegen Israel inspirierten. Beeinflusst von der Hizbollah griff 1993 die Hamas als erste sunnitische Bewegung das suicide bombing auf. Seither ist die Erfindung Khomeinis zum Kennzeichen des globalen Islamismus avanciert.

HEUTE SIND DIE BASSIDSCHI im Iran in jedem Viertel, in jeder Nachbarschaft, in jeder Moschee präsent. Ihre Verbände sind in reguläre paramilitärische Einheiten und in „Spezial-Einheiten“ unterteilt. Sie sind dem Revolutionsführer Ali Khamenei unterstellt und diesem in absoluter Treue ergeben. Ihr Millionenheer rekrutiert sich aus den eher konservativen und verarmten Teilen der Bevölkerung, die von den Sozialwerken der Bassidschi profitieren. Seit 1988 wurden sie in erster Linie als „Sittenpolizei“ und Schlägertrupps gegen Oppositionelle eingesetzt.

Als Kandidat der Bassidschi ist Ahmadinedschad 2005 an die Macht gelangt. Seine „zweite Revolution“ will die Korruption und die Einflüsse des Westens auf die iranische Gesellschaft ausmerzen. Den Bassdischi ist in dieser Revolution die Rolle einer „Sturmabteilung“ zugedacht. Folgerichtig hat der Einfluss der Bassidschi seit der Präsidentenwahl kontinuierlich zugenommen. Ende Juli 2005 kündigte die Bewegung eine Erhöhung ihrer Mitgliederzahl von 10 auf 15 Millionen bis 2010 an. Die Spezialeinheiten dieser Organisation sollen bis dahin 150.000 Menschen umfassen. Entsprechend wurde der Etat für die Bassidschi erheblich erhöht, und sie erhielten als inoffizielle Sondereinheit der Polizei neue Machtbefugnisse.

Gleichzeitig erlebt die Märtyrer-Ideologie eine Renaissance. Seit 2004 wird die Mobilisierung von Selbstmordattentätern, die sich für Einsätze im Ausland ausbilden lassen, verstärkt. Es wurde eine spezielle Militäreinheit unter der Bezeichnung „Kommando der freiwilligen Märtyrer“ geschaffen. Dieses Kommando will nach eigenen Angaben bisher 52.000 Selbstmordattentäter rekrutiert haben. Es beabsichtigt, in jeder iranischen Provinz eine „Märtyrereinheit“ zu gründen. „Der Feind hat Angst“, prahlt der Führer dieses Kommandos, Mohammadresa Jafari, „dass diese Kultur sich zu einer Weltkultur entwickelt.“

Im Kontext des iranischen Atomprogramms kommt der Bassidschi-Kult der Selbstaufopferung einer brennenden Lunte gleich. Bassidschis werden heute nicht mehr in die Wüste, sondern in die Labore geschickt. Unter den Bassidschi-Studenten wird gezielt für die Einschreibung in technische Fachbereiche geworben. Es gehe darum, sagt ein Sprecher der Revolutionären Garden, mit dem „technischen Faktor“ zugleich die „nationale Sicherheit“ des Landes zu stärken. Was aber bedeuten Atomwaffen in den Händen derer, die den Tod auf dem Schlachtfeld als einen Sieg der Seele interpretieren?

Irans ehemaliger Präsident Hashemi Rafsanjani gab darauf im Dezember 2001 eine Antwort. Er erklärte, dass „schon eine einzige Atombombe in Israel alles auslöschen“ würde. Ein nuklearer Gegenschlag aber würde „die islamische Welt nur beschädigen. Es ist nicht irrational, diese Möglichkeit zu erwägen.“ Rafsanjani machte eine makabere Kosten-Nutzen-Rechung auf. Man werde Israel nicht zerstören können, ohne Schaden zu nehmen. Doch sei der Schaden eines nuklearen Gegenschlags für den Islam verkraftbar. Einige hunderttausend zusätzliche Märtyrer des Islam – dieser Preis sei nicht zu hoch. Und Rafsanjani ist ein Repräsentant der „pragmatischen“ Fraktion. Im Gegensatz zur apokalyptischen Fraktion der Revolutionswächter, die schon 1988 ohne Rücksicht auf weltliche Kalküle den Krieg gegen den Irak hatten fortsetzen wollen, sind die „Pragmatiker“ an einem „lohnenden“ Ausgang des Krieges durchaus noch interessiert. Was angesichts dessen die Atomwaffen in der Hand der „apokalyptischen“ Fraktion bedeuten könnte, ist kaum auszudenken.

Dieses apokalyptische Denken aber ist bei Ahmadinejad angelegt. Angelpunkt seiner Politik ist der Mythos vom Verborgenen Imam. Seine erste Rede vor den Vereinten Nationen beendete Ahmadinedschad im September 2005 mit der flehentlichen Bitte an Gott, die Wiederkehr des Zwölften Imam zu veranlassen. In Teheran finanziert er ein Institut, dessen einzige Aufgabe es ist, die Ankunft des Imam zu beschleunigen. „Die wichtigste Mission unserer Revolution ist die Wegbereitung für die Wiederkehr des 12. Imam“, wiederholte er im November 2005 auf einer theologischen Konferenz. Es wäre jedoch fahrlässig, Ahmadinedschad als Wirrkopf abzutun. Er verfolgt seine wahnhaften Ziele intelligent. Er agiert als Weltpopulist. Seine Reden sind an die „Unterdrückten“ in aller Welt gerichtet. Er kümmert sich um gute Beziehungen zu Fidel Castro und zu Venezuelas Regierungschef Hugo Chávez und kündigt seine Teilnahme am Gipfel der blockfreien Staaten im September 2006 in Havanna an.

Die Kriegsführung des Iran zwischen 1980 und 1988 lieferte der Welt einen Vorgeschmack. Was mit der Räumung von Minenfeldern durch menschliche Bomben begann, ist heute in Gestalt der Selbstmordattentäter die stärkste Waffe des Islamismus weltweit. Was als putzige Wüstenshow über den Verborgenen Imam mit einem Schauspieler in der Hauptrolle begann, stellt sich heute als Showdown zwischen einem irrlichternen Präsidenten und der westlichen Welt dar. Und der Bassidschi, der einst mit einem Stock bewaffnet durch die Wüste lief, der arbeitet heute als Chemiker in einem Uranlabor.