Berlin-Teheran: Eine(un-)heimliche Allianz

Von Matthias Küntzel

Honestly Concerned, Januar 2007

Dieser Aufsatz wurde aus Anlass der Demonstration gegen Ahmadinejad am 28. Januar 2007 in Berlin von der Gruppe Honestly Concerned als vierseitiges Faltblatt verbreitet. Es kann in beliebiger Auflage unter info@erik-verlag.de bestellt werden.

Irans Regierung ist die erste, die einen anderen UN-Mitgliedsstaat vernichten will. Sie ist die erste, die die Holocaust-Leugnung als außenpolitische Kampagne betreibt. Ahmadinejad plus Atomwaffen: Das ist der zweite Holocaust. Gleichwohl weigert sich die Mehrheit, der Gefahr ins Auge zu sehen.

Ahmadinejad wolle lediglich provozieren, um Propagandaerfolge zu erzielen – so ihr erstes Argument der Selbstberuhigung. Es ist verkehrt: Ahmadinejad glaubt an das, was er sagt. Die Worte, mit denen er die Konferenz der Holocaust-Leugner in Teheran beendete – „Das zionistische Regime wird wegradiert und die Menschheit befreit werden“ – sind ernst gemeint: Wie Hitler die Menschheit mit dem Judenmord zu „befreien“ suchte, glaubt Ahmadinejad die Welt durch Israels Vernichtung zu „befreien“. Seine Wahnvorstellung vom Holocaust ist nicht gespielt: Zu Jahresbeginn beschwerte sich Irans Regierung bei den Vereinten Nationen über diejenigen, die den Holocaust nicht leugnen: „Geschichte kann nicht so umgeschrieben werden, wie es dem israelischen Regime gerade passt.“[1] Während der Präsident den Holocaust leugnet, ist er von der Rückkehr und dem Beistand des „verborgenen Imam“ beim nuklearen Schlagabtausch fest überzeugt.

Befindet sich der iranische Präsident innenpolitisch nicht längst auf einem absteigenden Ast? Selbst wenn es so wäre: Ahmadinejad unterscheidet sich von den sogenannten „moderaten“ Islamisten nicht im Inhalt, sondern in der Form: Er spricht laut aus, was der Rest der iranische Führung seit Jahr und Tag auf der Agenda hat. Um seine Position abzusichern, hat er dennoch 5.000 Revolutionswächter in alle Positionen der Bürokratie gehievt.[2]

Ist es bis zur Herstellung der ersten iranischen Bombe nicht noch ein paar Jahre hin? – so der beschwichtigende Einwand Nr. 3. Leider nicht. Schon vor einem Jahr, im Januar 2006, berichtete ein Abgeordneter des Bundestages nach einer Unterrichtung durch BND-Chef Ernst Uhrlau: „Uns wurden die Augen geöffnet, dass die Planungen am Bau einer Atombombe sehr viel weiter fortgeschritten sind, als wir bisher wussten.“[3] Am 20. März 2007 soll laut Ankündigung des iranischen Präsidenten die kritische Schwelle mit der Inbetriebnahme von 3.000 Zentrifugen für die Urananreicherung überschritten werden: Mit 3.000 Zentrifugen kann genug hoch angereichertes Uran zum Bau von zwei Atombomben jährlich gewonnen werden.

Wenn der Iran die Bombe erst einmal hat, wird er schon aus Gründen der Selbsterhaltung vernünftig sein. Dieser Punkt mag in anderen Teilen der Welt triftig sein, nicht aber im Iran. Hier herrscht die Devise: „Ihr liebt das Leben; wir lieben den Tod.“ Schon zu Beginn seiner Präsidentschaft hat Ahmadinejad geschwärmt: „Gibt es Kunst, die schöner, göttlicher und ewiger wäre als die Kunst des Märtyrertods?“ Er folgt auch darin seinem Vorbild Khomeini, der das Leben als wertlos erachtet und den Märtyrertod als den Beginn der eigentlichen Existenz. Khomeini wollte für die Auslöschung Israels notfalls auch den Iran opfern. „Patriotismus ist nur ein anderer Name für Heidentum“, erklärte er 1980 in Qom. „Ich sage: Lasst dieses Land [den Iran] ruhig in Rauch und Flammen aufgehen, sofern nur der Islam in der übrigen Welt triumphiert.“[4] Die Mehrheit der Iraner wird diesem Szenario eine Absage erteilen. Und doch kündigt Mohammad Hassan Rahimian, der Vertreter des iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei, das Armageddon an. „Der Jude ist der hartnäckigste Feind des Frommen“ erklärte er am 16. November 2006. „Und der Hauptkrieg wird über das Schicksal der Menschheit bestimmen. ... Das Wiedererscheinen des 12. Imam wird einen Krieg zwischen Israel und der Schia mit sich bringen.“[5]

Die Frage, ob es dazu kommen wird, ist zynisch. Die Konsequenzen wären derart schrecklich, dass das Reden über Wahrscheinlichkeiten sich verbietet, solange die Möglichkeit besteht.

Insofern hatte die Bundeskanzlerin recht, als sie im Februar 2006 die von der iranischen Bombe ausgehende Bedrohung mit der Nazi-Gefahr der dreißiger Jahre verglich: „Iran hat mutwillig die rote Linie überschritten“, erklärte sie vor der Münchener Sicherheitskonferenz. „Wir müssen den Anfängen wehren“. Deutschland sei in diesem Konflikt aufgrund seiner Auschwitz einschließenden Geschichte „besonders herausgefordert“. Sie fasste die wichtigste Lehre aus den dreißiger Jahren zusammen: „Wir müssen die Rhetorik des iranischen Präsidenten gegenüber Israel und den Juden ernst nehmen.“[6]
Richtige Worte, leere Worte. Denn tatsächlich geschah im vergangenen Jahr das Gegenteil.

2006 war das Geschäft noch einträglicher

Bis heute wird die Parole „Wehret den Anfängen“ nicht gegen das Mullah-Regime, sondern gegen die USA in Anschlag gebracht, um deren Sanktionspolitik gegen Firmen, die mit dem antisemitischen Regime Geschäfte machen, abzuwehren.

Bis heute wird auf die Holocaust-Leugnung in Teheran und die Vernichtungsdrohung gegen Israel geradezu gleichmütig reagiert. Es geht auch anders: Als das Mullah-Regime 1989 den muslimischen Schriftsteller Salman Rushdie mit dem Tod bedrohte, zog Europa all seine Botschafter für vier Wochen aus Teheran zurück. 1997 wurden erneut sämtliche EU-Botschafter aus Teheran zurückbeordert, um gegen die vom Regime veranlassten Ermordung oppositioneller Kurden im Berliner Restaurant „Mykonos“ zu protestieren.[7] Und jetzt, wo der Genozid gegen ein ganzes Land unverhohlen angekündigt und vorbereitet wird? Diesmal verließ kein einziger Botschafter der EU, und sei es für einen einzigen Tag, seinen Platz.

Und die „besondere Herausforderung“ für Deutschland, von der Frau Merkel sprach? Sie wird mit bemerkenswerter Unbekümmertheit in das Gegenteil dessen verwandelt, was in Anbetracht der deutschen Geschichte notwendig ist: Ahmadinejads Iran wird nicht geächtet, sondern angepriesen und hofiert. Ein Beispiel: Kaum hatte Angela Merkel den Iran in Anspielung auf Nazi-Deutschland kritisiert, feierte der sozialdemokratische Außenminister Steinmeier das Land als das Eldorado deutscher Firmen: „Seit einigen Jahren setzt sich der Aufwärtstrend in den deutsch-iranischen Handelsbeziehungen fort“, heißt es im März 2006 auf der Homepage des Auswärtigen Amts. „Schon heute ist Iran für deutsche Unternehmen einer der bedeutendsten Märkte im gesamten Nahen und Mittleren Osten. Von Januar bis November 2005 exportierte Deutschland Waren im Wert von über 4 Mrd. EUR nach Iran; das Volumen hat sich seit 2000 mehr als verdoppelt.“
Über die Holocaust-Leugnung oder die Angriffe auf Israel findet sich in dieser „Länderinformation“ des Auswärtigen Amtes kein Wort.[8] Auch die iranische Terrorhilfe für Hizbollah und Hamas taucht nicht auf. Stattdessen wird die „Vielzahl von Ausstellungs-, Musik- und Literaturprojekten sowohl in Deutschland als auch in Iran“ hervorgehoben, die ein „beredtes Zeugnis der Lebendigkeit des deutsch-iranischen Kulturaustauschs“ darstellten.

Zynisch vergab die Bundesregierung auch im Jahr 2006 Hermes-Bürgschaften für Firmen, die im Iran investierten. “Die Bundesregierung bietet weiterhin Deckungsmöglichkeiten für den Iran an“[9], heißt es in ihrem im Februar 2006 veröffentlichen Bericht. „Deckungsmöglichkeit“ bedeutet, dass sie für die Verluste deutscher Firmen haftet. Hermes-Bürgschaften lenken deutsche Investitionen dahin, wo man sie aus außenpolitischen Gründen haben will. In der ersten Hälfte des Jahres 2006 stand der Iran mit 450 Millionen Euro auf Platz sechs der Liste der Länder, die Hermes-Bürgschaften erhielten.[10] Zwischen Januar und Juli 2006 wurden Waren im Wert von 2, 3 Milliarden EUR an Iran verkauft.

Insgesamt soll für das erste Halbjahr 2006 ein Rückgang der Exportaktivitäten verzeichnet worden sein. Und doch weist der „Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau“ stolz auf seine Zuwächse hin: „Der deutsche Maschinenbau hat im Jahr 2005 für 1,5 Milliarden Euro in den Iran exportiert; 2006 war das Geschäft noch einträglicher.“[11]

Das tatsächliche Ausmaß dieser Geschäftsbeziehungen liegt im Dunkeln, um die Chancen deutscher Firmen auf dem amerikanischen Markt nicht zu gefährden. So berichtete im Januar 2007 das Handelsblatt: „Deutsche Unternehmen versuchen jetzt, ihre mit Teheran abgeschlossenen Verträge am besten gar nicht öffentlich werden zu lassen. ,Alles, was das US-Geschäft tangieren könnte, ist tödlich. Deshalb redet in Teheran keiner über seine iranischen Aufträge’, sagte ein deutscher Unternehmensvertreter in Teheran unter der Bedingung, dass sein Name nicht gedruckt wird.“ Siemens zum Beispiel, dessen Tochterunternehmen „Siemens Gesellschaft für Iran mbH“ 1937 mit Sitz in Berlin gegründet wurde, schloss kurz nach Ahmadinejads Wahl zum Präsidenten einen „Vertrag für den Bau von 24 Kraftwerken ab.“[12] Derzeit soll der Konzern nach Handelsblatt-Informationen „vor dem konkreten Abschluss eines 450 Mill. Euro umfassenden Lokomotiven-Liefervertrages mit Teheran“ stehen.[13] Man wolle sich dazu öffentlich jedoch nicht äußern.

5.000 deutsche Unternehmen treiben Handel mit dem Iran; ein Drittel von ihnen hat einen eigenen Vertreter oder eine eigene Niederlassung im Land. Von diesen Firmen sind 1750 Unternehmen als Mitglied der Deutsch-Iranischen Handelskammer in Teheran eingetragen. Deren Präsident, Michael Tockuss, gab im Februar 2006 interessante Informationen preis. So machte er darauf aufmerksam, dass „direkt oder indirekt etwa 70 Prozent der iranischen Industrie“ dem staatlichen Sektor angehört. Somit wird das Gros der Geschäftsabschlüsse nicht mit unabhängigen Betrieben, sondern mit dem antisemitischen Regime getätigt.

Zusätzlich weiß Tockuss zu berichten, „dass rund zwei Drittel der iranischen Industrie maßgeblich mit Maschinen und Anlagen deutschen Ursprungs ausgerüstet sind. Die Iraner sind durchaus auf deutsche Ersatzteile und Zulieferer angewiesen.“[14]

Kann deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, über welch unglaubliche Möglichkeiten Deutschland – und zwar hauptsächlich Deutschland! – verfügt, um den genozidalen Plänen eines Ahmadinejad rechtzeitig noch in den Arm zu fallen? Und doch wird dieser beispiellose Einfluss nicht dazu genutzt, die nukleare iranische Ambition in ihre Schranken zu weisen. Stattdessen hat Deutschlands Außenpolitik den Aufbau des Atomprogramm geschützt. Auch hier ist die Lektüre der von der Bundesregierung veröffentlichten Texte instruktiv.

Schutzschild fürs Atomprogramm

„Im Jahr 2003 musste Iran zugeben, gegen seine Verpflichtungen aus seinem Sicherungsabkommen [zur Kontrolle seiner Nuklearaktivitäten lt. Atomwaffensperrvertrag] verstoßen und über 18 Jahre hinweg ein geheim gehaltenes Nuklearprogramm verfolgt zu haben“, lesen wir auf der Homepage des Auswärtigen Amts. „Hierzu gehörte auch der verdeckte Bau einer Urananreicherungsanlage, in der auch spaltbares Material zur Waffenproduktion hergestellt werden kann.“[15] Schon im Jahr 2003 konnte am Zweck dieses Atomprogramms kein Zweifel sein: Die Absicht, Israel zu zerstören, ist seit 1979 Bestandteil der iranischen Staatsräson. Wie hat Deutschland auf diese Enthüllung reagiert?

Anstatt den Iran in die Pflicht zu nehmen, hat Berlin die jahrelangen Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag belohnt. Anstatt die Finanzhilfen der Bundesregierung zurückzufahren, wurden sie besonders stark erhöht.

Geradezu euphorisch liest sich, was im Jahresbericht 2004 der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Wolfgang Clement über die bilateralen Beziehungen schreibt:

„Die Ausfuhrgewährleistungen der Bundesregierung spielten eine herausragende Rolle für den deutschen Export in den Iran; das Deckungsvolumen auf iranische Beststeller wuchs im Vergleich zum Vorjahr um das knapp 3,5-fache auf rund 2,3 Milliarden EUR. Damit sicherte die Bundesregierung rund 65 % der gesamten deutschen Exporte in das Land ab. Nur knapp hinter China belegt der Iran den zweiten Platz der Länder mit dem höchsten Deckungsvolumen im Jahr 2004.“[16]

Der deutsche Export in den Iran stieg zwischen 2003 und 2004 um 35 Prozent an. Am 23. Juni 2005, wenige Tage nach der Wahl Ahmadinejads, trat zusätzlich das deutsch-iranische Investitionsschutzabkommen in Kraft. Nun erhöhten sich im Jahr 2005 die deutschen Ausfuhren erneut um 24 Prozent und erreichten den Spitzenwert von 4,4 Milliarden Dollar.

Gewiss hätte Berlin 2004 auch anders agieren und das Investitionsschutzabkommen bis zum Verzicht Teherans auf die Urananreicherung auf Eis legen können. Die Industrie hätte dies schon deshalb geschluckt, weil der Iran für sie nicht annähernd die gleiche Bedeutung hat, wie sie für den Iran. Während Deutschland neben den Vereinten Arabischen Emiraten als größte Handelspartner für den Iran von überragender Relevanz ist, bleibt der Stellenwert des Iran für die deutsche Außenwirtschaft gering: Als Abnehmer deutscher Exporte stand der Iran im Jahr 2004 an 35. Stelle. In seiner Bedeutung als Importland rangiert er auf Platz 65.[17] Es wäre somit zu kurz gegriffen, wollte man die deutsche Iranpolitik auf „Profitinteressen“ reduzieren.

Dies zeigen auch die deutschen diplomatischen Bemühungen seit 2003. Während Verstöße gegen das Kontrollregime des Atomwaffensperrvertrags eigentlich unverzüglich dem UN-Sicherheitsrat vorzulegen sind, wollte Deutschland (im Verbund mit Frankreich und Großbritannien) eben dies verhindern.

Die Geschäftsgrundlage der nun beginnenden Gespräche fasste Frank-Walter Steinmeier wie folgt zusammen. „Iran fordert, dass wir während laufender Gespräche keine weiteren Schritte im Uno-Sicherheitsrat unternehmen. Wir verlangen, dass Iran während etwaiger Verhandlungen nicht nebenbei neue [nukleare] Fakten schafft.“[18] Während aber die Europäer die Befassung des UN-Sicherheitsrats in der Tat um drei lange Jahre verzögerten, setzte der Iran unverdrossen seine Arbeit am Atomprogramm fort.

Joschka Fischer, damals noch Außenminister, fand für diesen Vorgang das passende Wort: Europa habe über die Aktivitäten des Iran ein „Schutzschild“ ausgebreitet und sie so vor US-Einmischung geschützt. „Fischer sagte, die Europäer hätten in den zurückliegenden Gesprächen über das iranische Atomprogramm immer zu verstehen gegeben, dass die Iraner in ihren strategischen Sicherheitsinteressen Europa als ,Schutzschild’ verstehen sollten“, berichtete im September 2004 die FAZ.“[19]

Schutzschild – das bedeutet: Schutz für die offene und geheime Aufrüstung gegen Israel; Preisgabe der Sicherheitsinteressen des jüdischen Staats. Man wollte nicht das Regime von der Urananreicherung abhalten. Man wollte die USA davon abhalten, Teheran abzuhalten.

Ein Jahr später – Ahmadinejad war mittlerweile gewählt – ließ das Regime den Schwindel platzen. Am 4. August 2005 bekannte Hussein Mussavian, ein Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats, dass die Verhandlungen dazu gedient hätten, das nuklearpolitische Ziel zu erreichen und die Befassung des UN-Sicherheitsrats zu vermeiden: „Dank der Verhandlungen mit Europa haben wir ein weiteres Jahr gewonnen, in dem wir die Anlage in Isfahan fertiggestellt haben.“ Andernfalls wäre das Iran-Dossier „ohne Zweifel“ an den UN-Sicherheitsrat überwiesen worden.[20]

Wurde Mussavians Enthüllung – immerhin auf der Titelseite der Frankfurter Allgemeinen publiziert – überhaupt wahrgenommen? Unverdrossen setzten die Europäer ihre „Schutzschild“-Politik ein weiteres Jahr fort. Erst im Sommer 2006 kam das Iran-Dossier in den UN-Sicherheitsrat, der weitere sechs Monate brauchte, um schließlich UN-Resolution 1737 am 23. Dezember 2006 zu verabschieden. Darin wird das Sanktionsregime auf ein Verbot der Lieferung von Bauteilen für das iranische Atom-und Raketenprogramm reduziert.


Der antiamerikanische Affekt

„Die Versuch Irans, Massenvernichtungswaffen und Trägersysteme zu erwerben und seine Unterstützung für internationale Terrorakte gefährden die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Interessen der USA“ – mit dieser Begründung beschlossen die USA 1996 ihr Wirtschaftsembargo gegen den Iran.[21] Vorausgegangen waren Terrorakte wie die 444 Tage andauernde Geiselnahme der Angehörigen der US-Botschaft 1979 in Teheran, die Sprengung der US-Botschaft im Libanon mit 50 Toten sowie der Selbstmordanschlag der Hizbollah auf eine Kaserne in Beirut, der im Oktober 1983 241 amerikanische Soldaten tötete.

Seit Hans-Dietrich Genscher 1984 dem Mullah-Regime als erster westlicher Außenminister die Aufwartung machte, gingen die deutsche und die amerikanische Iranpolitik entgegengesetzte Wege: Je strenger das Embargo Washingtons ausfiel, desto großzügiger wurden Hermes-Bürgschaften gewährt.

Die Menschenrechtsverletzungen im Iran waren hierfür ebenso wenig ein Hindernis, wie der Antisemitismus und der Anti-Israelismus des Regimes. Doch auch heute möchte Berlin seine Sonderbeziehung zu Teheran nicht gefährden.

Zwar sieht sich die Bundesregierung genötigt, UN-Maßnahmen gegen Teheran zu unterstützen. Hierbei kommt es ihr jedoch auf das geschlossenes Vorgehen der Vetomächte des UN-Sicherheitsrats an, ein Vorgehen, bei dem der größte Zauderer das Tempo bestimmt. Alle Schritte, die darüber hinaus gehen könnten, zum Beispiel ökonomische Sanktionen, die eine „Koalition der Willigen“ vereinbaren könnte, werden abgeblockt.

Als ein Journalist diese Möglichkeit ins Gespräch zu bringen suchte, blockte Außenminister Steinmeier unwirsch ab: „Den Begriff der ,Koalition der Willigen’ halte ich für völlig ungeeignet. Der stammt aus einer anderen Phase der amerikanischen Außenpolitik.“[22]

Was bedeuten diese Sätze? Erstens wird – unter Anspielung auf die „Koalition der Willigen“ im Krieg gegen den Irak – der antiamerikanische Affekt über das Schutzbedürfnis Israels gestellt und das Gefährdungspotential des Iran mit dem Gefährdungspotential Saddam Husseins aus dem Jahre 2003 gleichgestellt und damit bagatellisiert. Zweitens beweist der Widerstand gegen die Gründung einer „Koalition der Willigen“, dass die Bundesregierung die Nuklearaufrüstung des Iran weiterhin schonen und schützen will. Diese Außenpolitik nimmt Israels Zerstörung in Kauf.

Der amerikanische Versuch, wenigstens UN-Resolution 1737 vollständig auszuschöpfen, stößt in London zwar auf Zustimmung und in Paris auf Skepzis – Berlin aber lehnte ihn ab.[23]

Hierzulande scheint niemand die deutsche Iran-Politik an den Pranger stellen zu wollen. Es war der israelische Regierungspräsident Ehud Olmert, der anlässlich seines Berlinbesuchs im Dezember 2006 den „deutschen Doppelstandard“ anprangerte, wonach Berlin das iranische Atomprogramm kritisiert und den „gigantischen Handel“ deutscher Firmen mit dem Iran zugleich erleichtert.[24] Kein deutsches Massenmedium, kein deutscher Politiker griff Olmerts Protest gegen die Hermesbürgschaften auf.

Wenn heute ein Land den Iran mit maximaler Wirksamkeit unter Druck setzen kann, dann Deutschland. Zu den unumgänglichen Minimalforderung an die Bundesregierung gehören:

  • Die Kündigung des deutsch-iranischen Investitionsschutzabkommens.
  • Das Verbot von Hermesbürgschaften für Iran-Exporte.
  • Die Kündigung des deutsch-iranischen Atomabkommens.
  • Die Schließung der Deutsch-iranischen Handelskammer in Teheran.
  • Ein Embargo für die deutsche Wirtschaft gemäß des amerikanischen Iran and Libya Sanctions Act von 1996.

Wem Israels Existenz am Herzen liegt, wer einen neuen gigantischen Krieg vermeiden will, muss heute – in welcher Position und an welchem Schalthebel auch immer – alles, aber wirklich alles tun, um eine rasche und durchgreifende Veränderung der deutschen Iranpolitik zu erzwingen.

Wenn Teheran nicht unverzüglich massiv unter Druck gesetzt und vor die Alternative gestellt wird, entweder seinen Kurs zu ändern oder aber verheerende ökonomische Schäden zu erleiden, bleibt nur die Wahl zwischen einer schlechten Lösung – die militärische Option – oder einer schrecklichen, der iranischen Bombe.

Soviel aber ist klar: Wenn sich der einzige von Auslöschung bedrohte Staat auf der Erde – nicht zuletzt aufgrund des Verhaltens der Bundesregierung und der deutschen Öffentlichkeit! – gezwungen sehen sollte, die Entwicklung der iranischen Bombe gewaltsam zu verzögern, hat niemand hierzulande das Recht, Israel und seine Regierung hierfür zu kritisieren.

Berlin, den 28. Januar 2007.

Dr. Matthias Küntzel ist Politikwissenschaftler und Publizist. Er ist resarch associate am Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) an der Hebrew University zu Jerusalem und Vorstandsmitglied der internationalen Wissenschaftlervereinigung „Scholars for Peace in the Middle East“ (www.spme.net) . Weitere Texte über den Iran sind unter www.matthiaskuentzel.de veröffentlicht.

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[1] Hillel Neuer, Iran’s UN Human Rights Envoy Denies Holocaust, see: www.unwatch.org , January 11, 2007.

[2] Rainer Hermann, Geistliche und Modernisierer, in: FAZ, 19. 12. 06.

[3] Matthias Gebauer, Versteckspiel mit den Kontrolleuren, in: Spiegel-Online, 19. Januar 2006.

[4] Aus: „A Selection of the Imam’s Speeches, Tehran, 1981, vol. III, p.109, zit. nach Amir Taheri, Nest of Spies. America’s Journey to Disaster in Iran, London et.al. (Hutchinson) 1988, S. 269.

[5] ISNA, 16.11.2006, http://isna.ir/Main/NewsViews.aspx?ID=News-825902 , zit. nach: Honestly Concerned Iran-Forschung. Übersetzung aus Iranischen Medien, Berlin, 17. November 2006.

[6] Vgl. Welt, 5.2.2006; Stern-Interview mit Angela Merkel in Heft 8/2006, sowie FAZ, 14.1.2006.

[7] Vgl. Norbert Siegmund, Der Mykonos-Prozess, Lit-Verlag, Hamburg 2001, S. 2 und 26f..

[8] Israel wird nur ein einziges Mal wie folgt erwähnt: „Iran unterhält weder zu den USA noch zu Israel diplomatische Beziehungen.“ Siehe: www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Iran/

[9] Ausfuhrgewährleistungen der Bundesrepublik Deutschland. Das Geschäftsjahr 2005 im Überblick, S. 61. Die Jahresberichte über deutsche Exporthilfen sind auf der Homepage des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie einzusehen. (www.bmwi.de)

[10] Exportgarantien der Bundesrepublik Deutschland. Hermesdeckungen. Halbjahresbericht 2006, S. 2.

[11] Peter Philipp, US-Sanktionen gegen Iran verunsichern europäische Unternehmen, in : DW-World.de, 10. Januar 2007.

[12] Kathrin Erdmann, Deutsche Wirtschaft im Iran verunsichert, in: DW-World.de, 6. Oktober 2005 (www.dw-world.de)

[13] USA drängen deutsche Firmen aus Iran, in: Handelsblatt, 11. Januar 2007.

[14] Wirtschaft drohen Milliardenverluste. Focus-Online Interview mit Michael Tockuss, 12. Februar 2006 (www.focus.de); Kathrin Erdmann, Deutsche Wirtschaft im Iran verunsichert, in: DW-World.de, 6. Oktober 2005 (www.dw-world.de).

[15] www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Abruestung/IranNukes

[16] Jahresbericht 2004, S. 60.

[17] Auswärtiges Amt: Wirtschaftsdatenblatt Iran; Stand: März 2006.

[18] „Leidvolle Erfahrungen“, Interview mit Frank-Walter Steinmeier, in: Der Spiegel 25/2006 (19. Juni 2006).

[19] Johannes Leithäuser, Fischer warnt Teheran vor Fehlkalkulation, in: FAZ, 7. September 2004.

[20] Nikolaus Busse, „Die Europäer haben uns Zeit verschafft“. Ein Unterhändler spricht offen über die iranische Taktik im Atomstreit, in: FAZ, 22. August 2005.

[21] Der Iran and Libya Sanctions Act ist unter www.fas.org/irp/congress dokumentiert.

[22] „Leidvolle Erfahrungen“, a.a.O. .

[23] Helen Cooper and Steven R. Weisman, West Tries a new Track to Block Iran’s Nuclear Agenda, in: New York Times, 2. Januar 2007.

[24] Zit. nach SZ, 12.12.06.