Antisemitismus als Kinospaß

Warum der Innenminister das türkische Machwerk "Tal der Wölfe - Palästina" indizieren muss

Von Matthias Küntzel

Hamburg, den 3. Februar 2011

Mit mehr als 300 Besuchern war die Nachmittagsvorstellung des Films „Tal der Wölfe – Palästina“ am 30. Januar in der Hamburger UCI-Kinowelt gut besucht. Über 90 Prozent der Zuschauer konnten den Film im türkischen Original verfolgen, ohne auf deutsche Untertitel angewiesen zu sein. Am Ende des Films gab’s Applaus.

Doch nicht alle waren begeistert. Eine junge Frau äußerte sich skeptisch: Dass vier Männer ganz allein Palästina retteten, sei ja wohl unwahrscheinlich. Ihr Freund widersprach: Der Film zeige, dass allein die Türkei in der Lage sei, Palästina zu befreien. Eine weitere Besucherin schwärmte von dem „schönen Film“, obwohl darin in erster Linie Massenschießereien zu sehen sind. Wer aber Israel aus vollem Herzen hasst, mag als „schön“ empfinden, dass ein türkisches Kommando diesen Staat besiegt.

„Tal der Wölfe – Palästina“, der dieser Tage in mehr als hundert Ländern angelaufen ist und den man in Deutschland in mehr als 70 Kinos zeigt, verfolgt keinen künstlerischen, sondern einen politischen Zweck. Hier dient jedes Bild, jeder Ton und jeder Dialog der antiisraelischen Agitation. Die Klassiker des „alten“ Antisemitismus werden eher beiläufig eingestreut, während der „neue Antisemitismus“ fröhliche Urstände feiert.

Die dem Film zugrundeliegende Story verbindet Realität mit Fiktion. Sie zeigt die Rache der Türken – vertreten durch den Action-Star Polat Alemdar – an dem israelischen Haudegen Moshe Ben Elizer, der dem Drehbuch zufolge den Militäreinsatz gegen die sogenannte „Gaza-Flottille“ von Mai 2010 geleitet haben soll – ein Einsatz, der im Mai 2010 tatsächlich stattfand und mit dem Tod von neun türkischen Staatsangehörigen sowie zahlreichen Verletzten auf beiden Seiten endete.

Neben diesen Protagonisten gibt es drei Nebenrollen: Einen alten Israeli namens Avi, der einen „Weisen von Zion“ verkörpert, ein palästinensischer Junge namens Ahmet, der an den Rollstuhl gefesselt ist sowie die amerikanische Jüdin Levy, die sich mit dem türkischen Rächer solidarisiert.

Das Leitmotiv des Films könnte der Hamas-Charta entnommen sein: „Eine Lösung für die palästinensische Frage gibt es nur durch den Djihad. Initiativen, Vorschläge und internationale Konferenzen sind Zeitverschwendung und unsinniges Spiel.“

Dementsprechend ist es der Held Polat Almedar, der mitten in Jerusalem mit seinen drei Begleitern die erste wilde Schießerei initiiert, weil ihn ein israelischer Wachposten nicht vorbeilassen will. Zuschlagen statt zurückweichen, abknallen statt verhandeln – dieses Muster setzt sich 109 Minuten lang fort. Es bezieht seine Legitimation aus einer Dämonisierung des jüdischen Staats, wie sie für Filme in Europa ohne Beispiel ist.

Da sind zunächst die Assoziationen. Wir sehen auf israelischer Seite keine Frau, kein Kind, keine Familie, kein Wohnung, kein Interieur, kein Gefühl. Stattdessen, mit schriller Musik untermalt: Computer, Überwachungsanlagen, Hightech-Säle, Hubschrauber, Hochhäuser, Panzer und Soldaten, die als Mordmaschinen agieren.

Als Gegenstück wird uns in minutenlanger Einstellung ein islamischer Gottesdienst als Urhöhle der Geborgenheit präsentiert: mystische Atmosphäre, angenehme Musik, rhythmischer Gesang und gemeinsamer Tanz. Immer wieder wird der türkische Rächer durch die Anrufung der Religion gestärkt: „Der Islam ist eine Religion des Friedens“, heißt es, „ich fürchte nichts außer Allah.“

Betörend auch das Bild der Palästinenser: Scherzende Mütter und Kinder, Mahlzeiten im Familienkreis, auserlesene Kleider, gediegene Möbel, zwischenmenschliche Harmonie. Die amerikanische Jüdin erlebt das Idyll und gesteht ihre Einsamkeit: „Ich wollte eine Familie gründen. Aber mein Freund hat mich verlassen.“ In Ramallah wär ihr das gewiss nicht passiert.

Natürlich wird der schöne Friede von den zionistischen Monstern zerstört. Kommen wir also zu den Plots.

  • Moshe als Oberbefehlshaber in einer palästinensische Stadt: „Ich entscheide, wem welches Land gehört“, erklärt er einem palästinensischen Polizisten. „In zehn Minuten reiße ich den Stadtteil ab.“ Moshes Soldaten rücken wie eine todbringende Dampfwalze vor und knallen die Zivilisten wie Hasen ab. Dann findet Moshe den pfiffigen kleinen Rollstuhlfahrer Ahmed in einem Haus, das abgerissen werden soll. Moshe schmeißt Ahmed zu Boden und sorgt dafür, dass ihn herabstürzende Trümmer begraben. Wir sehen, wie Ahmeds Oma minutenlang um ihren Enkel trauert, dann stirbt sie selbst. Wir erleben, wie einer fassungsloser und von Krämpfen geschüttelter Vater von dem Tod seiner Mutter und seines Sohnes erfährt und lernen: Die Israelis machen nicht nur ganze Stadtteile dem Erdboden gleich, sondern haben es besonders auf Kinder abgesehen – besonders, wenn diese wehrlos und behindert sind.
  • In einer anderen Szene sitzt Moshe mit Avi auf einer Terrasse und prahlt mit seiner neu entwickelten Munition – eine Munition, die nach dem Eindringen das Körperinnere chemisch zersetzt. Avi ist begeistert, zeigt sich aber skeptisch, ob der Einschuss der Chemiewaffe äußerlich dem Einschuss einer normalen Patrone gleicht. Moshe: „Ich beweise es dir!“ Er zielt auf einen arabischen Gemüsehändler, der sich zufällig dem Gebäude nähert und tötet ihn mit seiner Supermunition ohne auffällige Wunde. „Verteilt die Munition an die Siedler“ befiehlt er im Ausklang dieser Szene und wir lernen: Israel entwickelt Chemiewaffen, die Araber werden als Versuchskaninchen getötet und die Siedler mit Horrorwaffen bestückt.
  • Szene drei dreht sich um eine Protagonistin, die zum „neuen Antisemitismus“ gehört wie die Hakennase zum alten: Eine Jüdin, die Israel bekämpft. Die attraktive Amerikanerin, Frau Levy, hat sich auf die richtige Seite gestellt „Du bist eine Schande für alle Juden“, schreit sie Moshe ins Gesicht und weist auch Avis Hinweis auf die Shoah zurück: „Mein Großvater ist nicht in Polen gestorben, damit seine Nachkommen hier morden!“ Längst hat sie ihre Freizeitkleidung durch das lange rote Kleid einer Palästinenserin ersetzt. Wir sehen, wie die zionistische Schergen Frau Levy mit verbundenen Augen durch höhlenartige Gefängnisflure zerren. Dann wird ihr ein Revolvercolt an den Kopf gesetzt. Doch wie durch ein Wunder rettet sie ihr türkischer Befreier vor der Hinrichtung und wir lernen: Hier werden nicht nur die getöteten Türken der Gaza-Flottille gerächt. Hier wird selbst noch eine Jüdin – stellvertretend für die gesamte nicht-zionistische Welt – vom Terror des Zionismus befreit.

    Es sind aber nicht nur die Assoziationen und Plots dieses Films, die den Hass auf Israel schüren, sondern auch dessen Sprache. Das Drehbuch legt den Akteuren klassische Wendungen aus dem Repertoire des Antisemitismus in den Mund.

  • Das Ziel der Zionisten, behauptet Avi, sei „Großisrael – Vom Euphrat bis zum Nil“. Diese Phantasie folgt einer antisemitischen Logik, wie eine von Iran verbreitete Ausgabe der „Protokolle der Weisen von Zion“ unterstreicht. Darin findet sich eine Landkarte, die den vermeintlichen „dream of Zionism“ in den Grenzen „Großisraels“ umreißt.
  • Zweitens wird das Zerrbild eines von zionistischen Führern kontrollierten „Weltjudentums“ entworfen. „Das ist dein Land. Dein Nachname ist Levy“, erklärt Avi der amerikanischen Jüdin und schlägt „Seite 216“ eines Buches auf, das die Angaben über Familie und Vorfahren der Amerikanerin enthält. Alle Juden scheinen demnach wie durch ein Spinnennetz mit Zentrum Jerusalem verbunden zu sein – ein altes antisemitisches Konstrukt.
  • Drittens werden die Juden als umgekehrte Nazis portraitiert. So spricht Avi vom „heiligen Blut“, das die jüdische Amerikanerin in ihren Adern habe. Dieses Blut „können nur Palästinenser vergießen, keine Juden“, fügt er hinzu. Bekanntlich gingen die Nazis von der „Höherwertigkeit“ arischen Blutes aus. Hier wird dieser Rassismus den Israelis unterstellt.
  • Viertens wird die Ritualmordlüge des europäischen Mittelalters evoziert. Demnach habe es der Jude besonders auf Kindestötungen abgesehen. Die Erinnerung an dieses antisemitische Motiv wird nicht nur bei dem grausamen Tod des kleinen Ahmet mobilisiert, sondern auch in der Schlussszene, in der Polat Alemdar seinem Widersacher einen einzigen Vorwurf macht. Moshe habe ein Kind getötet. „Das machen die Türken nicht.“

    Gegen so viel Niedertracht hilft nur militanter Widerstand. In der innerpalästinensischen Auseinandersetzung ergreift der Film, auch wenn Plakate von Yassir Arafat gezeigt werden, für die Hamas und gegen Mahmoud Abbas Partei. „Wir lassen uns nicht länger demütigen und einschüchtern“, heißt es in einer Schlüsselszene des Films. „Wenn wir unseren Widerstand aufgeben, lässt Israel keinen von uns am Leben.“

    Diese Botschaft korrespondiert mit der neuen Außenpolitik des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, der seit Jahren an einer Achse mit den Islamisten in Teheran und Gaza feilt. „Wir stehen an der Seite der Hamas“, hatte Erdogan noch Mitte Januar 2011 erklärt. „Für mich sind das keine ,Terroristen‘.“

    Der Film macht diese Orientierung explizit. „Wir wollen unseren Freunden in Gaza helfen“, heißt es in der ersten Szene, die das Flaggschiff der Gaza-Flottille zeigt. Anschließend sehen wir, wie israelische Soldaten das Schiff kapern und neun türkische Passagiere vorsätzlich und kaltblütig töten. Es ist bekannt, dass Ministerpräsident Erdogan der Weltöffentlichkeit diese Interpretation der Ereignisse zu vermitteln sucht. Die wirklichen Abläufe sahen jedoch anders aus.

    Die Flottille wurde von der türkische Hilfsorganisation IHH organisiert. In der Türkei gehört die IHH zu den Unterstützern von Ministerpräsident Erdogan, während sie in Deutschland aufgrund ihrer Nähe zur Hamas verboten ist.

    Als sich die Flottille im Mai 2010 dem Gazastreifen näherte, lehnte die IHH den Vorschlag Israels, im Hafen von Ashod anzulegen, um die Hilfsgüter von dort nach Gaza zu bringen, ab. Der Versuch israelischer Soldaten, das Leitschiff von Schlauchbooten aus zu betreten, scheiterte. Als sich schließlich Soldaten von Hubschraubern abseilten, um auf Deck zu gelangen, fackelten die Kader der IHH nicht lange, sondern griffen die Israelis mit Messern, Knüppeln, Hämmern und Geschossen an. Sie folgten damit einer Devise, die Filmheld Polat Alemdar in „Tal der Wölfe – Palästina“ nachträglich propagiert: angreifen und losschlagen, koste es was es wolle.

    Bundesinnenminister Thomas de Maizière ließ die IHH letzten Sommer verbieten, da sich deren Politik gegen „den Gedanken der Völkerverständigung (richtet)“, was Artikel 9, Abs. 2 des Grundgesetzes untersagt. Da ist es ein Widerspruch, wenn nunmehr die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) einen Film durchlässt, der das Gift des Antisemitismus als Kinounterhaltung streut, um jeden Gedanken an Verständigung mit Israel zu töten. Der Beifall, mit dem die Hassbotschaft des Films in der Hamburger UCI-Kinowelt gefeiert wurde, sollte dem Innenminister Anlass zum Handeln sein.