Willige Helfer

Das iranische Regime weiß, dass es sich auf Deutschland verlassen kann. Trotz gegenteiliger Verlautbarungen arbeitet die deutsche Politik der westlichen Diplomatie zuwider

Von Matthias Küntzel

Jungle World, 29. November 2007

Dienstag vergangener Woche war wieder so ein Tag. »Atomstreit bremst Handel mit Iran«, verkündete das Hamburger Abendblatt, gleich lautende Schlagzeilen fanden sich im Spiegel und der FAZ. Am selben Tag erklärte Angela Merkel in einer Festrede vor der American Academy in Berlin: »Wir müssen alles daransetzen, dass die Handelswege nicht über Umwege doch wieder zum Iran führen.«

Gleichzeitig verkündete der deutsche Botschafter in Teheran, Herbert Honosowitz, das Gegenteil: Es habe trotz neuer finanzieller und bürokratischer Hindernisse keinen Rückgang in den deutsch-iranischen Geschäftsaktivitäten gegeben. Seit eineinhalb Jahren gelange das Gros der deutschen Waren indirekt – über Dubai, das Handelszentrum der Vereinigten Arabischen Emirate – in den Iran. Der Wert der indirekten Exporte habe in den vergangenen Jahren die stolze Summe von vier Milliarden Dollar erreicht. Gemeinsam mit den Handelskammern beider Länder unternehme seine Botschaft alles, um die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu erhalten und zu verbessern.

Honosowitz’ offene Worte haben international die Runde gemacht und Diplomaten aufgeschreckt, hierzulande aber erfuhr man – auch aus dem Bundeskanzleramt – nichts.

Ähnlich verhielt es sich mit einer Kurzmeldung, wonach der wichtigste außenpolitische Berater des iranischen Staatspräsidenten Mahmoud Ahmadinejad, der neue Atombeauftragte Said Jalili, und dessen Vorgänger Ali Laridjani nach Hamburg reisen würden, um am 25. Oktober am Rand des SPD-Parteitags mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu konferieren. Man erfuhr ansonsten von diesem zweistündigen Treffen in einem Hamburger Hotel kein Wort.

Zwar ist Deutschland seit einiger Zeit mit den fünf Veto- und Nuklearmächten des Sicherheitsrats mit den Iran-Verhandlungen betraut, und jede Entscheidung des Auswärtigen Amts zum Iran hat globale Relevanz. Dennoch finden Diskussionen über diese Verhandlungen hierzulande nicht statt. Manchmal wird über wichtige Entscheidungen nicht einmal informiert.

So blieb der deutschen Öffentlichkeit ein im September vollzogener Richtungswechsel verborgen: Erstmals hatte sich eine deutsche Regierung vom Westen distanziert und mit Russland und China gemeinsame Sache gemacht. Am 21. September waren die fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat plus Deutschland zusammengekommen. Nachdem der Iran die ersten beiden Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrats ignoriert hatte, ging es jetzt um einen dritten, schärfer formulierten Sanktionskatalog mit dem Ziel, die Atomwaffenfähigkeit des Landes zu verhindern. Die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs drängten auf einen dritten Beschluss, der verschärfte Sanktionen zur Folge haben sollte. Deutschland lehnte dies gemeinsam mit China und Russland ab, angeblich, um die Gespräche zwischen der internationalen Atomenergiebehörde und dem Iran nicht zu belasten.

Zweifellos hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in den folgenden Wochen versucht, das Bild eines harmonischen Vorgehens der Westmächte in der Iran-Politik zu vermitteln. Den realen deutschen Kurs bestimmt aber das Auswärtige Amt. Dessen Sprecher lehnte noch am 16. November die Forderung, europäische Sanktionen auch unabhängig vom Sicherheitsrat zu sondieren, unmissverständlich ab.

Derweil arbeitet das iranische Regime mit aller Kraft an der Verwirklichung seiner atomaren Pläne: Waren im Herbst 2006 noch 300 Zentrifugen für die Anreicherung von Uran installiert, so belief sich diese Zahl im Herbst 2007 auf 3 000. Diese Entwicklung ließe sich stoppen. So würde nach einem Bericht des iranischen Parlaments die Ökonomie des Iran bei konsequenten Wirtschaftssanktionen innerhalb weniger Monate zusammenbrechen. Man müsse alles unternehmen, »um die Auferlegung von Sanktionen zu verhindern«, heißt es in dem Text. Fieberhaft sucht Ahmadinejads Regime den point of no return – die vollendete Nuklearfähigkeit – zu erreichen, bevor ein Eingriff von außen dies noch vereiteln kann.

Hat der deutsche Widerstand gegen wirksame Sanktionen dem Regime den alles entscheidenden Aufschub verschafft? Die internationale Presse sparte jedenfalls nicht mit Kritik. Die deutsche Regierung verhalte sich »wie ein Gehilfe für Teherans Versuch, mehr und mehr Zeit (für den Aufbau eines atomwaffenfähigen Atomprogramms, M.K.) zu gewinnen«, und sie habe damit einen »Bruch in der Koalition der Westmächte« provoziert, urteilte die Jerusalem Post. Das Wall Street Journal sprach von »Irans deutschen Helfern« und kritisierte »die deutsche Obstruktion gegenüber allen Anstrengungen, den Iran in Schach zu halten«. In den Zeitungen in Deutschland fand sich davon nichts.

Zwar sehen auch deutsche Journalisten die mit dem iranischen Atomprogramm verbundene Gefahr. »Wenn die Sache so weiterläuft wie bisher, dann steht die Welt wirklich noch vor einer katastrophalen Wahl«, schrieb etwa Klaus-Dieter Frankenberger am 29. August 2007 in der FAZ. Und Niklas Busse forderte am 14. September in der gleichen Zeitung: »Wenn die Europäer mit friedlichen Mitteln verhindern wollen, dass Iran die Mittel zum Bau der Atombombe erwirbt, dann müssen sie es jetzt versuchen.«
Und doch verloren die Journalisten über die Weigerung Deutschlands, verschärften Sanktionen zuzustimmen, über die Stippvisite der iranischen Staatsführung in Hamburg und über das Gebaren des deutschen Botschafters in Teheran kein Wort.

Wir leben in Zeiten einer übergroßen Koalition. Die Abgeordneten, die die Aufgabe hätten, das Regierungsgebaren zu kontrollieren, schweigen, während sich die Medien in der Rolle des Erfüllungsgehilfen exekutiver Macht gefallen.

Das iranische Regime droht mit der Vernichtung Israels. Deutschland steht in vorderster Reihe, aber nicht bei jenen, die das Unheil abzuwenden suchen, sondern bei jenen, die ihm den Weg bereiten. Der deutsche Widerstand gegen das Vorgehen der westlichen Diplomatie arbeitet einem Regime in die Hand, das die eigene Bevölkerung terrorisiert und den Holocaust leugnet.
Wie viele Menschen finden das hierzulande überhaupt noch bemerkenswert? Sieht niemand, dass Ahmadinejad auch dann gewonnen hätte, wenn der Rest der Welt Israel zum isolierten Verzweiflungsschlag gegen seine Todfeinde treibt – und zwar deshalb, weil die Welt den jüdischen Staat heute ebenso im Stich lässt, wie sie die Juden vor 65 Jahren im Stich ließ?

»Die gegenwärtigen Beziehungen und die besondere Verbundenheit zwischen der deutschen und der iranischen Nation werden von beiden Seiten als ein Pluspunkt bewertet«, verkündete der deutsche Botschafter in Teheran am Tag der deutschen Einheit. »Wir wollen unsere guten Beziehungen auf allen Gebieten ausbauen.« Eine »besondere Verbundenheit« mit Deutschland pflegt auch Ahmadinejad bei jeder Gelegenheit hervorzuheben. Mitte November wandte sich der iranische Präsident mit einem wütenden Brief an den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und sagte voraus, dass dessen Versuche, Irans atomare Pläne zu verhindern, »wegen der Haltung von Deutschland und Italien zum Scheitern verurteilt seien«. Man erfuhr davon aus französischen und Schweizer Medien.