Von Goebbels zu Ahmadinejad

Über die antisemitische Radiopropaganda der Nazis in Iran

Von Matthias Küntzel

Tribüne, Heft 196, Dezember 2010

Ein 1940 aufgenommenes Foto aus Teheran zeigt ein riesiges Röhrenradio an erhöhter Stelle in einer Wandnische sowie eine Menschenmasse, die am Eingang eines Teehauses die Rundfunkübertragung aufmerksam verfolgt. Damals versammelten sich Passanten „auf den Bürgersteigen vor den Teehäusern…, um den Berichten der Deutschen über ihre Geländegewinne zu lauschen“, erläutert Amir Cheheltan, einer der wichtigen iranischen Schriftsteller der Gegenwart. „Die Berichte inspirierten die Phantasie der Menge auf der Straße, denn jeder Sieg entsprach einer Niederlage der Kolonialmächte Sowjetunion und Großbritannien, den sie bejubelte und beklatschte.“[1]

Der deutsche Kurzwellensender, der diese Propaganda verbreitete, hatte seinen Sitz in Zeesen bei Berlin. Seit 1939 beschäftigte er eine 80-köpfige Orientredaktion, die Tag für Tag die islamische Welt mit Sendungen auf Persisch, Arabisch, Türkisch und Hindi bediente. Je weiter der Weltkrieg voranschritt, desto antisemitischer wurde die deutsche Agitation, wie die Studie des amerikanischen Historikers Jeffrey Herf, Nazi Propaganda For The Arab World, zeigt.[2] 1943 schätzte Josef Goebbels den Anteil der antijüdischen Sendungen bei den gesprochenen Programmen von Radio Zeesen auf 70 bis 80 Prozent.

Die Popularität, die Radio Zeesen vor den Teehäusern Teherans genoss, ist leicht zu erklären. Erstens waren die Sendungen gut gemacht: Geschickt wurden Propagandabeiträge mit Koranzitaten und mit auf die Region abgestimmten Musikbeiträgen vermischt. Zweitens zielten die Wortbeiträge nicht auf den Intellekt, sondern auf das Gefühl der Masse. 1940 beklagte sich Reader Bullard, der britische Botschafter in Teheran: „Selbst wenn wir [Briten] auf Persisch sendeten, könnten wir mit den deutschen Höreranteilen nicht konkurrieren, weil ihr eher gewalttätiger und beleidigender Stil mit übertriebenen Behauptungen … beim persischen Publikum gut ankommt.“[3]

Drittens verfügte das deutsche Persienprogramm mit Bahram Sharokh über einen glänzenden Redner, der „immer wieder gelobt und allen anderen … vorgezogen“ wurde, wie es in einer zeitgenössischen Aufzeichnung der deutschen Botschaft in Teheran heißt.[4] Viertens hatte man den deutschen Kurzwellensender anlässlich der Berliner Olympiade von 1936 umfassend modernisiert, weshalb er besser als jeder andere Sender zu empfangen war. Last but not least aber war Deutschland bei Iranerinnen und Iranern ganz besonders beliebt.

Deutschland und Iran

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten Deutschland und Persien ein sich ergänzendes Gespann: Persien brauchte Deutschland, weil es allen anderen Mächten misstraute, jedoch auf technologische Hilfe angewiesen war. Deutschland brauchte Iran, weil es das einzige rohstoffreiche Land war, das im Zuge der kolonialen Verteilungskämpfe des 19. Jahrhunderts noch nicht „vergeben“ war. Aus diesem wechselseitigen Interesse resultierte eine Zusammenarbeit, wie sie zwischen einem muslimisch und einem christlich geprägten Land vermutlich ohne Beispiel ist.

Zwar wahrte Iran in beiden Weltkriegen formell seine Neutralität, doch schlugen die Herzen der meisten Iraner für die Deutschen, kämpften diese doch schon im Ersten Weltkrieg gegen die Briten und die Russen, dem gemeinsamen Feind. Darüber hinaus waren die Deutschen auch als Techniker und Ingenieure sehr beliebt. Seit Mitte der Zwanziger Jahre hatte das Deutsche Reich nicht nur die Fundamente einer industriellen Infrastruktur sondern auch eine Facharbeiterausbildung „made in Germany“ nach Iran exportiert. Bald schon genoss das „deutsche Arbeitsethos“ einen legendären Ruf.

Seit 1933 wurde die deutsch-iranische Freundschaft zusätzlich rassistisch als Zusammengehörigkeit der „Arier“, definiert. Daraus resultierte ein Gefühl der Verbundenheit, das sich vom Verhältnis beider Länder zur arabischen Welt deutlich unterschied.[5]

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gestaltete sich die Zusammenarbeit besonders eng. 1940 gingen 47,1 Prozent aller iranischen Exporte nach Nazideutschland, während die iranischen Einfuhren aus Deutschland einen Anteil von 42,9 Prozent erreichten. Damals kamen 80 Prozent aller von Iran importierten Maschinen aus Deutschland – viermal mehr, als die Einfuhr aus allen anderen Ländern zusammen. Gleichzeitig wurde zwischen 1939 und 1945 ein ganz besonderes Exportprodukt – der europäische Antisemitismus – von Deutschland nach Iran gebracht.

Radio Zeesen

Der Persiensender von Radio Zeesen startete im August 1939 sein Programm. Bis August 1941 hielt er sich mit der antisemitischen Aufstachelung zurück, denn bis dahin regierte Reza Schah, der Hitler zwar bewunderte, dessen Judenhass aber nicht teilte. Der Monarch, der das Persienprogramm der Nazis regelmäßig gehört haben soll, bewirkte gar die vorübergehende Entlassung des populären Ansagers Bahram Sharokh, da dieser seine Ansprachen mit Seitenhieben gegen den ungeliebten iranischen Alleinherrscher zu würzen pflegte.

Am 25. August 1941 veränderte sich die Situation. An diesem Tag erzwangen London und Moskau die Abdankung des deutschfreundlichen Monarchen und besetzten das Land. Paradoxerweise gewann Radio Zeesen ausgerechnet jetzt, nachdem die Besatzungsmächte die öffentlichen Übertragungen des Nazisenders verboten hatten, an Gewicht.

Als erstes beorderten die Nazis Bahram Shahrokh als Radiosprecher zurück. Gleichzeitig wurde die antisemitische Aufstachelung intensiviert und das Iranprogramm des Senders auf drei Sendungen täglich (von 05.45 bis 06.15, 16.00 bis 16.15 und 18.00 bis 18.30 Uhr) ausgebaut. Jetzt nämlich ging es um ein kriegswichtiges Ziel: Nachdem die deutschen Truppen im Sommer 1942 den Kaukasus erreicht hatten, schien der von Hitler geplante deutsche Einmarsch in Iran unmittelbar bevorzustehen.

Während in Deutschland bereits iranische Freiwillige mobilisiert und auf einem Offizierslehrgang für den Einmarsch in ihr Land vorbereitet wurden, gründeten deutsche Nazi-Agenten in Iran ein „Nationalkomitee“, das der deutschen Invasion den Boden bereiten sollte. Das Persienprogramm von Radio Zeesen war hierfür zentral: „Die persischen Zuhörer greifen auf die deutsche Kurzwelle als letzte Quelle für deutsche Nachrichten zurück“, berichtete im Juni 1942 die BBC. „Zwar wurde das Verbot des öffentlichen Empfangs der Achsensender durchgesetzt. Doch scheint der private Radioempfang noch weit verbreitet zu sein. Dies hat zur Folge, dass immer noch viele Leute davon überzeugt sind, dass die Achsenmächte den Krieg gewinnen werden. Darüber hinaus soll sich Hitler nach wie vor einer großen persönlichen Beliebtheit erfreuen.“[6]

In der Tat! Ein Bericht des deutschen Botschafters in Teheran, Erwin Ettel, von Februar 1941 ist instruktiv:

„Seit Monaten ist die Gesandtschaft von den verschiedensten Seiten darauf hingewiesen worden, dass im ganzen Lande Geistliche auftreten, die zu den Gläubigen von alten geheimnisvollen Weissagungen und Träumen sprechen, die dahin gedeutet werden, dass in der Gestalt Adolf Hitlers der Zwölfte Imam von Gott auf die Welt gesandt worden ist. Es ist völlig ohne Zutun der Gesandtschaft eine mehr und mehr um sich greifende Propaganda entstanden, die in dem Führer und damit in Deutschland den Retter aus aller Not erblickt.“[7]

Derartige Phantasien griff der deutsche Kurzwellensender in seinem iranischsprachigen Programm gern auf. Zufrieden war der deutsche Botschafter Erwin Ettel damit aber noch nicht. Zwar stärkte der Imam-Glaube die Deutschlandliebe vieler Iraner, doch zum Hass auf Juden trug er wenig bei. Darauf aber kam es Ettel an.

Religiöser Judenhass als Türöffner

Dem deutschen Botschafter war klar, dass man mit der rassistische Hetze gegen Juden, wie sie in Deutschland üblich war, in Iran keine Anhänger finden würde. „Für die Rassenerkenntnis fehlt der breiten Masse der Sinn“, heißt es in einem Botschaftsmemorandum von 1941. Also wählte man einen anderen Zugang, um den Antisemitismus zu popularisieren.

Man müsse „allen Nachdruck auf die religiöse Motivierung unserer Propaganda in der islamischen Welt (legen). Nur sie gewinnt uns die Orientalen“, heißt es weiter in diesem Papier. Wie aber konnte ausgerechnet Nazideutschland religiöse Propaganda entfalten? Der Kulturreferent der Botschaft wusste Rat. „Das unmittelbare Anschlussglied an die schiitischen Vorstellungen bildet die Behandlung der Judenfrage, die der Mohammedaner als eine religiöse empfindet und die eben darum auch den Nationalsozialismus ihm religiös nahe bringt.“[8] Der religiös vermittelte Hass auf Juden galt somit als der Türoffner zur schiitischen Glaubensrichtung, wie zugleich die Religion als das natürliche Medium für die Propagierung von Judenhass galt.

„Ein Weg, um diese [antijüdische] Entwicklung zu fördern, wäre das klare Herausarbeiten des Kampfes Mohammed gegen die Juden in alter und den des Führers in jüngster Zeit“, empfahl jener Kulturreferent dem Auswärtigen Amt. „Verbindet man hiermit eine Gleichsetzung von Briten und Juden, so wird eine außerordentlich wirksame antienglische Propaganda in das schiitische iranische Volk getragen.“[9]

Ettel schlug auch gleich die passenden Zitate vor: Einerseits Vers 5,85 des Koran: „Wahrlich du wirst finden, dass unter allen Menschen die Juden … den Gläubigen am meisten feind sind“, andererseits der Schlusssatz des 2. Kapitels aus „Mein Kampf“: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“ Wenn es gelänge, so Ettel, „die Geistlichkeit des Landes in größerem Maße unter den Einfluss der deutschen Propaganda zu bringen, so wird hierdurch die Masse des Volkes in ihrer vollen Breite erfasst werden können.“[10]

Ettels Vorschlag zeigt, dass die Nazis mithilfe der Religion eben das zu erreichen suchten, was mit mithilfe des Rassismus in Iran nicht zu erreichen war: Die Konstruktion eines unversöhnlichen Widerspruchs gegenüber Juden. Als wichtigste Multiplikatoren wurden die konservativen schiitischen Geistlichen ausgemacht. Im ersten Schritt ging es darum, bei ihnen den alten religiösen Antijudaismus über die Anknüpfungspunkte „Mohammed“ und „Koran“ neu zu beleben. Im zweiten Schritt sollte dieser Antijudaismus mit den Elementen der europäischen Verschwörungstheorie angereichert und radikalisiert werden, um beispielsweise Großbritannien als eine von Juden gelenkte Macht an den Pranger stellen zu können.

Während aber London im iranischen Massenbewusstsein ohnehin verhasst war, war ein anderer Kriegsgegner, die USA, unter Iranern weithin beliebt. So kam es, dass man ab dem Spätsommer 1942 den Kommentaren von Radio Zeesen einen guten Schuss Antiamerikanismus hinzuzufügen begann. Jetzt betonte der Sender, „dass die jüdische Machtpolitik im Nahen Osten von den Amerikanern durchgeführt wird.“ Dieser Zusammenhang werde, so Botschafter Ettel, „laufend zur Intensivierung unserer anti-amerikanischen Propaganda in Iran ausgenutzt.“[11]

In die gleiche Richtung zielte die Aufforderung des ehemaligen irakischen Gesandten Fritz Grobba vom 2. Juli 1942. „Es ist noch stärker als bisher herauszustellen, dass die Amerikaner als die Schrittmacher der Juden im amerikanischen Raum auftreten. Jeder Amerikaner kommt eigentlich im Auftrag der Juden nach dem Orient. Er ist von den Juden dorthin geschickt, auch wenn er es selbst gar nicht weiß. Die Juden sind die Drahtzieher der Amerikaner.“[12]

Einer der regelmäßigen Hörer des deutschen Senders wurde später weltbekannt: Ruhollah Khomeini. Als Khomeini im Winter 1938 im Alter von 36 Jahren aus dem Irak in das iranische Qum zurückkehrte, hatte er, seinem Biographen Amir Taheri zufolge „einen von der britischen Firma Pye gebauten Radioempfänger dabei, den er von indischen Pilgern gekauft hatte. Dieses Radio erwies sich als eine gute Investition … und verschaffte ihm ein gewisses Prestige. Viele Mullahs und Religionsschüler versammelten sich an den Abenden in seinem Haus, um sich – häufig von der Terrasse aus − die Sendungen von Radio Berlin [= Radio Zeesen] und von der BBC anzuhören.“[13]

Khomeinis Antisemitismus

Die Erforschung der Arbeit und der Folgewirkungen der persischsprachigen Nazi-Propaganda hat gerade erst begonnen. Als ich mich 2005 mit Dr. Angar Diller, dem damaligen Leiter der historischen Abteilung des Rundfunkarchivs in Wiesbaden über die Orient-Redaktion von Radio Zeesen unterhielt, winkte dieser noch ab. Über deren Arbeit sei beim besten Willen kein Material zu bekommen.

Ein Jahr später stieß ich im Berliner Bundesarchiv auf mehr als 6.000 noch existierende Manuskriptseiten eben jener Orientredaktion. Doch sind hier lediglich die Sendungen zwischen dem 8. Januar 1940 und dem 31. August 1941 erfasst.

2008 machte Prof. Jeffrey Herf im amerikanischen National Archive den bislang wertvollsten Fund: Er fand die englischen Transkripte sämtlicher arabischer Sendungen, die Radio Zeesen zwischen dem 13. September 1941 und dem 8. Februar 1945 nach Ägypten ausgestrahlt hatte. Alexander C. Kirk, der damalige amerikanische Botschafter in Ägypten, hatte sie aufzeichnen und übersetzen lassen.[14]

Weitere Entdeckungen dieser Art sowie Studien zur Rezeption und Langzeitwirkung der Nazi-Propaganda dürften auch für Iran zu erwarten sein. Wenn auch unsere Kenntnisse noch lückenhaft sind, so ist doch die Vermutung plausibel, dass die Radiopropaganda der Nazis das Judenbild in Iran in zweierlei Hinsicht verändert hat.

Erstens radikalisierte Radio Zeesen bei einem Teil der iranischen Geistlichen den Judenhass, indem es die Judenfeindschaft aus den alten Quellen des Islam mit dem modernen Mythos der jüdischen Weltverschwörung verschmolz. Dieser Same ging zwanzig Jahre später auf: 1963 setzte der damals noch unbekannte Ruhollah Khomeini seine erste große Anti-Schah-Kampagne auf ein antijüdisches Gleis. So ließ er die gegen die Schahpolitik gerichtete Parole „Angriff auf den Islam!“ durch den Schlachtruf „Die Juden und Ausländer wollen den Islam zerstören!“ ersetzen. „Zeigt den Menschen die von Israel und seinen Agenten ausgehenden Gefahren“, rief er damals seine Anhänger auf. „Ruft all die Katastrophen in Erinnerung, die die Juden und Bahais dem Islam zugefügt haben!“[15]

Doch auch Khomeinis wichtigste Schrift, sein 1971 veröffentlichtes Buch „Der islamische Staat“, ist mit antisemitischen Invektiven gespickt. „Die Juden waren es, die als erste mit der antiislamischen Propaganda und mit geistigen Verschwörungen begannen“, heißt es hier. „Und das dauert, wie Sie sehen, bis in die Gegenwart an.“ Unwillkürlich folgte Khomeini hier dem 1942 von Erwin Ettel formulierten Konzept: Übergangslos wird die Mohammed-Geschichte des siebten Jahrhunderts mit der Gegenwart verknüpft.

Gleichzeitig wirft Khomeini den Juden darin vor, „einen jüdischen Weltstaat schaffen“ zu wollen. In den islamischen Texten kommt das Hirngespinst eines „jüdischen Weltstaats“ jedoch nicht vor. Hier hatte sich Khomeini eine Phantasie des europäischen Antisemitismus zu eigen gemacht.[16] Drastischer noch äußerte sich der spätere Revolutionsführer 1977 in einer Rede: „Die Juden haben die Welt mit beiden Händen gepackt und verschlingen sie mit einem unersättlichen Appetit. Sie verschlingen Amerika und haben sich nun dem Iran zugewandt und sind immer noch nicht zufrieden.“[17]

Nach dem Sieg der Revolution von 1979 mäßigte Khomeini seinen Tonfall und passte ihn den koranischen Vorgaben an. Fortan wurden die Juden in Iran, sofern sie ihren untergeordneten Status als Schutzbefohlene oder Dhimmis akzeptierten, geschont. „Wir unterscheiden zwischen Juden und Zionisten“, beschwichtigte der Revolutionsführer im Mai 1979. „Zionismus hat mit Religion nichts zu tun.“[18]

Zweitens war das Radiopropaganda der Nazis von ständig wiederkehrenden Angriffen gegen den Zionismus und das Projekt des Judenstaats geprägt. Auch hieran knüpfte Khomeini 1963 an: „Israel möchte den Koran in diesem Land nicht haben“, rief er damals seinen Anhängern zu, „Israel möchte die islamischen Geistlichen in diesem Land nicht haben. Israel möchte die Gesetze des Islam in diesem Land nicht haben.“

Wir müssen diese Ausfälle in ihrem Kontext sehen: Anders als es bei der arabischen Welt der Fall ist, gab oder gibt es zwischen Israel und Iran weder einen Krieg noch Grenzstreitigkeiten oder ein Flüchtlingsproblem. Mehr noch: In Persien blicken Juden und Nicht-Juden auf zweieinhalbtausend Jahre des Zusammenlebens zurück. Während das Verhältnis Teherans zur arabischen Welt seit der islamischen Eroberung, also seit Hunderten von Jahren, angespannt ist, waren die Beziehungen zwischen Iran und Israel seit 1948 gut und von den Führern der iranischen Schiiten akzeptiert.

Demgegenüber war Khomeinis Hass auf Israel antisemitisch motiviert. Er war weniger über die konkrete Ausgestaltung der iranisch-israelischen Zusammenarbeit empört, als über den Tatbestand selbst: „Der Schah erkannte eine Regierung von Ungläubigen an – obendrein von Juden und beleidigte damit den Islam, den Koran, die muslimischen Regierungen und alle Muslime.“[19]

Antisemitisch motiviert war auch die Fatwa, die er nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 erließ. Es sei die „Pflicht“ aller Muslime, bestimmte er darin, „den ungläubigen und unmenschlichen Zionismus zu vernichten. Darüber hinaus sei Israel umfassend zu boykottieren. „Die gesamte islamische Nation möge wissen, dass ein Abweichler … als Feind wider den Islam und die Muslime betrachtet wird.“[20] Ahmadinejad griff diesen Fluch später auf: „Wenn jemand … dazu kommt, das zionistische Regime anzuerkennen, sollte er wissen, dass er im Feuer der islamischen Gemeinschaft verbrennen wird.“[21]

Von Khomeini zu Ahmadinejad

In der öffentlichen Diskussion wird zuweilen bestritten, dass Ahmadinejad antisemitisch argumentiert, weil bei ihm nicht von „Juden“, sondern von „Zionisten“ die Rede ist. Tatsächlich aber verwendet er den Begriff „Zionist“ so, wie Hitler das Wort „Judas“ benutzte und wie Khomeini von den „Juden“ sprach: als Chiffre für den Urgrund alles Bösen in der Welt.

So bezeichnete er 2006 in seinem Brief an Angela Merkel die Zionisten „als den größten Feind der Menschheit“, der in Europa nicht nur die „Wirtschaft“ und die „Medien“, sondern auch „manche politische Kreise“ beherrsche.[22] Noch drastischer artikulierte er seinen Antisemitismus zwei Jahre später vor den Vereinten Nationen: „Die kleine aber hinterlistige Gruppe von Leuten namens ,Zionisten‘ ... beherrscht in einer tückischen, komplexen und verstohlenen Art und Weise einen wichtigen Teil der finanziellen Zentren sowie der politischen Entscheidungszentren einiger europäischer Länder und der USA“, erklärte er den Delegierten aus aller Welt. „Obwohl sie es nicht wollen, überlassen diese Nationen ihre Würde und ihre Ressourcen den Verbrechen, Besatzungen und Bedrohungen des zionistischen Netzwerks.“ Wer aber Juden für die Übel dieser Erde verantwortlich macht – ob als „Judas“ oder als „Zionist“ – ist Antisemit.

In dieser Hinsicht knüpft der iranische Präsident an Khomeini an. Im Unterschied zu Khomeini bereitet Ahmadinejad die angekündigte Konfrontation jedoch auch systematisch vor. Während Khomeini sich noch darauf beschränkte, das Feindbild „Jude“ von den Nazis zu kopieren, propagiert Ahmadinejad die aus diesem Feindbild abgeleite Utopie: Erst nach der Vernichtung des Staates Israel würden Freiheit und Frieden möglich sein. Die Nazis hatten ähnlich argumentiert.

„Dieser Krieg wird mit einer antisemitischen Weltrevolution und mit der Auslöschung der Juden überall in der Welt enden. Beides wird die Voraussetzung für immerwährenden Frieden sein“, hieß es beispielsweise in einer NSDAP-Direktive von Mai 1943.[23] Ahmadinejad hat diesen Gedanken zu neuem Leben erweckt: „Das Zionistische Regime wird ausgelöscht und die Menschheit befreit sein“, versprach er 2006 den Teilnehmern einer Holocaustleugner-Konferenz in Teheran. „Wenn Frieden weltweit die Oberhand gewinnt, werden die Völker der Welt den Zionismus ausmerzen.“[24] „Auslöschen“, um frei zu sein, „ausmerzen“, um Frieden zu sichern – eben diese perverse Phantasie machte den Kern des nationalsozialistischen Erlösungsantisemitismus“ (Saul Friedländer) aus.

Es ist die Kombination von genozidaler Utopie mit hochentwickelter Atom- und Raketentechnik, die den iranischen Antisemitismus so außerordentlich gefährlich macht.

Das Scheuklappensyndrom

„Wenn wir den ideologischen Wurzeln des radikalen Islam nicht entgegentreten, wird es unmöglich sein, ihn zu besiegen“, warnte unlängst Tawfik Hamid, ein ehemaliges Mitglied der islamistischen Organisation Jamaa Islamiya.[25] Den ideologischen Wurzeln entgegenzutreten setzt voraus, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Hiervon kann jedoch in Deutschland im Fall von „Radio Zeesen“ keine Rede sein. Seit spätestens 2004 ist der mögliche Nexus zwischen der Propaganda von Radio Zeesen und dem gegenwärtigen Antisemitismus in islamischen Gesellschaften bekannt.[26] Gleichwohl hat sich seither weder das „Zentrum Moderner Orient“ noch das „Zentrum für Antisemitismusforschung“ (ZfA) oder irgend eine andere Forschungseinrichtung hierfür interessiert. Der Antisemitismus, schreibt 2009 die ZfA-Mitarbeiterin Juliane Wetzel, sei „von Missionaren und Kolonialmächten in die arabische Welt getragen worden“. Den Nazi-Einfluss erwähnt sie nicht.[27]

Diese Ignoranz ist in gewisser Weise verständlich. Radio Zeesen passt nicht in den gängigen Diskurs, wonach der Antisemitismus in den arabischen Ländern und Iran hauptsächlich auf den Nahostkonflikt zurückzuführen sei. „Ohne den Nahostkonflikt gäbe es den islamistischen Antisemitismus in dieser Form gar nicht“, hat beispielsweise der Islamwissenschaftler Navid Kermani erklärt.[28]

Aus diesem Paradigma leiten viele Beobachter mildernde Umstände für den arabischen Antisemitismus ab, der „im Unterschied zum europäischen Antisemitismus ,immerhin’ auf eine tatsächliche Problematik, nämlich die Marginalisierung der Palästinenser“ beruhe, wie der Islamforscher Jochen Müller schreibt. „Hier unterscheidet sich die Motivlage deutlich von jener [Motivlage] des Antisemitismus, [die] ... auf keinem wie auch immer gearteten realen Konflikt mit Juden basiert“, stimmt ihm Juliane Wetzel zu.[29] Die unausgesprochene Schlussfolgerung dieser Gedankenkette liegt auf der Hand: Am Antisemitismus hat in dieser Region auch Israel schuld. Wolle man ihm entgegentreten, müsse man zuvörderst den „realen Konflikt mit Juden“ lösen.

Wer demgegenüber die Einflussnahme des Nationalsozialismus in dieser Region ohne Scheuklappen in den Blick nimmt, kommt zu anderen Fragestellungen und zu einem anderen Schluss. Gewiss wird der Antisemitismus in der Region durch Zuspitzungen im Nahostkonflikt verstärkt. Doch könnte es nicht sein, dass ein zumindest teilweise auch von Nazideutschland exportierter Antisemitismus jene besagten Zuspitzungen ursächlich ausgelöst hat?

Wer die mögliche Wirkung von Radio Zeesen mit in Rechnung stellt, wird für den Antisemitismus jener Region keine mildernden Umstände ableiten, sondern die Lehre ziehen, die die Geschichte nahe legt: Dass dem antisemitischen Wort auch im Nahen Osten der Mord nachzufolgen droht. Er wird zu der Erkenntnis gelangen, dass, wer den Nahostkonflikt wirklich lösen will, dem Antisemitismus mit allen verfügbaren Mitteln entgegentreten muss.

Und zwar schnell. Denn heute, 70 Jahre später, wird man keine Fotos von Menschenmassen vor öffentlichen Radios mehr sehen. Heute wird der Antisemitismus dem Ohr und dem Auge zugeführt: Das Satellitenfernsehen bringt die Hassbotschaften aus Teheran, Beirut oder Gaza-Stadt tagtäglich in die Wohn- und Kinderzimmer der muslimischen Familien – auch bei uns. Die Wellen des Hasses, die Nazi-Deutschland einst in alle Welt zu streuen suchte, sie werden heute von Teheran aus über den Globus geschickt.

Veröffentlicht in: „Tribüne“, 49. Jahrgang, Heft 196, 4. Quartal 2010, S. 146-152.
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[1] Amir Cheheltan, Von der Differenz zwischen Gott und Teufel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Juli 2010.

[2] Jeffrey Herf, Nazi Propaganda For The Arab World, New Haven (Yale University Press) 2009.

[3] Reader Bullard, Letters from Tehran, London/New York 1991, S. 28.

[4] Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PAAA), R 60690, Orient. Juden um Roosevelt, Deutsche Gesandtschaft Teheran an das AA Berlin, Teheran den 2. Februar 1941: Propagandistische Möglichkeiten unter der iranischen Bevölkerung im Hinblick auf die religiösen Erwartungen der Schiiten, S. 5.

[5] Iran bedeutet “Land der Arier” – allerdings haben Iraner und Deutsche den Begriffs des „Ariers“ unterschiedlich definiert: In Teheran schloss die Vorstellung der „arischen Nation“ die Juden und Christen mit ein, während man den deutschen Arierbegriff antisemitisch definierte – als Gegenbegriff zum „Semiten“. Vgl. M. Küntzel, Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft, Berlin 2009, S. 48ff.

[6] National Archive, Washington D.C., William S. Farrell (Bagdad) to Louis G. Dreyfus Jr. (Tehran), September 13, 1942. Excerpts of: The Arab World, Iran, Turkey, Bi-Monthly Service Report of the Near East Department of the British Broadcasting Corporation, June 18, 1942, in: RG 84, Foreign Service Posts of the Department of State, Tehran Embassy General Records. 1942: 820.2-851, Box 53.

[7] PAAA, R 60690, a.a.O., S. 2.

[8] PAAA, R 60690, Orient. Juden um Roosevelt , 10. Januar 1942, Aufzeichnung des ehemaligen Kulturreferenten der Deutschen Gesandtschaft in Teheran: Erfahrungen aus der deutschen Propagandaarbeit in Iran vom November 1939 bis September 1941, S.2..

[9] PAAA, R 60690, Aufzeichnung des ehemaligen Kulturreferenten , a.a.O., S. 2

[10] PAAA, R 60690, Propagandistische Möglichkeiten unter der iranischen Bevölkerung , a.a.O., S. 3.

[11] PAAA, R 27329, Handakten Ettel Iran 42−43, Gesandter Ettel an Dr. Megerle, 21. Dezember 1942.

[12] PAAA, R 60690, Orient. Juden um Roosevelt , Aufzeichnung Gesandter Dr. F. Grobba, Berlin 2. Juli 1942.

[13] Amir Taheri, The Spirit of Allah, Bethesda, 1986, S. 99 f.

[14] Vierzehn der von Herf entdeckten Dokumente wurden mittlerweile ins Deutsche übersetzte. Vgl. Jeffrey Herf, Hitlers Dschihad. Nationalsozialistische Rundfunkpropaganda für Nordafrika und den Nahen Osten, in: Vierteljahreszeitschrift für Zeitgeschichte 2/2010, S. 259-286.

[15] Taheri, a.a.O., S. 131.

[16] Ajatollah Chomeini, Der islamische Staat, Berlin 1983, S. 15 und S. 146.

[17] The Institute for the Compilation and Publication of the Works of Imam Khomeini, Kauthar – Vol. I. An anthology of the speeches of Imam Khomeini (s.a.), Teheran 1995, Seite 370.

[18] David Menshri, The Jews of Iran, in: Sander L. Gilman und Steven T. Katz (Hgs.), Antisemitism in Times of Crisis, New York 1991, S. 354.

[19] Ruhollah Khomeini, Ansprache vom 19. Februar 1978, zit. nach Hamid Algar (Hg.), Islam und Revolution, Berkeley 1981, S. 214.

[20] Karl-Heinrich Göbel, Moderne Schiitische Politik und Staatsidee, Opladen 1984, S. 202 f.

[21] Middle East Media Research Institute (MEMRI), Special Dispatch, 2. November 2005.

[22] Zwei große Nationen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. September 2006.

[23] Jeffrey Herf, The Jewish Enemy. Nazi Propaganda During World War II And The Holocaust, Cambridge USA, 2006, S. 209.

[24] Yigal Carmon, The Role of Holocaust Denial in the ideology and Strategy of the Iranian Regime, Middle East Media Research Institute (MEMRI), Inquiry and Analysis Series, Nr. 307, 15. Dezember 2006 sowie Y. Mansharof und A. Savyon, Escalation in the Positions of Iranian President Mahmoud Ahmadinejad – A Special Report, in: MEMRI, Inquiry & Analysis – Iran, Nr. 389, 17. September 2007, S. 1 f.

[25] Tawfik Hamid, The Trouble With Islam, in: Wall Street Journal, 3. April 2007.

[26] In diesem Jahr veröffentlichte der Suhrkamp-Verlag meinen Aufsatz „Von Zeesen bis Beirut. Nationalsozialismus und Antisemitismus in der arabischen Welt“, in: Rabinovici, Speck und Szneider, Neuer Antisemitismus?, Frankfurt 2004, S. 271-293.

[27] Juliane Wetzel, Judenfeindschaft unter Muslimen in Europa, in: Wolfgang Benz (Hg.), Islamfeindschaft und ihr Kontext, Berlin 2009, S. 52.

[28] „Der islamische Antijudaismus ist neu – und gefährlich“, sagt Herrkermani, in: Tageszeitung (taz), 26. November 2003.

[29] Jochen Müller, Wessen Geistes Kind? Arabischer Nationalismus, Islamismus und Antisemitismus im Mittleren Osten, in: kommune, Heft 2/3, 2003, sowie Juliane Wetzel, a.a.O., S. 54.