Verheerendes Signal

Auszug aus der Laudatio anlässlich der Verleihung des Ehrenpreises 2014 der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Aachen e.V. am 20. November 2014 an die Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann

Von Matthias Küntzel

Hamburg, den 24. November 2014

(...) Auf dem Höhepunkt des Gaza-Kriegs – die israelische Bodenoffensive war bereits angelaufen – besuchte Gitta Connemann Israel, um, wie sie sagte, „ein Zeichen der Solidarität“ und „ein Zeichen gegen Antisemitismus“ zu setzen.

Nach dieser Reise ließ sie sich auch durch hasserfüllte Emails, in denen man sie als „Judenhure“ beschimpfte, nicht einschüchtern, sondern trat weiterhin für Israels Recht auf Selbstverteidigung ein.

Sie enthüllte in einem Interview, dass die Hamas EU-Mittel in dreistelliger Millionenhöhe für den Bau ihrer Tunnel missbrauchte – eine Information, für die sich auffälliger Weise niemand interessierte. Und sie stellte darin klar, dass auch der Tod von Kindern in einer UN-Schule in Gaza auf das Konto der Hamas geht, da die Hamas diese UN-Schule in ein Militärdepot verwandelt und bei ihren Angriffen Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht hatte.

Gitta Connemann hat sich schon allein durch diese couragierte Haltung den heutigen Preis verdient. Ihre Leistung besteht nicht darin, die Wahrheit gesagt zu haben. Hätte sie dieselben Worte in den USA formuliert, wäre das kaum weiter aufgefallen, weil man dort über Israel anders spricht. Sondern ihre Leistung besteht darin, diese Wahrheit in Deutschland ausgesprochen zu haben.

Wir alle wissen: Wer sich hierzulande auf die Seite Israels stellt, muss mit Unmut und Hassausbrüchen rechnen und muss – so eine Formulierung der „Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ – sein Gesicht hart wie einen Kieselstein machen, um den Widerständen standhalten zu können.
Dies ist angesichts der Tatsache, dass es hierzulande bereits vor 80 Jahren eines besonderen Mutes bedurfte, um mit Juden solidarisch zu sein, bemerkenswert.

Gitta Connemann verhielt sich vorbildlich, weil sie der deutschen Stimmungslage in Sachen Israel trotzte, weil sie sich vom Anti-Israelismus nicht einschüchtern ließ.

„Wie gehen wir damit um, wenn in Umfragen eine deutliche Mehrheit der Befragten sagt, die größere Bedrohung für die Welt gehe von Israel aus?“, hatte die Bundeskanzlerin in ihrer berühmten Knesset-Rede von 2008 gefragt. „Schrecken wir Politiker dann aus Furcht vor dieser öffentlichen Meinung zurück?“ „Nein!“, fuhr Angela Merkel fort. „Wie unbequem es auch sein mag, genau das dürfen wir nicht. Denn täten wir das, dann hätten wir weder unsere historische Verantwortung verstanden noch ein Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit entwickelt.“

Leider war von diesem Imperativ der Kanzlerin im Sommer 2014 wenig zu spüren. Gitta Connemann war die Ausnahme, weil sie vor der öffentlichen Meinung auch in ihrem Wahlkreis nicht zurückschreckte, weil sie dem Opportunismus eine Absage erteilte, weil sie aussprach, was gesagt werden muss – dass Israel seine Existenz verteidigt und hierbei unsere Unterstützung verdient.
Ist dieses Verhalten nicht ein hervorragender Grund, ihr heute den Aachen-Preis 2014 zu verleihen?

Doch es kommt noch etwas anderes, etwas Unheimliches, etwas noch nicht Ausgestandenes hinzu: Ich meine die demonstrative Abstrafung unserer Preisträgerin durch den DGB.

Der DGB aus Oldenburg/Ostfriesland hatte Gitta Connemann als Hauptrednerin einer Kundgebung zum Antikriegstag am 7. September auf dem Gelände der Gedenkstätte des KZ Esterwegen engagiert. Warum hatte der DGB gerade sie als Hauptrednerin eingeladen? Weil sie sich, so die offizielle Begründung, „gegen den Antisemitismus einsetzt.“ Vier Wochen vor dieser Veranstaltung wurde Gitta Connemann überraschend wieder ausgeladen. „Ihre einseitige Stellungnahme zum Krieg in Israel“, heißt es in der Begründung, „widerspricht unseren DGB-Grundsätzen.“

Die Begründung dieser Ausladung ist absurd. Es besteht kein Zweifel, dass, wer sich gegen den Antisemitismus einsetzt, unglaubwürdig wird, wenn er nicht auch gegen den antisemitischen Krieg Stellung nimmt, den die Hamas gegen Israel und die Juden führt.

Gitta Connemann setzte sich gegen ihre Ausladung durch den DGB – diesen Angriff nicht nur auf ihre Person, sondern auch auf die Meinungsfreiheit und auf Israel – zur Wehr. So kam es, dass über ihre Ausladung bundesweit – von der BILD bis zur FAZ – berichtet wurde; so kam es, dass auch ich an meinem Schreibtisch davon erfuhr.

Gewiss, es gab Protesterklärungen von Ulf Thiele, dem Generalsekretär der niedersächsischen CDU, von Reinhold Robbe, dem DIG-Präsidenten, von vielen Mitgliedern des DGB. Und wenn sich auch die Bundeskanzlerin zum konkreten Fall nicht äußerte, bezeichnete sie doch am 14. September, anlässlich der Berliner Kundgebung gegen Antisemitismus, nicht nur die Angriffe auf Juden als „ungeheuren Skandal“, sondern gleichermaßen auch die Pöbeleien und Angriffe auf Menschen, „die für den Staat Israel Partei ergreifen.“ Doch das war es bereits.

Von einer wirklichen Solidarität mit Gitta Connemann, der Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, von einer erkennbaren Bemühung aus Politik und Gesellschaft, diese skandalöse Ausladung rückgängig zu machen, konnte keine Rede sein.

So, wie es diesen Sommer opportun war, zu schweigen, wenn Israel zu Unrecht kritisiert wurde, so war es diesen Sommer opportun, zu schweigen, wenn die Bundestagsabgeordnete Connemannn zu Unrecht ausgeladen und beleidigt wurde. Toleranz hingegen zeigte man mit jenen, die die Meinungsfreiheit, sofern es um Israel geht, aufs Spiel setzen – ein schlimmes, ein verheerendes Signal!

Wenn Gitta Connemann heute den Ehrenpreis 2014 erhält, dann auch deshalb, um ein Zeichen gegen diesen allgegenwärtigen Mangel an Haltung zu setzen, um gegen das schreiende Unrecht dieser Ausladung zu protestieren.

Es geht nicht nur darum, dass unter vielen anderen Stimmen auch die Stimme der Parteinahme für das Selbstverteidigungsrecht Israels Gehör finden kann. Es geht darum, dass angesichts der zugespitzten Lage in der Welt – der Vormarsch der radikalen Islamisten von Isis, Hamas, oder Boko Haram und ein Iran, der gar an der Schwelle zur Atommacht steht – die Parteinahme für die israelische Demokratie und den israelischen Rechtsstaat nichts Beliebiges ist, sondern eine Notwendigkeit, um die Offensive des radikalen Islamismus, der alle liberalen Demokratien zu Todfeinden erklärt und bedroht, zu stoppen.

Das Problem liegt darin, dass diejenigen, die unverbindlich über „Gewaltspirale“ und „gleiche Verantwortung auf beiden Seiten“ reden, von diesem Konflikt wenig wissen und wenig wissen wollen, wie man auch in diesen Tagen wieder sieht, wo – wie gestern Abend in den Tagesthemen – weniger das blutige Synagogen-Massaker als vielmehr das angebliche Bedürfnis nach „Rache“ seitens der israelischen Regierung an den Pranger gestellt wurde und erneut das scheinbar unstillbare Bedürfnis aufschien, im Terrorismus der Palästinenser hauptsächlich eine Antwort auf israelische Untaten zu sehen, den wilden Antisemitismus der Hamas aber komplett zu ignorieren.

Während aus gesichertem Wissen eine klare Haltung erwächst, haben Unwissen und aktive Ignoranz Haltlosigkeit zur Folge – eben den Zustand, den wir gerade erleben.

Woher die Protestantin Gitte Connemann ihre Willensstärke und Energie beim Thema Israel nimmt, weiß ich nicht; vielleicht wird sie uns davon erzählen. Eine der Quellen dieser Energie scheint mir aber ihre Auseinandersetzung mit der Shoah zu sein: Ich sah eine Video-Aufzeichnung, in der sie über Erna de Vries sprach, eine Auschwitz-Überlebende, die heute in ihrem Wahlkreis, im emsländischen Lathen, lebt. Mir fiel auf, wie Gitte Connemann darüber sprach: ohne Betroffenheitspathos, unsentimental und sachlich – jedoch fordernd, Erwartungen formulierend, Verantwortung einklagend. Sie spricht, auch wenn es um den Antisemitismus geht, Klartext. Es ist selten, dass jemand das Plenum des Bundestages mit der Realität des Judenhasses in Deutschland konfrontiert und Slogans wie: Ihr tut unserer Ehre weh, unsere Antwort Zyklon B oder Der Rabbi, dieses alte Schwein, der kommt dann in den Ofen rein zitiert. Gitta Connemann hat dies – angewidert, wie sie sagte – getan.

Ich halte auch diesen Umgang mit dem Holocaust und den Punkten an denen sich Vergangenheit und Gegenwart berühren für vorbildlich und gratuliere der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Aachen e.V. zu ihrer Initiative, den diesjährigen Ehrenpreis 2014 an Gitta Connemann zu verleihen.