Tauziehen im Teheraner Tollhaus

Wird Ahmadinejad den jüngsten Machtkampf überleben?

Von Matthias Küntzel

Hamburg, den 8. Mai 2011

Letzte Woche ließ Revolutionsführer Ali Khamenei 25 Personen verhaften. Nichts Neues, könnte man meinen, doch dieser Eindruck täuscht. Diesmal wurden Funktionäre inhaftiert, die Ahmadinejad und seinem ehemaligen Stabschef und Freund Esfandiar Rahim Mashai besonders nahestehen. Zu den Festgenommenen gehören Abbas Ghaffari, ein Vertrauter Ahmadinejads, Abbas Amirifar, der Vorsitzende des Kulturkomitees der iranischen Regierung sowie Journalisten, die in der von Mashai gegründeten Zeitschrift Haft-e-Sobh publizieren.[1]

Khamenei und Ahmadinejad sind sich einig, dass Israel von der Landkarte radiert, Amerika zum Teufel gejagt, das Atom- und Raketenprogramm vorangetrieben und die grüne Bewegung unterjocht werden soll. Warum also fällt der Revolutionsführer plötzlich über Mitarbeiter seines Präsidenten her?

Die offiziellen Verlautbarungen werfen den Inhaftierten Okkultismus und Aberglaube vor. Konkret geht es um den Glauben an den Zwölften Imam, jenen direkten Nachkömmling des Propheten Mohammed, der im Jahre 874 als Kind verschwand und – dem Mythos zufolge – als Mahdi und Messias zurückkehren wird, um die Welt zu befreien.

Während die Hoffnung auf die Wiederkehr jener Messias-Figur zu den Kennzeichen der schiitischen Religion gehört, behaupten Ahmadinejad und Mashai, das Rezept zu kennen, um jene Wiederkehr zu beschleunigen. Mehr noch: Sie suggerieren, in einem direkten Kontakt mit jenem Messias zu stehen und spielen sich als dessen Wegbereiter auf.

„Die Wiederankunft steht bevor“ (Zohour Nazdic Ast) heißt beispielsweise der DVD-Film, den sie im März dieses Jahres millionenfach verbreiteten ließen. Hier werden die Aufstände des arabischen Frühling im Stil des Phantasy-Kinos und von bombastischen Soundtracks begleitet als ein Fanal für die bevorstehende Ankunft des Zwölften Imam und der damit einhergehenden Zerstörung Israels gefeiert. In nur 72 Monate, verspricht diese DVD, wird der Messias kommen.

Einer Wikileaks-Enthüllung zufolge soll Rahim Mashai die Quelle von Ahmadinejads Mahdi-Tick sein. In Teheran kursieren zahlreiche Anekdoten über Mashais Glaube an den Zwölften Imam, behauptet ein amerikanischer Geheimdienstbericht von Anfang 2010. So soll „Ahmadinejads Ergebenheit gegenüber Mashai auf dem Glauben basieren, dass Mashai tatsächlich im direkten Kontakt mit dem Zwölften Imam steht.

Diesen Gerüchten zufolge versinkt Mashai gelegentlich in einen Trance-ähnlichen Zustand, um mit dem Zwölften Imam zu kommunizieren. Manchmal würde er auch aus heiterem Himmel ,Hallo‘ sagen, obwohl kein Mensch zugegen ist und hinterher erklärten, dass der Zwölfte Imam soeben vorübergegangen sei.“ In manchen Berichten wird „das Verhältnis zwischen Ahmadinejad und Mashai mit dem Verhältnis zwischen einem ,Schüler und einem mystischen Meister‘ verglichen.“[2]

Über diese Profanisierung der Heiligenfigur hat sich der größere Teil der iranischen Geistlichkeit zwar seit langem empört. Revolutionsführer Khamenei und Ayatollah Meshab Yazdi, der geistliche Mentor Ahmadinejads, trugen diesen Mahdi-Tick jedoch mit.

Mehr noch: Schon im Vorfeld der Präsidentenwahl von 2009 setzte sich Khamenei mit beispielloser Parteilichkeit für die Wiederwahl Ahmadinejads ein. Als das Wahlergebnis der göttlichen Vorsehung widersprach, hielt Khamenei seinem Kandidaten gleichwohl die Stange und schlug mit mörderischer Brutalität den millionenfachen Protest gegen die Wahlfälschung nieder. Okkultismus und Aberglaube kann somit der wahre Grund der jüngsten Verhaftungswelle nicht sein.

Weitaus wichtiger scheint der Machtkampf um die Position des Geheimdienstministers Heidar Moslehi zu sein. Moslehi ist ein Hardliner, der für die blutige Repression der letzten Monate Verantwortung trägt. Nach einem Streit über Personalbesetzungen entfernte ihn Ahmadinejad am 17. April gleichwohl von seinem Amt.

Meir Javedanfar, einer der profiliertesten Irankenner, sieht zwischen dieser Entscheidung und den in 2012 und 2013 bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen einen Zusammenhang. Da Ahmadinejad nach zwei Amtsperioden in 2013 nicht mehr antreten kann, bereitet er jetzt schon die Kandidatur seines Freundes Mashai vor und erklärte seine Bereitschaft, in einer künftigen Mashai-Regierung als Vizepräsident mit dabei zu sein.[3]

In Iran aber hängen „Wahlergebnisse“ maßgeblich von der Kontrolle über Geheimdienste ab. Man sah dies im Wahlkampf 2009, als Ahmadinejad Geheimdienstmaterial über seinen Konkurrenten Moussavi missbrauchte, um ihn bloßzustellen. Für derartige Zwecke scheint Heidar Maslehi, der Geheimdienstminister, nicht „zuverlässig“ genug zu sein. Er stand den Zukunftsplänen Mashais und Ahmadinejads im Weg und sollte gehen.

Hiergegen legte Ali Khamenei, der bislang alle Extravaganzen Ahmadeinejads hatte durchgehen lassen, sein Veto ein. Er verordnete die Wiedereinstellung von Moslehi und verband dies mit der Warnung, dass er, solange er lebe, „keinen Jota Abweichung“ dulde.[4] Zusätzlich wurde die Wiedereinsetzung Moslehis von 216 der 260 Mitglieder des iranischen Scheinparlaments unterstützt.[5]

Ahmadinejad reagierte hierauf wie ein trotziges Kind. Er bestreikte 11 Tage lang die Kabinettssitzungen, bei denen Maslehi anwesend war. Am 1. Mai war er erstmals wieder bei einer Kabinettssitzung dabei, Maslehi jedoch nicht. Scheinbar geht es Ahmadinejad bei dieser Personalie um alles oder nichts: Falls seine Kontrolle über den Geheimdienst endet, hätte Rahim Mashai als sein Nachfolger keine Chance. Dies würde bedeuten, dass auch Ahmadinejads Karriere in Kürze schon beendet wäre. Wie aber soll der ausersehene Herold des Zwölften Imam, für den Ahmadinejad sich weiter hält, solch Ende ertragen?

Nach Einschätzung von Hooshang Amirahmadi, dem Präsident des American Iranian Council, initiiert das Regime mit dieser Auseinandersetzung eine Scheindebatte, um bei den bevorstehenden „Wahlen“ angesichts der Ereignisse von 2009 überhaupt noch Wähler zu mobilisieren.[6] Dies klingt plausibel, repräsentiert Mashai doch nicht nur die apokalyptische, sondern auch die nationalistische Idee.

So bejubelt er in offenem Widerspruch zu den Glaubenssätzen Khomeinis die vorislamische Epoche des Iran und schwärmt von einem „iranischen Islam“, der allen anderen Formen des Islam überlegen sei. So lassen Ahmadinejad und Mashai auch die iranischen Nazis – die „Freunde des Dritten Reiches und Adolf Hitlers“, wie sie sich auf ihrer Webseite „hitler.ir“ nennen – frei gewähren und für ihren „Adolf-Hitler-Verein“ und ihre „arische“ Verbundenheit mit Deutschland werben.[7]

Die religiöse Elite des Iran ist aber nicht nur über den Imam-Kult, sondern ebenso über jenen Nationalismus erzürnt. Gleichzeitig ist diese Geistlichkeit bei immer größeren Teilen der Bevölkerung verhasst. Mit seinen Neuerungen und seinem gelegentlichen Spott über die Propheten („Der Prophet Noah lebte 950 Jahre und sorgte dennoch nicht für Gerechtigkeit“) kann Rahim Mashai auf Zuspruch spekulieren. Somit stellt sein Standpunkt eine ernsthafte ideologische Alternative dar.

Die These von der Scheindebatte und dem abgekarteten Spiel unterstellt jedoch, dass die Akteure von sich selbst anders denken, als sie reden – bei Ahmadinejad und Khameini ist dies aber nicht der Fall. Es scheint sich stattdessen um einen Kampf zu handeln, bei dem ein Kompromiss kaum möglich ist: Hier der von seiner „Unfehlbarkeit“ überzeugte Stellvertreter Allahs auf Erden, dort der erleuchtete Sendbote des 12. Imam. Der Himmel kämpft mit sich selbst.

Ob die auf Erden daraus Nutzen ziehen, wird sich zeigen. Während sich die grüne Bewegung politisch von der seit Februar 2011 praktizierten Hausarrest-Verhaftung ihrer Galionsfiguren Mehdi Karroubi und Mir-Hossein Moussavi bislang kaum hat erholen können, verschärft sich die Wirtschaftskrise Tag für Tag: Die Nahrungsmittelpreise stiegen innerhalb des letzten Jahres um 25 Prozent, die Preise für Eier und Brot um 50 Prozent und für Benzin um mehr als 400 Prozent. Die offizielle Inflationsrate liegt bei mehr als 12 Prozent, während das Durchschnittsgehalt in Höhe von monatlich 45 Euro gleich geblieben ist.[8]

Die sich täglich verschärfenden Krisenerscheinungen tragen vermutlich dazu bei, dass sich die Elite heute eher um die „bewährte“ Institution des Revolutionsführers scharen wird, als um das Gespann Ahmadinejad/Mashai. Haben sich der Präsident und sein Kumpan also verhoben?

Auszuschließen ist das nicht. So ergriff die den Revolutionsgarden nahestehende Website sobhesadegh.ir überraschend eindeutig Partei: Moslehis Wiedereinsetzung in sein Amt sei „der erste Schritt, um den gefährlichen Einfluss dieser Bande [Mashais Team] zu beschneiden.“[9]

„Heute ist Mashai der eigentliche Präsident“ erklärte am 30. April nicht minder unverfroren Majtaba Zolnour, Khameinis Stellvertreter bei den Revolutionären Garden. „Herr Ahmadinejad klammert sich mit seiner Abhängigkeit von Mashai an ein morsches Tau.“[10]

Selbst Aytollah Meshab Yazdi hat seine schützende Hand von Ahmadinejad genommen und sich mehr als deutlich distanziert: Dem Revolutionsführer zu widersprechen sei „Abfall von Gott“ – ein Verdikt, auf das bekanntlich die Todesstrafe steht. Ahmadinejad am Galgen?

Meine schlimmste Sorge wäre dies nicht. Bedrohlicher erscheint mir die Aussicht, der Zwölfte Imam könne seinen Vasallen im clash of the lunatics den Einsatz von Nuklearmaterial empfehlen.

Hamburg, den 8. Mai 2011
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[1] Saeed Kamali Dehghan, Ahmadinejad allies charged with sorcery, in: Guardian, 5. Mai 2011.

[2] US embassy cables: Mashaei groomed as possible successor to Ahmadinejad in Iran, in: Guardian, 21. April 2011.

[3] Saeed Kamali Dehghan, Ahmadinejad grooms chief-of-staff to take over as Iran’s president, in: Guardian, 21. April 2011.

[4] Meir Javedanfar, Is Mahoud Ahmadinejad about to resign?, in: Guardian, 27. April 2011.

[5] Mahdi Khalaji, Iran’s Continuing Power Struggles, in: Real Clear World, 22. April 2011.

[6] Wie Fußnote 3.

[7] Wahied Wahdat-Hagh, Die Sympathisanten des Führers, in: Jungle World, 24. März 2011.

[8] Robin Pomeroy, Iran food prices up 25 pct, twice inflation, auf: af.reuters.com, 24. April 2011.

[9] Iranian president abstains from Cabinet meeting in growing rift with top cleric, in: Washington Post, 27. April 2011.

[10] Saeed Kamali Dehghan, a.a.O. .