Lebensfreude und Todeslust: vom Arabischen Frühling zum Gaza-Krieg

Stellungnahme aus Anlass der Kundgebung "Hamburg für Israel. Stoppt den Terror der Hamas!" am 26. November 2012

Von Matthias Küntzel

Hamburg, den 26. November 2012

Ich möchte das Bild des ausgebrannten Linienbusses in Tel Aviv in Erinnerung rufen, auf den radikale Palästinenser letzte Woche einen Bombenanschlag verübten. Während die Buspassagiere noch mit dem Tode rangen, verteilten die Hamas-Kader bereits Süßigkeiten an die Kinder von Gaza-Stadt, damit auch diese lernen: Ein Massaker an Juden ist Anlass zu einem Freudenfest.

Die Absicht, beliebige Israelis zu töten, die mit irgendeinem Bus unterwegs sind, illustriert das Wesen des antisemitischen Kriegs: Es ist egal, ob die Kassam-Rakete, die Omnibusbombe oder der Selbstmordattentäter ein Baby tötet oder einen Greis, es ist egal, ob es einen Freund oder Gegner Netanjahus erwischt, solange es nur ein Jude ist, der stirbt. „Die Zeit der Auferstehung wird nicht anbrechen, bevor nicht die Muslime die Juden bekämpfen und sie töten“, heißt es in der Charta der Hamas.

Die Djihad-Bonbons aber, die die Hamas zur Feier des Anschlags von Tel Aviv verteilten, um die Seelen der Kinder zu vergiften und ihr Mitgefühl zu zerstören – sie zeigen, wie der Antisemitismus auch dessen Protagonisten zerfrisst. Ob Juden zerrissen werden oder sogenannte Märtyrer der Hamas: Beides löst dieselbe erbarmungslose Genugtuung aus. Beides gipfelt in einer Parole, die zu abgründig ist, als dass sie einem Orwell, einer Agathe Christie oder einem Hitchcock je hätte einfallen können: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod.“

Was aber könnte von der Aufbruchsstimmung des Arabischen Frühlings weiter entfernt sein, als diese Todessehnsucht der Islamisten?

Seit die Hamas in Gaza herrscht, hat sie ihre Todeslust mit dem Kampf gegen Lebensfreude kombiniert. Die Charta der Hamas fordert „Ernst ohne Scherz, denn die kämpfende Gemeinschaft kennt keinen Scherz“. Wer bei einer Hochzeitsfeier Musiker spielen lässt, oder tanzt oder singt, wird getötet oder drakonisch bestraft.

Und damit bin ich bei dem Punkt, der den jüngsten „8-Tage-Krieg“ zu einem besonders traurigen Ereignis macht. Ich meine den Umstand, dass die neuen arabischen Führer, die der Arabische Frühling an die Macht gespült hat, diese Aufbruchsbewegung mit ihrem Kotau vor der Hamas verrieten.

In den letzten Tagen pilgerten nicht nur der Emir von Katar, sondern auch der Ministerpräsident Ägyptens, der Außenminister der Türkei, sowie der Außenminister Tunesiens mit weiteren Kollegen der Arabischen Liga zur Hamas. Sie wollten ihre Solidarität mit jenen, die Israel auslöschen wollen, bezeugen.

Ich halte es für ein weltpolitisches Desaster, dass sich erstmals die Führer der arabischen Welt, ja selbst die Regierung der Nato-Macht Türkei vor den Wahnsinnigen von Gaza verbeugten. Wie antisemitisch dürfen Nato-Mitglieder eigentlich sein?

Der niederschmetternde Eindruck dieser Entwicklung wurde noch gesteigert, als ausgerechnet die USA – die Vormacht der westlichen Welt – den Muslimbruder Mohammad Mursi nicht nur hofierten, sondern als angeblichen Vermittler des Waffenstillstands geradezu feierten.

Wie soll ein Mann zwischen Israel und der Hamas vermitteln, der sich weigert, das Wort „Israel“ auch nur auszusprechen oder einem Israeli auch nur die Hand zu geben und der noch vor Monatsfrist die antisemitischen Worte eines Geistlichen – „Vertreibe die Juden, Oh Allah, und reiße sie in Stücke!“ – kopfnickend nachmurmelte und mit einem „Amen!“ beschloss?

Dass Israel gute Miene zum bösen Spiel macht, hängt meines Erachtens damit zusammen, dass es sich Netanjahu bei keiner seiner Entscheidungen erlauben kann, die noch bevorstehende Auseinandersetzung mit Iran außer Acht zu lassen, an der gemessen der „8-Tage-Krieg“ womöglich ein Vorgeplänkel gewesen ist.

Netanjahus Regierung konnte einen Teil des Raketenpotenzials ausschalten, das Teheran vorsorglich im Gazastreifen disloziert hatte. Sie konnte die Stärken und Schwächen des neuen Raketenabschuss-Systems in situ testen. Es gelang ihr, eine Bodenoffensive zu vermeiden, die Israels Kräfte über Monate hinweg gebunden hätte. Schließlich wurde während des kurzen Krieges die Uneinigkeit zwischen Teheran und der arabischen Welt geschürt, während es Jerusalem gelang, sich die Sympathie und den Beistand des Westens zu sichern.

Während Israel viele Umstände zu berücksichtigen hat, können wir ohne Einschränkung sagen, was gesagt werden muss. Lassen Sie mich meinen Beitrag mit drei Vorschlägen beenden:

Natürlich bleibt es wichtig, Israels Vorgehen gegen seine islamistischen Widersacher zu verteidigen. „Ich muss stark sein gegen den, der mich vernichten will“ – mit diesen Worten bringt Fanny Englard, eine Holocaustüberlebende aus Israel, ihre Lebenserfahrung auf den Punkt.

Israel zu verteidigen reicht heute aber nicht mehr aus. Wir müssen auch angreifen – also diejenigen ins Visier nehmen und mit Argumenten bombardieren, die vor der furchtbaren Regression aller zivilisatorischen Standards in Gaza ihre Augen verschließen um mit einer rechtsradikalen Gruppierung, wie der Hamas, nicht wirklich brechen zu müssen. Dazu gehören auch zahlreiche „Nahostexperten“, die es immer dann in die Medien schaffen, wenn Israel sich mal wehrt –Michael Lüders, Jochen Hippler, René Wildangel und viele mehr.

Es wäre zweitens verkehrt, den Arabischen Frühling bereits abzuschreiben. „Ein Volk, das sich von seinem Tyrannen befreit, nicht aber von dessen Propaganda, ist immer noch ein unterworfenes Volk“ erklärt der algerische Schriftsteller Boualem Sansal. Erforderlich ist eine neue Dimension von Solidarität mit jenen, die heute die Muslimbrüder und deren antisemitische Propaganda in den arabischen Staaten bekämpfen.

Drittens scheint es mir notweniger denn je, den einschlägigen Geschichtsfälschern ihre seit Jahrzehnten andauernde Oberhoheit über die Interpretation der Nahostgeschichte zu entreißen. Es war schon 1948 das Ziel eines Teils der Palästinenser, einen Staat nicht an Israels Seite, sondern an Israels Stelle zu errichten. Hätte diese Fraktion damals keinen Krieg begonnen, würde es heute keinen palästinensischen Flüchtling geben.

Wenn die Welt verhindern will, dass sich weiterhin jedes Stück Land, aus dem Israel abzieht, mit Menschen füllt, die es vernichten wollen, wird sie sich auch dieser Tatsache stellen müssen.