Erstaunliche Nonchalance
Wie die Zeit den iranischen Gottesstaat schönfärbt
von Matthias
Küntzel
Haben wir
etwas übersehen? Ist Iran doch eine Art Demokratie? Wer sich die Iran-Seite in
der laufenden Ausgabe der Zeit
ansieht, könnte diesen Eindruck gewinnen. „Gefährliche Macht des Volkes“ lautet
die Überschrift eines Beitrags über die bevorstehende Präsidentschaftswahl in
Iran. „Das iranische Regime sieht sich als Speerspitze der Demokratie“ heißt
eine Zwischenüberschrift. Ulrich Ladurner, seit vielen Jahren für die
Iran-Berichterstattung des Wochenblattes zuständig, schreibt: „Acht Männer
treten zur Präsidentenwahl an. Der sogenannte Wächterrat hat sie zugelassen,
nachdem er sie sorgfältig auf ihre Eignung geprüft hatte.“[1]
Wen der
Wächterrat nicht zugelassen hat –
darüber findet sich in der Zeit kein
Wort. Dabei sind es gerade jene Nicht-Zulassungen, die den Charakter dieser Scheinwahlen
prägen. Von vornherein ausgeschlossen ist, wer die Anweisungen des
Revolutionsführers Ali Khamenei nicht bedingungslos befolgt. Pluralismus gilt
im Iran als Teufelswerk, die Unterwerfung unter die Scharia als sakrosankt. Von
den 686 Kandidatinnen und Kandidaten, sie sich dennoch bewarben, wurden 678
ohne Begründung ausgeschlossen, darunter die mit Abstand prominentesten: der
Ahmadinejad-Freund Esfandiar Rahim Maschai sowie der ehemalige Präsident
Haschemi Rafsandschani.
Doch selbst
bei den acht verbliebenen Parteigängern Khameneis wird nach Kräften
manipuliert: Sei es, dass ihre Wahlbüros durchsucht und ihre Anhänger festgenommen
werden (wie im Falle der Kandidaten Aref und Ruhani)[2], sei
es, dass die Ergebnisse nicht durch Stimmenzählung ermittelt, sondern in
Hinterzimmern beschlossen werden, wie im Jahre 2009.
Wir sehen:
Auch wenn es unterschiedliche Gesichter und einen Stimmzettel gibt, kann von
einer „Wahl“ keine Rede sein. Doch eben diesen Eindruck erweckt die Zeit, wenn sie unter der Schlagzeile
„Der Iran wählt: Diese Männer treten an“ die verbliebenen Khamenei-Getreuen mit
farbigen Porträtaufnahmen und Kurzbiographien präsentiert, über das
Zustandekommen dieser Auswahl aber schweigt.
Besonders
unbegreiflich ist der Umstand, dass Ladurner die Kaltstellung des Kandidaten
Rafsandjani nicht erwähnt.
Rafsandjani
ist als Urgestein der islamischen Revolution nicht nur berühmt, er ist als
Initiator des Atomprogramms und als rechtskräftig verurteilter Befehlshaber von
Terrormorden auch berüchtigt.[3]
In diesem Jahr aber wurde seine Kandidatur von einem großen Teil des religiösen
Establishments und der Reformislamisten unterstützt, denn er ist der
Hoffnungsträger derer, die eine moderatere iranische Außenpolitik fordern: Ihm
war es 1988 gelungen, den Iran-Irakkrieg zu beenden, indem er Revolutionsführer
Khomeini von der Notwendigkeit eines Kompromisses mit den Vereinten Nationen überzeugte.[4]
Rafsandjani
bekleidet hohe Ämter in der islamischen Republik und ist mit seinem religiösen
Status selbst dem Revolutionsführer Khamenei überlegen. Die Tatsache, dass
selbst einem Mann wie ihm die Möglichkeit zu kandidieren verweigert wird, bedeutet
auch für viele Regimeanhänger ein Schock und kennzeichnet eine neue Stufe der
Repression. Mit ihm als Präsident hätte Khamenei den Atomkonflikt deeskalieren
können. Rafsandjanis Kaltstellung macht hingegen klar, dass das Regime diese
Deeskalation nicht will. Es traf damit eine Entscheidung, die nicht nur Syrien
berührt, sondern die Welt.
Dennoch
findet sich von dieser eminenten Weichenstellung bei Ladurner nicht ein Wort.
Doch damit nicht genug. Während Ladurner zwar darauf hinweist, dass sich auch heute
die Herrscher und ein großer Teil des Volkes „in einer Mischung aus Misstrauen,
Angst und Unversöhnlichkeit gegenüber(stehen)“, sucht man bei ihm jedoch
vergeblich einen Hinweis auf die furchtbare Unterdrückung der
Demokratiebewegung, mit der sich derzeit das Regime für den demokratischen
Aufstand von 2009 rächt.
Diese
Unterdrückung beginnt beim Internet: „Dies gibt es nur im Iran“, hieß es in
einer Twitter-Meldung, „Die Wahlen kommen, aber das Internet verschwindet.“ In
der Tat ist der Gebrauch des Internets – auch in Betrieben, Banken und
staatlichen Organisation – für die Dauer der Wahlkampagne lahmgelegt.
Programme, die eine Umgehung der Zensur bislang noch möglich machten, wurden
zerstört. Das Regime etablierte eine Sondereinheit zur Überwachung sozialer
Netzwerke. Der Herausgeber einer Online-Zeitung wurde verhaftet, andere
Internet-Journalisten wurden ins Geheimdienstministerium zitiert und verwarnt.[5]
Daneben wird
der Druck auf Journalisten und deren Familien erhöht: 600 Journalisten ließ
Geheimdienstminister Heydar Moslehi zu Staatsfeinden erklären, fünfundvierzig
wurden seit letzten Dezember vorsorglich inhaftiert, um, wie es hieß, jede Form
von Aufwiegelung zu verhindern und um Kontakte
zu Exiliranern zu unterbinden. Einem Bericht des „Committee to Protect
Journalists“ zufolge wurden innerhalb der letzten Jahre zwei Journalisten,
Omidreza Mirsayafi und Sattar Beheshti hinter Gitter zu Tode gefoltert, mehrere
wurden ausgepeitscht. Oftmals werden Familienbesuche oder eine ärztliche
Versorgung verwehrt.[6]
Die nicht
zugelassenen Kandidaten werden verfolgt: „Blutvergießen ist erlaubt!“, erklärte
der stellvertretende Polizeichef des Irans mit Blick auf Rahim Maschai und
dessen Anhänger.[7]
Rafsandjanis Kinder wurden wegen ihrer Beteiligung an den Unruhen von 2009
inhaftiert, beziehungsweise vor Gericht gestellt.[8] Die
Webseiten beider Männer wurden blockiert.[9] Rafsandjanis
Hauptquartier wurde geschlossen[10]
und die Herausgabe der Maschai nahestehenden Zeitung „Iran“ für die Dauer von
sechs Monaten verboten.[11]
Hinzu kommt
die Angst des Regimes vor den Studenten. Für mehrere Wochen vor und nach den
Wahlen ließ es sämtliche Seminarveranstaltungen und alle Abschlussarbeiten
suspendieren.[12]
Dann die
Straßenpräsenz von Bassij und Polizei: Seit Wochen warnt das Regime vor
Menschenansammlungen aller Art. Polizisten patrouillieren in
Bürgerkriegsuniform. Wer immer einen Slogan für Mir Hossein Moussavi ruft, den
immer noch unter Hausarrest stehenden Kandidaten von 2009, riskiert eine Verhaftung.[13]
Last but not
least beschloss das Regime unmittelbar vor den Wahlen ein neues Strafgesetz,
das es nach Artikel 286 möglich macht, „Unruhestifter“, die die „nationale
Sicherheit“ gefährden, hinzurichten.[14]
Über all
dies erfahren wir in der Zeit, dem
liberalen Flaggschiff, kein Wort.
Ulrich Ladurner
legte hinsichtlich des iranischen Staatsterrors allerdings schon in früheren
Artikeln ein erstaunliches Maß an Nonchalance an den Tag.
So schrieb
er über das Jahr 1988: „Nach acht Jahren Krieg ohne Sieger war das Land [Iran]
zwar restlos erschöpft, aber im Inneren stabilisiert.“[15] Mit
Sicherheit weiß auch er, dass seit dem Juli 1988 Tausende politische Gefangene,
Männer wie Frauen, hinter Gefängnismauern erhängt wurden, was seiner
anerkennenden Bezeichnung „stabilisiert“ eine besondere Färbung gibt.
Über die
Zerschlagung der „grünen Bewegung“ anlässlich der Präsidentschaftswahl 2009
äußerte sich Ladurner wie folgt: „So groß auch die Proteste der vergangenen
Wochen waren, die Revolution von 1979 wankt, aber sie fällt nicht.“ Ist hier so
etwas wie Bewunderung herauszuhören? Die Islamische Republik, heißt es in
diesem Artikel weiter, „hat sich bis heute als eine in Maßen ,lernende
Maschine‘ erwiesen, das zeigt sich an der ebenso brutalen wie effektiven
Niederschlagung der Proteste durch die Polizei, es zeigt sich daran, wie es ihr
gelingt, ihr Innerstes zu schützen.“[16]
Empathie mit
den vom Regime Misshandelten hört sich anders an. Die Zeit veröffentlichte Ladurners Kompliment für die „effektive
Niederschlagung“ zwölf Tage nach der Erschießung von Neda Aga Soltan, zu einem
Zeitpunkt also, als das Regime bereits Dutzende Protestierende erschossen,
Hunderte verhaftet und Ungezählte gefoltert hatte.[17]
Es steht
also in einer gewissen Tradition, wenn Ulrich Landurner die gegenwärtige
Repression gegen die iranische Demokratiebewegung der Erwähnung nicht für
würdig hält.
Während
selbst ein so treuer Regimegänger wie Rafsandjani, der New York Times vom 17. Mai 2013 zufolge, von der Gefahr eines
„islamischen Faschismus“ spricht[18],
äußert sich Ladurner in der „Zeit“ wenige Tage später mit der frohen Botschaft,
dass sich „die Iraner seit jeher als Speerspitze der Demokratie in der Region
(sehen)“ – ein Satz, der so klingt, als wolle er die oppositionelle Bewegung in
Iran verhöhnen.[19]
Warum all
diese Auslassungen, all diese Desinformation? Dies ist meine Vermutung: Ulrich
Ladurner will die Tatsachen nicht sehen, geschweige denn darüber berichten,
damit sein Idealklischee von der islamischen Revolution und seine wohlwollendes
Verständnis für die iranische Bombe keinen Schaden erleiden.
„Ganz
gleich, ob der Iran den Besitz von Atomwaffen anstrebt oder nicht: Das Regime
hätte Motive dafür“, behauptete er in einem Aufsatz von Februar 2012. „Seit
Jahrzehnten“ habe „das Regime Grund dazu, sich bedroht zu fühlen.“ Insofern
stelle die Bombe auch aus Sicht der iranischen Hardliner nichts anderes als
„die finale Immunisierung gegen ein feindliches Umfeld“ dar.[20]
Wie manch
anderer deutscher Journalist sieht Ladurner das eigentliche Übel woanders,
nämlich in der „Dämonisierung“ des Iran. Das iranische Regime sei
„unberechenbar, ja geradezu verrückt“
würde der Westen Teheran vorhalten. „Wahr ist das Gegenteil“, schrieb Ladurner
am 9. Mai 2012 auf seinem Blog. „Das iranische Regime verhält sich rational und
ist berechenbar.“ Mehr noch: „Iran verhält sich wie jeder andere Staat auch. …
Er versucht Anerkennung auf der internationalen Bühne zu bekommen.“[21]
Nun hätte
ein Präsident Rafsandjani diese Anerkennung auf der internationalen Bühne
vielleicht in die Wege leiten können. Indem der Revolutionsführer aber gerade
ihn von der Wahlteilnahme eliminierte, hat er Ladurners These von dem
vermeintlichen Wunsch des Iran, „Anerkennung auf der internationalen Bühne“ zu
finden, widerlegt. Anstatt aber die eigenen Prämissen mit der Wirklichkeit zu
konfrontieren, macht es sich Ladurner leicht und lässt das, was seiner
Iran-Schimäre widerspricht, einfach weg.
Wenn er dies
allein auf seinem Blog praktizierte, wäre es mir egal. Anders verhält es sich
mit der Zeit.
In Iran
müssen diejenigen, die die Wahrheit sagen, mit Folter oder gar Tod rechnen. Wer
hierzulande die Wahrheit sagt, hat nichts zu befürchten. Wenn das Blatt
gleichwohl mit seiner verkauften Auflage von 520.000 Exemplaren die iranischen
Verhältnisse beschönigt und der dortigen demokratischen Bewegung in den Rücken
fällt, ist dies an Schäbigkeit kaum zu überbieten. Darüber hinaus hat es
Auswirkungen – auf das Denken der deutschen Elite, auf Wirtschaft und Politik.
Seit Februar 2013 steigen die deutschen Direktexporte nach Iran wieder an,
berichtet soeben die Deutsch-Iranische Handelskammer in Hamburg.[22]
Am 10. Juni 2013 auf perlentaucher.de
veröffentlicht.
http://www.perlentaucher.de/essay/erstaunliche-nonchalance.html
[1]
Ulrich Ladurner, Gefährliche Macht des Volkes. Die Iraner stimmen über einen
neuen Präsidenten ab – kann das zu neuen Unruhen führen?, in: Zeit, 6. Juni 2013, S. 8.
[2] Farnaz Fassihi, Once Festive,
Iran’s Presidential Election Season is Kept in a Tight Rein, in: Wall Street
Journal, June 4, 2013.
[3]
Am 10. April 1997 hatte das Berliner Kammergericht u.a. den damaligen
iranischen Staatspräsidenten Rafsandjani als Urheber des Mordanschlags auf vier
kurdisch-iranische Spitzenfunktionäre im Berliner Restaurant Mykonos
identifiziert. Vgl. M. Küntzel, Die Deutschen und der Iran, Berlin 2009, S.
195.
[4] „It was Rafsandjani, the former
leader of the Iranian Parliament and acting Commander-in-Chief of the armed
forces in the last month of the war, who persuaded Khomeini to accept the UN
peace plan”, schreibt z.B. Ian Brown in: Khomeini’s Forgotten Sons, London
(Great Seat) 1990, S. 185.
[5] Farnaz Fassihi, Iran Cracks Down
Ahead of Election. Recalling Chaos of 2009 Vote, Tehran Tries to Enforce
Stability by Curtailing Internet, Spying on Users, in: Wall Street Journal, May
8, 2013 sowie Mohammad Davari, Internet in ,coma’ as Iran election looms, AFP,
May 19, 2013.
[6] Sherif Mansour, As election nears,
Iran’s journalists are in chains, A CPJ [Committee to Protect Journalists]
special report, May 8, 2013 und AFP Tehran, Doodle danger? Iranian cartoonists
on tightrope during election campaign, 7 June 2013..
[7] Thomas Erdbrink, Iranian
Officials Threaten Two Candidates for the Presidency, in: New York Times, May
14, 2013.
[8] AP: Iran’s cunning
Rafsandjani seeks one more shot, in: Times of Israel, May 13, 2013.
[9] Nasser Karimi, Iran’s Guard Warns
Against Post-Election Turmoil, in: ABC News, May 19, 2013.
[10] Nasser Karimi and Brian Murphy, Top
figures barred from Iran’s June ballot, AP, May 21, 2013.
[11] Farnaz Fassihi, Once Festive,
Iran’s Presidential Election Season is Kept in a Tight Rein, in: Wall Street
Journal, June 4, 2013.
[12] Farnaz Fassihi, May 19, a.a.O. .
[13]
Farnaz Fassihi, June 4, a.a.O. .
[14]
Wahied Wahdat-Hagh: Iran: Steinigung als islamisches Gesetz, in: Jungle World,
5. Juni 2013.
[15]
Ulrich Ladurner, Der gute Mann aus Teheran. Mohammed Chatami will wieder
Präsident werden – und mit Reformen die Revolution retten, in: Zeit, 12.
Februar 2009, S. 4.
[16]
Ulrich Ladurner, War’s das? Der Aufstand im Iran hält nicht, was sich der
Westen von ihm versprach. Doch das Regime in Teheran ist schwer getroffen, in: Zeit,
2. Juli 2009, S. 7.
[17]
Kaveh Ahanger, Die Schicksalswahl im Iran. 12. Juni 2009 – 12. Juni 2010,
Zürich (Arina-Verlag) 2010. Dieses Buch bringt auf Seite 243ff eine Chronologie
der Aufstandsbewegung.
[18] Thomas Erdbring, Trying Unlikely Comeback,
Ex-Iran President Strikes Chord With Public, in: New York Times, May 17, 2013.
[19]
Ulrich Ladurner, Gefährliche Macht des Volkes. Die Iraner stimmen über einen
neuen Präsidenten ab – kann das zu neuen Unruhen führen?, in Zeit, 6. Juni
2013, S. 8.
[20]
Ulrich Ladurner, Die Alternative zum Krieg mit dem Iran, in: Zeit-Online, 3.
Februar 2012.
[21]
Ulrich Ladurner, Der Iran und die Frage nach der politischen Vernuft, auf: blog.zeit.de/ladurnerulrich,
9. Mai 2012.