Arien für Arier?
Einspruch gegen den Richard Wagner-Kult
von Matthias
Küntzel
„Dass man
sich in Deutschland über Wagner betrügt, befremdet mich nicht,“
notierte Friedrich Nietzsche vor 125 Jahren. „Die Deutschen haben sich einen
Wagner zurechtgemacht, den sie verehren können: … sie sind damit dankbar, dass
sie missverstehn.“[1] Selten
war Nietzsches Beobachtung so zutreffend wie heute, im „Richard-Wagner-Jahr
2013“.
Am 22. Mai, dem
200. Geburtstag des Komponisten, möchte man einen der wirkungsmächtigsten
Antisemiten des 19. Jahrhunderts mit Sonderbriefmarken, Zehn-Euro-Münzen,
Denkmalenthüllungen und Festveranstaltungen ehren.
Die meisten Wagner-Verehrer
ignorieren seinen Judenhass, weil sie ihr Bild vom Genie nicht beschmutzen und
ihr heiliges Wagner Unser nicht infrage
stellen wollen. Sie schwören auf „die Droge Wagner“ und folgen allzu gern der
Empfehlung des Politikwissenschaftlers Udo Bermbach, Wagner
„nur als Künstler (zu) nehmen“ und „seine Weltanschauung in die Versenkung (zu)
bringen“.[2]
Wenn die
Judenfeindschaft des „Meisters“ doch einmal zur Sprache kommt, wird sie als
Marotte behandelt, die ein bisschen peinlich und merkwürdig, aber durchaus
nicht ernst zu nehmen sei, beruhe sie doch darauf, dass - so „Wagner-Experte“
Joachim Köhler -, „zwei Konkurrenten erfolgreicher waren als er. Wagner wollte
sich an den beiden rächen“[3]
In
Wirklichkeit – daran lässt die Antisemitismusforschung keinen Zweifel – bildeten
die Schriften Richard Wagners das Scharnier, das die christliche
Judenfeindschaft der Vergangenheit mit dem rassistischen Antisemitismus der
Zukunft verband.
„Alle Juden … verbrennen“
Wagner war
eben nicht nur Komponist, sondern auch ein Schriftsteller, der zehn Bände mit
Aufsätzen über Kunst, Politik, Religion und Gesellschaft hinterließ. Er verstand sich als Revolutionär, der ein
neues musikalisches Universum schuf, um es in den Dienst seiner Erneuerungsidee
zu stellen, einer Idee, die für Juden nur eine einzige Perspektive versprach:
den Untergang.
Wagners
Antisemitismus hob sich von den damals gängigen Vorurteilen deutlich ab, waren
doch die Juden zwischen 1850 und 1870 in Deutschland emanzipiert und relativ akzeptiert.
Als Wagner 1869 die Neuauflage seiner 1850 anonym publizierten Schrift „Das Judenthum und die Musik“ herausbrachte, provozierte dies
nicht weniger als 170 veröffentlichte Proteste und Angriffe; in mehreren
Städten pfiff man Aufführungen der „Meistersänger“ wegen ihrer judenfeindlichen
Anspielungen aus.[4]
Doch Wagner ließ nicht locker.
Er war es, der
den bösartigen Begriff von der „Verjudung“ erfand [5]
– ein Wort mit Folgen, das sich wie ein Giftpfeil in das Bewusstsein seiner
Zeitgenossen bohrte und dort ein Bedrohungsgefühl entfaltete, dass es vorher so
nicht gab.
Wagners
Judenfeindschaft war revolutionär. Sein revoltierender Geist und sein
antisemitisches Ressentiment standen nicht im Widerspruch, wie es
Wagner-Apologeten gern behaupten, sondern gehörten zusammen. „Der Jude“,
schrieb Wagner 1850, „herrscht und wird solange herrschen, als das Geld die
Macht bleibt, vor welcher all unser Tun und Treiben seine Kraft verliert.“[6]
Folgerichtig sah er im „Untergang“ der Juden das Mittel, die „deutsche“ Kunst
von Geldherrschaft und Egoismus zu befreien.
Seine
Judenfeindschaft war brutal: 1969 schlug Wagner einer konsternierten
Öffentlichkeit die „gewaltsame Auswerfung des
zersetzenden fremden Elementes“ vor.[7]
Er freute sich, als er von den antijüdischen Pogromen in Russland erfuhr und
äußerte „in heftigem Scherz“ – so der Tagebucheintrag seiner Frau Cosima - den
Wunsch, „es sollten alle Juden bei einer Aufführung des ,Nathan‘ verbrennen.“[8]
Und seine
Judenfeindschaft war rassistisch: Der geniale Komponist bestand auf
naturgegebenen Unterschieden zwischen
Nichtjuden und Juden, die er mit „Würmern“, „Ratten“, „Mäusen“, „Warzen“ oder
„Trichinen“ verglich. 1881 schrieb er König Ludwig II., „dass ich die jüdische Race für den geborenen Feind der reinen Menschheit und
alles Edlen in ihr halt.“[9]
Vom
Schriftsteller Arthur de Gobineau, der 1881 in
Bayreuth weilte, übernahm Wagner zusätzlich das Phantasma von der arischen
Rasse. Im selben Jahr notierte Wagner die Erkenntnis, „dass das menschliche
Geschlecht aus unausgleichbar ungleichen Rassen
besteht und dass die edelste derselben die unedleren wohl beherrschen, durch
Vermischung sie aber sich nicht gleich, sondern sich selbst nur unedler machen
konnte.“[10]
Er griff damit den Nürnberger Gesetzen „zur Reinhaltung des deutschen Blutes“
vor, die Adolf Hitler 1935 in der Stadt der „Meistersänger“ verabschieden ließ.
Richard
Wagner gelang es wie kaum einem zweiten, diesen Rassismus und die fundamentale
Entgegensetzung von „deutsch“ und „jüdisch“ im Bildungsbürgertum zu verankern. Er
galt auch deshalb als einer der Gründungsväter der antisemitischen Parteien,
die 1879 im Deutschen Reich an Boden gewannen, und rühmte sich dieser Rolle
noch zu Lebzeiten mit Stolz.
Es war
dieser Antisemitismus, der Siegfried Wagner und Houston Stewart Chamberlain,
den Sohn und den Schwiegersohn des Komponisten, 1923 dazu brachte, in Hitler
den Retter Deutschlands zu sehen. Im Hass auf alles Jüdische sahen
sich die Wagner-Familie veranlasst, die Bayreuther Festspiele bis 1944 als
Hitler-Festspiele zu zelebrieren. Im Gegenzug verwandelte „der Führer“
Deutschland in eine Wagner-Oper – von der wundersamen Ankunft des „Lohengrin“
über den entschlossenen Griff zum Siegfried-Schwert bis zur „Feuerkur“ der Götterdämmerung .[11]
Gewiss, Richard
Wagner hinterließ unterschiedliche Spuren. Seine Musik war revolutionär und hat
Komponisten wie Mahler, Schönberg oder Schostakowitsch inspiriert. Was aber
sagt es über uns selbst, wenn wir jene eine Spur, die Richard Wagner und den Holocaust
verbindet, mit Sondermünzen und Sonderbriefmarken überkleistern?
„Wagner gibt uns Hoffnung“
Wie sich die
Deutschen ihren Wagner zurechtmachen, zeigt beispielhaft die Sendereihe über Wagners
„Ring der Nibelungen“, deren letzter Teil am Samstag auf 3sat lief.
„Wagner ist
konstruktiv“, erläutert hier der Pianist Stefan Mickisch
und verweist als Beleg auf den Dur-Akkord am Ende der „Walküre“. „Wagner gibt
Lösungen, gibt Antworten. Er will eine Verbesserung haben. … Wagner gibt uns
Hoffnung.“ Der Politikwissenschaftler Udo Bermbach
präsentiert den Antisemiten als „radikalen Aufklärer“ und Vorkämpfer für
„Selbstbestimmung, Freiheit, Emanzipation“. Er erklärt den erzreaktionären
Chauvinisten gar zu „einem der erste Feministen“. Der Schriftsteller Friedrich
Dieckmann schließlich stilisiert Wagners „Walkürenritt“
– ein martialische Musikstück, mit dem die Nazis in den NS-Wochenschauen ihre
Luftangriffe zu untermalen pflegten –zur
„Antikriegs-Musik“: „Dahinter steckt ein Friedenskonzept“.[12]
Der wagnersche Antisemitismus springt aber gerade bei diesem Nibelungen-Zyklus
ins Auge und ins Ohr. „Der Gold raffende, unsichtbar-anonyme, ausbeutende Alberich, der achselzuckende, geschwätzige, von Selbstlob
und Tücke überfließende Mime – all die Zurückgewiesenen in Wagners Werk sind
Judenkarikaturen“, sagt Theodor W. Adorno.[13]
Gleichzeitig, so schreibt Paul Lawrence Rose in seinem Buch „Richard Wagner
und der Antisemitismus“, gemahnen die habgierigen Nibelungenbrüder „allein
schon durch die Art ihres Gesangs an das…, was Wagner im ,Judenthum
in der Musik‘ ,die semitische Aussprechweise‘ genannt und als ,zischenden,
schrillenden, summsenden und murksenden Lautausdruck‘
beschrieben hat.“[14]
Gleichwohl hat
die 3sat-Sendereihe jedweden Hinweis auf die antijüdische Dimension des Werkes verbannt.
So beraubt man den „Ring“ um einen wesentlichen Teil seiner Zweideutigkeit und Komplexität,
ein Verfahren, das nicht nur wissenschaftlich und moralisch fragwürdig ist,
sondern zutiefst provinziell.
Hermetisch
koppelt sich der nationale Diskurs von der internationalen Diskussion, die
weitaus genauer und differenzierter geführt wird, ab. International renommierte Wagner-Forscher wie
Marc A. Weiner, Paul Lawrence Rose, Barry Millington
und Saul Friedländer, aber auch deutsche Wagner-Kritiker wie Hartmut Zelinksy, Ulrich Drüner, Anette
Hein, Gottfried Wagner und Jens Malte Fischer kommen in den Medien und bei den wissenschaftlichen
Konferenzen dieses Wagner-Jahres nicht vor.
Gottfried
Wagner, Urenkel von Richard und Sohn des früheren Festspielleiters Wolfgang
Wagner, hat in seinem gerade erschienenen Buch „Richard Wagner – Ein Minenfeld“
glücklicherweise einen Kontrapunkt gesetzt und den ebenso geist-
wie gedankenlosen Kult des „Richard-Wagner-Jahres 2013“ seziert: „Statt die
Realität zur Kenntnis zu nehmen, verschanzt man sich hinter Wagners Musik und
verleugnet ihren ideologischen, menschenverachtenden Kontext.“[15]
Bayreuth vertuscht
Mit dieser Davon-wollen-wir-jetzt-endlich-mal-nichts-mehr
wissen-Haltung knüpfen die Wagner-Verehrer an die jahrzehntealte Praxis der
Verdrängung in Bayreuth an. Hier hatte man schon 1946 die Chance verpasst, mit
der Nazi-Vergangenheit des Hauses Wahnfried
aufzuräumen. Damals wollten die US-amerikanischen Besatzungskräfte die einzige
Hitler-Gegnerin der Wagnerfamilie – Wagner-Enkelin Friedelind – zur Leiterin
der Festspiele machen. Statt Friedelind nahmen die langjährigen Hitler-Protegés
Wieland und Wolfang das Heft in die Hand, um Wagners Weltanschauung und die
seiner Nachkommen „in die Versenkung (zu) bringen“. So erbaten sie sie 1951 bei
der Neueröffnung der Festspiele per Aushang, von „Debatten politischer Art auf
dem Festspielhügel freundlichst absehen zu wollen.“
Eine zweite
Chance, über die Gottfried Wagners neues Buch berichtet, wurde 1975 vertan.
Damals provozierte Richards Schwiegertochter Winifred einen Skandal, als sie in
einem Interview Adolf Hitler anpries und ihre jahrzehntelange Freundschaft mit
ihm verteidigte. Dies löste auch innerhalb der Wagner-Familie
Auseinandersetzungen aus. Doch war man sich „in einem Punkt einig: dass die
belastenden Dokumente aus der Nazizeit dem Image der Familie schadeten. Noch im
selben Sommer schaffte die Wagner-Urenkelin Amélie Lafferentz-Hohmann
… den Großteil der brisanten Dokumente aus dem Haus und brachte sie“, um sie
dem Zugriff der Öffentlichkeit zu entziehen, „in ihre Wohnung nach München“.[16]
2008 bot der
Rücktritt des Festspielleiters Wolfgang Wagner erneut die Chance einer
Erneuerung. Mit der Bewerbung von Nike Wagner und Gerard Mortier lag diese Option
auf dem Tisch. Doch erneut wurde mit Ernennung der Töchter Wolfgang Wagners zu
dessen Nachfolgerinnen die konservative Lösung gewählt. Dass der
Öffentlichkeit zentrale Quellen zum
Thema „Bayreuth und Nationalsozialismus“ bis heute vorenthalten werden –
darunter möglicherweise ein Briefwechsel, den Hitler zwischen 1923 und 1944 mit
Winifred, Wieland und Wolfgang geführt haben soll – ist skandalös.
Anstatt im
Wagnerjahr zu fragen, warum der Bund, das Land Bayern und die Stadt Bayreuth
den Festspielbetrieb trotz dieser Vertuschungspraxis mit rund sieben Millionen
Euro jährlich unterstützt[17],
setzen prominente Wagnerianer die Praxis der Verdrängung auf ihre Art und Weise
fort.
Dabei steht der
der musik-historische Rang der Wagnerschen
Bühnenwerke ohnehin außer Frage! Auch
dann, wenn man Antisemitismus in seinen Werken erkennt, lassen diese sich
genießen - reflektiert genießen. Zurzeit aber wird die Frage, wie die
Judenfeindschaft des Komponisten die Musik und die Figuren seiner Opern prägt,
nicht einmal gestellt. Im Wagner-Jahr 2013 ist die intellektuelle Rezeption seiner
Werke durch das Konzept Droge ersetzt.
Wagner
selbst hatte dies so gewollt. Er wollte mit seiner Musik, wie er schrieb,
„alles hinweg(schwemmen), was zum Wahn der Persönlichkeit gehört, und nur den
wunderbar erhabenen Seufzer des Ohnmachtsbekenntnisses“ übriglassen.“[18]
Friedrich
Nietzsche aber gab sich damit nur vorübergehend zufrieden. „Solange man noch
kindlich ist und Wagnerianer dazu, hält man Wagner … für einen
Großgrundbesitzer im Reich des Klangs. … Doch schon im Sommer 1876 … nahm ich
bei mir von Wagner Abschied. … Seitdem Wagner in Deutschland war, kondeszendierte er Schritt für Schritt zu allem, was ich
verachte – selbst zum Antisemitismus. Es war in der Tat damals höchste Zeit,
Abschied zu nehmen.“[19]
[1]
Friedrich Nietzsche, Der Fall Wagner, in ders., Das
Hauptwerk, Band 4, München (nymphenburger) 1994, S.
190.
[2]
So Udo Bermbach in der TV-Sendung „Kulturzeit“
(3sat), 17. Januar 2013. „Die Droge Wagner“, lautete die Schlagzeile des
Titelblattes der ZEIT vom 3. Januar 2013, „Wer sich auf Richard Wagners Musik
einlässt, verfällt ihr. Warum?“
[3]
So Köhler auf der „Spiegel TV“ DVD „Richard Wagner“, die dem Schwerpunktheft
des „Spiegel“ über Wagner (Nr. 14, 30. März 2013) beilag. Köhler
veröffentlichte 1997, im Kontext der Goldhagen-Debatte, ein grobschlächtiges
Buch mit dem Titel „Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker“, in dem
er den Komponisten als den „Auftraggeber“ Hitlers bezeichnete (S. 385). Hitler
„musste die Juden hassen, weil er den Mann liebte, der die Juden hasste.“ (S.
415) Kurz darauf wandelte sich Köhler vom schärfsten Wagner-„Kritiker“ zu
dessen eifrigstem Jünger und veröffentlichte 2001 das Buch „Der letzte der
Titanen“, eine schwulstige Hagiographie („Mit Wagners tiefem Es begann die
Schöpfung und die Welt hob an zu singen“, S. 415).Dass der „Spiegel“ für seine
Print- und TV-Ausgabe ausgerechnet diesen Autor als wichtigsten „Experten“
recycelt, kennzeichnet die Situation.
[4]
Steven M. Lowenstein, Paul Mendes-Flohr, Peter Pulzer und Monika Richarz, Deutsch-jüdische
Geschichte in der Neuzeit, Bd. III, München(Beck) 2000, S. 195. Eine Auswahl
jener Anti-Wagnerproteste findet sich im Dokumentenanhang der Studie von Jens
Malte Fischer, Richard Wagners ,Das Judentum in der
Musik‘ Frankfurt/M. (Insel Verlag) 2000.
[5]
Steven M. Lowenstein et. al., a.a.O., Bd. IV, S. 236.
[6]
Jens Malte Fischer, a.a.O., S. 44. „Die Emanzipation vom Schacher und vom Geld,
also vom praktischen, realen Judentum wäre die Selbstemanzipation unserer
Zeit“, hatte sechs Jahre zuvor Karl Marx in seine Frühschrift „Zur Judenfrage“
postuliert, ein Text, den Wagner, Fischer zufolge, gekannt haben soll. (Ebd.)
[7]
So im Schlussabsatz der Neuveröffentlichung von „Das Judenthum
in der Musik“ von 1869, zit. nach Jens Malte Fischer, a.a.O., der Wagners
Pamphlet in den Versionen von 1850 und 1869 dokumentiert.
[8]
Anette Hein, ,Es ist viel ,Hitler‘ in Wagner‘.
Rassismus und antisemitische Deutschtumsideologie in
den ,Bayreuther Blättern‘ (1878-1938), Tübingen (Max Niemeyer Verlag) 1996, S.
113 sowie Paul Lawrence Rose, Richard
Wagner und der Antisemitismus, Zürich/München (Pendo)
1992, S. 272.
[9]
Brief Wagners an König Ludwig II. vom 22. November 1881, zit. nach
Paul Lawrence Rose, a.a.O., S. 188.
[10]
R. Wagner in: Heldentum und Christentum (1881), zit. nach Winfried Schüler, Der
Bayreuther Kreis von seiner Entstehung bis zum Ausgang der wilhelminischen Ära.
Wagnerkult und Kulturreform im Geiste völkischer Weltanschauung, Münster
(Verlag Aschendorf) 1971, S. 238.
[11]
„Zum zweiten Mal soll aus Deutschland eine Wagner-Oper werden“, schrieb Carl
von Ossietzky hellsichtig am 21. Februar 1933 in einer der letzten Ausgaben der
„Weltbühne“. „Siegmund und Sieglinde, Wotan, Hunding,
Alberich und der ganze Walkürenchor
und die Rheintöchter dazu sind – Heiajaheia! Wallalaleia heiajahei! - über
Nacht hereingebrochen mit der Forderung, über Leiber und Seelen zu herrschen.“
(C. v. Ossietzky, Richard Wagner, in: Die Weltbühne, XXIX. Jahrgang, 21.
Februar 1933, Nummer 8, S. 285) Mit „feuerkur“ meinte
Wagner die Niederbrennung von Paris. „Mit völligster besonnenheit“,
schrieb er am 22. Oktober 1850 in einem Brief an Theodor Uhlig, „und ohne allen
schwindel versichere ich Dir, dass ich an keine
andere revolution mehr glaube, als an die, die mit
dem Niederbrande von Paris beginnt … Starker Nerven wird es bedürfen, und nur
wirkliche menschen werden es überleben, d.h. solche,
die durch die Noth und das großartigste Entsetzen
erst zu menschen geworden sind. Laß
einmal sehen, wie wir uns nach dieser feuerkur
wiederfinden.“ (Zit. nach Hartmut Zelinsky, Die ,feuerkur‘ des Richard Wagner oder die ,neue religion“ der ,Erlösung‘ durch ,Vernichtung‘, in:
Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, Richard Wagner.
Wie antisemitisch darf ein Künstler sein? Musik-Konzepte; Heft 5, Juli 1978, S.
93.) 2013 griff die „Zeit“ Wagners „feuerkur“ als
Erlösungssymbol wieder auf: „Ganz oder gar nicht, ja oder nein, lautet die
Devise … 2013 dürfte sie das Zeug zu jener utopischen ,Feuerkur‘
haben (im reinigenden, durchaus militanten und jedenfalls kunstübergreifenden
Sinn), die Wagner sich einst von der Gründung der Bayreuther Festspiele
versprach. In Zeiten wie den unsrigen, in denen die Gestaltung von Gesellschaft
zunehmend mit dem Buhlen um Mehrheiten verwechselt wird und politische
Machtsicherheit bedeutet, sich schadlos aus allem herauszuhalten, könnte uns
der Umgang mit Wagner zu einer neuen Entschiedenheit verhelfen. An seinem Werk
könnten wir üben … wieder Partei zu ergreifen, mit Herz und Hirn ein Bekenntnis
abzulegen.“ (Christine Lemke-Matwey, Der
Seelenfänger, in: Die Zeit, 2. Januar 2013)
[12]
Die Zitate stammen aus Folge II „Die Walküre“ der vierteiligen TV-Serie
„Wagner: Der Ring“ vom 13. April 2013. Selbst in der ergänzenden Dokumentation
über „Hitler und der Wagnerclan“, die 3sat am 7. April 2013 ausstrahlte, kam
ein kritisches Wort über Richard Wagner nicht vor.
[13]
Theodor W. Adorno, Versuch über Wagner, in: ders.,
Gesammelte Schriften Band 13, Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1971, S. 21.
[14]
Paul Lawrence Rose, Richard Wagner und der Antisemitismus, Zürich/München (Pendo) 1992, S. 261.
[15]
Gottfried Wagner, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard
Wagner – Ein Minenfeld, München (Propyläen) 2013, S. 169.
[16]
Gottfried Wagner, a.a.O., S. 262.
[17] Gottfried Wagner, a.a.O., S. 266.
[18]
Hartmut Zelinisky, Verfall, Vernichtung, Weltentrückung. Richard Wagners antisemitische Werk-Idee
als Kunstreligion und Zivilisationskritik und ihre Verbreitung bis 1933, in:
Saul Friedländer und Jörn Rüsen (Hg.),
Richard Wagner im Dritten Reich, München (Beck) 2000, S. 310.
[19]
Friedrich Nietzsche, a.a.O., S. 200 und 242.