Die Deutschen und der Iran - Dialog versus Sanktionen?

Ein öffentliches Streitgespräch mit MdB Gernot Erler

Von Matthias Küntzel

Freiburg, den 1. Juni 2010

Am 1. Juni 2010 diskutierten der SPD-Bundestagsabgeordnete Gernot Erler und der Buchautor Matthias Küntzel über das außenpolitische Verhältnis Deutschlands zum Iran. Eingeladen dazu hatten das iz3w – informationszentrum 3.welt und die Deutsch-Israelische Gesellschaft – Arbeitsgemeinschaft Freiburg.

Gernot Erler (MdB, SPD) ist einer der erfahrensten Außenpolitiker der SPD und befasst sich seit vielen Jahren intensiv mit den deutschen Beziehungen zum Iran. Von 2005 bis 2009 war er als Staatsminister im Auswärtigen Amt maßgeblich an der Formulierung und Umsetzung deutscher Außenpolitik beteiligt. Erler ist einer der wichtigsten Protagonisten der rotgrünen Dialogpolitik gegenüber dem Iran. Er sprach sich mehrfach gegen eine Isolierungspolitik gegenüber dem Iran aus, kritisiert aber auch scharf Ahmadinedschads Konfrontationspolitik.

Matthias Küntzel ist Politikwissenschaftler und Publizist aus Hamburg. In seinem neuen Buch „Die Deutschen und der Iran – Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft“ wendet er sich gegen jede Form von Dialogpolitik mit dem iranischen Regime. Er fordert, „alles Menschenmögliche zu tun, um das iranische Atomprogramm zu stoppen und das Land von der angedrohten Vernichtung Israels abzubringen.“ Auch in früheren Publikation wie etwa „Djihad und Judenhass“ warnte Küntzel eindringlich vor den Gefahren des Islamismus, nicht nur für Israel und den Westen, sondern gerade auch für die Menschen im Nahen Osten.

Im Folgenden dokumentieren wir, das informationszentrum 3. welt, den etwas gekürzten und sprachlich leicht bearbeiteten Mitschnitt der Veranstaltung. Transkription: Sebastian Krüger, iz3w.

Christian Stock (iz3w): Bei der Vorbereitung dieser Veranstaltung haben wir auch den Freundeskreis Freiburg-Isfahan angefragt. Es gibt hier in Freiburg etwas Einzigartiges in Deutschland: eine Städtepartnerschaft mit einer iranischen Großstadt, mit Isfahan. Der Freundeskreis hat unsere Anfrage freundlich beantwortet, aber abgelehnt mit dem Argument, er sei nicht politisch, er sei lediglich dem Kulturaustausch verpflichtet und halte sich aus politischen Diskussionen aller Art raus, auch um seine iranischen Kooperationspartner zu schützen.

Über das Verhältnis zum Iran wird in der deutschen Öffentlichkeit heftig gestritten, in letzter Zeit noch mehr als schon vor zehn Jahren – und zwar quer durch die politischen Lager. Es ist überhaupt nicht so, dass Links gegen Rechts steht. Sondern es gibt innerhalb der Linken eine Spaltung im Verhältnis zum Iran, durchaus aber auch im bürgerlichen Lager. Verstärkt hat sich dies seit dem Amtsantritt des politischen Hardliners Ahmadinedschad, dessen bekannteste Äußerung lautet, Israel solle von der Landkarte gewischt werden. Diese Bekundung hat auch einige Menschen hierzulande wach werden lassen.

Gestützt werden die Befürchtungen durch das Atomprogramm, von dem man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sagen kann, dass es dem Bau einer Atombombe dient. Dieses Atomprogramm löst nicht nur in Israel Ängste aus, sondern auch bei den arabischen Nachbarländern des Iran, die traditionell immer ihre Probleme mit dem Iran hatten. Verstärkt im Gespräch ist der Iran seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009, die Ahmadinedschad angeblich gewonnen hat. Seitdem gab es massive Proteste, die ebenso massiv unterdrückt wurden, mit polizeilicher Gewalt oder durch Milizen. Es gibt massive Menschenrechtsverletzungen, es gibt Verschwindenlassen von Menschen, wie man es aus lateinamerikanischen Diktaturen kennt, und es gibt keine Pressefreiheit im Iran.

Die Gretchenfrage, um die es hier heute geht, lautet: “Wie sich zu diesem Regime verhalten?” Es gibt dabei zwei Optionen: Internationaler Druck, Wirtschaftssanktionen und politische Isolierung, vorzugsweise im Rahmen der UNO. Oder aber Dialog, Kooperation zum Nutzen der iranischen Bevölkerung – nicht um mit dem Regime zu kollaborieren, sondern um das Beste für den Frieden und auch für die iranische Bevölkerung heraus zu holen.

Diese zwei Positionen, die hier aufeinander prallen, können wir eigentlich nur in Form eines Streitgespräches diskutieren. Und deswegen haben wir zwei sehr profilierte Vertreter der jeweiligen Position eingeladen, die sich beide seit vielen Jahren für eine klare Haltung stark machen. Von Gernot Erler möchten wir erfahren, warum er eher auf Dialog mit dem iranischen Regime anstatt auf harte Sanktionen setzt. Von Matthias Küntzel wollen wir wissen, warum er jeden Dialog ablehnt, warum er auf Sanktionen setzt und wie diese aussehen sollen.

Matthias Küntzel: Nach Freiburg eingeladen zu werden, war mir eine große Freude, wegen der deutsch-iranischen Städtepartnerschaft, die so nur in Freiburg existiert. Wir machen diese Veranstaltung ja nicht in einem luftleeren Raum. Der Kontext ist sehr deutlich. Gestern hat die New York Times davon berichtet, dass im Moment zwei Millionen Bassidschi, also Paramilitärs, nach Teheran gekarrt werden. Die sollen am kommenden Freitag den Predigen von Khameinei zuhören, dem Revolutionsführer. Ahmadinedschad ist angekündigt als der erste Sprecher in der Moschee. Die Bassidschi sollen dann bis zum 12.Juni in Teheran bleiben, bis zum Jahrestag dieser großen iranischen Bewegung für Demokratie und Freiheit. Sie ist in sich natürlich sehr differenziert, aber sie hat sich erstmal darauf geeinigt, den Wahlbetrug zu bekämpfen und mit Ahmadinedschad nichts zu tun haben zu wollen.

Diese Bewegung hat die Städtepartnerschaft zwischen Freiburg und Isfahan in ein neues Licht gerückt. Im Herbst 2008 begründete Bürgermeister Dieter Salomon diese Städtepartnerschaft wie folgt: “Isfahan war immer eine Vorreiterstadt für eine Politik der Öffnung und des Dialogs, eine Stadt mit einer selbstbewussten und gegenüber westlichen Werten und Demokratiemodellen sehr aufgeschlossenen Bürgerschaft”.

Meine Frage ist, was die Stadt Freiburg macht, um diese dem westlichen Demokratiemodell aufgeschlossene Bürgerschaft Isfahans gegen die Repression des Ahmadinedschad-Regimes zu unterstützen. Ich meine, dass man sich spätestens seit dem Juni 2009 entscheiden muss. In den verschiedenen Texten des Freundeskreises ist immer die Rede von „den“ Isfahanern. Aber es gibt nicht mehr „die“ Isfahaner: Es gibt einerseits Isfahani, die Demonstranten erschießen oder die für Ahmadinedschad auf die Straße gehen, und es gibt andererseits Menschen in Isfahan, die willkürlich verhaftet werden, im schlimmsten Fall auch getötet werden, weil sie für diese Demokratie auf die Straße gehen. Deswegen glaube ich schon, dass man jetzt Partei ergreifen muss, auch seitens Freiburgs im Rahmen dieser Städtepartnerschaft, für diejenigen, die für Gleichberechtigung, für Demokratie, für mehr Freiheit kämpfen.

Ich kenne das Gegenargument, das zum Beispiel Günther Burger von der Stadt Freiburg verwendet hat. Er hat gesagt: “Isfahan ist nicht Iran. Wir haben die Partnerschaft mit Isfahan, wir haben keine mit Iran. Man muss das einfach unterscheiden und auseinanderhalten”. Aber ich meine, das geht nicht. Schon alleine deswegen, weil der Bürgermeister von Isfahan, Mortéza Saghaiannedschad, zu den engen Freunden von Ahmadinedschad gehört.

Ich habe in der Vorbereitung auf den heutigen Abend in einigen Internetquellen gefunden, er sei Minister im ersten Kabinett gewesen von Ahmadinedschad. Ich habe dann einen iranischen Freund gebeten, das genau zu überprüfen in den verschiedenen iranischen Veröffentlichungen. Es kam heraus, dass der Bürgermeister von Isfahan nicht Minister war, aber doch auf der allerersten Kabinettsliste von Ahmadinedschad im Juni 2005 mit aufgeführt wurde als einer der Kandidaten für den Posten als Energieminister. Das zeigt schon, dass es da enge Verbindungen gibt, und erst jetzt hat Ahmadinedschad Isfahan zur Kulturhauptstadt Irans erklärt. Woraufhin dann der Bürgermeister dafür gedankt hat.

Sie kennen bestimmt dieses geläufige Wort im Iran: „Isfahan nefse dschahan – Isfahan ist die Hälfte der Welt“. Das heißt: Isfahan hat eine riesige Bedeutung im Iran, nicht nur als Zentrum der Atomindustrie. Man kann die Bedeutung von Isfahan vergleichen mit der Bedeutung, die Karlsruhe für die Atomtechnikentwicklung in den 60er Jahren hier in Deutschland hatte. Es ist aber auch ein kulturelles Zentrum, ein historisches Zentrum, und heute auch ein Zentrum der Unterdrückung. In bestimmten Bereichen rühmt sich Isfahan sogar, bei der Unterdrückung seiner eigenen Bürger Vorreiter zu sein. Es gibt, wenn man sich darum bemüht, Informationen im Internet. Ich verweise nur auf den Artikel von Bahman Nirumand vom 24. Dezember 2009 in der TAZ: “Schwere Unruhen im Iran. Tränengas und Knüppel in Isfahan”, in dem von gewalttätigen Auseinandersetzungen berichtet wird. Zehntausende wollten um den verstorbenen Großajatollah Montaseri trauern und wurden dann mit brutalster Gewalt daran gehindert, die Moschee zu betreten.

Das heißt: Wir müssen uns vor Augen halten, dass hier eine ganz klare Entscheidung notwendig ist. Man kann nicht sagen, ich bin gleichzeitig für die eine Seite und für die andere Seite. Man muss schon artikulieren, für wen man wirklich Solidarität leisten möchte.

Was ich jetzt im folgenden über das Großregime Iran erklären möchte, gilt gleichermaßen immer auch für das Kleinregime, das die Bürger von Isfahan unterdrückt. Ich gehe auf die Fragen ein, die mir von den Veranstaltern vorgegeben wurden, und komme dann noch mal auf die Städtepartnerschaft zurück.

Die erste Frage, die mir vorgelegt wurde, lautet: Warum halten Sie das Mullah-Regime für brandgefährlich?

Nun, es war immer schon sehr gefährlich. Aber im Juni 2009 nach diesem Wahlputsch hat sich die innerhalb des islamistischen Denkmodells gefährlichste Variante an die Macht geputscht, mit Ahmadinedschad und seinen Getreuen, mit Khameinei, der immer voll zu ihm gehalten hatte. Bis dahin hatte die iranische Führung immer damit angegeben, ein Vogel mit zwei Flügeln zu sein. Man hätte einen reformerischen Flügel, wobei der Begriff reformerisch völlig anders interpretiert werden müsste als das normalerweise in Deutschland geschieht. Und man hat einen anderen Flügel. Nun hat man den einen Flügel abgekappt, der andere Flügel ist übrig geblieben und unterdrückt die Meinungsäußerungen der anderen Seite.

Dieser Flügel ist aus drei Gründen so gefährlich. Erstens: Weil er einem apokalyptischen Geschichtsmodell anhängt. Ahmadinedschad unterscheidet sich von seinem Konkurrenten Moussawi vor allen Dingen in der Frage, wie man mit dem schiitischen Messias, mit dem so genannten zwölften Imam umgeht. Das ist ein Mythos, der im Iran allgemein für alle Moslems Gültigkeit hat. Aber die eine Seite sagt, dass ist ein Mythos und der hat eigentlich mit Politik nichts zu tun, während Ahmadinedschad der erste Präsident Irans ist, der behauptet, er könne durch eine bestimmte Politik die Wiederankunft des Messias beschleunigen. Und es geht noch weiter. Ahmadinedschad sagt, er selber stünde in einer bestimmten Beziehung zu diesem Messias, es wäre ihm möglich gewesen, bei der ersten UN-Vollversammlung alle Zuhörer in eine Starre zu versetzen, er hätte einen goldenen Schein um den Kopf gehabt. Er behauptet, er würde eine Art Vorreiter für diesen Messias sein, für den zwölften Imam, und der komme dann, wenn Chaos auf der Welt herrsche und errette die Welt. Das ist ein apokalyptisches Szenario, das es bisher in den verschiedenen anderen Tendenzen des Islamismus im Iran nicht als dominante Kraft gegeben hat.

Das koppelt sich mit Punkt zwei: Mit einem Antisemitismus, der nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, weil wir die Bilder kennen, in denen Ahmadinedschad einen Rabbi umarmt bei der Holocaustleugner-Konferenz. Er spricht nicht von „Juden“, er spricht von „Weltzionismus“. Aber wenn wir genau hinhören, merken wir, dass er das Wort Zionismus exakt in dem gleichen Sinn gebraucht, wie Hitler das Wort Judas gebraucht hat. Er sagt, die Weltzionisten sind schuld an allem Übel der Welt. Sie kontrollieren die Medien, die Wirtschaft, die Politik in den westlichen Ländern. Es ist exakt die gleiche Zuweisung, die Hitler den Juden oder Judas als allgemeinem Begriff gegeben hat. Insofern ist das ein sehr antisemitisches Regime. Wobei wir uns vor Augen halten müssen, dass Ahmadinedschad immer wieder in seiner Rhetorik – und das ist nicht nur Rhetorik, es ist auch so gemeint – behauptet, wenn Israel beseitigt wäre, würde die Welt befreit sein. Es gibt sehr viele Passagen, die diesen Gedankengang vertreten, und es ist genau das Gefährliche, das auch den Nazi-Antisemitismus ausgezeichnet hat: Der feste Glaube, zu wissen, was das Übel ist für Kriege, für Unfrieden, für Zwistigkeiten. Und dann wenn wir dieses Übel beseitigen, dann ist die Welt befreit. Das heißt, das Regime Ahmadinedschad verfolgt eine positive Utopie, eine Welt des ewigen Friedens. Er behauptet, wenn Israel ausgelöscht sei, würde man – und zwar als ersten Schritt, letztendlich geht es ihm überhaupt um die westliche Kultur, um die so genannte Welt der Arroganz – dann würde man diesen ewigen Frieden im Sinne einer bestimmten Interpretation des Korans erlangen.

Der dritte Punkt, warum das Regime brandgefährlich ist: Es zielt nicht darauf ab, regionale Stabilität herbei zu führen. Es ist ein Regime, das Instabilität propagiert, das expansiv ist, dass klar erklärt in den Stellungsnahmen seiner Ideologen, dass man die gesamte Welt zu dieser Interpretation des Korans bringen müsse, die im Iran im Moment mit Terror durchgesetzt wird. Dieses Konzept analysiere ich in meinem Buch ausführlicher anhand der ursprünglichen Schriften von Khomeini. Wir müssen uns vor Augen halten, dass der Terror im Iran seit dem Juni 2009 eigentlich nur das Vorspiel ist für Terror nach außen. Man hätte auch Mussawi gewinnen lassen können, man hätte auch keinen Wahlbetrug begehen können. Aber das Regime war so auf die Fortsetzung dieser Form von Außenpolitik erpicht, dass man sogar die größtmögliche Glaubwürdigkeitskrise in Kauf nahm, um an dieser Atom- und Außenpolitik festhalten zu können. Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass mit diesem Regime eine Kriegsgefahr verbunden ist, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht existiert hatte.

Die zweite Frage an mich lautete: Was kritisieren Sie an der deutschen Politik gegenüber dem Iran?

Wir müssen uns vor Augen halten, dass Deutschland in Bezug auf Iran in einer ganz besonderen Stellung ist. Erstens technologisch. In meinem Buch gehe ich auf die Geschichte der beiden Länder ein. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts schon war Deutschland der Wunschpartner, lange vor dem Ersten Weltkrieg, weil Iran eine Macht suchte, die nicht kolonialistisch aktiv war, aber dennoch technologisch auf einem hohen Stand war und Nachschub liefern konnte nach Iran. Die Deutschen suchten ein Land, das noch nicht kolonialistisch verteilt war, aber Rohstoffe besaß. Insofern waren es richtige Wunschpartner, die sich gefunden hatten, und im Ersten Weltkrieg wurde die Zusammenarbeit sehr stark. Man hatte Kaiser Wilhelm II als heimlichen Moslem verehrt, als Held, als Befreier Irans. Es gab eine Dschihad-Bewegung im Ersten Weltkrieg, die auch von Berlin aus unterstützt worden ist gegen die Briten und die Russen. Aufgrund dieser Vorgänge gab es zur Zeit der Weimarer Republik unter Reza Schah eine sehr starke Tendenz, sich antibritisch, aber prodeutsch auszurichten, was dazu geführt hat, dass deutsche Industrien den Grundstock für die iranische Industrie gelegt haben.

Das ist der Grund dafür, warum zum Beispiel der frühere Geschäftsführer der deutsch-iranischen Industrie- und Handelskammer in Teheran in einem Focus-Interview erklärt, zwei Drittel der iranischen Industrie basiere auf deutscher Technik. Und das ist Technik, die man nicht so einfach durch russische oder chinesische Technik ersetzen kann, es geht zum Beispiel um Ersatzteile. Deutschland stellt also ein sehr wichtiges Moment dar in der ganzen industriellen Entwicklung, und deshalb existiert auch ein großer Hebel, um unter Umständen über Embargos oder Sanktionen iranische Politik zu beeinflussen. Die iranische Wirtschaft ist sehr stark von deutscher Hochtechnologie abhängig, das ist das Hauptfeld, auf dem Deutschland nach Iran exportiert.

Zweitens: Der Höhepunkt der industriellen Zusammenarbeit war während der Nazizeit. 1939/40 kamen ungefähr 40 Prozent sämtlicher Einfuhren in den Iran aus Nazi-Deutschland und ungefähr 40 Prozent aller Ausfuhren aus Iran gingen nach Deutschland. Das heißt, der Höhepunkt der Zusammenarbeit war erreicht, als man sich im Kontext des so genannten arischen Mythos ganz eng verbunden und privilegiert zusammengearbeitet hatte. Wir müssen uns vor Augen halten, dass heute in der Welt kein anderes Regime so antisemitisch argumentiert wie Iran. Dass es das einzige Land der Welt ist, das die Holocaustleugnung zu einem Thema seiner Außenpolitik gemacht hat. Als deutsche Nation haben wir eine spezifische Verantwortung, wie wir mit unserer eigenen Geschichte umgehen. Es gibt eine historische Verantwortung, dass man nach all dem, was hier im Lande passiert ist, nicht einfach eine Art Appeasement betreiben darf gegenüber dem einzigen Land, das diese Art von Erlösungs-Antisemitismus propagiert, diesen ganz gefährlichen Antisemitismus. Saul Friedlander sprach von „redemptive antisemitism“.

Der dritte Punkt: Es gibt kein anderes Gebiet, auf dem Deutschland so massiv weltpolitisch intervenieren kann. Denn neben den fünf Atommächten im UN-Sicherheitsrat, den fünf Vetomächten, ist Deutschland die sechste Macht, der die Iran-Akte in die Hand gelegt worden ist. Was im Auswärtigen Amt iranpolitisch entschieden wird, hat globale Bedeutung. Auf keinem anderen Gebiet wurde Deutschland so zentral bei entscheidenden Fragen der Weltpolitik mit einbezogen. Vor diesem Hintergrund bin ich sehr überrascht über das niedrige Niveau der außenpolitischen Diskussion in Deutschland über diese Frage. Es wird nicht diskutiert über verschiedene mögliche Alternativen, wie man in der Außenpolitik mit Iran umgeht, sondern man hält im Grunde genommen seit hundert Jahren immer an einem Konzept fest: nämlich Einbindung und Widerstand gegen jede Form, Iran vielleicht doch zu isolieren durch die USA und enge Zusammenarbeit.

Steht Deutschland in der ersten Reihe derer, die versuchen, jetzt dieses Atomprojekt zu verhindern? Leider nicht. Wir haben es einerseits bei den 5+1 Gesprächen gesehen. Da hat Deutschland, worauf auch Herr Erler in einem Interview hingewiesen hat, immer eine Art Mittelposition vertreten. Es gab auf der einen Seite die USA, Frankreich und Großbritannien, auf der anderen Seite China und Russland. Deutschland war dazwischen und in manchen Entscheidungen auch auf Seiten von Russland und China. Ich meine, dass das nicht der historischen Verantwortung entspricht, die wir haben. Es gibt ein zweites Problem: Wenn der UN-Sicherheitsrat nicht mehr die notwendigen friedlichen Druckmittel aufwenden kann, weil sich China oder Russland damit zu schwer tun, dann müsste es eine „Koalition der Willigen’ geben: westliche Länder mit hohem industriellen Potential, die Iran eigenständig unter Druck setzen könnten. Leider wurde dieser Kurs einer Koalition der Willigen außerhalb der UN bisher von Deutschland ebenfalls nicht propagiert oder befördert. Es gab zwar in den letzten Monaten einige widersprüchliche Aussagen von der Bundeskanzlerin. Aber nach wie vor waren es Großbritannien und Frankreich, die auf diese Koalition der Willigen gedrängt haben, von den USA ganz zu schweigen, während sich Deutschland eher versteckt hat. Und drittens gibt es im Bundestag so viele Möglichkeiten, durch Gesetze die ständige industrielle Zufuhr nach Iran zu bremsen oder zu stoppen. Die Möglichkeit unilateraler Maßnahmen durch die Bundesrepublik, durch Gesetze des Bundestages wurde nicht wirklich ausgenutzt.

Der dritte Frage an mich lautete: Wieso bevorzugen Sie Druck und Sanktionen gegen das Regime gegenüber einer Dialogpolitik?

Aber natürlich bin ich für Dialog. Dialog ist die zivilisierte Form der Auseinandersetzung, es ist immer die bessere Form, sich über Dialoge zu verständigen und Kompromisse zu suchen. In diesem Fall haut aber der Dialog nicht hin. Denn er setzt Partner voraus, die ihn wollen. Wenn ich einen normalen Partner habe – nehmen wir einen von Ihnen hier im Raum – und ich verhalte mich besonders freundlich Ihnen gegenüber, werden Sie die Freundlichkeit erwidern. Wenn ich aber einen Gegner habe, der mich vernichten möchte, der den Westen als obersten Feind betrachtet, dann ist es genau anders herum. Dann wird in dem Maße, in dem ich freundlich zu ihm bin, diese Freundlichkeit verhöhnt und für andere Interessen genutzt. Das bedeutet, dass es nicht so einfach ist mit dem Dialog, wenn wir derartige antagonistische Kräfte am Werk sehen.

Wir haben es besonders klar erlebt am Beispiel Obama, der bis zur „Selbstverachtung“ hin – das ist ein Zitat aus der F.A.Z. – sich geradezu angedient hatte. Er hat zum Neujahrsfest der Iraner geschickt, die wirklich schon mehr waren, als nur eine offene Hand zu reichen. Was wurde gemacht? Es wurde völlig auf die andere Karte gesetzt. Es gab die historische Chance: Man hätte Mussawi die Wahl gewinnen lassen können, man hätte sich sogar ein Gipfeltreffen zwischen Mussawi und Obama vorstellen können. Es war die Chance der Entspannung gegeben. Das Regime unter Khameinei, dem Revolutionsführer, hat anders entschieden und erklärt, dass das auf keinen Fall passieren soll. Und hat dafür sogar die ganze innenpolitische Krise in Kauf genommen, um Ahmadinedschad weiter durch zu setzen. Wir haben daraus die Lehre gezogen: Wer es nicht vorher wusste, wurde jetzt zumindest darüber belehrt, dass es nicht von den USA abhängt, wie sich das iranische Regime verhält. Denn wenn es von den USA abhinge, wäre jetzt schon längst Mussawi Regierungschef und man hätte ein besseres Verhältnis zwischen den beiden Ländern als zuvor.

Wir haben auch gelernt, dass es Iran offenkundig nicht um Sicherheitsbedrohungen seiner Nation geht, wenn es diese Atompolitik betreibt. Denn wenn es wirklich um Sicherheit ginge, hätte man das Angebot von Obama gerne aufgenommen, hätte man sich mit ihm arrangiert, um die Sicherheit Irans zu verbessern. Man hat diesen Weg ausgeschlagen, brüsk ausgeschlagen, mit einer Gewalt ausgeschlagen, die keiner so voraus gesehen hatte, weil es um andere Interessen geht, die völlig unabhängig von den USA formuliert werden und die nicht mit Sicherheit, sondern mit Unsicherheit, mit Destabilisierung, mit expansiven Plänen zu tun haben.

Die letzte Frage an mich lautet: Was halten Sie von der Städtepartnerschaft Freiburg-Isfahan?

Ich bin für internationale Solidarität. Wir müssen aber den Begriff der Solidarität, das große Wort der Solidarität, mit Inhalt füllen. Man kann mit der Stadtverwaltung von Isfahan solidarisch sein. Man kann das kleine Regime in Isfahan anerkennen. Dann würde man die Verbrechen, die es begeht, verschweigen und sich das herauspicken, was man in ein positives Licht rücken kann. Dann würde man Normalität suggerieren, wo eigentlich der Ausnahmezustand herrscht. Dann würde man die Kulisse der Kultur vorschieben, damit man die Unterdrückung dahinter nicht so klar erkennt. Das wäre eine Art von Solidarität.

Man kann aber auch solidarisch sein mit denjenigen, die von diesem kleinen und großen Regime verfolgt, gefoltert, mit Todesurteilen übersehen, als Frauen unterdrückt und entwürdigt werden. Und das würde bedeuten, dass man eine andere Form von Solidarität praktiziert. Wenn jetzt hier in Freiburg in ein paar Tagen wieder der „Markt der Städtepartnerschaften“ ansteht und Isfahan soll dort der Schwerpunkt sein, dann würde man zum Beispiel aus diesem Anlass wenigstens eine Straße in Freiburg nach Neda benennen, der Frau, die getötet worden ist in den Protesten. Dann würde ich erwarten, dass man in großen Plakaten deutlich macht, was dort für ein Regime herrscht, dass man sich solidarisiert mit denen, die wirklich für eine offene Gesellschaft eintreten und für ein westliches Modell von Freiheit verzweifelt kämpfen.

Die meisten Städte unternehmen nichts zu Iran, die lassen die Demokraten einfach so im Stich. Wenn Sie aber an der offiziellen Partnerschaft mit der Verwaltung von Isfahan so wie bisher festhalten, wenn Sie sich also iranpolitisch so engagieren, dass nichts Negatives über das islamistische Regime verlautbar wird, dann ist in der Tat die Gefahr groß, dass – auch wenn Sie das vielleicht individuell gar nicht wollen – am Schluss eine Art von Komplizenschaft mit dem derzeit wohl schlimmsten und gefährlichsten Regime der Welt dabei heraus kommt. Ich bin der Meinung, man solle die offizielle Partnerschaft Freiburg-Isfahan aussetzen und offiziell ersetzen durch eine Partnerschaft mit den Demokraten und DemokratInnen Irans.

Gernot Erler: Mein Ansatz ist doch deutlich anders als der von Herrn Küntzel.

Die erste Frage, die an mich gerichtet wurde, richtet sich auf die Einschätzung des Regimes in Teheran. Meine Position will ich hier an drei Punkten deutlich machen.

Erstens glaube ich, dass das Regime in Teheran eine Katastrophe ist und eine Gefahr für die eigene Bevölkerung darstellt. Da unterscheidet sich Herr Küntzel von mir nicht. Und natürlich hat sich das dramatisiert, nach den Präsidentschaftswahlen im letzten Juni: Mit den Massenverhaftungen, mit der Gewalt, die angewandt worden ist gegen die Opposition, mit den brutalen, also auch mit körperlichen Mitteln durchgesetzten Einschüchterungsversuchen, durch verschiedene Schlägerbanden, sei es durch Pasdaran oder Bassidschi, und eben auch mit einer zunehmenden Abschottungspolitik. Dieses Konzept der sogenannten „Kulturrevolution“ ist jetzt wieder wachgerufen worden: Es sind sechzig westliche Organisationen definiert worden, mit denen ein Iraner keinen Kontakt haben darf. Ganz ausdrücklich wird versucht, die Bevölkerung von jeden Kontakten mit dem Westen abzuschneiden. Und es ist sogar gefährlich, diese Verbote hier zu überschreiten.

Leider muss man allerdings auch sagen, dass seit dieser Zeit – in der es auch bei uns viel Sympathie für die Opposition im Iran gegeben hat und auch in Freiburg Sympathieveranstaltungen stattfanden, an denen ich selbst teilgenommen habe – eine Entwicklung stattfand, die im Ergebnis eine Stabilisierung des Regimes gebracht hat. So traurig das ist, ist es der Fall. Wir haben heute eher einen Rückzug der iranischen Opposition in ein Grassroots-Dasein, also eine wirkliche Bewegung von ganz unten, ohne eine sichtbare Führung, im Augenblick auch ohne große Chancen, sich verständlich zu machen im eigenen Land. Heute, fast schon ein Jahr nach diesen dramatischen Ereignissen, sitzt das Regime wieder deutlich fester im Sattel als etwa im Sommer und Herbst 2009.

Zweitens: Das Regime stellt eine Gefahr für die gesamte Region dar, ganz besonders natürlich für Israel, aber auch für den Nahost-Friedensprozess. Es ist bekannt: Iran unterstützt vor allem die Gegner Israels, ob das die Hamas ist, ob das die Hisbollah im Libanon ist. Teheran versucht, Syrien auf der Spur eines Frontstaates im Nahost-Konflikt zu halten, und es gibt auch erhebliche Spannungen mit den arabischen Staaten am Golf, mit dem Golfkooperationsrat. Auch das sind Spannungen, die nicht verharmlost werden können, die eine Gefahr für eine friedliche Entwicklung in der Region darstellen.

Allerdings würde ich das nicht so ausdrücken wie Matthias Küntzel. Es ist nicht so, dass der Iran aus irgendwelchen ‚teuflischen’ Überlegungen heraus ausschließlich Interesse an Destabilisierung hat. Dass er nicht an einer Lösung des Nahost- Friedensproblems Interesse hat, das ist ganz eindeutig. Man kann sogar sagen, dass das Palästinenser-Thema eine Art Legitimationsgrundlage für die radikalen Positionen in der iranischen Führung darstellt. Es wird doch auch immer instrumentalisiert, als Rechtfertigung – übrigens nicht nur im Iran, aber eben auch im Iran.

Aber es gibt durchaus auch einen völlig anderen Iran. Zum Beispiel ist der Iran in Afghanistan und im Irak sehr wohl an Stabilisierung interessiert, weil es dort den eigenen Interessen nützt, und er macht auch eine entsprechende Politik. Eines muss man erkennen: Eine Lösung des Nahost-Problems und eine Friedenslösung des Palästinenser-Problems wird es ohne und gegen den Iran nicht geben. Das ist eine außerordentlich wichtige Erkenntnis, weil man daraus Schlussfolgerungen für die eigene Politik ziehen muss.

Der letzte Punkt: Das Regime stellt eine Gefahr für den Frieden dar durch dieses Nuklearprogramm, das seit 2003 überhaupt erst deutlich geworden ist, das aber schon fast zwei Jahrzehnte vorher betrieben worden ist. Es weigert sich, hier die Forderungen der internationalen Gemeinschaft, auch die Auflagen von den Vereinten Nationen zu befolgen. Das ist übrigens schon gefährlich, denn wir haben keine andere Autorität in der Weltpolitik wie den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, und die Vereinten Nationen überhaupt. Und ein Land, das permanent den Beschlüssen des Sicherheitsrates nicht folgt, stellt auch die Autorität der Vereinten Nationen in Frage, das ist für sich schon eine Gefahr.

Natürlich ist dieses Atomprogramm eine tödliche Gefahr für Israel. So wird es auch von den Nachbarn des Iran wahrgenommen. Sollte es tatsächlich zum Bau einer iranischen Atombombe kommen, wird das Wahrscheinlichste ein atomares Wettrüsten in dieser Region sein. Dann würden die ganzen schönen Ideen, die ja in letzter Zeit wieder mehr in den Vordergrund kommen wie eine atomwaffenfreie Welt, in weite Ferne gerückt. Also es sind schon drei sehr negative Attribute, die man hier an diesem Regime festmachen muss.

Ich bin von den Veranstaltern des weiteren nach dem Umgang mit dem Iran gefragt worden und dabei auch mit der Frage konfrontiert worden, wie es sich denn mit den politischen und wirtschaftlichen Sanktionen verhält.

Hierbei muss ich eine ganz andere historische Einordnung versuchen als Herr Küntzel, der sehr stark auf die Deutsch-Iranische bilaterale Schiene abgehoben hat. Für mich ist der Ausgangspunkt ein völlig anderer: Das ist der 11. September 2001 und die amerikanische Politik, die sich danach ergeben hat. Nach nine eleven hat es die amerikanische militärische Intervention in Afghanistan gegeben, es gab dann die Rede im Januar 2002 von George W. Bush über die „Achse des Bösen“, in der direkt nach dem Irak der Iran auftauchte, noch vor Nordkorea. Im Jahr 2003 wurde dann der Irakkrieg zunächst einmal erfolgreich von Amerika durchgeführt, so schien es jedenfalls. Militärisch war es auf jeden Fall erst einmal ein Erfolg.

Es gab dann ja eine ganz offene Diskussion, ob jetzt nicht die “Achse des Bösen“ weiter verfolgt wird von der amerikanischen Politik. Das hätte geheißen, jetzt gleich weiter machen mit militärischer Intervention im Iran. Und es ist kein Zufall, Herr Küntzel, dass genau an dieser Stelle das einsetzt, was sie so sehr kritisieren und sogar teilweise mit „Appeasement“ bezeichnet haben – was meines Erachtens eine historische Fehlinterpretation von der Anwendungsfähigkeit dieses Begriffes ist. Exakt als Alternative zu der amerikanischen militärischen Interventionspolitik, die ihren Höhepunkt 2003 im Irak-Krieg hatte und die sich drohte fortzusetzen mit einem weiteren Krieg im Iran, sind die drei europäischen Staaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland tätig geworden. Sie haben versucht, einen politischen Prozess in Gang zu setzen, um – anders als George W. Bush bei bisher zwei Fällen – das Problem mit dem Iran auf dem Verhandlungsweg zu lösen.

Und bis heute ist nach meiner tiefen Überzeugung das, was die Europäer da angestoßen haben, eine Alternative zu einer militärischen Lösung, deren Ausmaß und Gefährlichkeit wir ja im Augenblick sowohl in Afghanistan als auch im Irak bis heute jeden Tag noch vorgeführt bekommen. Es hat ein Verhandlungsprozess begonnen, der von Anfang an darauf abgezielt hat, im Grunde genommen eine beiderseitige Gewinnsituation herbei zu führen. Wir wollten, dass auf der einen Seite die Iraner ihre Programme offen legen, dass sie den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach „Suspension“ zustimmen – so heißt der Fachbegriff für die Unterbrechung ihrer Konversionstätigkeit, ihrer Anreicherungstätigkeit, ihrer Wiederaufarbeitungstechniken. Aber wir wollten auf der anderen Seite, dass sie dafür auch einen erheblichen Strauß von Gegenleistungen bekommen. Am deutlichsten niedergelegt ist das in dem Angebot vom 5. August 2005, wo eben diese drei europäischen Staaten – und das stimmt, Deutschland hat dabei eine wichtige Rolle gespielt – angeboten haben, die damals schon bestehenden Sanktionen gegen den Iran aufzuheben, sogar eine Zusammenarbeit im zivilen Nuklearbereich anzubieten, in der Hochtechnologie zusammenzuarbeiten, die Märkte weiter zu öffnen für den Iran – die westlichen Märkte, die weitgehend verschlossen waren – und obendrein einen Sicherheitsdialog zu führen. Einschließlich – und das war eigentlich sensationell damals – einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten.

Wir hatten wirklich gehofft, dass das auch für den Iran ein attraktives Angebot ist, dass es der Führung nicht so leicht fallen würde, dieses auszuschlagen, mussten aber dann in der Tat erhebliche Lektionen lernen. Nämlich, dass der Iran nicht unzufrieden mit diesem Angebot war, es aber von den falschen Partnern kam. Im Grunde genommen hat der Iran diese Aktion der drei europäischen Staaten nie als vollwertig genommen, solange nicht Amerika dabei war. Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass ab 2006 dann nicht mehr die „E3“, wie der Kürzel für diese drei Staaten lautete, sondern „E3 plus 3“ verhandelt haben. Ich weiß nicht, wie Sie auf diese komische Zahl „5 plus 1“ kommen. „E3 plus 3“ heißt: die drei europäischen Staaten plus Amerika, Russland und China. Die haben ab 2006 dann die Verhandlungen geführt. Seitdem ist es das Schwierigste, diese sechs verschiedenen Staaten zusammen zu halten bei einer gemeinsamen Iranpolitik.

Und da stehen allerdings tatsächlich dann die deutschen Interessen und auch die deutschen Möglichkeiten, Einfluss auf diese Politik zu nehmen, zurück, weil Amerika die schwierige Aufgabe hat, die Iranpolitik mit Russland und mit China abzugleichen und gemeinsam zu gestalten. Wobei die europäischen Staaten dabei versuchen zu helfen. Ich kann jetzt hier nicht die einzelnen Etappen dieses Verhandlungsprozesses nachzeichnen. Aber durchaus ist es so, dass der Iran lange versucht hat, zu verhindern, dass das ganze Thema vor die VN kommt, nämlich diese Unklarheit über die eigenen Atomprogramme und die Forderungen, das aufzudecken. In drei verschiedenen Uno-Resolutionen wurden diese Forderungen der Weltgemeinschaft an Iran gestellt, und mit steigender Tendenz wurde dies mit Sanktionsdrohungen und auch mit verhängten Sanktionen verbunden. Im Augenblick sind wir in der Vorbereitung einer vierten Resolution der VN, also des höchsten Organs, das zuständig ist für globale Konflikte.

Im Augenblick gibt es eine neue Steigerung des Drucks auf den Iran. Das Erstaunliche ist, dass immer noch diese sechs Staaten, die drei europäischen plus USA, Russland und China, hier zusammengeblieben sind. Der Katalog der Sanktionen ist sehr lang. Er richtet sich auch sehr gezielt gegen verschiedene Gruppierungen im Iran, zum Beispiel sollen die Gelder der Revolutionsgarden eingefroren werden. Es gibt Investitionsverbote für iranische Investitionen im Ausland in bestimmten Bereichen und weitgehende Handelsbeschränkungen, ganz besonders auch im militärischen Bereich. Es gibt die Erlaubnis, Handelsschiffe, die in den Iran oder aus dem Iran kommen, auf hoher See und auch in Häfen zu kontrollieren. Das sind erhebliche Sanktionen.

Ich bin gefragt worden: Wie ist denn dein Verhältnis zu Sanktionen?

Ich habe mich in der Tat immer gegen eine Politik der Ausgrenzung und der Isolierung des Iran gewandt. Ich habe darauf hingewiesen, in welchem Kontext die europäische Iranpolitik und damit auch die deutsche entstanden ist. Diese hat eine Alternative zu dem katastrophalen Abgleiten in militärische Interventionen gesucht, und bis heute haben wir es geschafft, auf dieser Spur zu bleiben. Aber das geht nicht ohne Druck, das ist völlig klar. Wir wissen, dass dieses Regime nicht bereit ist, ohne Druck auf die Forderungen der Weltgemeinschaft einzugehen. Aber die Sanktionen, die hier beschlossen worden sind, die bleiben im Kontext des Versuches, eine politische Lösung für dieses Problem zu finden. Sie sind jederzeit rücknehmbar, sie sind immer verbunden mit der Aufrechterhaltung der politischen Angebotspalette, die ich beschrieben habe. Das liegt alles weiter auf dem Tisch, der Iran kann zu jedem Zeitpunkt sagen: wir folgen jetzt diesen Forderungen, zum Beispiel nach Unterbrechung unserer Nuklearprogramme, Aufdeckung unserer bisherigen Aktivitäten und hätten dann das volle Recht, auf die westlichen, sehr weit gehenden Kooperationsangebote zurückzukommen – bis hin zu einem wirklichen Sicherheitsregime im Nahen Osten auch im Sinne der iranischen Sicherheit, bis hin auch zu einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten. Übrigens eine Sache, die für Israel nicht gerade einfach ist, dies kann man sich ja vorstellen. Trotzdem hat Amerika, das ist bemerkenswert, auch diesem Vorschlag zugestimmt. Soviel zu der Frage, welche Rolle eigentlich Sanktionen und auch Maßnahmen, die verhängt werden, haben.

Damit komme ich jetzt zum vorletzten Punkt, den ich ganz kurz mache, nämlich die Frage nach einer Zwischenbilanz dieser Dialogpolitik.

Es ist bisher nicht geglückt, den Iran dazu zu bringen, die Forderungen der Weltgemeinschaft zu erfüllen und auf dieses Angebot einzugehen. Also, es gibt keine positive Bilanz. Obwohl man natürlich viele einzelne Punkte hier nennen könnte, die trotzdem in diesem Prozess geklärt werden konnten. Und das hat zu einer Kritik von zwei Seiten geführt. Die eine – und das wissen Sie, Herr Küntzel – kommt von einer ganz anderen Seite, von Christoph Bertram oder ähnlichen Leuten, Autoren, die sagen: Das ist falsch, solche Sanktionen zu verhängen. Mit Druck wird man dem Iran überhaupt nicht beikommen, man sollte das alles beiseite lassen und versuchen, auf eine sozusagen freundschaftliche Weise zu einem Ergebnis zu kommen. Ich bin nicht der Überzeugung, dass das möglich ist, dass man das machen kann.

Die andere Seite vertreten Sie und andere, die sagen: Das ist alles viel zu weich, dieser politische Dialog und dieser Verhandlungsprozess haben zu nichts geführt. Mein Problem ist, dass ich nicht weiß, wie ich anders eine Kriegssituation vermeiden kann als dass ich auf diese Karte der politischen Verhandlungen und auf eine doubletrack-Strategie setze: auf die Angebote, die auf dem Tisch liegen, und auf die langsam aber sicher verstärkten Sanktionen, die auf der anderen Seite durchgeführt werden. Die aber nie den Charakter einer Einbahnstraße oder einer Mausefalle haben, wie das etwa im Irak der Fall war. Wer sich an den Irakkrieg besinnt, weiß, dass die angedrohten und durchgeführten Sanktionen irgendwann soweit waren, dass man Ultimaten stellte. Und wenn die nicht erfüllt waren, war es eine Frage der Gesichtswahrung, dann auch tatsächlich die Waffen sprechen zu lassen. Diese Situationen haben wir bisher immer vermieden.

Jetzt komme ich kurz zu der Städtepartnerschaft.

Sie werden hier mit Recht erwarten, dass ich eine andere Position habe als Herr Küntzel. Was sind eigentlich Städtepartnerschaften? Städtepartnerschaften gibt es in Deutschland sehr viele, auch in Freiburg sehr viele. Sie haben etwas mit Deutschlands Situation nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Sie sind Teil einer Aussöhnungspolitik mit den ehemaligen Gegnern im Zweiten Weltkrieg. Es gibt sie vor allen Dingen mit den Staaten, in denen wir schreckliches Unrecht getan haben. Das sind die allermeisten und das sind auch die aktivsten. Das bedeutet aber schon, dass Städtepartnerschaften eins eben auf keinen Fall sind: Irgendwelche Instrumente, die man für politische Ziele einsetzt. Das ist schon völlig gegen die Tradition von Städtepartnerschaften in Deutschland. Und wir haben auch in Freiburg bei den vielen, die wir haben, nicht eine einzige, die auch nur ansatzweise einmal in diesem Sinne benutzt worden ist. Und ich glaube, dass man dem Charakter und der ganzen Philosophie von Städtepartnerschaften unrecht tun würde, wenn man sagt: Das ist etwas wie eine Art Waffe, die man in der Hand hat, die man schmieden muss, um vielleicht irgendwelche politischen Ziele, Parteinahmen oder sonst etwas zu erreichen. Dann wird man den Gedanken von Städtepartnerschaft kaputt machen. Man wird auch die eigene Bevölkerung spalten hierbei, das wird auch nirgendwo so gemacht.

Wir haben hier in Freiburg Solidaritätsveranstaltungen mit der iranischen Opposition durchgeführt. Natürlich habe ich mich zusammen mit dem Rektor der Universität damals nach dem Juni, als wir hörten, dass in Isfahan Studenten windelweich geprügelt worden sind, dass es auch Tote dort gegeben hat, zum Beispiel an die Universität in Teheran gewandt. Und wir haben nicht nur protestiert, sondern auch Aufklärung, auch im Namen der Städtepartnerschaft, erbeten und gesagt, wir haben das Recht dazu. Aber das ist etwas anderes, als eine Städtepartnerschaft zu einem Instrument mit politischen Zielen zu machen. Das haben wir nicht getan und das haben wir auch nicht vor.

Die Städtepartnerschaft, die Freiburg mit Isfahan hat, ist für die Regierung des Iran viel unbequemer als für uns. Sie widerspricht vollkommen dieser Abschottungs- und Isolierungspolitik, die dort betrieben wird. Wir hatten jetzt erst wieder die Aufführung des Stücks „Simurghs letzte Feder“ von Ferdousis Schahnameh hier in einer Gemeinschaftsproduktion des Theaters am Marienbad mit einem Teheraner Theater. Das war eine Chance, dass sich Künstler, dass sich Leute aus dem Kulturleben intensiv im Prozess dieser Erarbeitung einer gemeinsamen Aufführung unterhalten haben, Informationen bekommen haben, die im Augenblick überhaupt nicht zugänglich sind in diesem Land. Jeder Kontakt mit einem Ausländer ist heute gefährlich. Aber jeder Kontakt mit einem Ausländer ist auch eine Chance, Informationen zu bekommen, die man eben heute nur noch unter Einsatz von erheblichen Risiken überhaupt im Iran bekommen kann. Und diese Chance aufrecht zu erhalten, das alleine macht eine Städtepartnerschaft schon sinnvoll, auf jeden Fall bewahrenswert.
Wir halten da ja eine Balance. Wie Sie wissen, Herr Küntzel, gibt es keine offiziellen Kontakte zwischen der Freiburger Stadtverwaltung und der Stadtverwaltung von Isfahan. Die hat es gegeben, aber die sind vor allen Dingen wegen der unerträglichen Äußerungen von Ahmadinedschad gegenüber Israel und dem Holocaust abgebrochen worden. Es ist auch deutlich gesagt worden, solange das nicht vom Tisch ist, wird es keine offiziellen Kontakte geben. Aber wir schaffen mit den Bürgerreisen die Möglichkeit, dass dort auch Bürger aus Isfahan Fragen stellen können an westliche Gäste, mit Antworten, die sie sonst nirgendwo anders bekommen.
2006/07 bei der Veranstaltungsreihe „Iran.com“ haben hier in dieser Stadt 60 verschiedene Veranstaltungen über Iran stattgefunden haben, mit vielen, vielen Gästen aus dem Iran, wo man die Chance hatte, sich mit diesem Land zu beschäftigen. Das sollten wir bewahren, das ist sinnvoller als eine Isolierungspolitik, die nur denen in die Hände arbeitet, die genau das im Augenblick wollen: Ihr Land abschotten gegen jede Chance des Kontakts mit dem Westen.

Küntzel: Herr Erler, schönen Dank für die Erwiderungen. Der Brief, den Sie an die Universität geschickt hatten nach dem Verprügeln der Studenten, der wurde doch nicht beantwortet?

Erler: Ja.

Küntzel: Ja. Und es gibt durchaus die offiziellen Kontakte, wenn man die Homepages in Freiburg sich anschaut. Zum Beispiel am 24. März 2010, ist nicht lange her: Herr Dr. Roustazadeh, Direktor der internationalen Angelegenheiten der Stadt Isfahan, besucht Freiburg und führt Gespräche mit OB Herrn Dr. Salomon, Herrn Burger usw. usf. Das sind offizielle Kontakte. Sie haben einmal die Reise nach Isfahan ausgesetzt, was ich auch richtig fand, dass Herr Salomon nicht direkt nach diesen Attacken gegen Israel dort hingereist ist. Aber natürlich wird die Städtepartnerschaft auf dieser offiziellen Ebene – dass die Führung der Stadt Isfahan die Führung der Stadt Freiburg besucht – fortgesetzt. Und diese Führung ist verantwortlich für den Terror, der im Moment in Isfahan stattfindet. Von denen, die verantwortlich sind, bekommen Sie keine Antwort, wenn Sie dorthin schreiben. Was ist das dann für eine Partnerschaft?

Wenn man sich die letzten Einträge auf der Homepage für die Partnerschaft Isfahan-Freiburg seit dem Wahlputsch vom Juni 2009 anschaut: Da gibt es einmal Herrn Salavati, der die Führung der Universität Azad Isfahan besucht, dann gibt es wieder eine Delegation der Universität von Isfahan, die nach Freiburg kommt. Dann kommt der Zuständige für internationale Angelegenheiten der Stadt Isfahan nach Freiburg. Dann kommt der Chef der medizinischen Universität Isfahan nach Freiburg. Es waren nur die Eliten, die in der letzten Zeit nach Freiburg kamen. Es ist nicht so, dass sie es als bedrohlich empfinden, ihre Elite nach Freiburg zu schicken.

Dieser Bürgermeister, der mit Ahmadinedschad so befreundet ist, dass er auf der Kabinettsliste auftauchte von Ahmadinedschads erstem Kabinett, hat ausdrücklich diese Partnerschaft begrüßt. Er hat sich vor allen Dingen gewünscht, dass man sie auf kulturellem Gebiet begründet und nicht über Politik spricht. Und das ist genau mein Vorwurf: Eine schöngeistige kulturelle Kulisse aufzubauen vor der Unterdrückung, die da stattfindet. Wenn Sie in Freiburg das erleben würden, dass sie nicht hier so sitzen dürfen, weil Männer und Frauen getrennt sein müssen, dass sie nicht einfach Fahrrad fahren können, sondern sie müssen eine Kapuze tragen als Frau. Wenn sie erleben würden, dass Menschen, weil sie für Demokratie eintreten, erschossen werden, dass Todesurteile gefällt werden, dass man einen verzweifelten Kampf für Freiheit führt – und dann würde ein anderes Land die Partnerschaft mit jenen führen, die Sie so unterdrücken. Ich glaube nicht, dass das ein Beitrag zur Völkerverständigung wäre. Ihre Argumentation, Herr Erler, ist nicht ganz stimmig. Sie haben gesagt, Partnerschaften sind da für Versöhnung. Es gibt Partnerschaften, etwa mit Besancon in Frankreich…

Erler: …da geht es um Versöhnung.

Küntzel: Richtig, aber schauen Sie mal in den Iran. Es gab im Iran immer eine Riesenbegeisterung für Deutschland. Deutschland hat sich niemals mit Iran negativ angelegt, man war immer befreundet mit jedem Diktator, sei es mit dem Reza Schah, sei es mit Mohammed Reza Schah und sei es mit Khomeini, der der schlimmste Diktator war. Man hat immer eine freundschaftliche Beziehung gehabt. Es hat keine Basis, dass man jetzt Versöhnung suchen müsste.

Städtepartnerschaften sollen eigentlich freiwillige Möglichkeiten geben für die Menschen, über die Grenzen hinweg sich zu besuchen. Natürlich haben die Freiburger das Recht, die Delegation selber zu bestimmen, die nach Isfahan geschickt wird. Haben das die Isfahani auch? Selber zu bestimmen, wer hier nach Freiburg kommen kann? Auf keinen Fall. Das gilt sowohl für die Künstler als auch für die einfachen Bürger. Das ist keine Städtepartnerschaft in dem Sinne, dass Sie wirklich völkerverständigend die Bürger beider Städte zusammen führt. Sondern es ist ein anderes Projekt, vielleicht auch geworden. Aber ich meine, es ist von Anfang ein anderes Projekt, weil ich andere Einschätzung als Sie habe, was die so genannten Reformer im Iran anbelangt.

Man muss das Projekt hier auf den Prüfstand stellen und sich fragen: Kann es in der Form entpolitisiert bleiben? Oder müssen wir, wenn wir für Menschenrechte eintreten, auch auf diesem Gebiet eine Schlussfolgerung ziehen? Ich sage ja nicht Abbruch, ich sage Aussetzen, bis Bedingungen gegeben sind, in denen auch die Bürger von Isfahan freiwillig kommen können, so wie die Bürger Freiburgs freiwillig dorthin gehen, und man bessere Beziehungen auf dieser Ebene pflegen kann.

Erler: Herr Küntzel, Sie haben mich nicht überzeugen können. Erstens bestätigen die Beispiele, die Sie anführen, nur das, was ich gesagt habe: Es gibt keine Begegnungen auf der oberen Ebene, sondern es gibt auf der Arbeitsebene Kontakte. Das ist richtig, das habe ich aber auch selber gesagt. OB Salomon hat seit längerer Zeit eine Einladung offiziell von seinem Kollegen aus Isfahan, und er hat klar gesagt, dass er, solange diese Äußerungen von Ahmadinedschad nicht aus der Welt geschaffen sind, er dieser Einladung nicht folgen kann. Also ist genau das der Fall, was Sie fordern: Eine Einschränkung der Partnerschaft.

Sagen Sie mir doch mal mit einem Satz: Warum wollen Sie den Isfahanern die Möglichkeit nehmen, durch die jährlich stattfindenden Bürgerreisen westliche Gäste zu befragen, ob das stimmt, was in ihren Zeitungen steht: Dass der Westen im Augenblick nichts anderes macht, als das Land durch Spione zu unterwandern. Warum wollen Sie den Isfahanern diese Chance nehmen, in direkten Kontakt zu Ausländern, in diesem Fall zu Freiburgern, zu kommen? Was hätten wir davon, keiner fährt mehr hin? Es würde nicht einmal ein Dreizeiler in Isfahan darüber kommen. Sie wissen, wie das Regime arbeitet, wie die Medien dort arbeiten. Wahrscheinlich würden die Isfahaner nicht mal unterrichtet werden davon, dass die Städtepartnerschaft nicht mehr besteht. Aber die Möglichkeiten würden Sie abschneiden. Ich sehe darin überhaupt keinen Sinn.

Küntzel: Als ich mir die verschiedenen Darstellungen der Tätigkeiten des Freundeskreises Freiburg-Isfahan angeschaut habe, diese sehr lange Liste von Aktivitäten, hatte ich das Gefühl, es ginge um ein Land wie Belgien oder Niederlande. Man hat nicht gemerkt, dass das ein Land ist im Ausnahmezustand. Man tut so, als sei es ein ganz normales demokratisches Land. Und das ist der Preis, den Sie dafür zahlen, dass sie die Kontakte auf der Arbeitsebene fortsetzen können. Ich bin der Meinung, dass Sie den Bürgern in Isfahan mehr dienen, wenn Sie hier klar machen: Für Freiburg ist Iran, wie es im Moment regiert wird, keine Demokratie…..

Publikum 1: Die meisten wissen gar nicht, dass so eine Partnerschaft existiert. Sie, Herr Erler, sagen: Verhandlung oder Isolation. Es gibt mehrere Alternativen: Deutschland soll die massive Unterstützung für Iran unterlassen. Denn Iraner wissen selber, wie mit der Islamischen Republik umzugehen ist. Sie sagen, die Isfahaner und Freiburger Partnerschaft ist eine kulturelle Zusammenarbeit und hat mit Politik gar nichts zu tun. Das sehe ich nicht so, Herr Erler. Am 10. Juni feiern Freiburg und Isfahan ihr zehnjähriges Bestehen. In Freiburg sind wir Iraner nicht einverstanden mit so einer Partnerschaft. Ich habe Kontakt mit Iran und ich versuche durch das Internet mit den jungen, mit den Studenten in Kontakt zu kommen und frage sie, ob sie diese Partnerschaft wahrnehmen. Glauben Sie mir, bis jetzt habe ich keinen einzigen gefunden, über die bestehende Partnerschaft Isfahan-Freiburg Bescheid weiß.

Küntzel: Ich würde gerne noch mal ein anderes Thema ansprechen. Diese Information, dass Iran in Afghanistan eine stabilisierende Rolle spielt, ist durch den neuesten Nato-Bericht widerlegt, in dem steht, dass Iran aktiv die Taliban unterstützt. Islamisten sind sehr geschickt! Ich habe zum Beispiel diese ganze Diskussion verfolgt im islamistischen Lager, ob man Milosevic bekämpfen sollte an der Seite der Amerikaner, für die Kosovo-Albaner. Da gab es eine ausgefeilte Theoriediskussion, wie man geschickt Bündnisse schmiedet, um dann das beste dabei heraus zu holen. Und in Afghanistan und auch im Irak wird genau das gemacht. Es wird eine doppelbödige Politik betrieben, die aber letztendlich nicht auf Stabilisierung zielt, sondern auf Niederlage des Westens und der Amerikaner.

Ihre Gegenüberstellung lautete: Wir haben eigentlich nur die Möglichkeit, militärisch los zu schlagen oder den Dialog zu führen – und das andere dazwischen ist eigentlich kaum eine Option. Sie haben das nicht so überspitzt formuliert, aber es kam so an. Ich sehe das anders. Ich unterstütze zum Beispiel die Politik von Bill Clinton in den 90er Jahren. Nachdem er lange Zeit versucht hat, den Dialog zu führen und dieser gescheitert ist, hat er eine massive Sanktionspolitik eingeleitet. Die amerikanische Industrie war entsetzt, weil sie mit Iran Geschäfte machen wollte. Clinton hat gesagt: Mit Terrorregimes, die Hisbollah oder Hamas unterstützen, kann man nicht Geschäfte machen wollen. Clinton hat die eigene Wirtschaft an die Kandare genommen mit der Argumentation, dass man dann als amerikanischer Staat weltweit ganz anders dafür mobilisieren kann, dass auch andere Länder sich anschließen. Damals hat die Bundesrepublik – die sozial-liberale Koalition und auch die rot-grüne Koalition – dagegen gehalten. Was Sie eben ja auch noch mal bestätigt haben, Sie hätten sich immer gegen eine Politik der Ausgrenzung und der Isolation gewandt.

Ich meine, es gibt diesen dritten Weg der massiven friedlichen Druckausübung auf die Führung des Irans über die wirtschaftlichen und politischen Mittel. Der UN-Sicherheitsrat hat ja die ersten Sanktionsbeschlüsse gefasst, die waren materiell sehr schwach, aber politisch sehr bedeutsam. Insofern bin ich überhaupt nicht dagegen, dass man auch darum kämpft, dass die großen Mächte zusammen arbeiten, an einem Strang ziehen. Aber als dann Iran dem Sicherheitsrat die lange Nase gezeigt hat, hätte eigentlich genau das eintreten müssen, was in der Sicherheitsresolution erwähnt ist, Artikel 41 von Kapitel 7 der Charta: Da werden alle Grobmaßnahmen aufgezählt, die friedlich angewandt werden können, um ein Land dazu zu zwingen, Sicherheitsratsbeschlüsse umzusetzen. Das beginnt mit Einstellung des Post- und Telegrafenverkehrs, mit Einstellung der Verkehrsbeziehungen, das beginnt mit teilweisem oder vollständigem Wirtschaftsembargo, das beginnt mit diplomatischem Abbruch der Beziehungen. Alles friedliche Mittel, die dazu dienen sollen, Kriege zu verhindern und Gefahren für die internationale Sicherheit abzuwenden.

In dieser mittleren Linie geht es nicht nur um Krieg führen oder Dialog, sondern um diesen gezielten Druckaufbau. Da hat Deutschland sich bisher als Bremse erwiesen, und das muss geändert werden, wenn man die Kriegsgefahr im Nahen Osten wirklich beenden will. Denn mit dieser Einschätzung stimmen wir überein, dass es eine Katastrophe wäre, wenn Iran die Atomwaffe bekommt.

Erler: Immerhin, Ihrem letzten Satz kann ich ja zustimmen, Herr Küntzel. Aber einigen anderen Einschätzungen nicht. Zum Beispiel gab es auch vor George W. Bush in der Tat Eindämmungsversuche, aber richtig dramatisch ist es doch in der Zeit von G.W. Bush geworden. Der hat nun wirklich voll auf die Karte Druck und Ausgrenzung und Isolierung gesetzt. Es ist eine Tatsache, dass diese amerikanische Politik heute auch von Amerika als gescheitert angesehen wird. Obama geht – viel kritisiert dafür, durchaus auch im eigenen Land – andere Wege. Schlicht und einfach, weil man ja nicht unbedingt Sinn darin sehen kann, eine Politik fortzusetzen, die gescheitert ist. Diese Politik des Druckes hat bisher zu keinem Erfolg geführt.

Ich muss zugeben, dass die Politik, eine Verbindung zu schaffen zwischen Angebot und Druck, bisher nicht das erreicht hat, was wir uns erwünscht haben. Und natürlich haben Sie in einem Punkt auch wiederum Recht: Ich bin auf keinen Fall immer auf der Seite derer, die sagen, es gibt keine Alternativen. In der Politik gibt es immer Alternativen. Aber in einem Punkt finde ich, machen Sie einen Fehler. Sie isolieren das Thema Iran, Sie sagen, man muss da Druck ausüben und den muss man verstärken usw. usw… Ich habe bei der regionalen Betrachtung am Anfang versucht, deutlich zu machen, es wird keine Lösung des Hauptproblems geben ohne eine konstruktive Haltung des Iran – und das ist dann allerdings eine ganz gefährliche Art Zirkelschluss in sich, den wir versuchen müssen, aufzubrechen. Wenn es uns nicht gelingt…

Küntzel: Was ist das Hauptproblem? Was meinen Sie?

Erler: Das Hauptproblem ist, dass der Nahostfriedensprozess ohne eine konstruktivere Haltung, als sie jetzt gegeben ist – das ist schon euphemistisch, wenn man das so ausdrückt – nicht zu erreichen ist. Solange der Iran Hamas unterstützt, und zwar nicht nur ideologisch, sondern auch sehr praktisch und bis hin zu Waffen, solange Iran die Hisbollah unterstützt, solange er erfolgreich Syrien auf einen Konfrontationskurs hält – das versuchen wir die ganze Zeit aufzubrechen -, wird es nicht voran gehen mit dem Friedensprozess im Nahen Osten. Und umgekehrt, solange es Amerika und seinen Freunden nicht gelingt, auch entsprechend mit der israelischen Führung einen Weg zu finden, wie man überhaupt zu einer Verhandlungslösung für eine Zukunft der Palästinenser kommt, wird auf Dauer das Palästinenserproblem radikale Kräfte im Iran stärken. Und das ist das Problem.

Und da durch zu kommen, ist weit mehr als einfach nur eine Politik gegenüber dem Iran zu verändern oder zu verstärken oder zu radikalisieren oder was auch immer Sie fordern. Das hat einen engen Zusammenhang.

Es ist schon ein Erfolg der deutschen Politik in den vergangenen Jahren in der Großen Koalition, dass Außenminister Steinmeier sowohl in Afghanistan als auch im Nahen Osten zum ersten Mal gesagt hat, ohne Syrien, ohne Iran wird es keine Lösung geben. Daraus muss man aber die Schlussfolgerung ziehen. Wenn man dann plötzlich sagt: Mach doch Druck und Druck und Druck und wir müssen den Druck verstärken, dann haben Sie überhaupt keine Chancen mehr, zu einer Verhandlungslösung im Nahen Osten zu kommen. Deswegen ist das immer eine Gratwanderung. Es muss eine Balance geben von einem Ausweg, der nur offen gelassen wird, auch für die Iraner, dass sie rauskommen aus einer Sackgassensituation, durch die sie natürlich durch diese Politik immer wieder geraten. Man muss die Tür offen halten, dass sie eines Tages mitmachen bei einer gesamten Lösung im Nahen Osten, um endlich auf dieser Basis dann auch die Nachbarschaftsprobleme in dieser Region von Iran besser zu lösen.

Stock: Herr Küntzel hätte sicher einiges zu entgegnen. Aber das Publikum möchte auch mitdiskutieren, und wenn ich es richtig sehe, gibt es im Publikum recht unterschiedliche Einschätzungen.

Henning Wellbrock (SPD-Stadtrat): Ich war lange im Gemeinderat und habe damals der Städtepartnerschaft zugestimmt. Gernot, ich stimme grundsätzlich deiner gesamten politischen Darstellung nach wie vor zu. Aber ich würde inzwischen nicht noch einmal zustimmen. Das ist so unglaublich, was in diesem Land passiert gegenüber Frauen in den Randprovinzen mit Steinigungen und gegenüber Homosexuellen. Es ist einfach eine ganz große Illusion zu glauben, wir können in irgendeiner Form irgendwas verändern.

Ich war vor sieben Jahren in den Pfingstferien in Isfahan, ich war dort Reiseleiter einer Reisegruppe und bin ziemlich unverfroren überall hingekommen. Es ist eine wunderbare Stadt, vom Touristischen phantastisch. Und jeder Teilnehmer an diesen Bürgerreisen ist begeistert. Ich war aber bei einer Lehrerfamilie, die dieser Art Opposition zuzurechnen ist. Sie haben gesagt, sie würden ja furchtbar gerne auch mal hierher kommen, aber sobald sie etwas äußern in diese Richtung – und das ist sieben Jahre her -, wären sie in größter Gefahr. Ich soll doch bitte keinen großen Wind machen, mit wem ich hier spreche usw. Weil in Isfahan – zu Teheran hatte ich keine Kontakte – schon damals trotz dieser vermeintlich eher aufgeschlossenen Stadtverwaltung hinter den Kulissen Angst herrschte. In den drei Tagen als Tourist, die man da ist, sieht man all die wunderbaren Sachen, da merkt man nichts davon.

Ich glaube, es ist eine Illusion, der wir damals unterlegen sind aus besten Absichten. Ich weiß nicht, was diese Druck- und Kriegsgeschichte bringen soll. Aber das andere hat auch nicht hingehauen. Ich würde es heute total einfrieren, weil wir ansonsten wirklich auf der Seite eines Regimes sind, das so zutiefst unmoralisch ist, dass zumindest meine Wenigkeit und meine Freunde das heute nicht mehr fertig bringen würden.

Publikum3: Ich möchte gerne wissen, ob für Sie beide deutsche Rüstungsexporte in diese Region überhaupt eine Rolle spielen, ob das für Sie überhaupt ein Thema ist? Und ob für sie ein Thema ist, wie mit iranischen Flüchtlingen umgegangen wird?

Küntzel: Das ist natürlich ein Thema. Offiziell ist es nach den Exportrichtlinien der Bundesrepublik natürlich verboten, dass Rüstungsgüter in den Iran geliefert werden. Aber es gibt erstens sehr viele Güter im High-Tech-Sektor, die dual-use-Güter sind und die dann doch zum Teil durchkommen.

Die deutsch-iranische Industrie- und Handelskammer in Teheran hat eine Homepage, auf der sie stolz davon berichtet, dass im Jahre 2008 7.000 Unternehmer aus Iran auf deutschen Industriemessen sich umsehen konnten, was es dort an neuestem technologischen Know-How gibt. Ich bin darüber empört. Ich bin der Auffassung, der Bundestag könnte beschließen, dass man ein Visum an Industrielle des Irans für den Besuch von Industriemessen in Deutschland solange nicht erteilt, wie nicht die Atomfrage im Iran geklärt ist. Ich finde, das ist ein ganz einfacher Schritt, um diese Art von Technologietransfer zu verhindern. Aber im Bundestag finden bisher solche Debatten nicht statt.

Und ich glaube auch, dass für die illegal beschafften Teile des Atomprogramms Deutschland mit der wichtigste Markt ist, weil eben auch die Iraner durch die Tradition aus der Weimarer Zeit die deutsche Technik über alles schätzen und besonders in Deutschland bemüht sind, den Schmuggel zu fördern. Ich bin empört darüber, dass wenn Schmuggler geschnappt werden, die Strafen so lächerlich gering sind, dass es sich weiterhin lohnt, diesen Schmuggel zu betreiben. Alles Dinge, wo die deutsche Gesetzgebung mit wenigen Schritten effizient eingreifen könnte, um diese Art von illegalem Rüstungstransfer stärker zu unterbinden.

Erler: Was die Exporte von Waffen oder Elementen, die im Nuklearbereich eine Rolle spielen, angeht, gibt es ja das internationale Sanktionsregime. Ich habe auf die drei verschiedenen Sanktionsprogramme verwiesen, die auch von E3 + 3 eben verhängt worden sind, und die auch entsprechend durch UN-Resolutionen abgesichert sind. Hier kann man natürlich von Deutschland verlangen – und das ist vollkommen korrekt-, dass es sich an diese Dinge hält.

Es ist keineswegs so, dass wir uns damit nicht im Bundestag beschäftigt haben, Herr Küntzel. Gerade mit der Umsetzung dieser Sanktionen haben wir uns immer wieder beschäftigt und haben auch immer der Bundesregierung – egal, wer die gerade gestellt hat – ins Stammbuch geschrieben als Abgeordnete, dass wir erwarten, dass das auch strengstens kontrolliert wird. Selbstverständlich gibt es so etwas wie einen grauen Markt in diesem Bereich, der sehr schwer kontrollierbar ist, wo auch illegale Aktivitäten stattfinden, die man dann verfolgen muss. Insofern ist der gute Wille, die Sanktionen auch wirklich Punkt für Punkt umzusetzen, nicht gleichbedeutend mit einem hundertprozentigen Erfolg. Es gibt immer wieder illegale Aktivitäten, auch beim internationalen Waffenhandel, das ist klar.

Herr Küntzel hat ja schon am Beginn hier gesagt, wie intensiv traditionell die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Iran sind. Nun waren wir ja bei diesem E3-Prozess schon seit 2003 tätig von der deutscher Seite und sind es bis heute in dem E3 + 3 Prozess. Es gibt ja nicht nur Sanktionen im Nuklearbereich. Sondern es gibt inzwischen auch Sanktionen gegen die Aktivitäten der Revolutionsgarden, deren Tätigkeit eingeschränkt werden soll. Die verfügen im Iran über riesige ökonomische Potentiale. Es ist bekannt, dass die Pasdaran inzwischen einen großen Teil der iranischen Wirtschaft kontrollieren. Wenn es jetzt darum geht, dass mit denen keine Geschäfte mehr gemacht werden, trifft das weltweit sehr, sehr viele wirtschaftliche Beziehungen.

Als Abgeordneter wird man ja von sehr vielen Seiten angesprochen, zum Beispiel auch von der Industrie. Ich rede jetzt nicht von Nukleartechnologie und auch nicht von dual-use, ich rede jetzt von ganz normalen Geschäften mit dem Iran. Da wird uns immer gesagt von der deutschen Industrie: Ihr versucht uns zu 100 Prozent in diese Sanktionsmechanismen rein zu drücken. Aber guckt doch bitte mal woanders hin. Mir sind oft Belege angeboten worden, dass z.B. Amerikaner oder Franzosen in wesentlich geringerem Umfang die Sanktionen selber umsetzen, die sie mit uns zusammen beschlossen haben. Da kommt man als Abgeordneter in eine ziemlich schwierige Situation. Denn das erste Argument ist dann sofort „Arbeitsplätze“. Und dann heißt es natürlich: Warum sollen wir die Geschäfte nicht mehr machen, die dann die anderen machen.

Und natürlich ist das so. Die Chinesen zum Beispiel haben lange Zeit davon profitiert, dass Stück für Stück, auch aus moralischen Gründen, wirtschaftliche Aktivitäten zurückgezogen wurden, auch deutsche, aus dem Iran. Sofort waren die Chinesen drin und haben diese Plätze eingenommen, und das ist auch heute noch der Fall. Die Chinesen beschließen zwar mit bei den E3 + 3, aber sie haben eine andere Praxis. Und da hat man ganz schön schwierige Diskussionen mit Vertretern der Wirtschaft zu führen, die sagen: Wir sehen überhaupt nicht ein, dass bei uns in Deutschland ihr mal wieder 100prozentig genau seid. Wir werden hier kontrolliert, aber was machen eigentlich die Amis, die Franzosen, die Chinesen? Die sind alle auch Teil dieses Verhandlungsprozesses, und da wird das längst nicht so umgesetzt.

Ich wollte nur darauf hinweisen. Aber natürlich ist das vollkommen richtig, dass wenn man Teil dieses Verhandlungsprozesses ist, man dann eigentlich eine moralische und auch politische Verpflichtung hat, diese Dinge auch 100prozentig zu kontrollieren und umzusetzen und notfalls Maßnahmen zu ergreifen.

Küntzel: Ich bin sehr dankbar, dass das Thema aufkam. Ich würde sagen, wenn ein Industrieller zu Ihnen kommt und sagt, wenn wir nicht liefern, liefern die anderen, dann sollten Sie ihm erwidern, dass genauso auch der kleine Drogendealer vor der Schule argumentiert. Das ist schäbig. Und man kann bei der Frage von Krieg und Frieden, bei Antisemitismus, bei Holocaustleugnung nicht so tun, als sei man irgendwie in irgendeinem Bereich. Da gibt es eine moralische Verpflichtung und Verantwortung, und da muss eine Politik…

Erler: ... aber die haben die anderen Länder auch.

Küntzel: ...die haben die anderen auch. Aber dadurch, dass die Amerikaner die Sanktionen viel schärfer beschlossen haben, gibt es auch das gesetzliche Instrumentarium, diese Firmen zu verfolgen, die das unterlaufen wollen. Aber wenn nicht einmal dieses Instrumentarium existiert, gibt es nicht mal diese Möglichkeit. Deswegen finde ich dieses Argument, wenn wir es nicht können, dann machen es die anderen, nicht akzeptabel.

Erler: ...ist für mich auch nicht akzeptabel!

Küntzel: Wunderbar! Ich behaupte auch nicht, dass der Bundestag gar nichts macht. Aber da Sie eben nochmal gesagt haben, mit der Umsetzung der Sanktionen haben wir uns sehr stark beschäftigt: Das müssen sie auch! Aber Sie müssen darüber hinausgehen. Das ist meine Forderung, und ich möchte ein Beispiel anführen: Das holländische Parlament hat einstimmig beschlossen, dass die Revolutionsgarden, die für den ganzen Terror gegen die Bevölkerung ebenso verantwortlich sind wie für das Atomwaffenprogramm, auf die Terrorliste der EU gesetzt werden. Das ist eine Forderung, die das holländische Parlament beschlossen hat. Und wenn so etwas durch die EU passiert, heißt das automatisch, dass alle Firmen Europas mit den Revolutionsgarden und den angeschlossenen Betrieben keine Geschäfte machen dürfen. Es gäbe dann auch keine Konkurrenzvor- und nachteile, weil das für die ganze EU gelten würde. Was spricht dagegen, dass sich die SPD im Bundestag für den Beschluss einsetzt, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste der EU zu setzen?

Publikum 4: Ich denke, dass wir den Iran nicht für sich alleine betrachten müssen, sondern die gesamte Region. Was Sie, Herr Küntzel, angedeutet haben, dass also der Iran schon seit dem 19. Jahrhundert ein ganz starkes sicherheitspolitisches Bedürfnis hat. Und das hat ihn dazu veranlasst, mit Deutschland Handelsbeziehungen zu schließen. Das ist heute noch genau so. Professor Mohssen Massarat (emerit. Professor für Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Osnabrück, Anm. der Redaktion), im Iran geboren und seit dreißig Jahren in Deutschland, hat im März einen offenen Brief geschrieben an Kerstin Müller und an Herrn Nouripour, die beide in Berlin im Bundestag arbeiten. In diesem Brief betont er, dass es im Nahen Osten ein sicherheitspolitisches Dilemma gibt. Der Anlass ist einerseits das Streben Irans nach der Atomwaffe, aber andererseits, und das betont er sehr stark in diesem Brief, ist es eben der Besitz Israels von Atomwaffen, wobei Israel sich nicht dem Nicht-Verbreitungsvertrag angeschlossen hat bis auf den heutigen Tag. Und er sagt, was passiert, wenn die Sanktionen, die jetzt dauernd beraten werden, nicht greifen: Dann kommt es dann doch eines Tages zu einem Militärschlag, der die gesamte Region ins Unheil stürzen würde.

Ich darf noch einige Sätze aus diesem Brief zitieren. Massarat stellt sich nicht einseitig auf irgendeine Seite, und das hat mich sehr stark beeindruckt. Er schreibt: „Irans atomare Aufrüstung ist die schlechteste aller sicherheitspolitischen Lösungen für Iran und die Region – genauso wie Israels Atomwaffen die ungeeignetsten aller Alternativen sind, die Sicherheit der israelischen Bevölkerung vor realen Bedrohungen dauerhaft herzustellen. Diese kann auch niemals gegen die, sondern nur mit den islamisch-arabischen Nachbarstaaten erreicht werden. Gegenteilige Annahmen entspringen nicht der Vernunft, sondern purer Ideologie oder einem Überlegenheitswahn. Die unbestreitbare deutsche Verantwortung für Israels Sicherheit und Existenz steht in voller Übereinstimmung mit der Perspektive eines friedlichen Miteinanders aller Staaten und Völker im Nahen und Mittleren Osten.“

Erler: Zufällig habe ich diesen Brief auch gelesen. Das ist ein guter Ansatz im Prinzip. Aber in einem Punkt bin ich mit Massarat nicht einverstanden. Und zwar wenn er im Grunde genommen das Sicherheitsbedürfnis und die Bedrohung von Israel gleichsetzt mit den Sicherheitsbedürfnissen und natürlich der Abwehr von Bedrohungen von etwa einem Land wie dem Iran. Dagegen spricht ja schon, was wir heute auch hier behandelt haben. Es gibt nun mal diese unverhohlene Drohung von Ahmadinedschad, dass Israel von der Landkarte zu verschwinden habe. Er hat das so häufig wiederholt … es ist völlig klar, dass er keine Gelegenheit auslässt, um das Existenzrecht von Israel in Frage zu stellen. Das wird von niemandem in Zweifel gestellt, auch nicht von Massarat. Ich will ja nicht etwa hier rechtfertigen, dass Israel geheim gehaltene Atomprogramme hat und über die Atomwaffe verfügt. Selbstverständlich muss Israel an einem bestimmten Zeitpunkt auch diese zur Diskussion stellen. Das ist völlig klar.

Ich habe ja berichtet, dass schon 2005 bei dem europäischen Vorschlag, auch bei dem Sicherheitsangebot an den Iran, das Thema einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten angesprochen worden ist.

Übrigens hat es vor wenigen Tagen, am 28.Mai in New York beim Abschluss der NPT-Review-Konferrenz, wo es um den Atomwaffensperrvertrag geht, anders als bei früheren Überprüfungskonferenzen eine konzertierte Abschlusserklärung gegeben, und da ist noch mal auf diese Idee der atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten hingewiesen worden. Ich finde das fast sensationell, dass das tatsächlich im Konsens von 188 Staaten so festgehalten worden ist.

Aber was Massarat meines Erachtens nicht beachtet, ist, dass es doch schon einen Unterschied gibt. Es gibt kein Land auf der Welt, das dem Iran sagt, Du hast kein Recht zu existieren und am liebsten würden wir, dass du verschwindest aus der Völkerfamilie. Das gibt es nicht. Wenn man einfach sagt, es gibt da doch ein Ungleichgewicht: Die Israelis haben die Atombombe und die anderen haben sie nicht. Massarat schließt ja zum Glück nicht daraus, dass der Iran sie deswegen trotzdem haben muss. Aber trotzdem, diese Gleichsetzung finde ich sehr problematisch. Zumindest müsste er sich gleichzeitig sehr stark verwahren gegen die iranische Politik der jetzigen Führung, die immer wieder gegen dieses Existenzrecht von Israel argumentiert. Sonst bin ich einverstanden mit seinen Vorschlägen.

Küntzel: Mit Verlaub, Herr Erler, ich finde die Forderung in der jetzigen Situation nach der atomwaffenfreien Zone Nahost nicht sensationell, sondern sensationell daneben. Ich glaube, das war der größte Propagandacoup, den Ahmadinedschad bisher überhaupt landen konnte, dass er so tun konnte, dass das eigentliche zentrale Problem im Nahen Osten Israel sei. Ich will dazu sagen: die Juden haben aus dem Holocaust eine andere Erfahrung gezogen als die Deutschen. Die Deutschen haben gesagt: Nie wieder Krieg…

Erler: ...und nie wieder Faschismus. Das muss man dazu sagen.

Küntzel: …und nie wieder Faschismus. Und manchmal hört sich das heute so an: Nie wieder Krieg gegen Faschismus. Die Juden haben eine andere Konsequenz gezogen: Nie wieder wehrlos Antisemiten ausgesetzt zu sein. Und es ist einfach so, dass Nasser und die anderen arabischen Staaten sich immer wieder daran versucht hatten, Israel auszulöschen weil sie keinen palästinensischen Staat an die Seite Israels, sondern einen an die Stelle Israels setzen wollten. Das ist das Programm der Hamas, das ist das Programm der Hisbollah, das ist das Programm des Iran.

Ich habe es genau verfolgt – ich war damals 1985 im Bundestag als Mitarbeiter mit dabei bei den Grünen – als in der London Times zum ersten Mal die Details über das israelische Atomwaffenprogramm enthüllt wurden. Was geschah dann? Haben damals, 1985, alle arabischen Staaten in der Region begonnen, sich Nuklearmaterial zu beschaffen, um gegen Israel aufzurüsten? Nein. Das geschieht jetzt. Weil die arabische Welt genau weiß, dass die Dimona-Atomwaffe in israelischen Händen eine andere Funktion hat als die Waffe, die im Iran im Moment geschmiedet wird.

Und das bedeutet doch, dass wir nicht einfach nur die Technik betrachten dürfen, sondern wir müssen analysieren, in welchem Kontext diese Technik entwickelt wird. Und da sehe ich nicht bei Iran das Sicherheitsbedürfnis. Denn dann hätte Iran nicht das Angebot von Obama abgelehnt. Dann würde nicht Ahmadinedschad diese Reden schwingen, die er jeden Tag schwingt. Die arabischen Staaten haben es erkannt, dass jetzt für sie eine Gefahr droht, da nicht Israel, sondern Iran sich dieses nukleare Potential anschaffen will.

Erler: Ich wollte nur eine Frage an Sie stellen, Herr Küntzel, weil Sie sich am Anfang so kritisch gegenüber der atomwaffenfreien Zone geäußert haben. Das verstehe ich nicht. Ich kann mittelfristig überhaupt keine andere Sicherheitsgarantie für Israel als eine solche atomwaffenfreie Zone sehen. Denn wenn es dem Iran wirklich gelingen würde, eine Atomwaffe zu bauen, haben wir doch eine Situation, wo wir nur noch hoffen können, dass Abschreckung funktioniert. Und das ist aber doch die große Frage, ob nukleare Abschreckung funktioniert, wenn diese Bombe in der Hand eines Regimes ist, dem dschihadistisches Denken nicht fremd ist. Und das heißt, man kann auch Selbstmordattentäter mit einer Atomwaffe sein, wenn man an den Dschihad glaubt. Dann funktioniert diese Abschreckung nicht. Deswegen glaube ich nicht, dass die Idee einer atomwaffenfreien Zone sich irgendwie gegen die Interessen von Israel wendet.

Natürlich kann das nur dann gehen, wenn – das ist ja der Sinn einer atomwaffenfreien Zone, dass der eine den anderen nicht mehr bedroht – das verbunden ist mit einer politischen Existenzanerkennung durch alle arabische Staaten und des Iran. Nur so kann das funktionieren. Aber dann ist Israel sicherer als heute in dieser Umgebung mit seiner Atomwaffe, weil es überhaupt nicht sicher sein kann, dass der Abschreckungseffekt überhaupt noch funktioniert.

Küntzel: Es ist vollkommen richtig, dass man letztendlich eine atomwaffenfreie Welt haben möchte. Aber die Qualität einer politischen Parole ergibt sich aus dem Kontext, in dem sie erhoben wird. Und der Kontext, in dem Ahmadinedschad für diese Parole geworben hat und er sich durchgesetzt hat, ist folgender: Für ihn ist die Atomentwicklung im Iran nicht mit Atomwaffen verbunden. Also darf sie weiter fortgesetzt werden nach Artikel 4 des Atomwaffensperrvertrages. Und wenn Iran eine nukleare Option sich aufgebaut hat – das heißt ein Potential hat, innerhalb von zwei, drei Wochen zur Atommacht werden zu können -, ist das für Israel genauso gefährlich, als wenn Iran bereits die Bombe hat.

Iran hat es geschafft, eine sehr interessante Konstellation aufzubauen, wo sie selber sich eine nukleare Option anschaffen wollen, aber Israel bereits die Bombe hat.

Erler: Aber das ist nicht die Definition von atomwaffenfreier Zone.

Küntzel: Sieht denn die atomwaffenfreie Zone vor, dass man keine Urananreicherungsanlagen haben darf?

Erler: So wie die internationale Gemeinschaft die Forderung an den Iran stellt, gehört das natürlich dazu.

Küntzel: Ich kenne solch eine Definition der atomwaffenfreien Zone eigentlich nicht. Die Parole taucht ja im Atomwaffensperrvertrag auf, der in Artikel 4 leider sämtliche Atomtechnik mehr oder weniger zulässt, solange nicht eine Atomwaffe daraus direkt entsteht.

Erler: Nein, ich wollte nur sagen, man kann dieses Thema “Atomwaffenfreie Zone” nicht trennen von den anderen Forderungen der internationalen Gemeinschaft an den Iran. Das gehört zusammen.

Publikum 5: Warum wird nur über Menschenrechtsverletzungen im Iran gesprochen und warum nicht über andere arabische Regime? Warum dürfen die einen Atomwaffen besitzen, die anderen nicht? Ich bin selber Opfer des iranischen Regimes, empfinde es aber als ungerecht und undemokratisch, dass mit zweierlei Maß in dieser Region gemessen wird. Es ist nicht alles schwarz oder weiß. Man sollte differenzierter argumentieren.

Publikum 1: Nicht nur Ahmadinedschad ist antisemitisch, seit Bestehen der islamischen Republik Iran 1979 ist eine antiisraelische Doktrin geschrieben worden. Khomeini sagte: Wir müssen durch Kerbala nach Jerusalem. Rafsandschani sagte: Israel kann uns nicht vernichten, wir sind ein großes Land. Wie viel Bomben wollen sie auf uns werfen? Aber wir können mit nur einer Atombombe Israel vernichten. Ahmadinedschad sagt: Juden muss man nach Alaska schicken, und Israel von der Landkarte wegradieren. Das sind also nicht nur Äußerungen Ahmadinedschads zur Propaganda, um Unterstützung im arabischen Raum zu bekommen, sondern das ist die Doktrin der islamischen Republik Iran. Sie haben gesagt, Herr Erler, Iran kann im Friedensprozess in Nahost helfen. Iran selbst ist ein Störfaktor für Frieden im Nahen Osten. Wie kann ein Störfaktor selber für Frieden beitragen? Es ist unmöglich.

Ein Wort zum Theater in Marienbad: Man unterstützt und arbeitet zusammen mit der offiziellen Seite im Iran. Das iranische Regime lässt Schauspieler ausreisen, wenn sie treu sind, wenn sie nicht kritisch sind. Genau am selben Tag, als das Stück von Ferdousis Schahnameh hier auf die Bühne gegangen ist, wurde ein namhafter iranischer Regisseur am Flughafen festgenommen, in den Knast gesteckt. Erst nach neuntägigem Hungerstreik ist er vor wenigen Tagen freigekommen. Hubertus Fehrenbacher, ein unbedeutender Schauspieler Freiburgs, wird derweil im iranischen staatlichen Fernsehen als bester erfolgreicher (lacht) deutscher Regisseur vorgestellt.

Erler: Das freut Sie sicher, er ist nämlich da.

Fehrenbacher: Ich kann mich ja dazu äußern.

Publikum 1: Es gibt viele Opportunisten hier. Durch diesen so genannten Kulturaustausch wollen sie von sich reden machen. In Wahrheit unterstützt diese Isfahan-Freiburg-Partnerschaft das faschistische Regime im Iran.

Fehrenbacher: Vielen Dank für diese Steilvorlage. Ich finde, dass diese Diskussion in eine Falle läuft, schon ungefähr seit einer halben Stunde. Ich bin verantwortlich im Theater Marienbad als „unbedeutender Schauspieler“. Im Iran bin ich seit acht Jahren auch sehr oft gewesen, habe viele Freunde dort und wir haben einen sehr großen Austausch mit dem Theater dort. Ich kann ein klein bisschen beurteilen, in meinem Bereich, was in diesem Land passiert. Aber genau diese Falle, die wird von iranischen Kollegen immer wieder beschrieben. Wir fallen heute Abend auch darauf rein: Zu sagen „schwarz – weiß“. Wir unterhalten uns nur über das Atomprogramm. Das tatsächliche Problem im Iran ist im Moment die Wirtschaft, dass es den Leuten schlecht geht, dass die Inflation zu hoch ist, dass sie keine Arbeit haben, dass die Arbeitslosigkeit angestiegen ist, wie wir es uns gar nicht vorstellen können. Dass die Menschen dort ganz andere Probleme haben, als die, wie wir sie hier im Westen diskutieren. Ich habe das Gefühl, dass wir hier Zeitungskolumnen paraphrasieren. Pardon, ich unterstelle den beiden Herren auf der Bühne, dass sie viel, viel mehr Ahnung von dem Thema haben als ich oder die anderen hier. Aber trotzdem, ich glaube, da kommen wir dem Thema nicht näher.

Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, jeder Kulturaustausch ist immer politisch konnotiert. Und Sie können mir glauben, dass man das nicht so nebenher macht und sagt: „Iran ist schön, da sind die Bauten toll, da gehen wir mal hin.“ Im übrigen finde ich das eine Unverschämtheit, gegenüber dem Iran zu sagen: Da ist es ja nur schön. Man muss aber auch die Bevölkerung ernst nehmen, die da lebt. Ich habe dort etwas erlebt, was ich hier nicht bisher empfunden habe: Dass Leute sich sehr selbstkritisch und sehr kritisch zu ihrer Regierung Gedanken machen über ihr Land und über die Ausstrahlung, die dieses Land im Ausland hat. Ich habe dort Leute kennen gelernt in einem Bereich, den ich natürlich nur kennen lernen konnte – ich bin nicht in den Slums und auch nicht in politischen Kreisen gewesen, sondern dort, wo ich mich bewegen konnte -, die viel mehr Ahnung vom Westen haben als wir über diese Gegend und über die Kultur dieser Gegend. Ich habe dort etwas gelernt, das nenne ich eine Übung in Demut. Und das meine ich überhaupt nicht katholisch, obwohl ich so geboren worden bin. Sondern das ist etwas, was mit Respekt zu tun hat. Wenn man das ganze Land reduziert darauf, dass es eine solche Regierung hat, dann müsste man eigentlich mit fast allen Ländern die Beziehungen abbrechen.

Publikum 1: In einem Interview sagt der Chef vom Theater im Marienbad…. Der Reporter fragt ihn nach den Demonstrationen. Mehrere Tote, Tausende Verletzte, 5.000 Verhaftete. Iranische Demonstranten sind nach der Demo ziemlich schnell in ihren Alltag zurückgekehrt, das war die Aussage in einem Zeitungsinterview – trotz der vielen Toten und Verhafteten. Man spricht lieber von einer vollen Theaterstadt in Iran. Und was nutzt es dem Theater im Marienbad, wenn 500 eingeladene Gäste von der iranischen Regierung teilnehmen? Kein Iraner hat Zugang gehabt, euch zu sehen, sondern 500 eingeladene Gäste waren im Theater. Fehrenbacher sagt, das iranische Problem ist die Wirtschaft. Hat er Recht. Aber das iranische Problem sind Menschenrechtsverletzungen. Man kann nicht alles nur an der Wirtschaft festmachen…

Fehrenbacher: Da möchte ich etwas dazu sagen. Es ist auch im europäischen Kulturraum üblich, zur Premiere Leute einzuladen. Dass es dort vielleicht ein bisschen üblicher ist als auf der offiziellen Ebene, das gebe ich gerne zu. Aber ich bin weit davon entfernt, irgendein Regierungsregime oder so etwas zu romantisieren oder nicht ernst zu nehmen. Das zum Einen. Aber wir haben dort zehn Vorstellungen gespielt, die waren frei verkäuflich. Das Publikum, das dort war, war ein junges Publikum. Und wir haben sogar darauf geachtet, dass es frei verkäuflich ist, das wurde uns zugesichert.

Ich habe im Iran erlebt, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen dem offiziellen und dem inoffiziellen, also privaten Leben. Das ist ein extremes Problem im Iran. Wir haben mit Schauspielern gearbeitet, die damit fast nicht mehr leben können. Weil sie sich da so verhalten müssen und da so verhalten müssen. Und das haben wir unter anderem – vielleicht hat der ein oder andere hier das Stück gesehen – auf der Bühne thematisiert. Das Stück war eher eine sehr politische Angelegenheit. Ich möchte nicht sagen, dass wir etwas besonderes gemacht haben. Es geht mir darum, dass wir nicht nur darüber reden, hat jetzt der Iran eine Bombe oder hat Israel eine Bombe. Ich finde, das wird den Leuten, mit denen ich zusammen gekommen bin, überhaupt nicht gerecht.

Publikum 3: Ich hatte vorhin schon mal eine Frage bezüglich der Rüstungsexporte, die Sie, Herr Erler, auch beantwortet haben. Aber die zweite Hälfte der Frage haben sie nicht beantwortet. Also: wie geht Deutschland mit den iranischen Flüchtlingen um? Und eine andere Frage wegen Elektroschockwaffen: Es gab schon mal im Bundestag einen Antrag, Elektroschockwaffenexporte aus Deutschland zu verhindern. Der Bundestag hat dagegen gestimmt, beziehungsweise der Antrag ist in den Ausschüssen liegen geblieben. Gibt es noch Bestrebungen, Elektroschockwaffenexporte zu verbieten?

Erler: Der Export von Elektroschockdistanzwaffen aus Deutschland ist verboten.

Publikum 3: Das ist nicht wahr.

Erler: Doch. Es ist sogar vor kurzem in einer Anfrage an die Bundesregierung bestätigt worden. Weil ich wusste, dass diese Frage heute Abend kommt, hab ich mich gestern nochmal beim Auswärtigen Amt erkundigt, was die Verbringung von Elektroschockwaffen in den Iran angeht. Es gibt beim AA keine Erkenntnisse über die Wege, auf denen Elektroschockwaffen in den Iran kommen.

Publikum 3: Nein, die kommen nicht legal in den Iran. Aber Deutschland ist der zweitgrößte Exporteur von Elektroschockwaffen und…

Erler: Es ist verboten, aus Deutschland Elektroschockdistanzwaffen zu exportieren. Nehmen Sie es bitte zur Kenntnis.

Küntzel: Ich finde das wichtig mit der Türkei und den Flüchtlingen. Können Sie da noch etwas dazu sagen? Zu den Flüchtlingen aus Iran, die in der Türkei sitzen und nach Deutschland wollen?

Publikum 3: Es sind 2.000, die in der Türkei sitzen. Das sind Flüchtlinge von der grünen Bewegung der Hoffnung. Und Deutschland will gerade mal zwanzig von ihnen aufnehmen. Ich glaube mittlerweile sind es fünfzig. Wo ist die Solidarität mit der grünen Bewegung?

Publikum 7: Eine kurze Frage an Herrn Erler: Was hat sich an der Iranpolitik in ihrer Vorgängerregierung zu dieser jetzigen Regierung eigentlich geändert? Das würde der Bürger gerne doch erfahren.

Erler: Das kann ich wirklich beantworten. Es gibt eine große Kontinuität in dieser Iranpolitik seit 2003, als wir angefangen haben mit dieser Verbindung von Dialogprozess mit Druck, wie ich es geschildert habe. Und das ist auch heute noch die Position der jetzigen Regierung. Da gibt es Kontinuitäten.

Publikum 8: Auf dem Friedenskongress in Essen hat der Chef von der Ihalada über diese zwei Standards gesprochen, die die westliche Welt mit dem Verbreitungsvertrag beibehält. Das sind ganz gewaltige Unterschiede, die als Unrecht empfunden werden, gerade auch vom Iran, der von Indien, Pakistan und Israel mit Atomwaffen umzingelt ist und selber keine Waffe entwickeln darf. Er soll es natürlich nicht. Er ist nicht dafür, aber er sagt, diese ganzen Sanktionen und das ganze… Es gibt einen anderen Weg: Abrüsten von USA, Nuklearwaffen, Deutschlands Nuklearwaffen weg. Wenn die anderen abrüsten, dann hat der Iran es überhaupt nicht mehr nötig…

Erler: Diese Argumentation kennen wir natürlich, und das ist ein sehr interessanter und wichtiger Punkt. Es ist so, dass die bisherige Handhabung des Nicht-Verbreitungsvertrages leider der iranischen Führung ganz gute Argumentations- und Propagandamöglichkeiten gegeben hat. Man muss wissen, dass dieser Vertrag tatsächlich unterscheidet zwischen Atommächten und Nicht-Atommächten. Es gibt fünf offizielle Atommächte, alle anderen sind Nicht-Atommächte, die dem Vertrag beigetreten sind. Es gab also Rechte und Pflichten von beiden Seiten. Rechte und Pflichten sind klar bei der Seite der Nicht-Atommächte: Die dürfen keine entwickeln, keine erwerben, dafür haben sie aber Anspruch darauf, dass sie unterstützt werden bei der zivilen Nutzung der Atomkraft. Und jetzt kommt’s: Die fünf offiziellen Atommächte sind im Prinzip nach dem Nicht-Verbreitungsvertrag von 1968 verpflichtet, vollständig ihre Atomwaffen abzurüsten. Da steht allerdings leider – das ist ein Fehler des Vertrages – nicht drin, bis wann. Aber es steht drin, dass sie dazu verpflichtet sind.

Man kann nun die Sache drehen und wenden, wie man will, diese fünf offiziellen Atommächte haben sehr lange sehr wenig getan, um tatsächlich abzurüsten. Und das hat natürlich Ahmadinedschad mit großer Wirkung vor allem bei den non-aligned, bei den ‘nicht festgelegten’ Ländern mit großem Erfolg immer vorgetragen, weil die das auch schon lange in diesen so genannten Überprüfungskonferenzen des Nicht-Verbreitungsvertrages beklagt haben. Deswegen ist auch vor fünf Jahren diese Überprüfungskonferenz gescheitert, und jetzt in diesem Jahr hat wieder eine stattgefunden.

Das ist ein Punkt, an dem Obama tatsächlich die amerikanische Politik verändert hat. Vor einem Jahr in Prag hat Obama sich zum „global zero“ bekannt. Das ist erst mal nur ein Bekenntnis. Aber in der Zwischenzeit hat er mit der Russischen Föderation ein START-Nachfolgeabkommen abgeschlossen. Immerhin wird endlich konkret verhandelt und es werden konkrete Verträge gemacht. Und tatsächlich hat das dazu geführt, dass jetzt in New York bei dieser Konferenz die Atommächte sich noch einmal zu ihrer Verpflichtung bekennen. Das darf aber nicht das einzige bleiben, das muss weitergehen. Wo die anderen Pflichten, also auch der Nicht-Atommächte, betont werden und wo sehr konkret gesagt wird, was die nächsten Schritte in der Erwartung dieser 188 Staaten sind, was atomare Abrüstung angeht.

Warum sage ich das alles? Weil das in der Tat es auch einem Ahmadinedschad in Zukunft schwerer machen wird. Er kann nicht mehr sagen, ‚die reden immer nur und die machen gar nichts’. Jetzt hat da etwas stattgefunden. Das ist natürlich alles noch nicht genug. Aber immerhin haben wir dort zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein einigermaßen akzeptiertes Ergebnis und man kann sagen, insgesamt ist die atomare Abrüstungspolitik wieder ein Stückchen in die Gänge gekommen. Das ist ganz schlecht für die Propaganda des Iran, weil er jetzt es schwerer hat, mit diesen Argumenten ‘die wollen ja immer nur selber Privilegien haben und machen ihre Pflichten nicht’ .

Ohne eine Fortsetzung dieser entschlossenen Schritte zur Abrüstung der offiziellen Atommächte wird es ganz schwierig mit diesem ständigen Ausbrechen der iranischen Führung, die gar nicht so isoliert ist, wie wir es uns manchmal wünschen. Die haben zum Beispiel parallel zu der Abrüstungskonferrenz, die Obama nach Washington eingeladen hat, eine eigene Abrüstungskonferrenz am 17./18. Mai in Teheran veranstaltet. Hinterher hat sich herausgestellt, da sind mehr Länder hingefahren als nach Washington. Die Position von Ahmadinedschad in der Abrüstungsfrage ist sehr stark gewesen bisher. Und nur mit einer entschlossenen Abrüstungspolitik kann man dieser Politik, die propagandistisch aufgebaut ist, den Boden entziehen. Das ist etwas, wofür wir etwas beitragen können hier aus Deutschland, diesen Abrüstungswillen der Atommächte zu befördern mit allen Möglichkeiten, die wir haben. Das ist das beste auch, was wir für den Nahen Osten insgesamt und für die Position des Iran und der anderen Länder in dieser Region tun können.

Publikum 3: Es gibt 44 potentielle Staaten, die Atomwaffen herstellen können. Das ist nicht nur der Iran.

Küntzel: In einem Punkt gibt es eine wichtige Übereinstimmung mit Herrn Erler im Unterschied zu Herrn Perthes. Nämlich dass Sie auch die Politik der Eindämmung und der Abschreckung im Falle des Irans ablehnen, weil es zu gefährlich ist mit dem dschihadistischen Gedankengut, mit dem Menschen die Selbstmörderideologien nachvollziehen. Dass man da nicht mit der Politik der Abschreckung arbeiten kann im Unterschied zum Kalten Krieg, das finde ich richtig.

Ich habe festgestellt, dass Sie bei der Forderung, die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen, zumindest etwas genickt haben. So dass man mal sehen kann, ob das vielleicht im Bundestag weitergetrieben wird. Ich habe festgestellt, dass es bei der Frage der atomwaffenfreien Zone einen Unterschied gibt zwischen dem allgemeinen Bekenntnis und der konkreten Situation, in welchem Kontext ganz konkret eine solche Forderung erhoben wird. Ich meine aber, dass man hier noch weiteren Diskussionsbedarf hat.

In zwei Punkten gibt es wirklich wichtige Differenzen. Sie hatten gesagt, dass im Grunde genommen die Nahostkrise eine Ursache für den Antisemitismus im Iran sein kann. Durch den Nahostkonflikt würden immer wieder radikale Kräfte im Iran gestärkt, und wenn er gelöst ist, dann könnte man weiter schreiten. Hier bin ich der Auffassung, es ist anders herum. Khomeini hat von Anfang an in seinen programmatischen Erklärungen schon vor 1979 in den 60er Jahren – ich beschreibe das in meinem Buch ausführlich – antisemitisch, sogar richtig antijüdisch argumentiert. Ich glaube nicht, dass der Nahostkonflikt das Problem für den Iran ist, ich glaube, dass Iran das Problem für den Nahostkonflikt ist und ich glaube, dass der Iran der zentrale Punkt ist. Wenn die demokratische Bewegung im Iran siegen würde, hätte das eine Ausstrahlung für die gesamte Region, weil dann auch der Kurs der Hamas und der Hisbollah gestoppt werden könnte, die Finanzierung aufhören und dann auch wirklich eine Zwei-Staaten-Lösung ermöglicht würde. Vorher aber nicht.

Die zweite Differenz: Sie hatten damals 2004 erklärt, nach dem großen Erfolg der EU-Iranpolitik: “Auch für den Iran gilt, dass das Prinzip Wandel durch Annäherung bei gleichzeitiger Verdeutlichung der eigenen Position erfolgreicher ist als Konfrontation.” Seit dem Jahr 2004 haben wir aber erlebt, dass das Prinzip Wandel durch Annäherung bei Iran nicht funktioniert. Sie haben selber eine wichtige Erklärung dafür abgegeben, nämlich mit dem dschihadistischen Denken. Das dschihadistische Denken will nicht Wandel durch Annäherung, weil man die Annäherung an den Westen fürchtet. Und deswegen zensiert, die Jugend abhält, westliches Fernsehen zu gucken, westlichen Tanz verbietet, Musik verbietet usw. usf. Deswegen glaube ich, der entscheidende Punkt ist zu erkennen, welches ideologische Konzept die Machthaber im Iran – Ahmadinedschad und Khameinei – bewegt und antreibt. Wenn man das richtig analysiert, dann wird man feststellen, dass weder der Nahostkonflikt noch die Lösung des Nahostkonflikts diese Art von Antisemitismus beseitigen werden.

Und zweitens wird man feststellen, dass auch die USA noch so viel abrüsten können, es wird die Iraner nicht beeindrucken. Denn wenn der Feind abrüstet, hat man selber nur Vorteile davon, wenn man weiter aufrüstet. Es ist eine andere Logik – auch die Nazis hatten eine Logik, die war für die umgebende Welt sehr schwer zu begreifen. Aber wir müssen uns der Anstrengung unterziehen zu erkennen, was das Denken solcher Leute antreibt, damit wir die richtige Schlussfolgerung ziehen. Ich glaube nicht, dass im Falle des Irans das ‘gute Vorbild des Westens’ in Teheran Eindruck macht, sondern es wird belächelt, verhöhnt und als Punktsieg für sich selbst ausgewertet.

Auch bei der Städtepartnerschaft – der Herr von dem Theater hatte sehr richtig gesagt, jeder Kulturaustausch ist politikkonnotiert. Das war ja hier auch eine kleine Differenz, ob jetzt Städtepartnerschaften politisch instrumentalisiert werden… Da ich festgestellt habe, dass bisher bei der Städtepartnerschaft keine Kritik auf der Homepage des Freundeskreises zu erkennen war, war diese Politikkonnotation ziemlich einseitig, nämlich so, dass man die Beziehungen zu den amtlichen Stellen in Isfahan nicht beschädigen wollte. Das ist verkehrt und man sollte heute eine andere Schlussfolgerung ziehen.

Stock: Herr Erler, Herr Küntzel, vielen Dank für Ihre Teilnahme an dieser Diskussion, und dass Sie sich beide auch der Kritik ausgesetzt haben, die bei einem Streitgespräch unvermeidlich ist. Es kamen sehr viele Fakten zur Sprache, und ich habe in diesen intensiven zwei Stunden eine Menge erfahren.