Das Zentrum für Antisemitismusforschung im Kampf gegen "Islamophobie"

Gleichen sich Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus?

Von Matthias Küntzel

In einer Zeit, in der die Antisemiten in der islamischen Welt offensiver auftreten, als jemals zuvor, will sich das Berliner „Zentrum für Antisemitismusforschung“ auf eine andere Problemgruppe konzentrieren: die „neuen Muslimfeinde.“

Wer genau zu dieser Gruppe gehört, geht aus seiner neuesten Publikation, dem „Jahrbuch für Antisemitismusforschung“, nicht hervor. Doch über das Gefahrenpotential weiß man Bescheid: „Die Wut der neuen Muslimfeinde gleicht dem alten Zorn der Antisemiten gegen die Juden“, schreibt Prof. Wolfgang Benz, der Direktor des Instituts. Am 8. Dezember 2008 wird es seine neuen Erkenntnisse auf einer Berliner Konferenz mit dem Titel „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“ präsentieren. Thematischer Schwerpunkt ist die Frage, „welche Gemeinsamkeiten Judenfeinde und Islamfeinde teilen.“

Gewiss ist es notwendig, der Dämonisierung der Muslime und ihrer oft rassistisch motivierten Diskriminierung entgegenzutreten. Das Berliner Zentrum tut gut daran, dieses Thema zu bearbeiten. Das Problem liegt in der Art und Weise wie dies geschieht.

Da ist zunächst zu beklagen, dass das Berliner Zentrum den Neologismus „Islamophobie“ unkritisch übernimmt. Dieser Begriff ist problematisch, weil er zwei unterschiedliche Phänomene vermengt und gleichermaßen an den Pranger stellt: den menschenverachtenden Rassismus gegen Muslime und die notwendige Kritik an der islamistischen Tendenz.

Wer die prominente Website „Islamophobia Watch. Documenting the war against Islam“ öffnet, erkennt sofort, dass hier jeder Kritiker des Islamismus, ob muslimisch oder nicht-muslimisch, als “islamophob” denunziert und mit dem Vorwurf des Rassismus erpresst werden soll.

Mit der Akzeptanz dieser Vokabel verstärkt das Berliner Zentrum einen unguten Trend. Im Mai 2005 hatte der Europarat erstmals „Antisemitismus und Islamophobie“ in einem Atemzug genannt. Dies ging dem Muslim Council of Britain nicht weit genug. „Tatsache ist, dass Islamophobie den Antisemitismus ersetzt hat“, erklärte Imam Dr. Abduljalil Sajid, ein Leitungsmitglied des Muslim Council einen Monat später auf einer OSZE-Konferenz im spanischen Cordoba.

Als „islamophob“ bezeichnete er hier Aussagen wie: „Salman Rushdie hatte recht“, „Lang lebe Israel!“ und „Der muslimischer Fundamentalismus ist gefährlich.“ Mittlerweile wird in diversen Papieren der „Organisation der Islamischen Konferenz“ und der Vereinten Nationen die „Islamophobie“ als die derzeit wichtigste und schlimmste Form von Menschenfeindlichkeit an den Prager gestellt.

Soweit geht das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung nicht. Und doch überrascht die Selbstverständlichkeit, mit der es den antimuslimischen Rassismus und den Antisemitismus auf eine Stufe stellt. Wenn auch beide Formen der Menschenverachtung mit gleicher Intensität bekämpft gehören, sind doch die Unterschiede zwischen dem „Feindbild Muslim“ und dem „Feindbild Jude“ evident.

Während erstens der Rassismus Menschen in der Regel „klein“ macht, um sie zu versklaven, auszubeuten oder auszuweisen, macht der Antisemitismus Juden wahnhaft „groß“. Wichtigstes Merkmal des Antisemitismus ist eine Verschwörungstheorie, die Juden sowohl für den Kapitalismus wie auch für den Kommunismus, für Aids, Revolutionen, Finanzkrisen – kurz: für alle „unerklärlichen“ Katastrophen der Moderne verantwortlich macht.

Der Begriff vom „Erlösungsantisemitismus“, den der Holocaust-Forscher Saul Friedländer prägte, kennzeichnet dieses Phänomen: Wenn man annimmt, dass Juden für das Elend dieser Welt verantwortlich sind, kann nur eine Maßnahme diese Welt „erlösen“: ihre Vernichtung. Dieses Paradigma der Judenfeindschaft trifft auf den Rassismus nicht zu: Von einem „Erlösungsrassismus“ kann keine Rede sein. Es gibt keine „Protokolle der Weisen von Mekka“. Muslimen wird nicht unterstellt, die Drahtzieher aller Revolutionen und Kriege zu sein.

Auch wenn jeder Generalverdacht gegen Muslime zurückzuweisen ist, kann doch zweitens niemand übersehen, dass die Vorbehalte gegen Muslime auf realen, von Muslimen begangenen Verbrechen basieren, während die Feindschaft gegen Juden keine realen Auslöser hat. Ereignisse wie der 11. September oder die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh habe keine Entsprechung in der jüdischen Tradition.

Drittens braucht man das Ausmaß der Diskriminierung von Muslimen in Europa nicht zu beschönigen, um dennoch zu erkennen, dass sich die Auswirkungen des „Feindbilds Muslim“ und des „Feindbilds Jude“ qualitativ unterscheiden. Niemand will ein islamisches Land von der Landkarte radieren. Die Gotteshäuser und Veranstaltungsräume des Islam bedürfen in Deutschland – im Unterschied zu den jüdischen – keiner polizeilichen Dauerbewachung. Es wird kein Satellitensender ausgestrahlt, der schon im Kinderprogramm die Vernichtung aller Muslime fordert, während das Satelliten-TV der Hisbollah und Hamas der Vernichtung der Juden mithilfe arabische Satelliten propagiert.

Wenn sich nunmehr auch das Berliner Zentrum die Trendvokabel „Islamophobie“ zu eigen macht und Muslim- und Judenfeindschaft auf eine Stufe stellt, liegt es nicht nur analytisch falsch. Es läuft zudem Gefahr, die gegenwärtig vordringlichste Aufgabe im Umgang mit dem Antisemitismus zu hintertreiben: Die Erforschung und Bekämpfung der Judenfeindlichkeit unter Muslimen. Erste Rückzugstendenzen deuten sich bereits an.

So schlägt einer der Autoren des neuesten Jahrbuchs, Dr. Jochen Müller, eine „Revision des Politik- und Geschichtsunterrichts“ speziell für Klassen mit muslimischen Kindern vor. Weil der Holocaust keine “zentrale Bedeutung für Migranten aus der arabisch-muslimischen Welt” habe, sei zu prüfen, ob nicht „die Kolonialzeit und ihre Folgen“ in derartigen Klassen ein besseres Thema für eine “zeitgemäße ,Holocaust-Education’” sei. Dies ist angesichts der Leugnung des Holocaust, wie sie bei vielen muslimischen Jugendlichen beobachtet wurde, eine bemerkenswerte Idee.

In einem anderen Beitrag des Jahrbuchs über „Islamfeindschaft im World Wide Web“ wird nicht der islamische Antisemitismus, sondern der Antisemitismusvorwurf gegenüber Muslimen kritisiert. Dieser Vorwurf liefere „ein scheinbar rational begründetes Argument für die Ablehnung eines ganzen Kollektivs“, schreibt Yasemin Shooman, eine Mitarbeiterin des Zentrums. Hier droht ein Verhaltensschema, das sich von „Islamfeindschaft“ abzugrenzen sucht, in die verständnisvolle Duldung antisemitischer Haltungen umzuschlagen.

Das Berliner „Zentrum für Antisemitismusforschung“ ist die wichtigste europäische Einrichtung dieser Art. Seine neue Schwerpunktsetzung setzt ein ungutes Signal. Während sich sein neuestes „Jahrbuch für Antisemitismusforschung“ auf die Befassung mit dem weltweiten „antiislamischen Ressentiment“ konzentriert, verliert es über den Antisemitismus der iranischen Mullahs kein Wort.

Mit dieser Gewichtung wird das Berliner Zentrum es den Anforderungen, die an eine zeitgenössische Antisemitismusforschung zu richten sind, kaum gerecht.

Nie zuvor wurde die Beseitigung des jüdischen Staats so lautstark propagiert. Nie zuvor hat eine einflussreiche Macht die Leugnung des Holocaust in das Zentrum seiner Außenpolitik gerückt, wie heute der Iran. Nie zuvor wurde das Forum der Vereinten Nationen für eine antisemitische Rede missbraucht, wie dies am 23. September 2008 durch Mahmoud Ahmadinejad geschah. Außenminister Steinmeier hatte diese Ansprache als „eklatant antisemitisch“ kritisiert.

Von einem Zentrum der Antisemitismusforschung, dessen Expertisen die Arbeit des Bundestages und der Bundesregierung und die internationalen Diskussionen beeinflussen, ist zu erwarten, dass es den Antisemitismus im Mittleren und Nahen Osten zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit macht.

Es ist richtig, dass uns die Vergangenheit dazu verpflichtet, jedwedem Rassismus entgegenzutreten – jetzt und in aller Zukunft.
Die Erfahrung des Holocaust hält jedoch noch eine zweite Lehre parat: Sie verpflichtet uns, allen Versuchungen, die Wirklichkeit zu beschönigen, standzuhalten und die Ankündigungen von Antisemiten, wie verrückt sie auch immer klingen mögen, wörtlich zu nehmen.